Die Frage nach den Entwicklungslinien, die von der frühen griechischen Baukunst zum Peripteraltempel der archaischen und klassischen Zeit führen, wurde in der älteren Forschung zuerst mit dem Versuch einer morphologischen Ableitung aus früheren griechischen Gebäudetypen beantwortet. Insbesondere glaubte man, im Megaron des mykenischen Palastes und den Lang- bzw. Antenhäusern der protogeometrischen und geometrischen Zeit einen baulichen Vorläufer für die langgestreckt-rechteckige Form der Cella des sich seit der 1. Hälfte des 7. Jhs. im griechischen Kulturraum weiträumig verbreitenden Ringhallentempels gefunden zu haben. Als der Versuch einer morphologischen Herleitung des Ringhallentempels vor der unkanonischen, überraschenden Vielgestaltigkeit der frühen Baukunst kapitulieren musste und gleichzeitig der Vergleich der funktionalen und liturgischen Eigenschaften geometrischer Kultbauten mit denen der Peripteroi tiefgreifende Unterschiede zu Tage gefördert hatte, begann man, nach den sozialgeschichtlichen Ursachen zu fragen, die im Übergang von der geometrischen zur archaischen Epoche einen Wandel in der Kultpraxis bewirkt und damit gänzlich neuartige, diesen gewandelten Bedürfnissen strukturell entsprechende Sakralbauten notwendig gemacht hatten. Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die Befundlage unter morphologischen Gesichtspunkten zu ordnen und die architektonischen Strukturmerkmale der frühen Kultbauten hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den kanonischen Ringhallentempel zu untersuchen.
Inhalt:
1. Forschungsgeschichte
2. Quellen
3. Formen und Funktionen
4. Morphologie
4.1 Mykenische Megara: Eleusis und Tiryns
4.2 Oval- und Rundhäuser: Lathouresa
4.3 Langhäuser mit Apsiden: Antissa, Nichoria, Eretria
4.4 Prototypen der Peristase? Thermos, Samos, Lefkandi
4.5 Rechtwinklige Herdhäuser: Dreros, Prinias, Perachora, Thasos
4.6 Mehrzellige Oikoi: Eleusis, Athen, Porto Cheli
4.7 Ländliche Kapellen
5. Zusammenfassung und Ausblick
6. Bibliographie
7. Abbildungen
1. Forschungsgeschichte
Die Frage nach den Entwicklungslinien, die von der frühen griechischen Baukunst zum Peripteraltempel der archaischen und klassischen Zeit führen, wurde in der älteren Forschung zuerst mit dem Versuch einer morphologischen Ableitung aus früheren griechischen Gebäudetypen beantwortet. Insbesondere glaubte man, im Megaron des mykenischen Palastes und den Lang- bzw. Antenhäusern der protogeometrischen und geometrischen Zeit einen baulichen Vorläufer für die langgestreckt-rechteckige Form der Cella des sich seit der 1. Hälfte des 7. Jhs. im griechischen Kulturraum weiträumig verbreitenden Ringhallentempels gefunden zu haben1.
Prototypen einer umlaufenden Peristasis glaubte man in Thermos beim sogen. Megaron B2, auf Samos beim Hekatompedos II3, in Eretria beim Tempel des Apollon Daphnephoros4 und in Lefkandi auf Euboia5 bei dem als Heroon ge- deuteten protogeometrischen Apsidenhaus gefunden zu haben. Diese Vor- stellung einer fortlaufenden Genese des Peripteros aus früheren griechischen Bauformen6 musste nicht nur aufgrund einer sorgfältigen Neuinterpretation von Grabungsbefunden, sondern auch aus strukturellen, d.h. architek- tonischen sowie funktional und sozialgeschichtlichen Gründen einen heftigen Widerspruch erfahren7: “As to early Greek temples, it seems that there existed neither a homogenous architectural type throughout Greece, nor a linear architectural development from Bronze Age architecture.”8 Als der Versuch einer morphologischen Herleitung des Ringhallentempels vor der “unkanonische[n], überraschende[n] Vielgestaltigkeit der frühen Bau- kunst”9 kapitulieren musste und gleichzeitig der Vergleich der „funktionalen und liturgischen Eigenschaften geometrischer Kultbauten mit denen der Pe- ripteroi“10 tiefgreifende Unterschiede zu Tage gefördert hatte, begann man, nach den sozialgeschichtlichen Ursachen zu fragen, die im Übergang von der geometrischen zur archaischen Epoche einen Wandel in der Kultpraxis bewirkt und damit gänzlich neuartige, diesen gewandelten Bedürfnissen strukturell entsprechende Sakralbauten notwendig gemacht hatten11.
