I) Zur Lage des aktuellen Konservatismus
Von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, dem „Superstar“ der Konservativen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts (1), stammt die Feststellung, dass „ (...) sich der Konservatismus – und mit ihm konservative Theorie – nur angesichts tiefgreifender gesellschaftlich-politischer Krisen und revolutionärer Gefahren (aktualisiert) (2).
Diese Etappen konservativer Positionsbildungen kann man seit der Großen Französischen Revolution von 1789-1794/95 wissenschaftlich nachvollziehen und benennen. Im Falle des deutschen Konservatismus fällt dessen Entstehungszeitraum genau in diese Phase des weltgeschichtlichen Umbruchs hinein, als das revolutionäre Bürgertum seine Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in Amerika und Frankreich an die Macht brachte. Konservatives Denken in Deutschland verband sich mit Einzelpersönlichkeiten wie Friedrich von Gentz, August Wilhelm Rehberg, Novalis, Friedrich Julius Stahl oder aber mit dem obrigkeitsstaatlichen autoritären Herrschaftsgestus in den monarchischen deutschen Staaten. (3)
Im Zuge der verspäteten deutschen Nationalstaatsbildung begann sich der deutsche Konservatismus von einer rein elitären Position langsam zu einer eigenen Organisationswelt zu wandeln, in der auch Honoratiorenparteien wie die Freikonservativen oder die Deutsch-Konservativen ihren Platz hatten.(4) Nach dem Ende der Monarchie und dem verlorenen Ersten Weltkrieg jedoch bildete sich unter dem Eindruck des Fronterlebnisses und der verhassten Revolution von 1918 ein militanter Konservatismus heraus, der als „Jungkonservatismus“ in die Ideengeschichte einging und der eine verhängnisvolle Nähe zur aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung suchte. Carl Schmitt, Ernst Jünger, Martin Heidegger seien als Protagonisten dieses aus einer elementaren Krisen- und Revolutionserfahrung resultierenden Konservatismus erwähnt, aber auch Ernst Forsthoff und Arnold Gehlen, die in der späteren Bundesrepublik als Wissenschaftler von großer Bedeutung waren. (5)
Nach einer abebbenden Intensitätsphase während der Ära Adenauer, als die deutschen innergesellschaftlichen Normalisierungstendenzen wie die Reise- und Freßwelle im Gefolge der erfolgreichen Westintegration die Deutschen offenkundig gegen nationalistische Ambitionen immunisiert hatten, begann sich der deutsche Konservatismus mit Beginn der sozialliberalen Ära Brandt/Schmidt neu zu formieren und zu ideologisieren.
I) Zur Lage des aktuellen Konservatismus
Von Gerd-Klaus Kaltenbrunner, dem „Superstar“ der Konservativen der siebziger und achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts 1, stammt die Feststellung, dass „ (...) sich der Konservatismus – und mit ihm konservative Theorie – nur angesichts tiefgreifender gesellschaftlich-politischer Krisen und revolutionärer Gefahren (aktualisiert) 2.
Diese Etappen konservativer Positionsbildungen kann man seit der Großen Französischen Revolution von 1789-1794/95 wissenschaftlich nachvollziehen und benennen. Im Falle des deutschen Konservatismus fällt dessen Entstehungszeitraum genau in diese Phase des weltgeschichtlichen Umbruchs hinein, als das revolutionäre Bürgertum seine Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in Amerika und Frankreich an die Macht brachte. Konservatives Denken in Deutschland verband sich mit Einzelpersönlichkeiten wie Friedrich von Gentz, August Wilhelm Rehberg, Novalis, Friedrich Julius Stahl oder aber mit dem obrigkeitsstaatlichen autoritären Herrschaftsgestus in den monarchischen deutschen Staaten. 3
Im Zuge der verspäteten deutschen Nationalstaatsbildung begann sich der deutsche Konservatismus von einer rein elitären Position langsam zu einer eigenen Organisationswelt zu wandeln, in der auch Honoratiorenparteien wie die Freikonservativen oder die Deutsch-Konservativen ihren Platz hatten.4 Nach dem Ende der Monarchie und dem verlorenen Ersten Weltkrieg jedoch bildete sich unter dem Eindruck des Fronterlebnisses und der verhassten Revolution von 1918 ein militanter Konservatismus heraus, der als „Jungkonservatismus“ in die Ideengeschichte einging und der eine verhängnisvolle Nähe zur aufkommenden nationalsozialistischen Bewegung suchte. Carl Schmitt, Ernst Jünger, Martin Heidegger seien als Protagonisten dieses aus einer elementaren Krisen- und Revolutionserfahrung resultierenden Konservatismus erwähnt, aber auch Ernst Forsthoff und Arnold Gehlen, die in der späteren Bundesrepublik als Wissenschaftler von großer Bedeutung waren. 5
Nach einer abebbenden Intensitätsphase während der Ära Adenauer, als die deutschen innergesellschaftlichen Normalisierungstendenzen wie die Reise- und Freßwelle im Gefolge der erfolgreichen Westintegration die Deutschen offenkundig gegen nationalistische Ambitionen immunisiert hatten, begann sich der deutsche Konservatismus mit Beginn der sozialliberalen Ära Brandt/Schmidt neu zu formieren und zu ideologisieren. Diesen Abschnitt bezeichnet man auch heute noch als „Tendenzwende“ 6
In den achtziger Jahren brachen Konservative immer mehr in die Hegemonie der Linken in Wissenschaft, Forschung und Publizistik ein und bemühten sich, die von Kanzler Hemut Kohl angekündigte „geistig-moralische Wende“ nach Kräften zu unterstützen (Liberalkonservative) oder stärker auf nationalistische Wege zu bringen (Nationalkonservative). Rückblickend spricht man heute überwiegend von der Phase des „Neokonservatismus“, der in diesem Zeitraum in den wichtigsten kapitalistischen Staaten die vorherrschende Strömung darstellte, sieht man von Frankreich ab: In den USA von 1980-1992 (Reagan, Bush sen.), in Großbritannien seit 1979 bis zum Wahlsieg von Tony Blair, in der BRD von 1982 bis 1998.
