Als der Berliner Rapmusiker Fler im Jahr 2005 sein Musikvideo NDW2005 veröffentlicht, geht ein Aufschrei moralischer Empörung durch die Medien. Die Rede ist von Nazi-Rap und Fascho-Ästhetik und davon, ob Deutsch-Sein überhaupt artikuliert werden darf, und wenn ja, wie.
Anlass genug, sich dem Medientext unter medienwissenschaftlichen Gesichtspunkten zu nähern, und ihn soweit zu zerlegen, bis klar wird, welche Identitäten konstruiert und angeboten werden, und was daran ein solches Medieninteresse begründet
Die Erkenntnisse überraschen und nähren einen Verdacht: Gibt es unter bestimmten deutschen Jugendlichen das Bedürfnis nach einer deutschen Identität, nach der Zugehörgikeit zu einer deutsch-indigenen Minderheiten-Community als einer/ bzw. inmitten von anderen Communities einer multikulturellen Gesellschaft?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen
2.1 HipHop und „Glokalität“
2.2 HipHop in Deutschland
2.3 Deutschrap in der Krise?
3. Medienanalyse I – „Fler: NDW2005“ (Video/Promo)
3.1 Vorbemerkung
3.2 Analyse-Ansatz
3.3 Methodik
3.4 Semiotische Analyse
3.5 Shots: Bildaufbau, Denotation, Lyrics
3.6 Paradigmatische Dimension
3.7 Diskursivität
3.8 Schlussfolgerungen
4. Medienanalyse II – „K.I.Z.: Was willst du machen?“ (Lyrics/Promo)
4.1 Vorbemerkung
4.2 Methodischer Ansatz
4.3 Analyse
4.3.1 Denotativ
4.3.2 Konnotativ
5. Die Interviews
5.1 Selbst-Positionierung
5.2 Anonymisierung
5.3 Vorbereitung
5.3.1 Die Fragebögen
5.3.2 Fragebögen-Ergebnisse
5.3.2 Fragebögen-Auswertung
5.4 Interview-Konzeption
5.4.1 Frage- und Auswertungskategorien
5.5 Interview-Auswertung
6. Zusammenfassung und Schluss
7. Anhang
7.1 Interview-Materialien
7.1.1 Einverständniserklärung
7.1.2 Fragebögen
7.1.3 Interview-Transkript (Video-Interviews)
8. Quellenverzeichnis
8.1 Literatur
8.2 Vorträge
8.3 Zeitungs-, Magazin- und Internetartikel
8.4 Bildnachweise
8.5 Filme
1. Einleitung
Wir leben in einer Welt der globalen Kulturen, die heute von Menschen überall auf dieser Erde lokal angeeignet werden. Dies geschieht über die Medien, die uns tagtäglich eine gewaltige Masse an Bildern und Texten unterschiedlichster Art zur Verfügung stellen. HipHop ist eine dieser globalen Kulturen und wie keine andere erfreut sie sich eine vor allem jugendliche Anhängerschaft, die sie in so unglaublicher Heterogenität und Vielfalt bis in die kleinsten Einheiten sozialen Zusammenlebens hinein weiterentwickelt, ausformt und –füllt, und immer wieder scheinbar neu erfindet. Der Reiz dieser HipHop-Kultur liegt in dem, was der Medienwissenschaftler und Soziologe Lothar Mikos (2005, 1) darin sieht, den Spannungsbogen zwischen Gemeinsamkeit und Differenz über das gleiche Medium simultan auszudrücken: „Der venezuelanische HipHopper, der auf Salsa zurückgreift unterscheidet sich natürlich von dem deutschen HipHopper der auf Mozart zurückgreift, gleizeitig sind sie aber Teil einer globalen HipHop-Kultur“ (ebd., 1). Entstanden in den 1970er Jahren im Millieu karibischer Einwanderer, die auf den Straßen der New Yorker Bronx ihre Identität ausdrückten, half und hilft sie auch heute noch Migranten und deren Nachkommen – auch in Deutschland - Brücken zwischen der Kultur der Eltern und der Kultur in der neuen Heimat zu schlagen (Vgl. Loh/Güngör 2002, 54 ff). Doch was geschieht wenn in Deutschland, einem Land mit zwiespältigem Verständnis der eigenen nationalen Identität, Rapper damit beginnen, über die Kulturform HipHop eine eigene, deutsche Identität zu erzeugen? Solange sie dieses Anliegen nicht explizit als deutsch formulieren – wenig. Kritik, die an deutschen