In der neuesten Forschungsliteratur hingegen kommt es wieder zu einer Annäherung des morphologischen Ansatzes mit dem funktionsanalytischen und sozialgeschichtlichen: Man sieht das Vorbild für den klassischen griechischen Peripteros nun eher im orientalischen bzw. ägyptischen monumentalen Tempelbau12 und versucht zu erklären, in welcher Weise diese Vorbilder nach den speziellen Bedürfnissen der radikal sich im Umbruch befindlichen griechischen Gesellschaft jener Zeit adaptiert wurden.
Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe, die Befundlage unter morphologischen Gesichtspunkten zu ordnen und die architektonischen Strukturmerkmale der frühen Kultbauten hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf den kanonischen Ringhallentempel zu untersuchen.
2. Quellen
Die Frage nach der Kontinuität minoisch-mykenischer Kultplätze bis in die geometrische und archaische Zeit hat Martin P. Nilsson ausführlich behan- delt13.
Einen bauhistorischen Überblick über die „vorklassischen Hausformen in der Agäis“ hat S. Sinos vorgelegt (1971).
Eine Zusammenfassung des archäologischen Materials zur griechischen Baukunst in geometrischer Zeit mit insgesamt 55 Fundplätzen hat H. Drerup (1969) unternommen.
Die Typologie Drerups ergänzt Mazarakis-Ainian (1987, 1988) mit weiteren Fundplätzen, die er allerdings im Gegensatz zu Drerup unter bestimmten Ge- sichtspunkten von Nutzungs- und Entwicklungskonzepten zusammenfasst. Die Grabungsergebnisse zu den ersten kanonischen Ringhallentempeln, die in Isthmia14, Korinth15 und Argos16, verschiedentlich auch in Eretria17 und Samos18 vermutet werden, sind zum Teil noch nicht vollständig publiziert. Zeitgenössische literarische Quellen zu den frühen Tempelbauten sind dürftig. Als Zeugnis für Aussehen und Funktionen des Herrscher-Megaron bzw. ‚Chief- tain-Dwelling’ kommen in erster Linie Textstellen bei Homer, Od. XVII-XXIII19 in Frage.
Tempel werden auch in den Homerischen Hymnen erwähnt, z.B. im Deme- terhymnos20, dessen Entstehung in das späte 7. Jh. datiert. Der Hymnos an Apollon21, der ebenfalls sehr früh angesetzt wird, hebt lobend pars pro toto die „steinerne Schwelle“ des Apollontempels von Delphi22 hervor. Pindar23 erwähnt die doppelseitigen steinernen Giebel des Tempels von Ko- rinth.
Herodot erwähnt einige griechische Tempel24, berichtet über die frühen Beziehungen der Griechen mit dem Orient25 und Ägypten26 sowie über die dortigen Bauwerke und religiösen Gebräuche.
Vitruv27, dessen Quellen allerdings unsicher sind, beschreibt die dorische und ionische Ordnung als Übertragung von Holzkonstruktionen in Steinbauweise. Nach seinem Zeugnis war der erste Ringhallentempel der Tempel der Hera von Argos28.
Diskussionsbeiträge zu epigraphischen Nachweisen früher griechischer Kultpraxis bietet R. Hägg (1994).