In diesen historisch aufgewühlten Zeitabschnitt fielen der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers unter Führung der UdSSR 1989-1991, die Einheit der Deutschen 1989/90, der Golfkrieg 1991, das Aufkommen eines weltweiten islamischen Fundamentalismus, der aus dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan eine quasi mythische Kraftquelle schöpfte, und nicht zuletzt die globale wirtschaftliche Revolution durch die neuen Technologien und die weltweiten Märkte nach dem Ende des Kalten Krieges, also die Globalisierung.
All diese Entwicklungen schienen die Konservativen zu bestätigen. Die UdSSR konnte wirtschaftlich den Rüstungswettlauf mit dem Westen nicht bewältigen, die Menschen in der DDR kehrten ihrem Staat massenhaft den Rücken, weil er ihnen viele elementare Freiheiten vorenthielt und seine Bürger überwachte. Der Islam schien jenen Recht zu geben, die in Religion und Nation die angemessene Sinngebung für menschliche Gesellschaften erblickten, und die Liberalkonservativen frohlockten über den Sieg der Wettbewerbsordnung über die Planwirtschaft.
Doch nicht die Konservativen, sondern die Liberalen sind aus heutiger Sicht die eigentlichen Sieger des ideologischen Systemwettbewerbs geworden. Niemand spricht heutzutage mehr von einem „Neokonservatismus“, wenn er die dominante Zeitgeistströmung meint, die sowohl die CDU/CSU als auch die Grünen und die SPD beherrscht, sondern von „Neoliberalismus“. Und doch herrschen die klassischen Parteien in unserem Lande, und das sogar noch vereint. Kein liberal- oder nationalkonservativer Wortführer der achtziger Jahre ist heute noch en vogue, lebendig oder posthum. Wo sind sie geblieben, die Lübbes, Stürmers oder Weidenfelds - wobei Letzerer noch politologisch präsent ist als wissenschaftlicher Begleiter der europäischen Einigung. Wo sind Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Günther Rohrmoser, Claus Hornung geblieben? Gewiss, Armin Mohler und Bernard Willms sind inzwischen verstorben, aber wo sind ihre Epigonen mit vergleichbarer Wirkung? Odo Marquard war gegen Ende der achtziger Jahre noch weitgehend unbekannt und Paul Nolte arbeitete wahrscheinlich an seiner Dissertation.
Und die Deutschen? Sie haben sich nicht auf einen neuen deutschen Sonderweg als nationaler Machtstaat begeben, wie es die Nationalkonservativen publiziert hatten. Die deutsche Einheit setzte keine sprengkraftbeladenen nationalistischen Impulse nach innen und außen frei, sieht man von den hässlichen neofaschistischen und rechtsextremistischen Gewalttaten einmal (unerlaubterweise) ab.
Nein, wir blieben berechenbar und für die Neoliberalen erschreckend struktur-„konservativ“, weil wir nicht jede Privatisierung gesellschaftlicher Aufgaben als einen ersehnten Freiheitszugewinn feierten.