HipHoppern, die auf deutsch rappten, geübt wurde, beschränkte sich darauf, sie als zu kommerziell, nicht glaubhaft oder nicht real zu bezeichnen. HipHop-Kritiker wie Hannes Loh sprachen dem Deutschrap die credibility ab, weil er eben nicht aus Migrantenkreisen kam, weil er eben nicht die seiner Ansicht nach nötige Aura der sozialen Ausgrenzung und Unterdrückung sein eigen nennen konnte (Loh/Güngör 2002, 13). Und dann mischt plötzlich ein deutscher Rapper im nationalen HipHop-Diskurs mit, der mit provokanten Symbolen und Texten spielt und sich öffentlichkeitswirksam das Deutschtum auf die Fahnen schreibt – um gerade die genannte credibility zu erlangen: Als Deutscher, als Ausgegrenzter, als underdog. Die Veröffentlichung des Titels NDW2005 des Künstlers Fler im Mai 2005 löste eine zu diesem Zeitpunkt ungekannte Diskussion aus. Als ich das Musikvideo zu NDW2005 erstmals auf dem Musiksender VIVA bewusst wahrnahm, wollte ich wissen, was dahinter steckt. Was dran ist, an dem scheinbaren Bedürfnis einiger deutscher Jugendlicher, sich eine solche Identität anzueignen. Was für eine Identität sollte das überhaupt sein?
Andreas Hepp schreibt in Cultural Studies und Medienanalyse: „Vor dem Hintergrund, dass Medien zentrale Kristallisationspunkte für vielfältige Jugendkulturen sind, hat die Frage der Medienaneignung von Jugendlichen in den Jugendstudien von Anfang an einen großen Stellenwert gehabt. Dabei werden Medien als keine die Jugendlichen manipulierenden oder die Alltagswelt der Jugendlichen nivellierenden Kräfte gesehen, vielmehr wird davon ausgegangen, dass Medienprodukte für die Jugendlichen symbolische Ressourcen sind, die es ihnen ermöglichen, eigene Erfahrungen in medienbezogenen Jugendkulturen auszudrücken“ (ebd. 1999, 186) (Vgl auch: Vogelsang 1994 und Willis/Jones/et al. 1991 – angeführt im selben Artikel).
Was, wenn nun diese „eigenen Erfahrungen“ rekursiv oder in einer Schleife immer wieder durch die Medien zurück zu den Jugendkulturen und wieder zu den Medien laufen? Müsste dann nicht die Überprüfung eines derart aufgeladenen Medientextes wie NDW2005 an der jugendkulturellen Basis Aufschluss geben?
Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt darin, herauszufinden, inwieweit NDW2005 der Lebensrealität der Individuen der angesprochenen und zielgruppenmäßig anvisierten Jugendkultur entspricht, und welche Reaktionen die Identitätskonstruktionen/-angebote des Textes sozusagen an der Basis auslösen. Versucht soll dies werden, indem in einem ersten Schritt der betreffende Medientext mit Hilfe medienwissenschaftlicher Methoden so weitgehend wie möglich auf seine Aussage und Intention festgelegt wird (zu diesem Zweck soll eine Medienanalyse erstellt werden). In einem zweiten Schritt sollen die so gewonnenen Erkenntnisse in eine 9. Klasse einer Hauptschule getragen werden, um die Schüler dazu einzuladen, sich damit auseinanderzusetzen (im Rahmen von qualitativen Interviews).
2. Grundlagen
Hinsichtlich der oben skizzierten Vorgehensweise und dem festgelegten Erkenntnis-Interesse dieser Arbeit erscheint es sinnvoll bezüglich der Materie HipHop einige Begriffe vor- und darzustellen und eine kurze Einführung zu den Grundlagen zu geben. Damit ziele ich insbesondere auf die Charakteristika von HipHop, die seine globale Verbreitung beförderten, sowie auf die dem HipHop eigenen, speziellen Techniken der Identitätsbildung ab. Eingehender auf die Geschichte des (US-) HipHop einzugehen, würde in diesem Zusammenhang nur begrenzt Sinn machen, da es weder dem Thema, noch dem Umfang dieser Arbeit angemessen wäre.
