Die vorliegende Arbeit handelt von den bilingualen und den Fremdsprachenkonzepten innerhalb der schwedischen Schule. Dabei werde ich mich besonders auf diejenigen Konzepte konzentrieren, die von dem in Deutschland Bekannten abweichen. Dies ist zum einen das hochgesteckte Ziel einer "aktiven Zweisprachigkeit" für Einwandererkinder, d.h. daß diese sowohl die Sprache ihres Herkunftslandes als auch Schwedisch auf muttersprachlichem Niveau erlernen sollen, zum anderen der verhältnismäßig frühe Unterrichtsbeginn in der obligatorischen ersten Fremdsprache Englisch.
In zwei vorbereitenden Abschnitten wird zuerst die allgemeine, gesellschaftliche Sprachsituation in Schweden kurz skizziert, danach folgen einige Erläuterungen zum schwedischen Schulsystem. Bei der Diskussion der verschiedenen Sprachunterrichte beschränke ich mich auf den Unterricht in der Primarschule. Der Deutlichkeit halber habe ich mich entschlossen, nach mutter- und fremdsprachlichem Unterricht zu unterscheiden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt jedoch über diese Grenze hinweg auf einer kritischen Überprüfung der Verwirklichung des Konzeptes der aktiven Zweisprachigkeit, sowohl im Hinblick auf den Unterricht in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache Schwedisch.
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Inhalt
1. Zielsetzung
2. Die sprachliche Situation in Schweden
2.1 Überblick
2.2 Schweden als sprachlich homogenes Land bis ca. 1965
2.3 Vier Migrationsbewegungen nach Schweden
2.3.1 Arbeitsimmigration Mitte der 60er Jahre
2.3.2 Aufnahme von Flüchtlingen
2.3.3 Adoption von Kindern
2.3.4 Zuzug von Angehörigen
2.4 Geographische Verteilung und Altersstruktur
2.5 Herkunftsländer
2.6 Unterschiede sowohl zwischen als auch innerhalb der Einwanderergruppen
2.7 Interkulturelle Ehen
2.8 Bildungspolitik für Einwandererkinder
3. Das schwedische Schulsystem
3.1 Vorbemerkung
3.2 Allgemeines zur ungdomskola
3.3 Die grundskola
3.4 Die gymnasieskola
3.5 Politische Steuerung und Verwaltung
3.6 Finanzierung
4. Sprachunterricht in der ungdomsskola
4.1 Mutter-, Zweit- und Fremdsprachen
4.2 Formen des Spracherwerbs
4.3 Muttersprachlicher Unterricht
4.3.1 Schwedisch
4.3.2 Hemspråk
4.3.2.1 Großer Bedarf an hemspråk-Unterricht
4.3.2.2 Hemspråk sind ca. 160 verschiedene Sprachen
4.3.2.3 Verschiedene Unterrichtsformen für Einwandererkinder - Rückblick
4.3.2.4 Hemspråk für die Mehrheit der Minderheiten
4.4 Fremdsprachlicher Unterricht
4.4.1 Schwedisch als Zweitsprache (Sv2)
4.4.1.1 Sv2 als "Nachhilfeunterricht"
4.4.1.2 "Stödfilosofi" führt zu Problemen
4.4.2 Fremdsprache Englisch
4.4.2.1 Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Unterrichtsbeginn
4.4.2.2 Das EPÅL - Projekt
4.4.2.3 Exkurs: Die These des "optimalen Alters" für den Fremdsprachenerwerb
5. Resumé
6. Literatur
1. Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit handelt von den bilingualen und den Fremdsprachenkonzepten innerhalb der schwedischen Schule. Dabei werde ich mich besonders auf diejenigen Konzepte konzentrieren, die von dem in Deutschland Bekannten abweichen. Dies ist zum einen das hochgesteckte Ziel einer "aktiven Zweisprachigkeit" für Einwandererkinder, d.h. daß diese sowohl die Sprache ihres Herkunftslandes als auch Schwedisch auf muttersprachlichem Niveau erlernen sollen, zum anderen der verhältnismäßig frühe Unterrichtsbeginn in der obligatorischen ersten Fremdsprache Englisch.
