I) Definition: Was ist Konservatismus ?
„Unter Konservatismus soll eine geistig-politische, in sich vielfältige Strömung verstanden werden, die entstanden ist als Gegenbewegung zur bürgerlich-demokratischen Revolution und zu den emanzipatorischen, fortschrittlichen und revolutionären Bewegungen. Die historische Entwicklung transformierte des Konservatismus mehrfach in seinen jeweiligen Erscheinungen, wobei ihm die entschiedene Opposition zu Prozessen gesellschaftlicher und sozialer Demokratisierung bis hin zum Antidemokratismus, die Propagierung von gesellschaftlichen Ungleichheits- und Elitemodellen, das betont machtstaats- und autoritätsbezogene Denken in Hierarchien national wie international, die uneingeschränkte Verteidigung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln und die Neigung zur nationalistischen Mobilisierung durch alle Wandlungen hindurch als Wesen eigen blieben.“
II)Aktuelle Vorbemerkung: Dem geneigten Besucher und der geneigten Besucherin des Kwerdenkers dürfte es nicht entgangen sein, dass sich in meiner Vita der Hinweis auf eine Buchveröffentlichung befindet. „Konservatismus und Nationale Identität in der Bundesrepublik Deutschland“, erschienen im Frühsommer 1989, befasst sich mit dem konservativen Nachdenken über die deutsche Nation im Zeitraum der siebziger und achtziger Jahre in der „alten“ Bundesrepublik. Aus diesem Buch entstammt auch die Konservatismusdefinition, nachzulesen auf den Seiten 20/21. Gleichzeitig habe ich versucht, Konservatismusforschung im engeren, d.h. politiktheoretischen Sinne zu betreiben. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen und Analysen habe ich als Examensarbeit für meine Erste Staatsprüfung für das Lehramt vorgelegt. Mein wissenschaftlicher Betreuer, Prof. Dr. Lothar Albertin von der Fakultät für Geschichtswissenschaften und Philosophie der Universität Bielefeld, ermutigte mich zur Veröffentlichung.
Die Untersuchung der verarbeiteten Texte und Materialien schloss im Sommer 1988. In diesem Jahr ahnte noch niemand, dass sich rund ein Jahr später die Welt gründlich zu wandeln begonnen haben würde. Nur anerkannte Wunschträumer hätten der Vermutung zugestimmt, dass es im Jahr 1990 ein vereintes Deutschland gäbe.
Konservatismus und Nationale Identität in der BRD - Liberalkonservative und Nationalkonservative in den achtziger Jahren
I) Definition: Was ist Konservatismus ?
„Unter Konservatismus soll eine geistig-politische, in sich vielfältige Strömung verstanden werden, die entstanden ist als Gegenbewegung zur bürgerlich-demokratischen Revolution und zu den emanzipatorischen, fortschrittlichen und revolutionären Bewegungen. Die historische Entwicklung transformierte des Konservatismus mehrfach in seinen jeweiligen Erscheinungen, wobei ihm die entschiedene Opposition zu Prozessen gesellschaftlicher und sozialer Demokratisierung bis hin zum Antidemokratismus, die Propagierung von gesellschaftlichen Ungleichheits- und Elitemodellen, das betont machtstaats- und autoritätsbezogene Denken in Hierarchien national wie international, die uneingeschränkte Verteidigung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln und die Neigung zur nationalistischen Mobilisierung durch alle Wandlungen hindurch als Wesen eigen blieben.“
II) Aktuelle Vorbemerkung
Dem geneigten Besucher und der geneigten Besucherin des Kwerdenkers dürfte es nicht entgangen sein, dass sich in meiner Vita der Hinweis auf eine Buchveröffentlichung befindet. „Konservatismus und Nationale Identität in der Bundesrepublik Deutschland“, erschienen im Frühsommer 1989, befasst sich mit dem konservativen Nachdenken über die deutsche Nation im Zeitraum der siebziger und achtziger Jahre in der „alten“ Bundesrepublik. Aus diesem Buch entstammt auch die Konservatismusdefinition, nachzulesen auf den Seiten 20/21. Gleichzeitig habe ich versucht, Konservatismusforschung im engeren, d.h. politiktheoretischen Sinne zu betreiben. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen und Analysen habe ich als Examensarbeit für meine Erste Staatsprüfung für das Lehramt vorgelegt. Mein wissenschaftlicher Betreuer, Prof. Dr. Lothar Albertin von der Fakultät für Geschichtswissenschaften und Philosophie der Universität Bielefeld, ermutigte mich zur Veröffentlichung.