Bevor ich kurz auf die globale Dimension von HipHop und im Folgenden dann auf HipHop in Deutschland eingehe, sei nur kurz auf zwei Dinge hingewiesen: Zum Einen, wie der Berliner Medienwissenschaftler und Soziologe Lothar Mikos in seinem Vortrag „Glokale Kulturen und mediatisierte Identitäten“ (2005) betont, ist der aus der New Yorker Bronx stammende HipHop (der immer wieder als ur-US-amerikanisch dargestellt wird, und auf den sich US-Rapper der east coast wie auch der west coast berufen und als ihren ultimativ realen und crediblen Background angeben) ursprünglich von jamaikanischen Immigranten begründet. Erst seine Weiterentwicklung (in den späten 1970er Jahren und frühen 1980er Jahren vor allem an der Ost- und dann an der Westküste der USA, wenig später dann verbreiteter), und die Ausformung der verschiedenen Stilrichtungen und HipHop-Bestandteile (DJ ing / mixing, breaking, rap) hatte die sehr US-amerikanisch Prägung zur Folge (Vgl. Forman/Neal 2004, 9 ff). Unberührt davon blieben die vielen Interpretationen von HipHop, die mittlerweile rund um die Welt zu finden sind, und die oft nur einen vagen Bezug zum US-amerikanischen HipHop enthalten. Dies ist wichtig, um zu verstehen, dass HipHop zwar in den USA entstanden ist, aber im eigentlichen Sinne nicht ur-US-amerikanisch ist, sondern in gewisser Weise schon von Anfang an als globale Kulturform und –praktik ausgeübt, und lokal interpretiert und angeeignet wurde.
Zum Anderen, und hier muss ich auf den Vortrag „Spielerische Selbsttechnologien im HipHop“ (2006) von Mark Butler verweisen, der sich in der jüngeren Vergangenheit intensiv mit dem Thema HipHop und Identitätsbildung beschäftigt hat, stellen die oben genannten Komponenten des HipHop, das DJ ing / mixing, breaking und der rap Kulturtechniken dar, mit denen „unaufhörlich gespielt wird - mit der Sprache, mit den visuellen und akustischen Archiven der Kultur, dem eigenen Körper und dem Stadtraum” (Butler 2006). Aber bei dem Ludischen allein bleibe es nicht oder nur in den seltensten Fällen, so Butler: Bei den Kulturtechniken des rapping, writing, mixing und breaking ginge es fortwährend auch um Selbststilisierung und Selbststeigerung und manifestiere sich der „heilige Ernst des Spieles”. Butler versucht dies in seinem Vortrag vor allem am Beispiel einer neuen HipHop-Tanz-Bewegung deutlich zu machen, des clowning bzw. crumping das seinen Ursprung in South Central, Los Angeles hat. Das Signifikante am crumping ist seine aus verschiedenen styles[1] bestehende Struktur, die ebenso eine Ressource für die Aneignung bestehender Identitätsmuster bietet, wie für die Weiterentwicklung und Individualisierung und somit auch Neuschaffung einer eigenen Identität Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 und 2: crumping und clowning, Screenshots aus dem Film „RIZE“ (USA 2005)
innerhalb des Tanzes. Im crumping versuchen die Jugendlichen aus den ärmeren Stadtviertel von Los Angeles ihre Aggressionen und ihre alltäglichen Erfahrungen mit Gewalt zu verabeiten und umzuwandeln, und sich so eine Identität und ein Selbstverständnis aufzubauen, das sich gegen ihre Umgebung abgrenzt und trotzdem Teil davon ist. Somit ist festzuhalten, dass das Spiel mit den Kultur- und Identitätstechniken des HipHop immer auch ein Wechselspiel zwischen Spiel und Ernst, und zwischen vorhandenen Strukturen (also gewissenmaßen globalen Formen) und eigenen, neuen Impulsen (somit lokalen Inputs) ist.