In zwei vorbereitenden Abschnitten wird zuerst die allgemeine, gesellschaftliche Sprachsituation in Schweden kurz skizziert, danach folgen einige Erläuterungen zum schwedischen Schulsystem. Bei der Diskussion der verschiedenen Sprachunterrichte beschränke ich mich auf den Unterricht in der Primarschule. Der Deutlichkeit halber habe ich mich entschlossen, nach mutter- und fremdsprachlichem Unterricht zu unterscheiden. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt jedoch über diese Grenze hinweg auf einer kritischen Überprüfung der Verwirklichung des Konzeptes der aktiven Zweisprachigkeit, sowohl im Hinblick auf den Unterricht in der Muttersprache als auch in der Zweitsprache Schwedisch.
2. Die sprachliche Situation in Schweden
2.1 Überblick
Schweden ist ein monolinguales Land insofern, als in der gesamten öffentlichen Sphäre die schwedische Sprache verwendet wird. Durch sowohl frühzeitigen und intensiven Schulunterricht als auch durch die starke Präsenz in den Medien, v.a. im Fernsehen, sind die Englischkenntnisse i.a. sehr gut. Weitere häufig beherrschte Fremdsprachen sind besonders Französisch und Deutsch, aber auch Spanisch und Russisch. Betont wird z.Zt. besonders die Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen im Hinblick auf eine künftige EG-Mitgliedschaft. Die Bedeutung internationaler Kontakte aller Art über den engen EG-Rahmen hinaus scheint darüber manchmal in Vergessenheit zu geraten.
Schweden verfügt neben dem Potential erlernter Fremdsprachen über etwa 160 (!) Sprachen, die von Einwanderergruppen oder den ansässigen Minderheiten auf Erstsprachniveau gesprochen werden.
Von den etwa 8 Millionen Einwohnern Schwedens waren 1989 mehr als 758.000 Einwanderer, deren Muttersprache also eine andere als Schwedisch ist.
2.2 Schweden als sprachlich homogenes Land bis ca. 1965
Noch[1] vor 30 Jahren, bis in die Mitte der 60er Jahre, ist das Land sprachlich gesehen außerordentlich homogen, weniger als 1% der Bevölkerung haben eine andere Muttersprache als Schwedisch. Hierbei handelt es sich hauptsächlich um zwei Sprachminderheiten im Norden des Landes, zum einen um die finnische Bevölkerung im Tornedal an der Grenze zu Finnland, zum anderen um die Samen. Gegenüber beiden Minoritäten (ca. 30.000 Finnen und 15.000 - 20.000 Samen) wird vom Schwedischen Staat zu dieser Zeit eine strikte Assimilationspolitik praktiziert. Da andere, vor Jahrhunderten eingewanderte Sprachgruppen wie z.B. (nieder)deutsche Hansekaufleute ab dem 12. Jh.[2] oder belgische Eisenarbeiter im 17. Jh. längst vollständig in der schwedischsprachigen Mehrheit aufgegangen sind, stellt sich das Land bis zu o.g. Zeitpunkt in der Tat nahezu völlig einsprachig dar. Andererseits begeben sich nur relativ wenige Schweden, vorübergehend oder für immer, außer Landes - abgesehen von den großen Auswanderungswellen in die USA im 19. Jh., wobei die Auswanderer jedoch nur in sehr beschränktem Umfang längerdauernde Kontakte mit ihrem Mutterland unterhalten. G. Tingbjörn resümiert: "As a result, we had very little experience of immigration and multilingual and multicultural societies in Sweden when immigration on a large scale began during the second half of the 1960s."[3]
2.3 Vier Migrationsbewegungen nach Schweden
Um 1965 also setzt eine signifikante Einwanderung nach Schweden ein, die bis heute andauert und die die schwedische Gesellschaft nachhaltig verändert hat. Es lassen sich vier Migrationbewegungen unterscheiden, die größtenteils parallel, wenn auch mit zeitlich wechselnder Bedeutung ablaufen.
2.3.1 Arbeitsimmigration Mitte der 60er Jahre
Die Einwanderung in größerem Maßstab beginnt mit einer heftigen Arbeitsimmigration in der Mitte der 60er Jahre, v.a. aus Finnland, Jugoslawien, der Türkei, Italien und Griechenland. Schon 1967 wird diese Einwanderung per Gesetz begrenzt, lediglich Bürgern und Bürgerinnen der anderen nordischen Staaten (Dänemark, Norwegen, Finnland, Island) bleibt es gestattet, sich innerhalb des freien nordischen Arbeitsmarktes uneingeschränkt niederzulassen. Diese Regelung hat ihre Gültigkeit bis heute.