3. Formen und Funktionen
Die frühen Sakralbauten unterscheiden sich von den späteren Ringhallentempeln sowohl in ihrer architektonischen Formgebung wie auch in ihren sozialen und liturgischen Funktionen.
In der Frühzeit gab es keine spezielle Bauform, die es ermöglichen würde, profane von sakralen Bauten eindeutig zu unterscheiden. Abgesehen von einzelnen kleineren minoischen ‘Schreinen’ finden sich weder auf dem minoi- schen Kreta noch auf dem Festland mykenischer Zeit “in sich geschlossene architektonische Komplexe”, die sich vor dem Hintergrund der altorientali- schen oder ägyptischen Anlagen “mit der Bezeichnung ‘Tempel’ verbinden ließen”29.
Im Unterschied zur altorientalischen Dualität von “Palast und Tempel als jeweils funktionell und architektonisch getrennte[n] Baukörper[n]”30 handelt es sich bei den ‘Palast-Heiligtümern’31 des minoischen Kreta um eine integrale Verschmelzung beider Komponenten, die eine Zuordnung der architektonischen Reste zu profanen oder kultisch-sakralen Zwecken zu einer Streitfrage der interpretatorischen Akzentuierung macht. Ununterscheidbar vermischen sich in den Räumlichkeiten der minoischen Paläste ökonomische, administrative, politisch-repräsentative und kultische Funktionen.
Auf dem mykenischen Festland diente der Hauptsaal des Palastes, das Mega- ron, ebenso sozialen wie religiösen Zwecken, die einander ununterscheidbar bedingten und durchdrangen. Der 30-50 qm große Saal mit einem runden Herd (eschara) in der Mitte und den 2-4 Säulen, die die Dachkonstruktion mit dem Rauchabzug trugen, diente den Verdienstfesten des Königs (wanax) mit seinen Gefolgsleuten, die im Zuge gemeinschaftlichen Fleischkonsums auch Opferund Libationsriten beinhalteten32.
Über Ablauf und Einbindung der religiösen Rituale in die weltlichen Verdienst- feste oder Gastmähler der lokalen Könige und ihrer Gefolgsleute bis in die geometrische Zeit hinein erfahren wir einiges aus den Schilderungen in Ho- mers Illias und Odyssee33. Daraus geht hervor, dass die Teilnahme am festli- chen Opfermahl an die Zugehörigkeit zu einer Kult- und Speisegemeinschaft geknüpft und damit ein Vorrecht der Big Men war34. Die lokalen Adligen (basi- lees), z.B. Achilleus35 oder Agamemnon, vollzogen persönlich das Opfer, an dem eine auserlesene Schar von Genossen teilnahm36. Kultische Bezugsperson war also der Big Man, der in seinem eigenen Haus je nach persönlichem Bedarf unterschiedlichen Göttern opferte, wobei den anderen Beteiligten lediglich eine passive, entgegennehmende Rolle zufiel37.
Ein grundsätzlich anderes Bild bieten hingegen die Heiligtümer der olympi- schen Götter in der archaischen und klassischen Zeit. Wichtigste Elemente sind hier in erster Linie temenos und Altar, gefolgt vom Tempel als einem repräsentativen, aber nicht konstituitiv notwendigen Requisit. Schon die Bezeichnung Temenos (griech.: das Abgetrennte) für den heiligen Bezirk verweist auf eine klare Trennung von der profanen Sphäre durch Grenzsteine (horos) oder Umfriedung (períbolos). Für das Temenos, innerhalb dessen sich Altar, ggf. Tempel, Schatzhäuser, Wettkampfanlagen, Speiseräume etc. befanden, galten strenge Reinheits- und Verhaltensvorschriften sowie Nutzungsbeschränkungen, die das Areal dem Zugriff weltlicher Autoritäten und Normen entzogen38. Dementsprechend isoliert und vereinzelt, nicht mehr wie die minoischen Kulträume oder das mykenische Megaron in einen größe- ren administrativen Komplex eingebunden, stand nun der Tempel als ‘Haus des Gottes’39 da.
