Kaum ein Motiv wird in der Sekundärliteratur zum literarischen Werk Thomas Manns so stiefmütterlich behandelt wie das des Weiblichen in seinen Texten. Vom Themenkomplex der Homosexualität überschattet und meist als stereotype Randfiguren abgetan, kommt der Analyse der Frauenfiguren und ihrer Funktion für das Erzählkonzept nur wenig Beachtung zu. Um diese Lücke ein wenig zu füllen und eine neue Perspektive auf das Mannsche Frühwerk zu eröffnen, beschäftige ich mich in der vorliegenden Arbeit mit einer vergleichenden Analyse der Bedeutung von Weiblichkeit und weiblicher Künstlerschaft in Thomas Manns frühen Erzählungen Der kleine Herr Friedemann (1898),Tonio Kröger (1903) und Tristan(1903) für sein Konzept von Leben und Kunst. Dabei steht auf der einen Seite die Frage nach der Verwendung von und dem Umgang mit weiblichen Mythen im Mittelpunkt. Auf der anderen Seite soll die Darstellung des Verhältnisses von Weiblichkeit und Kunst sowie von weiblicher Künstlerschaft in den Erzählungen untersucht werden. Im Rahmen einer textimmanenten, semiotischen Interpretation wird die zeichenhafte Konstruktion der literarischen Frauenfiguren analysiert und der Fragestellung nachgegangen, auf welche abstrakten Konzepte und Bilder von Weiblichkeit und auf welche Entwürfe von weiblicher Künstlerschaft diese Zeichen verweisen.
Trotz der expliziten Analyse der Frauenfiguren in den Erzählungen zielt die Arbeit ausdrücklich nicht auf eine ideologiekritische Reflexion über gesellschaftliche Rollenmuster der Frau und auf deren Interpretation als Ausdruck männlicher Herrschaft ab. Vielmehr soll die Funktion der weiblichen Figuren als Zeichenkonstrukte für den Text und für die Konzepte von Weiblichkeit den Fokus bilden und somit der Text klar als fiktionales Konstrukt in seiner ästhetischen Form Beachtung finden. Die Erzählungen werden also nicht „auf soziologische[], kulturelle[] oder historische[] Typologien hin abgefragt“ und somit fälschlich mit der realen Lebenswelt von Frauen gleichgesetzt, wie es die Frauenbildforschung der siebziger und achtziger Jahre betrieben hat, von der sich die hier vorliegende Arbeit klar abgrenzen will: „Die Frauenbildforschung hatte versucht, durch die Untersuchung der Darstellung von Frauen in der Literatur bestimmte Stereotypen männlicher Projektion zu isolieren und zu kritisieren.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Verhandlung von Weiblichkeitsmythen in den Erzählungen
- Der Mythos der Frau als das Andere bei Simone de Beauvoir
- Analyse der Erzählungen
- Ebene der erzählten Figuren: Figurenanalyse
- Ebene des Erzählkonzeptes: Binäre hierarchische Oppositionsstrukturen
- Ebene der Struktur
- Verhandlung von weiblicher Künstlerschaft in den Erzählungen
- Zum Verhältnis von Körperlichkeit und Kunst: weibliche Künstlerschaft
- Analyse der Erzählungen
- Der kleine Herr Friedemann: Gescheiterte Androgynie
- Tristan: Tötung des Engels des Hauses'
- Tonio Kröger: Androgynes Kunstkonzept
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Bedeutung von Weiblichkeit und weiblicher Künstlerschaft in Thomas Manns frühen Erzählungen "Der kleine Herr Friedemann", "Tonio Kröger" und "Tristan". Sie untersucht die Verwendung weiblicher Mythen und deren Funktion im Erzählkonzept, sowie das Verhältnis von Weiblichkeit und Kunst in den Texten. Die Arbeit analysiert die Figuren, das Erzählkonzept und die Struktur der Texte, um zu zeigen, wie sie Mythen von Weiblichkeit reproduzieren oder subvertieren.
- Analyse der weiblichen Figuren und ihrer Konstruktion in den Erzählungen
- Untersuchung der Verwendung weiblicher Mythen in den Erzählungen
- Bedeutung des Verhältnisses von Weiblichkeit und Kunst in den Texten
- Analyse des Verhältnisses von Körperlichkeit und Kunst im Kontext weiblicher Künstlerschaft
- Bedeutung der binären hierarchischen Oppositionsstrukturen von Geist und Körper, Männlichem und Weiblichen in den Erzählungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Thema der Arbeit vor und erläutert den Ansatz der Analyse. Sie beleuchtet die Bedeutung der weiblichen Figuren in Manns Frühwerk und betont die Notwendigkeit, sie nicht nur als stereotype Randfiguren zu betrachten. Die Einleitung beschreibt auch den theoretischen Rahmen der Arbeit, der auf einem textimmanenten, zeichentheoretischen Interpretationsansatz basiert.
Kapitel 2 untersucht die Verhandlung von Weiblichkeitsmythen in den Erzählungen. Es bezieht sich auf die Thesen Simone de Beauvoirs zum Mythos der Frau als das Andere. Die Analyse untersucht, wie diese Mythen in den Figuren, dem Erzählkonzept und der Struktur der Erzählungen zum Ausdruck kommen.
Kapitel 3 analysiert die Verhandlung von weiblicher Künstlerschaft in den Erzählungen. Es untersucht das Verhältnis von Körperlichkeit und Kunst im Kontext weiblicher Künstlerschaft und stellt das Androgynitätskonzept Virginia Woolfs der traditionellen Vorstellung einer männlich dominierten Kunstproduktion gegenüber.
Schlüsselwörter
Weiblichkeit, weibliche Künstlerschaft, Thomas Mann, frühe Erzählungen, Mythen, Simone de Beauvoir, Virginia Woolf, Geist-Körper-Dichotomie, binäre hierarchische Oppositionsstrukturen, Figurenanalyse, Erzählkonzept, Struktur, textimmanente Analyse, zeichentheoretische Interpretation, Androgynie.
- Quote paper
- Anne-Christin Sievers (Author), 2006, 'Bloß ein dummes malendes Frauenzimmer'? Zur Bedeutung von Weiblichkeit und weiblicher Künstlerschaft in Thomas Manns frühen Erzählungen , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64885