2.3.2 Aufnahme von Flüchtlingen
Die Aufnahme von Flüchtlingen spielt eine wichtige Rolle im Rahmen der Immigration nach Schweden. Die Flüchtlingswellen sind auf das engste verknüpft mit den lebensbedrohenden Konflikten weltweit und mit der geographischen Entfernung zwischen dem Konfliktort und dem aufnehmenden Land Schweden, wobei das Kriterium der Entfernung in den letzten Jahren immer weniger bedeutsam wird und somit zunehmend auch kleine Flüchtlingsgruppen aus entlegeneren Ländern nach Schweden gelangen.
Natürlich werden schon vor 1965 in Schweden politische Flüchtlinge aufgenommen, es sind jedoch nur bestimmte kleinere Gruppen innerhalb bestimmter Zeiträume, weshalb hier noch nicht von einer die Gesellschaft verändernden Immigration gesprochen werden kann. So kommen während des Zweiten Weltkrieges Esten nach Schweden (Deutsche nur in sehr beschränktem Umfang) und nach 1956 Ungarn. Bereits in die Zeit nach der ersten großen Einwanderungswelle fällt die Aufnahme von Tschechen und Slowaken nach 1968. In den 70er Jahren sind es v.a. Flüchtlinge aus Lateinamerika, besonders aus Chile, die in Schweden aufgenommen werden, außerdem eine größere Anzahl an assyrischen Christen aus der Türkei wie auch Vietnamesen und andere Gruppen aus Fernost. Im letzten Jahrzehnt überwiegen Flüchtlinge aus dem Iran, Irak und Libanon und aus den afrikanischen Ländern Uganda, Somalia und Äthiopien. Aktuell kommen Flüchtlinge weiterhin aus dem Irak und aus Somalia sowie zum überwiegendsten Teil aus dem früheren Jugoslawien, v.a. aus Bosnien und dem Kosovo. In der zu erwartenden riesigen Zahl an Flüchtlingen aus den Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion wird eine große Herausforderung gesehen. Diese Migrationsbewegung ist jedoch gerade erst am Beginnen.
2.3.3 Adoption von Kindern
Jährlich werden etwa 2000 Kinder aus Ländern der sog. Dritten Welt von Schweden adoptiert, v.a. aus Indien, Sri Lanka und Kolumbien. Nicht alle Kinder kommen noch als Babies nach Schweden, etwa ein Viertel ist drei Jahre oder älter[4], und manche Kinder haben sogar schon die ersten Schuljahre in ihrem Mutterland absolviert.
2.3.4 Zuzug von Angehörigen
Der Zuzug von Angehörigen sowohl der "ersten Einwanderergeneration" aus den 60er Jahren als auch von Flüchtlingen stellt heute einen bedeutenden Einwanderungsfaktor dar. Eltern sowie Ehepartner/in und Kinder unter 18 Jahren, zusammen die sog. Kernfamilie, sind zuzugsberechtigt, bei anderen Angehörigen erfolgt eine Einzelfallprüfung.
2.4 Geographische Verteilung und Altersstruktur
Die eingewanderten Minderheiten insgesamt verteilen sich geographisch keinesfalls gleichmäßig über das ganze Land. Die Großzahl konzentriert sich v.a. in den und um die drei größten Städte Stockholm, Göteborg und Malmö, während im Norden nur wenige Einwanderer anzutreffen sind. Innerhalb der großstädtischen Bereiche wohnen jedoch überdurchschnittlich viele Einwanderer(familien) in Vororten bzw. Trabantenstädten, wo ihrerseits innerhalb der schwedischen Bevölkerung speziell junge Familien mit Kindern deutlich unterrepräsentiert sind.
Bezüglich der Altersstruktur zeigt sich, daß die Mehrzahl der Einwanderer aber genau zu dieser Gruppe der jungen Familien gehört. Die Anzahl an Personen im Rentenalter ist verschwindend gering.
2.5 Herkunftsländer
Insgesamt stammen die Einwanderer in Schweden aus über 160 Ländern und sprechen etwa ebenso viele Sprachen.