Die Untersuchung der verarbeiteten Texte und Materialien schloss im Sommer 1988. In diesem Jahr ahnte noch niemand, dass sich rund ein Jahr später die Welt gründlich zu wandeln begonnen haben würde. Nur anerkannte Wunschträumer hätten der Vermutung zugestimmt, dass es im Jahr 1990 ein vereintes Deutschland gäbe. In diesen zeitlich-politischen Kontext fällt die Abfassung jenes Artikels, den ich mich im Kwerdenker erneut zu veröffentlichen entschlossen habe. Den oben genannten Titel tragend datiert seine Abfassung vom Anfang September 1989. Den Chronisten dürfte dazu einfallen, dass in diesen Tagen des Jahres 1989 der Massenexodus der Ostdeutschen aus der DDR begann. Welche Folgen diese Form des Plebiszits einmal haben würde stand noch völlig in den Sternen. Auch in meinem Artikel taucht der Hinweis darauf lediglich in vorsichtiger Form auf.
Veröffentlicht wurde er schließlich in „Konservatismusforschung“ Nr. 12, Wissenschaftliche Beiträge der Friedrich-Schiller- Universität zu Jena, im Frühjahr 1990 zur Vorbereitung eines internationalen Kolloquiums zur Konservatismusforschung. Durch die Beschäftigung mit dem Konservatismus hatte ich gute Kontakte zu den in Jena tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gewonnen. Leider wurden viele von Ihnen in Folge der demokratischen Umgestaltung der Universitäten der ehemaligen DDR pauschal mit „abgewickelt“. Der ideengeschichtliche Forschungsbereich Konservatismus blieb jedenfalls meines Wissens auf der Strecke.
Einige der in meinem Aufsatz erörterten Gedanken mögen als erledigt betrachtet werden können. An einen Gedanken möchte ich aber wieder aktuell anknüpfen. Im deutschen Konservatismus dominiert der Liberalkonservatismus. Durch die Einheit der Deutschen hat er seine innerkonservative Dominanz weiter verstärkt. Kein Martin Hohmann oder Jörg Schönbohm vermag daran etwas zu ändern. Der Liberalkonservatismus bewies im Prozess der Herstellung der deutschen Einheit seine Realitätstauglichkeit und grub nationalkonservativen
Alles-oder-Nichts-Positionen das Wasser ab. Das nationalkonservative Wirken in Gestalt seiner Zeitschriften, Publikationen und Kongresse sowie in Person seiner Protagonisten hat sich zwar verändert, beeinflusst aber zunehmend die Argumentation der antidemokratischen Rechten. Ob Rechtskonservatismus und Extremismus á lá NPD in eine Phase der weiteren Annäherung eingetreten sind und sich der Rechtskonservatismus von seinem Platz am rechten Ende des demokratischen Spektrums freiwillig zu lösen begonnen hat, könnte eine interessante Forschungsfrage sein. Mich jedenfalls würde auf Dauer es nicht sehr wundern, würde es in unserer „Berliner Republik“ eine Rechtspartei nach dem Muster der militant konservativen DNVP der Weimarer Republik als feste Größe geben.
(27. Februar 2005)
III) Neuabdruck
„Seit einem Jahrzehnt wird in der politischen Kultur der BRD die Frage nach der „nationalen Identität“ mit wachsender Intensität diskutiert. Diese Suche nach nationaler Identität ist allerdings keine Zeitgeisterscheinung. Sie ist vielmehr Ausdruck eines Bedürfnisses in Politik
und Gesellschaft, verlorengegangene und untauglich gewordene Identifikationen mit der Bundesrepublik Deutschland neu zu suchen und zu schaffen. Durch das seit Mitte der siebziger Jahre entstandene Krisengeflecht aus ökonomischen, sozialen, ideologischen und militärischen Faktoren verfielen gesellschaftliche Identifikationsmuster wie wachsender Wohlstand und soziale Sicherheit, prinzipielle Befürwortung US-amerikanischer Attribute und Lebensstile zusehends. Die Suche nach nationaler Identität ist Ausdruck des Dranges nach neuerlicher Selbstvergewisserung.