2.1 HipHop und „Glokalität“
Wenn Manuel Castells in seinem Buch Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft schreibt: „Die Medien sind ein Ausdruck unserer Kultur, und unsere Kultur funktioniert in erster Linie durch die von den Medien zur Verfügung gestellten Materialien“ (2003, 24), so drückt er das aus, was Lothar Mikos meint, wenn er von einer „Gesellschaft mit pluralen Werten, Normen, Rollenmodellen und Lebensstilen, aus denen sich Menschen ihre Identitätsmuster aussuchen können“, spricht (Mikos 2005). Und dies bedeute, so Mikos weiter, dass die Normalbiografie, das heißt unser aller Leben, im Wesentlichen in so einer Gesellschaft reflexiv werde. Denn in dem Augenblick in dem wir anfangen können zwischen verschiedenen Identitätsoptionen zu wählen, müssen wir mindestens darüber nachdenken, welche wir denn wählen wollen. Das Fazit: Soviel Globalisierung es auch gibt – Medien werden immer lokal angeignet. Im Zuge der Globalisierung auch der Medien werden durch die Medien auch immer mehr Identitätsressourcen zur Verfügung gestellt, das heißt der Rezipient wird mit immer mehr Dingen bekannt gemacht, und kann dadurch sein Leben gestalten, womit eine größere Bedeutung von Lebensstilen einhergeht.
Wenn wir von der Globalisierung nicht nur als einem globalen Austausch von Finanzströmen reden, wird klar, wie groß die Rolle vor allem auch der Medien ist – denn Medien verbinden Menschen auf der ganzen Welt. Medien und Konsumprodukte sind aufgrund der immer globaleren Rolle der Medienindustrie weltweit und damit auch global verfügbar, aber Medien- und Konsumprodukte werden lokal angeeignet (Vgl: Hepp 2006, 4 ff.). Dadurch dass gerade die global verfügbaren Medien- und Konsumprodukte immer lokal angeeignet werden, ensteht das, was in manchen Kreisen auch Hybridkultur genannt wird – Mikos nennt es „glokale Kultur“ (2005). Das heißt wir Leben eigentlich grundsätzlich in glokalen Kulturen, weil immer Elemente der globalen Welt in unserer Alltagswelt und unserem Alltagsleben eine Rolle spielen, aber unsere Lebenswelt leben wir vor Ort, also da wo wir sind. Und hier vor Ort, wo wir leben, in diesen glokalen Kulturen, entwickeln wir auch unsere Identität – und dies in einem lebenslangen Prozess.
Durch die Medien insbesondere werden globale Identitätsressourcen für die Entwicklung glokaler Identitäten zur Verfügung gestellt. Und diese Identität bildet sich dann aus der lokalen Aneignung dieser Ressourcen. Und das heißt letztendlich, dass Kulturen und Identitäten immer auch durch globale Kulturen und Medien geprägt sind. Beispiele aus dem Fernsehen, eines der am weitesten globalisierten Medien, sind allgegenwärtig: Die Idee zu Sendungen wie Wer Wird Millionär ist in England entstanden, wird aber lokal adaptiert und mittlerweile in über 90 Ländern produziert.
Global player vermarkten Serien und auch Shows weltweit. Insbesondere Serien- und Showformate aber, wenn sie nationalen Produktionsfirmen kaufen, werden lokal zu adaptiert, um die Akzeptanz bei Publikum/ der Zielgruppe zu steigern. Beispiele hierfür finden sich besonders im Bereich der Daily Soaps: GZSZ, RTL (eigentlich eine australische Soap namens Restless Years) oder Verbotene Liebe, ARD (ursprünglich Sons And Daughters, ebensfalls aus Australien) oder Verliebt in Berlin, SAT1 (eine adaptierte kolumbianische Telenovela).
Diese Mechanismen lassen sich auch, in abgewandelter Form, auf die HipHop-Kultur, die sich natürlich auch über die Medien verbreitet hat, anwenden. Auch hier gibt es verschiedene Formen der lokalen Aneignung: Zum einen über die Sprache, zum anderen aber auch durch Musik, indem zu Beispiel bei den samples auf lokale Rhytmen und Klänge zurückgegriffen wird. Gleichzeitig bietet diese Kultur die Möglichkeit, auf globale Ressourcen, und für Migranten, die sehr stark gerade in HipHop-Jugendkulturen engagiert sind, auf lokale Heimatkulturen zurückzugreifen. Beispielsweise gibt es amerikanische rapper, die Tango-Rhytmen in ihren Titeln verabeiten, oder deutsch-türkischer rapper, die türkische Folklore-Beats in ihren Songs verwenden. Dabei ist auch klar, dass viele rapper auf ihrer Heimatsprache rappen, und nicht auf Englisch.