Herd und Altar, an denen geopfert und gemeinschaftlich Fleisch verzehrt wurde, hatten sich aus dem Inneren des Chief- oder Big Man-Hauses zuerst ‘openair’ auf heilige Plätze verlagert, entweder extraurban in Heiligtümer40 oder innerhalb der nun entstehenden Stadtstaaten (poleis) auf die Marktplätze (agorai), um einer breiteren Masse von Menschen eine gleichberechtigte Teilnahme am Opfer zu ermöglichen.
Das Raumkonzept des früheren Megaron wurde beim Peripteros (Abb.1) nun gleichsam nach außen gestülpt: Während bei den früheren Kultbauten allein der Innenraum zählte und die äußere Form eher zufällig war, konzentrierte sich die Gestaltung des Peripteros auf den Außenbau. Die monumentalen Abmessungen des neuen Gesamtentwurfes wirkten sich deshalb verhältnis- mäßig gering auf die Ausmaße seines Innenraumes, der Cella aus, da der Tempel nun nicht mehr zu Versammlungszwecken, sondern hauptsächlich zur Aufstellung der Kultstatue diente. So büßte der Innenraum für die Kultge- meinde an funktionaler Bedeutung ein, dafür widmete sich die bauliche Ges- taltung verstärkt der Akzentuierung des äußeren Erscheinungsbildes.
Dementsprechend unterschiedlich gestalteten sich nun auch die liturgischen Abläufe. Die Zuständigkeit für die Opfermaßnahmen hatte sich vom Basileus abgelöst und war auf den Priester als Delegierten der Kultgemeinde überge- gangen. Im früheren Herdhaus oder ‘Chieftain-dwelling’, in dem je nach den Bedürfnissen des Opfernden unterschiedlichen Gottheiten hatte geopfert werden können, war die kultische Bezugsperson der Basileus gewesen. Die neuen Tempelbauten aber trennten die profane von der sakralen Sphäre. Diese galt nun als Eigentum einer bestimmten Gottheit, die ein Kultbild erhielt und ein von Profanbauten architektonisch klar abgegrenztes Haus41. Das Opfer und die Verteilung des Fleisches unter die Kultgemeinde fand nun im Freien, auf dem Platz zwischen Tempel und Altar statt, wobei die Durch- führung der Opferhandlungen nicht mehr vom Big Man abhängig war, sondern auch von einem anderen Mitglied der Kultgemeinde durchgeführt werden dur- fte.
4. Morphologie
Bei der Suche nach autochthon griechischen Vorbildern für die neue Bauform des Peripteros ist zunächst eine Typologie der für kultische und religiöse Zwecke genutzten frühen Gebäude von der mykenischen bis in die geometrische Zeit hinein erforderlich. Ich stütze mich im Folgenden weitgehend auf Drerup (1969), um innerhalb einer Befundaufnahme ausgewählter Beispiele die Frage nach Kontinuität in der Bauweise, Nutzung oder von Strukturmerkmalen kultisch genutzter Bauten zu stellen.
Aufgrund der sozialgeschichtlich bedingten Verschmelzung der Funktionen bei den frühen Bauten erweist es sich allerdings als äußerst heikel, aus Drerups Untersuchungen eine strikte Einteilung in profan bzw. sakral genutzte Strukturen zu destillieren.
Zur Identifizierung sakraler Bezüge können jedoch besondere Elemente der architektonischen Ausstattung herangezogen werden: Ein gemauerter Herd in der Raummitte und ein gelegentlich damit kombiniertes Podium an der Wand für Votiv- und Opfergaben sowie gelegentlich an der Wand umlaufende Bankreihen bzw. Basen für hölzerne Sitzgelegenheiten. Auch Ascheschichten und Speisereste bzw. Behältnisse für deren Aufbewahrung42 verweisen auf eine sakrale Funktion, die freilich von den sozialen Faktoren einer Opfer- und Speisegemeinschaft nicht zu trennen ist43.