Diese Selbstvergewisserung kulminierte deshalb im Postulat nationale Identität, weil die außenpolitischen Spannungen zunahmen, nationale Interessen der BRD durch US-Strategieplanung („Euroshima“) verletzt zu werden drohten und mit der Reflexion über die Nachkriegsrealitäten und über die Folgen atomarer Konflikte für Mitteleuropa zusammenfielen. Da die Nachkriegsgrenzen sich als beständig erwiesen, entstand ein Bedarf an neuen Standortbestimmungen und Perspektivplanungen. Die Suche nach nationaler Identität ist Ausdruck des Konflikts zwischen diesen Realitäten und dem unhaltbar gewordenen Selbstverständnis der BRD als eines Provisoriums.
Die Bundesrepublik Deutschland ist auf dem Weg zu einem „normalen“ bürgerlich-kapitalistischen Staatswesen mit einer diesem entsprechenden „Staatsräson“. Nationale Identität ist der Versuch der Begründung eines Selbstverständnisses, das die Nation als Gemeinsames über Klassenkonflikte, Krisen, Interessen und politische Einstellungen ausgeben soll. Dazu bedarf es der Vergangenheit als einer begründungsliefernden Folie, aus der vermittels „Geschichtspolitik“ Leitbilder und Identifikationen gewonnen werden können, welche wiederum ein kollektives Nationalbewusstsein zu fördern tauglich sind. Alsdann können diese interessengeleiteten „Sinnstiftungen“ in Beziehung gebracht werden zu politischen Tages- und Zukunftsaufgaben, die im nationalen Interesse liegen oder als solche ausgegeben werden. Ein „normaler“ kapitalistischer Staat bedarf der Legitimation durch ein Gemeinschaftsbewusstsein, will er Instabilitäten und Legitimationsentzug vermeiden. Die Debatte um die nationale Identität in der BRD wurde insbesondere von den Konservativen vorangetrieben.
Die Diskussion um Begriff und Inhalt nationaler Identität trieb die Re-Ideologisierung und Differenzierung des Konservatismus in den achtziger Jahren voran. Wir haben es de facto mit zwei innerkonservativen Hauptströmungen zu tun, denen zwei Modelle nationaler Identitätsstiftung entsprechen.Wir können sie als „Liberalkonservative“ und als „Nationalkonservative“ charakterisieren. Sie knüpfen an unterschiedlich akzentuierte Traditionsstränge des deutschen Konservatismus an. (1)
Während die Liberalkonservativen politisch-ideologisch die Westbindung der BRD und die politisch-kulturelle Öffnung zum Westen als Grundbedingungen für ihre Überlegungen akzeptieren und somit die Resultate des von Konrad Adenauer geprägten Nachkriegskonservatismus verarbeiten, knüpfen die Nationalkonservativen ihre programmatische Grundlinie an den klassischen deutschen Nationalismus an: Ihre Loyalität gebühre der (ungeteilten) deutschen Nation.(2) Dieser Differenzierung in eine liberalkonservative und eine nationalkonservative Strömung entspricht eine organisatorische Zentrierung. Befinden sich die Liberalkonservativen in ihrer Mehrheit in der CDU und deren
Umfeld - mit Abstrichen auch in der CSU -, um Zeitschriften wie „Die politische Meinung“, „Die Sonde“ und um Denkfabriken mit wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Schwerpunktaufgaben (3), so sammeln sich Nationalkonservative um „Criticon“, um „Mut“, im Studienzentrum Weikersheim, im „Deutschland-Rat“(4) und neuerdings in der Rechtspartei „Die Republikaner“ oder mindestens in deren Umfeld.(5) Diese Abfolge von ideologischer und organisatorischer Ausdifferenzierung gibt zu interessanten Hypothesen Anlass, die jedoch zunächst noch zurück zu stellen sind.
Da von zwei konkurrierenden Identitätskonzeptionen im konservativen Gesamtlager auszugehen ist, sind nun beide Konzeptionen zunächst getrennt vorzustellen. Differenzen und Gemeinsamkeiten wiederum sind im Lichte der wissenschaftlichen Konservatismusforschung zu bewerten. Das Hauptaugenmerk der Darstellung liegt dabei auf den Schwerpunkten Nation, Identitätsdefinitionen, Geschichtsverständnis und Europakonzeptionen.
Die liberalkonservative Identitätskonzeption, die wesentlich von Werner Weidenfeld, Michael Stürmer und Hermann Lübbe theoretisch entwickelt worden ist, begreift Identität als
[...]
- Arbeit zitieren
- Holger Czitrich-Stahl (Autor:in), 1990, Konservatismus und Nationale Identität in der BRD - Liberalkonservative und Nationalkonservative in den achtziger Jahren , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64858
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