Und dennoch fallen gewichtige Veränderungen ins Auge. Lassen wir dazu die Konservativen selbst zu Worte kommen, denn sie sind häufig scharfsinnige Beobachter und Analytiker vor sich gehender Prozesse, die sie in der Regel misstrauisch betrachten, weil dem Konservativen das Prinzip gilt, dass derjenige die Beweislast trägt, der verändern will, da das Bestehende ob seiner bewiesenen praktikablen Existenz vernünftig ist.7
Der aktuell medienpräsenteste konservative Denker ist Paul Nolte, Historiker in Bremen. Als beliebter Talkshowgast, Feuillitonist und Kongreßreferent ist er etwa mit Michael Stürmer vergleichbar, der in den ersten Jahren der Regierung Kohl als politikbegleitender konservativer Multiplikator fungierte. Nolte vermerkte: „Die tiefe Krise der CDU seit der Niederlage bei der Bundestagswahl 1998 und der Verwicklung der Partei in eine Vielzahl von Spenden- und Schwarzgeldaffären ist mehr als ein Zusammenbruch des „Systems Kohl“...Und diese bis zur Orientierungslosigkeit gehende Verunsicherung ist umso gravierender, als sie nicht allein auf Defizite der parteipolitischen Programmatik und Gesinnung verweist, auch nicht allein auf eine Erschöpfung traditioneller Wählermilieus, sondern zugleich auf ein Verschwinden derjenigen intellektuellen Ressourcen, aus denen christdemokratische Politik seit der Gründung der Bundesrepublik immer maßgeblich gezehrt hat. Die Krise der CDU ist Teil einer Krise des deutschen Konservatismus. Der Konservatismus als politisch-soziale Ideologie scheint im Bermuda-Dreieck zwischen Schröderscher Neuer Mitte, Spaßgesellschaft und DNA-Entschlüsselung versunken zu sein.8
Nolte moniert in diesem 2001 veröffentlichten Aufsatz den Abschied des Konservatismus aus dem politisch-philosophischen Diskurs und stellt die Frage, ob es denn im 21. Jahrhundert noch einen politischen Konservatismus geben wird. Um die Ernsthaftigkeit dieser Überlegung zu untermauern kontrastiert er das Erscheinungsbild des Konservatismus mit dessen liberaler und sozialistischer Konkurrenz: „Über die Krise des Sozialismus in der Situation des „what´s left“ ist seit 1989 viel diskutiert worden; der Liberalismus ist zwar hierzulande parteipolitisch in desolater Verfassung, intellektuell jedoch quicklebendig und erneuerungsfähig...Nur das rechte politische Denken scheint eigenartig sang- und klanglos von der politischen Bühne...verschwunden zu sein. Man muss schon wieder daran erinnern, dass es diesseits von NPD, DVU und Republikanern eine rechte „Normalgesinnung“, einen Normalkonservatismus gibt – oder gab? - , dessen Ausfall eine historische Zäsur bedeuten würde.“ 9 Dieses Zitat ist aufschlussreich. Nolte, an sich ein Liberalkonservativer, benutzt hier einen Sprachstil, wie man ihn am ehesten von Armin Mohler (1920-2003) kannte, indem er unverfroren von konservativem Denken als rechtem Denken spricht, was für die rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien einen “Extremkonservatismus“ insinuiert, so wie es auch Mohler mehrfach definierte, dessen Konservatismusverständnis bis weit in neofaschistische Gefilde hineinreichte. 10 Dennoch stellt er kritisch zu Mohler usw. fest: "Dabei wird man sehr sorgfältig zwischen verschiedenen Richtungen innerhalb des intellektuellen Konservatismus der 70er Jahre zu unterscheiden haben. Auf den ersten Blick auffällig waren Positionen der extremen Rechten, die wie der Ernst Jünger-Sekretär Armin Mohler an die Konservative Revolution der 20er Jahre anknüpften oder die wie Gerd-Klaus Kaltenbrunner mit Leitbegriffen wie "Stabilität", "Ordnung" und "Staatsautorität" sogar noch dahinter auf den "alten" Konservatismus des 19. Jahrhunderts zurückzugreifen versuchten. Aber diese Extrempositionen erwiesen sich schnell als marginal in dreifacher Hinsicht: in ihrer universitären Verankerung, in ihrer intellektuellen Tragfähigkeit und auch in ihrer öffentlichen und politischen Wirkung." 11
[...]
1 Claus Leggewie, Der Geist steht rechts, Berlin 1987, S.178ff
2 Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Wege der Weltbewahrung, Asendorf 1985, S.135
3 Vgl. dazu Ludwig Elm (Hg.), Leitbilder des deutschen Konservatismus, Köln 1984
4 Walter Tormin, Geschichte der deutschen Parteien seit 1848, S. 60ff
5 Vgl. Elm (Hg.), Leitbilder, a.a.O.
6 Armin Mohler, Tendenzwende für Fortgeschrittene, München 1978
7 Paul Nolte, Generation Reform, Bonn 2004, S. 212
8 ebd., S. 200
9 ebd., S. 200f
10 Armin Mohler im Interview mit Claus Leggewie, in Leggewie 1987, a.a.O., S. 204
11 Nolte, a.a.O., S. 209f
- Arbeit zitieren
- Holger Czitrich-Stahl (Autor:in), 2006, Im Westen nichts Neues - der deutsche Konservatismus im 21. Jahrhundert zwischen Globalisierung, Werteverfall und religiöser Wiedererweckung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64857
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