Globale Medien und der globale Markt stellen also Konsum- und Medienressourcen zur Verfügung, und zwar zur lokalen Aneignung, und das symbolische Material der globalen Medien stellt auch gemeinsame Identitätsressourcen zur Verfügung. Das heißt, Teile der Identität die man als Fussballfan oder HipHopper in Venezuela besitzt, verbindet einen mit Jugendlichen, die ähnliche Werte für ihre Identität in anderen Teile der Welt benutzen, obwohl der individuelle eigene Ausdruck immer lokal verankert ist. So resümiert auch Mikos: „Wir haben also immer mehr deterritorialisierte und mediatisierte Identitäten, die aber, und das ist das Entscheidende, in lokalen und regionalen Kontexten verwurzelt sind“ (ebd. 2005). So kann über das Vehikel des HipHop/Rap gleichzeitig Gemeinsamkeiten wie auch Differenz ausgedrückt werden: Der venezuelanische HipHopper, der auf Salsa zurückgreift unterscheidet sich natürlich von dem deutschen HipHopper der auf Mozart zurückgreift, gleizeitig sind sie aber Teil einer globalen HipHop-Kultur.
2.2 HipHop in Deutschland
Die Aneignung von HipHop fand auch in Deutschland statt, und funktionierte natürlich in erster Linie auch über die Medien: In den frühen 1980er Jahren, als es noch kein Musikfernsehen im heutigen Sinn gab, waren es vor allem die US-Import-Schallplatten, die zwei wichtige Funktionen erfüllten. Erstens zeigten sie, wie sich HipHop in den USA entwickelte. Zweitens stellten sie auch den Rohstoff für die eigenen Entwicklung der in Deutschland noch sehr kleinen Szene von MC’s[2] und Dj’s[3] dar. Hinzu kamen die wenigen Filme über HipHop-Kultur, die in Deutschland zugänglich waren, und die zusätzlich noch (jetzt auch auf visueller Ebene) Informations-Ressourcen für die breaker[4] und sprayer/writer[5] darstellte (Vgl. Buhmann/Haeseler 2001, 12, 15). Schon früh, also Mitte bis Ende der 1980er, teilte sich die Szene, die zu diesem Zeitpunkt keinerlei kommerzielles Gewicht im Sinne von Chartsplatzierungen hatte, in old- und newschool. Dies ging vor allem von den HipHop-Künstlern aus, die sich selbst als oldschool, und damit als die Urväter des HipHop in Deutschland verstanden. Dazu zählen vor allem Cora E und Advanced Chemistry (Heidelberg), deren Selbstverständnis eben auch eine bestimmte politische Ausrichtung und ein politisches Engagement miteinschloss (Vgl. Verlan/Loh 2000, 71 ff). Zur newschool oder Neuen Schule wurden die HipHop-Acts gezählt, die entweder zeitlich nach den Protagonisten der Alten Schule in der Szene aktiv wurde, und/oder sich inhaltlich und in der Form von den Dogmen der Alten Schüler absetzten . Denn während die Alte Schule sich noch sehr den roots, also im damaligen Verständnis der US-HipHop-Kultur verbunden fühlte, und lange praktisch ausnahmslos auf Englisch[6] rappte, war ein Merkmal der Neuen Schule, dass sie größtenteils von Anfang an wie selbstverständlich die deutsche Sprache benutzten, und auch entweder keinen, oder einen nicht plakativen politischen Anspruch vertraten. Zu nennen wären hier vor allem Fettes Brot (Hamburg), Die Fantastischen Vier (Stuttgart) und RödelheimHartreimProjekt (Frankfurt), die sich untereinander zwar stark in Stil und auch inhaltlich unterscheiden, alle aber von der Alten Schule nie als real oder credible anerkannt wurden. Mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des HipHop in Deutschland im Laufe der 1990er Jahre, von dem eigentlich nur die Neue Schule profitierte und Teil war, wurde dieser Konflikt noch verstärkt und die Gräben vertieft.
Dieser eher rudimentäre Abriss der Entwicklung des HipHop in Deutschland soll verdeutlichen, dass HipHop in Deutschland sehr unterschiedlich angeeignet und interpretiert wurde, und das die Schaffung von Identitäten der Künstler oder Subkulturen innerhalb der Szene von Anfang an über Abgrenzung stattfand.