4.1 Mykenische Megara: Eleusis und Tiryns
“Eine langgestreckt-rechteckige Hausform, die mit einer offenen Vorhalle und oft mit einer kleinen Säulenstellung ausgestattet wird, kommt schon seit spätneolithischer Zeit auf dem Balkan, im Vorderen Orient und in Griechenland vor.”44 (Abb. 2a - d)
In der frühen Bronzezeit (3. Jt. v. Chr.) ist das Lang- bzw. Antenhaus in Griechenland jedoch eher selten, kommt dagegen in dieser Zeit in Kleinasien (z. B. in Troja II) vor, “wo mehrere solcher Bauten (...) eine Art Residenzkomplex innerhalb der mächtigen Festungsmauern bilden”45.
In der mykenischen Palastkultur fand sich das Megaron in einen größeren Bau- komplex eingepasst, also in einer Form, die “in vieler Hinsicht von der Ausbil- dung des klassischen Tempels weiter entfernt scheint als die vorgeschichtli- chen Stufen: eingebunden statt isoliert, flachdächig statt gegiebelt, zwei- statt einstöckig. Dazu kommt, dass man sich diese Paläste meist als Residenzen und Zentren der Verwaltung vorstellt, nicht als religiöse Bauten”46.
Nach dem Untergang der mykenischen Kultur im 12. Jh. v. Chr. fällt aufgrund der geringen Denkmäler der nun folgenden ‚Dark Ages’ der Nachweis schwer, inwiefern die Nachfahren der Mykener deren Architekturformen übernahmen. Aber “die verschwindend geringen Spuren aus dem 10. Jh., die wenigen noch aus dem 9. Jh. weisen darauf hin, dass an die mykenische Architektur - von Kreta abgesehen - nicht angeknüpft wurde”47.
Ausnahmen hiervon könnten das sogen. Megaron B als Vorläuferbau des Te- lesterion von Eleusis48 bilden sowie der Antenbau im Megaron von Tiryns. In Eleusis wurde unter den Mauern des späteren Telesterion Reste der Grund- mauern eines Megaron (7x4,50m) mit zwei axialen Säulenstellungen innen und einer Säulenvorhalle (aithousa) gefunden (Abb. 3a - b). Aufgrund der zahlreichen Herdstellen entlang der Innenwände des Megaron sowie des den Hof umgebenden Peribolos wurde der Bau einerseits der Periode Späthella- disch II (15. Jh.) zugewiesen, andererseits aber auch mit dem Demeter- Tempel des Homerischen Hymnos identifiziert. Die Nachfolgebauten des Me- garon B in geometrischer und archaischer Zeit - Terrassierung mit Altar, ein vermuteter Apsidaltempel und schließlich das solonische und dann das pei- sistrateische Telesterion - würden die Anknüpfung in der Kultpraxis und Fort- entwicklung von architektonischen Lösungen von der mykenischen bis in die historische Zeit belegen.49 Dem widerspach jedoch Mallwitz in Bezug auf den früheren Ausgräber F. Noack, wonach es sich bei dem in Frage stehenden Mauerrest lediglich um eine Terrassen- bzw. Stützmauer aus dem 9.-8. Jh. handele, „wodurch ein Glied in der Reihe der Anaktora vom mykenischen zum solonischen fehlt“50.
Ähnlich verhält es sich mit dem sogen. Antenbau auf der Hochburg in Tiryns.
Dieser Antenbau (6,90 x 20,90m) mit axialer Säulenstellung, Eingang nach Süden und einer Vorhalle mit Bänken ruht mit seiner östlichen Längsseite auf den Resten des mykenischen Vorgängerbaues, des zentralen Palastmegaron. Die Entdeckung eines etwa 22m östlich gelegenen Bothros, dessen Weihga- ben bis in die Mitte des 8. Jhs. hinaufreichen, legte die Existenz eines Tem- pels auf der Burg nahe, den die ersten Ausgräber51 mit dem Antenbau identi- fizierten (Abb. 4).