Folgende 25 Länder waren 1989 die Haupt-Herkunftsländer der Einwanderer in Schweden (gerundete Zahlen):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.6 Unterschiede sowohl zwischen als auch innerhalb der Einwanderergruppen
Es ist anzumerken, daß sowohl zwischen als auch innerhalb der Einwanderergruppen große Unterschiede bestehen; zwischen verschiedenen Einwanderergruppen insofern, als der kulturelle Hintergrund, die "Lebenswirklichkeit", dem schwedischen für einige Herkunftländer nahezu der gleiche (Finnland, Norwegen) oder zumindest ähnlich (westl. Industrieländer) ist, für die meisten jedoch sehr fremd, z.B. bezüglich des Systems einer schulischen Ausbildung. Und innerhalb der einzelnen Einwanderergruppen ist mit den gleichen sozialen (und nicht zuletzt sprachlichen/dialektalen, vgl. 4.3.2.2) Differenzierungen zu rechnen, die im jeweiligen Herkunftsland in "großem Maßstab" anzutreffen sind. Bei der Zusammenfassung zu Gruppen, die für eine praktikable Diskussion jedoch zweckmäßig ist, müssen die o.g. Differenzierungen also stets mitgedacht werden.
2.7 Interkulturelle Ehen
In den letzten Jahren nimmt die Zahl der Eheschließungen und Beziehungen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien, entweder zwischen Schweden und Einwanderern oder zwischen Angehörigen unterschiedlicher Einwanderergruppen untereinander, deutlich zu. 1989 hatten 295.000 Kinder zumindest einen Elternteil, der bzw. die nicht in Schweden geboren war.
2.8 Bildungspolitik für Einwandererkinder
1975 verabschiedet der Schwedische Reichstag in vollständiger politischer Einigkeit ein Gesetz, das Richtlinien für das künftige Miteinander von Schweden und Einwanderern/Minderheiten festlegt. Neben dem Grundsatz der Gleichheit und der Forderung nach Kooperation ist es v.a. ein Punkt, der von weitreichender Bedeutung ist: Einwandererkinder und -jugendliche haben nun das Recht einer "freien kulturellen Wahl" (det fria valet), d.h. das Recht "to use their languages and develop their cultures within Swedish society as they choose."[5] Die direkte Folge dieser politischen Zielsetzung heißt innerhalb der sprachlichen Ausbildung aktiver Bilingualismus, ein Begriff, der, wie G. Tingbjörn bemerkt, vorsichtigerweise von offizieller Seite nicht näher definiert wird[6], der aber nichts anderes bedeuten kann als daß alle Einwandererkinder lernen, sowohl Schwedisch als auch ihre jeweilige Muttersprache auf dem Niveau einer Erstsprache zu beherrschen, d.h. in beiden Sprachen allen gewünschten oder geforderten Situationen gerecht werden zu können.
Eine ernste Folge einer unzureichenden Kompetenz in der Muttersprache wäre z.B., daß die Möglichkeit einer Rückkehr in das eigene Herkunftsland oder (für die zweite Generation) das der Eltern eingeschränkt wird, oder daß die Kommunikationsfähigkeit mit Eltern, Verwandten oder Freunden leidet. Und mangelnde Schwedischkenntnisse vergrößern die Gefahr der Benachteiligung für Einwandererschüler/innen im Arbeitsleben oder in einer höherqualifizierenderen Ausbildung. Klar ist, daß die Zielvorgabe einer "freien kulturellen Wahl" und die Forderung nach aktivem Bilingualismus eine enorme Herausforderung für das gesamte Schulsystem darstellen. Bevor jedoch näher auf die bildungspolitischen Ideen und ihre Umsetzung in der schulischen Wirklichkeit eingegangen wird, soll ein kurzer Überblick über das schwedische Schulsystem das Verständnis der dann folgenden Ausführungen erleichtern.
3. Das schwedische Schulsystem
3.1 Vorbemerkung
Das gesamte[7] schwedische Bildungssystem ist in den letzten Jahren von einer Vielzahl von tiefgreifenden Veränderungen und Reformen betroffen. Dieser Prozeß dauert mit unverminderter Vehemenz an. Der folgende Überblick kann also nur den aktuellen Stand im Frühjahr 1993 wiedergeben. Er ist notwendigerweise unvollständig und befaßt sich nur mit einem Ausschnitt aus dem schwedischen Schulsystem, nämlich mit der der ungdomsskola, bestehend aus grundskola als 9-jähriger Primarstufe und gymnasieskola als 3-jähriger Sekundarstufe.