2.3 Deutschrap in der Krise?
Während lange Zeit wie oben skizziert die Spaltung oder Differenzierung der HipHop-Szene in Deutschland anhand von inhaltlichen und/oder stilistischen Eigenschaften, wirtschaftlichem Erfolg und dem Zeitpunkt des Erscheinens in der Szene festgemacht wurde, gibt es mittlerweile auch Stimmen, die andere Lesarten zulassen. In ihrem Buch „Fear Of A Kanak Planet“ (2002) stellen die Autoren Hannes Loh und Murat Güngör, welche beide als MC’s und Produzenten in der HipHop-Szene seit Mitte der Achtigerjahre aktiv sind[7], die These auf, Deutschrap stecke im Jahr 2002 in einer Krise. Und damit ist nicht die ökonomische Krise gemeint, welche die Plattenindustrie vor allem auf Internet und illegales Kopieren zurückführt. Loh/Güngor zielen auf eine Glaubhaftigkeits- und Sinnkrise ab: „Viele Jugendliche fühlen sich schlicht und einfach nicht mehr angesprochen von Deutschrap und konzentrieren sich stattdessen wieder verstärkt auf amerikanischen HipHop“ (Loh/Güngor 2002, 319). Die Ursachen sieht Loh in der Szene und dem „Modell Deutschrap“ selbst, und argumentiert damit, dass die HipHop-Szene in Deutschland von Anfang an in „zwei verschiedene Lager“ geteilt sei, „die einander sehr skeptisch, zum Teil feindlich gegenüberstehen“ (Loh/Güngör 2002, 13). Die Trennlinie zwischen diesen beiden Lagern beschreibt Loh aber als nicht nur in inhaltlichen, stilistischen, sprachlichen oder kommerziellen Unterschieden begründet, sondern sieht sie „deutlich entlang verschiedener sozialer Erfahrungen“ (2002, 13) verlaufen: Auf der einen Seite geht es um HipHop als Kultur des Aufbegehrens, die aus Erlebnissen von Ausgrenzung resultiert; sie wird in Jugendzentren ärmerer Stadtviertel praktiziert und sucht sich eigene Vorbilder. Loh/Güngor bezeichnen dies nicht als Deutschrap, sondern als deutschen HipHop. Der Begriff ist hier signifikant: Deutscher HipHop kann ein sehr breites Spektrum fassen, nämlich Rapmusik, die in Deutschland entstanden ist, ganz oder teilweise in deutscher Sprache ist, aber eben auch in englischer oder anderer Sprache sein kann – der Begriff bezeichnet aber keine ethnische Zugehörigkeit der Künstler. Viel wichtiger ist, dass Loh/Güngor hier im Sinne einer sozialen Dimension abgrenzen, denn um den Unterschied zu Deutschrap zu verdeutlichen führen sie aus, dass auf der anderen Seite US-Rap Anfang der 1990er Jahre auch von Jugendlichen aus wohlhabenderen Familien aufgegriffen und adaptiert wurde und immer noch wird, die, so Loh, „in der deutschen Gesellschaft kaum oder keine Erlebnisse von Ausgrenzung machen“ und mit HipHop als „Stimme der Straße, wenig anfangen“ (2002, 13) können. Der von Loh so charakterisierte Deutschrap erfährt somit in seiner Deutung schon in der Begrifflichkeit eine Abwertung und einen Entzug von credibility. Wenn Loh/Güngor Deutschrap als einen von den Medien und den großen Plattenfirmen gehypten Rap charakterisieren, dessen lyrics, beats, aber ebenso auch dessen visuelle Ebenen nur mit und durch „Party, Mädels und Saufen“ (2002, 106 ff) funktionieren, und keine gewachsenen roots als Daseinsberechtigung aufweisen kann, so polarisieren sie damit gegenüber dem, was sie als die einzige „echte“ deutsche Adaptionsform von HipHop sehen, nämlich die Kultur der von der deutschen Gesellschaft ausgegrenzten Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Interessant ist hier also, dass von den Autoren (die sich selbst auch als Teil der Alten Schule begreifen) die These aufgestellt wird, Deutschrap sei in der Krise, weil ihm Echtheit und Glaubhaftigkeit fehle, die als HipHopper nur aus einer underdog -Position heraus erlangt werden könne. Und diese Position, die soziale Erfahrungen der Ausgrenzung vorraussetzt, haben – so Lohs Tenor – nur die Künstler, die aus der Unterschicht und/oder dem Migrantenmillieu stammen, oder dem sehr nahe stehen.