Mit dieser Verehrungsstätte glaubte man erneut, eine durchgängige Kultpraxis und architektonische Anknüpfung aus der mykenischen bis in die reifgeomet- rische Zeit hinein nachweisen zu können. Jedoch hält diese Annahme der ge- naueren Nachprüfung nicht stand: „Das Bodenniveau des Antenbaues ist das des vorangegangenen mykenischen Megaron und mit ihm das des Palasthofes. Das mykenische Megaron und sein Hof müsste also ungeachtet des umge- benden Trümmerschutts auf unverändertem mykenischen Niveau bis in das 8. Jh. hinein gestanden haben und damals erst durch Brand zugrunde gegangen sein, um bald darauf durch den Antenbau ersetzt zu werden. (...) Es war C.W. Blegen, der (...) die innere Unwahrscheinlichkeit hervorhob, dass gerade der Palast der Burg der allgemeinen Brandkatastrophe in spätmykenischer Zeit entgangen sei und dann unverändert durch ein halbes Jahrtausend weiter gestanden habe, bis auch ihn ein zufälliger Brand vernichtet habe. Da ande- rerseits Megaron und Antenbau zeitlich nicht weit voneinander getrennt wer- den können, sei dieser der letzte Palast des mykenischen Tiryns gewesen.“52 Somit klafft zwischen dem Antenbau und dem Auftreten der ältesten Weih- gaben geometrischer Zeit ein Abgrund von etwa 400 Jahren.
Telesterion um einen derart unspezifischen Bau, dass er geradezu die These illustriert, wie in der Frühzeit die Idee einer speziellen Bauform für die sakrale Sphäre noch fehlt (Anm. d. Verf.).
[...]
1 s. hierzu Martini, 26
2 s. hierzu Mallwitz, 621ff
3 s. hierzu Mallwitz, 624ff
4 Schefold, K. in: AntK 9 (1966) 115f; Auberson, 11f; Kalpaxis, 27; dagegen Mallwitz, 633f
5 BCH 105 (1981), 850; ARepLondon (1980/81), 7
6 so Gruben, 33; Coldstream, 317; Kalpaxis, 29
7 so Mallwitz, 599-642; Martini, 23-36
8 Marinatos, 228f
9 Mallwitz, 600; s. Katalog von Drerup (1969)
10 Martini, 27
11 so z.B. Snodgrass (1980, 1986); Martini (1986); Burkert (1988); Fehr (1996); Höcker (1996)
12 s. Bietak
13 Nilsson, Bd. I, 303-384
14 Vorberichte: Hesperia 22 (1953), 182-195; Hesperia 24 (1955), 110-141; Hesperia 27 (1958), 1-37; Hesperia 31 (1962), 1-25; Broneer, O.: Isthmia I, The Temple of Poseidon (1971); ders.: Isthmia II, Topgraphy and Architecture (1973); ders.: The Isthmian Sanctuary of Poseidon, in: Janssen, U. (Hrsg.): Neue Forschungen in griechischen Heiligtümern (1976), 39-62; Gebhard, E. - Hemans, F.: Chicago Excavations at Isthmia, 1989, in: Hesperia 61 (1992), 1-77; F. Hemans bereitet eine Publikation zum früharchaischen Tempel vor.