Sowohl der Teil der Ausbildung, der vor dem Beginn der Schulpflicht liegt, die förskola, wird weitgehend unberücksichtigt bleiben als auch das Hochschulwesen sowie die vielfältigen Möglichkeiten der Weiterbildung für Erwachsene in der vuxenskola.
3.2 Allgemeines zur ungdomskola
Die ungdomsskola liegt nahezu ausschließlich in der Hand der Kommunen, die Anzahl der Schüler/innen in privaten Schulen wird in Promille gerechnet.
Nach dem skollag, dem Schulgesetz, ist jede Kommune verpflichtet, allen Kindern bzw. Jugendlichen sowohl die Ausbildung in der grundskola als auch in der gymnasieskola zu ermöglichen.
In Schweden gilt selbstverständlich allgemeine Schulpflicht. Sie beginnt in dem Jahr, in dem das Kind sieben Jahre alt wird. Nach neun Jahren grundskola bzw. ab dem Alter von 16 Jahren ist die Schulpflicht erfüllt. Im Frühjahr 1991 wurde die schrittweise Einführung eines individuell flexiblen Einschulungsalters von 6 oder 7 Jahren beschlossen.
Das Schuljahr beginnt am 20. August und dauert bis zum 10. Juni. Es besteht aus hösttermin (Herbstsemester, Abk. ht) und vårtermin (Frühjahrssemester, Abk. vt) und umfaßt 40 Unterrichtswochen mit je fünf Unterrichtstagen.
Eine vieldiskutierte Besonderheit der schwedischen ungdomsskola ist das Fehlen von Abschlußprüfungen am Ende der grundskola wie auch am Ende der gymnasieskola. Zeugnisse werden erst ab dem 8. Jahr der grundskola erteilt, und zwar am Ende jedes Semesters. In der gymnasieskola wird nach jedem Semester ein Zeugnis erteilt. In der grundskola werden Fortschritte und Schwierigkeiten der Schüler/innen in gemeinsamen Gesprächen zwischen Lehrkräften, Eltern und Schüler/in erörtert.
Eine weitere Besonderheit der schwedischen ungdomsskola ist ihre ausgeprägte Berufsbezogenheit. Sowohl studieväg- och yrkesorientering (Schullaufbahn- und Berufsberatung, Abk. syo) als auch praktisk arbetslivsorientering (praktische Berufsorientierung, Abk. prao) nehmen in den höheren Klassen der grundskola wie in der gesamten gymnasieskola breiten Raum ein.
Auf die Verhältnisse betreffend den Unterricht von Kindern mit einer anderen Muttersprache als Schwedisch wird in 4.3.2 näher eingegangen werden.
3.3 Die grundskola
Die obligatorische Schule in Schweden heißt seit der grundskolreform 1962 grundskola. Sie umfaßt neun årskurs (Klassenstufen, Abk. åk). Jeweils drei åk werden zu einem stadium zusammengefaßt, d.h. åk 1-3 = lågstadium (Unterstufe), åk 4-6 = mellanstadium (Mittelstufe) und åk 7-9 = högstadium (Oberstufe). Englisch als Fremdsprache ist ab åk 3/åk 4 Pflichtfach. Bis zum Ende von åk 6 nehmen alle Schüler/innen im Klassenverband am gleichen Unterricht teil. Ab åk 7 wählen die Schüler/innen unter mehreren Alternativen ein zusätzliches Fach, z.B. eine zweite Fremdsprache (meist Französisch oder Deutsch) oder ein praktisch, naturwissenschaftlich oder künstlerisch orientiertes Fach (tillval).
Die grundskola ist eine koedukative Einheitsschule, d.h.:
- sie wendet sich an alle Kinder im schulpflichtigen Alter,
- sie bietet landesweit und unabhängig vom Geschlecht allen die gleichen Studieninhalte,
- sie qualifiziert alle gleichwertig für eine weiterführende Ausbildung. Das Abschlußzeugnis nach åk 9 ist die formelle Voraussetzung zum Besuch der gymnasieskola, unabhängig vom tillval-Fach.