15 Roebuck, M. C.: Hesperia 24 (1955), 153ff; Weickert, C.: Typen der griechischen Architektur (1929), 180; Cook, R. M.: BSA 65 (1970), 19; Robinson, H.S. in: Janssen, U. (Hrsg.): Neue Forschungen in griechischen Heiligtümern (1976), 246ff
16 Drerup (1969), 57ff; Kalpaxis, 43ff; Walter-Karydi, E. in: AntK 23 (1980), 11; Mallwitz, 634f
17 Schefold, K. in: AntK 9 (1966), 115f; Auberson (1968), 11ff; dagegen Mallwitz, 633f
18 dagegen ausführlich Mallwitz, 624-633
19 insbes. Od. III, 396ff; XXI, 354; XXII, 126; XXII, 474; s. hierzu Weiler, G.: Domos Theiou Basileos - Herrschaftsformen und Herrschaftsarchitektur in den Siedlungen der Dark Ages (2001)
20 Hymnos an Demeter, v.28; v.270-272; s. hierzu Mylonas, 33ff
21 Hymnos an Apollon, v.254f; v.294ff; s. hierzu Felsch, R.: Drei frühe Phasen des dorischen Tempels: Delphi - Kalapodi - Mykene, in: JdI 116 (2001), 1-15
22 s. Weiher, A. (Hrsg.): Homerische Hymnen (1970), 140; 143
23 Ol. XIII, 21f
24 Hdt., III, 59; III, 60;
25 Hdt. I, 1-140
26 Hdt. II, 1-182; III, 40-43
27 Vitruv, De architectura III-IV
28 Vitruv, De architectura IV, 1-3
29 Hiller, S.: Palast und Tempel im Alten Orient und im minoischen Kreta, in: Hägg - Marinatos (1987), 57
30 ebd., 59
31 “palace-sanctuaries”: so der Terminus von A. Evans, in: PM III, 283
32 in den Megara wurden Schichten von Opferasche und Tierknochen nachgewiesen, gelegentlich auch Opferrinnen.
33 zur Frage der Berechtigung, Homer als Zeuge für die mykenische Religion heranzu- ziehen s. Nilsson, 333ff; dagegen Finley, M. I.: Homer and Mycenae: property and tenure, in: Historia 6 (1959), 159: “The Homeric world was together post- Mycenaean, and the so-called reminiscences and survivals are rare, isolated, and garbled. Hence Homer is not only not a reliable guide to the Mycenaean tablets; he is no guide at all.”
34 Ilias II, 402ff; 550f; III, 271ff; VI, 93f; 274f; 308f; VII, 313ff; XIX, 252ff
35 Ilias IX, 206ff
36 Drerup (1964), 203f; s. Aufsatz von Oelmann in: BJbb 57 (1957), 11ff
37 Fehr (1996), 181; Martini, 28ff
38 s. Nilsson, 79
39 Burkert, 29ff; s. auch Bergquist, 111: „The divinity was engaged in the cult activities in a double capacity: (1) as the invisible divinity (the recipient of the sacrifice) in the east sky, (2) as the visible divinity and/or one of the worshippers at the altar, in the form of the statue portraying the divinity“. Drerup (1964), 200, deutet den Tempel als „eine Behausung, in welcher der Gott kraft seiner Kultstatue wohnt“ in Bezug auf Hom. Il. V, 445ff; VI, 297ff
40 Nilsson, 78
41 s. Martini, 28ff
42 Nilsson, 77; 132; 315; Wissowa, G. - Kroll, W. (Hrsg.): RE XVIIIa (1939), 621f: Hier gebietet die religiöse Vorschrift toutwn ouk ekfora ek tou naou
43 s. Drerup (1969), 123ff
44 Østby, 20
45 Østby, 20
46 Østby, 21
47 Mallwitz, 601
48 Nilsson, 340, Abb. 4 und 5
49 Mylonas (1961), 35-57
50 Mallwitz, 605, Anm. 28 sowie 642, Nachtrag. Dessen ungeachtet handelt es beim 11
51 Schliemann, H. - Dörpfeld, W.: Tiryns (1886), 259f
52 Drerup (1969), 17f
- Quote paper
- Martin Eckert (Author), 2005, Vom Herdraum zum Tempel - Funktionen und Aussehen früher Kultbauten in Griechenland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64874
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