Die Absicht von grundskolreformen war, unabhängig von sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen und unabhängig von den innerhalb Schwedens wichtigen strukturellen Unterschieden zwischen Stadt und Land und besonders zwischen Süd und Nord für alle Kinder gleich gute Studienmöglichkeiten zu schaffen.
Eine grundskola (mindestens eine!) gibt es in allen ca. 280 Kommunen Schwedens, auch in den strukturschwachen Gebieten im äußersten Norden. Die låg- und mellanstadium-Schulen sind kleine Einheiten von etwa 150-300 Schüler/inne/n, in den Städten finden sie sich in jedem Wohnviertel. Die högstadium-Schulen sind etwas zentraler mit zwischen 150 und 600 Schüler/inne/n.
Unterricht und Lernmittel, Schulbus bzw. öffentliche Verkehrsmittel und das Mittagessen in der Schule sind frei. Im Rahmen der Schüler/innen/fürsorge (elevvård) stehen den Schüler/inne/n auch die Dienste von Sozialpädagog/inn/en, Schulpsycholog/inn/en oder Schulkrankenschwestern bzw. -pflegern zur Verfügung.
V.a. für die Kinder im lågstadium organisiert die Schule außerhalb der stundenplangebundenen Zeit freie Aktivitäten, oft zusammen mit Freizeiteinrichtungen (samlad skoldag - "integrierter Schultag"). Im mellanstadium wird gerne die Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Interessenorganisationen und Vereinen gesucht, was die Entwicklung von Initiative und kreativem Engagement auf freiwilliger Basis der Schüler/innen im högstadium unterstützen soll.
3.4 Die gymnasieskola
Die schwedische gymnasieskola ist wie die grundskola ebenfalls eine enhetsskola insofern, als sie allen Jugendlichen offensteht und landesweit das gleiche Angebot an Ausbildungsinhalten bereitstellt. Der Besuch ist freiweillig, kann jedoch als der Normalfall in der schulischen Ausbildung angesehen werden. Über 90% der Schüler/innen aus der grundskola setzen ihre Ausbildung in der gymnasieskola fort. Sie ist insgesamt stark auf das Berufsleben ausgerichtet, was eine ausgeprägte Differenzierung in Fachrichtungen, sog. Programmen, mit sich bringt. Angeboten werden, nach der (noch nicht überall realisierten) Reform von 1991, 16 allesamt dreijährige Programme mit unterschiedlichen Schwerpunkten, z.B. Handel und Administration, Gesellschaftswissenschaften, Naturwissenschaft und Technik oder Gesundheitsfürsorge und Pflege. Die Programme haben teils eine mehr theoretische Ausrichtung, um direkt auf ein Universitätsstudium vorzubereiten, teils vermitteln sie mehr berufsbezogen-praktische Grundkenntnisse. Alle Programme qualifizieren jedoch zu weiterführenden Studien an Hochschule oder Universität. Mehr als 25% der gymnasieskola-Abgänger/innen entscheiden sich für ein Universitätsstudium.
Die gymnasieskola ist meist in größeren Orten konzentriert.
Anzumerken ist, daß die Kommune hier z.B. für das Schulessen eine Gebühr erheben kann und daß auch die Lernmittelfreiheit in der gymnasieskola nicht garantiert ist. In den meisten Kommunen sind diese Leistungen jedoch gänzlich oder nahezu kostenlos.
[...]
[1] vgl. Tingbjörn 1992a.
[2] auf diese einflußreiche Gruppe geht der heute noch sichtbare deutliche deutsche Einfluß auf das Lexikon des Schwedischen zurück.
[3] Tingbjörn 1987a, S. 103.
[4] Die Festsetzung des Alters von 3 Jahren als Grenze zwischen Erst- und Zweitspracherwerb ist in dieser Schärfe wohl allzu willkürlich. Dennoch ist i.a. zu diesem Zeitpunkt der Erwerb der Muttersprache recht weit fortgeschritten.
[5] Tingbjörn 1992a, S. 2.
[6] z.B. Tingbjörn 1989a, S. 1.
[7] vgl. LO 1992, Stenholm 1990 und Svenska Institutet 1992.
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