3. Medienanalyse I – „Fler: NDW2005“ (Video)
Vor dem Hintergrund des letzten Kapitels scheint es kein Zufall mehr, dass weniger als drei Jahre nachdem Loh/Güngör ihre These von der Krise des Deutschrap veröffentlichten, ein deutscher rapper sich genau das, was Loh/Güngör als die nicht zu erzeugende credibility des Deutschrap sehen, auf die Fahnen schreibt: Nämlich gerade eine Kultur des Aufbegehrens, die aus Erlebnissen von Ausgrenzung resultiert – als Deutscher, aus der Unterschicht, in der Minderheit. Und dies tut er mit entsprechendem Effekt: Denn als am 1. Mai 2005 die Single-CD Neue Deutsche Welle 2005 und das dazugehörige Musik-Video des Berliner Rap -Musikers Fler veröffentlicht wurde, ging ein Aufschrei moralischer Empörung durch die deutsche Presselandschaft. Kritiker und Musik-Redakteure einschlägiger HipHop-Magazine ebenso wie von großen deutschen Tageszeitungen überschlugen sich mit Unheil verkündenden Schlagzeilen. Die Kritiken sprachen jedoch nicht nur von Nazisymbolik und Fascho- Rap und schürten eine Hysterie, wie sie für das Thema „deutsch sein“ und „nationale Identität“ hierzulande nicht ungewöhnlich ist. Nein, einige sprachen eben gerade von „street credibility“ die der deutsche Rap nun „endlich auch erreicht“ hätte und der Bildung einer „deutschen Community-Identität“ als einer von (bzw. inmitten von) vielen in einer multikulturellen Gesellschaft.
Der Künstler selbst und sein Platten-Label Aggroberlin reagierten in Stellungsnahmen erwartungsgemäß provokant – schließlich muss ein Skandalsong ja auch für die nötige Publicity sorgen.
Soweit scheint dies alles nicht besonders ungewöhnlich: rapper spitzen ihre Aussagen gerne zu, drücken sich drastisch aus, beschwören Konflikte und die Presse nimmt dies auch gern zum Anlass, die eine oder andere Zeitung mehr zu verkaufen.
Initial für eine eingehendere Behandlung von NDW 2005 im Hinblick auf die vorliegende Arbeit, und Augenöffner für die diesbezügliche Relevanz des Medientextes war ein Artikel in der taz vom 3. Mai 2005. Der Autor Tobias Rapp schreibt wie folgt über das Musikvideo:
„Dass Fler diese Wirksamkeit entfalten kann, liegt (…) an einer Angstfigur, die mit HipHop gar nichts zu tun hat und die Fler als erster in Deutschland mit einer solchen Sichtbarkeit verkörpert - das Schreckgespenst des Deutschen, der in einer von Ausländern dominierten Umwelt aufwächst.”
Um seine These zu unterstreichen zitiert Rapp den Musikers selbst: „,Bei mir war das so, dass ich viele ausländische Freunde hatte, die irgendwann gesagt haben, ich [wäre] kein Deutscher, weil die meine Art von Deutschen sonst nicht kennen. Deutsche kennen die halt nur so, dass die zurückhaltend sind. Die halten die Klappe, wenn's Stress gibt. Wenn du in Kreuzberg zur Schule gehst, da sind die Türken und die Araber die Coolen. Als Deutscher kriegst du da Probleme. Und entweder du zeigst den Leuten, dass du dich behaupten kannst, oder du hast ein Problem.’”
Es geht hier also einerseits um Männlichkeit, und andererseits um Ethnizität und nationale Identität. Diese beiden Kategorien – im erweiterten Sinne gender und race – bilden mit der dritten – class – einen maßgeblichen Forschungs- und Analyseansatz der Cultural Studies. Die Hypothese, dass die Analyse hinsichtlich dieser Kategorien – vorerst zumindest der ersten beiden – ein lohnender Ansatzpunkt für eine Beschäftigung mit dem Video birgt, liegt nahe.
Nach ersten Sichtungen des Musikvideos, der Gegenstand der Medien-Analyse I ist, ergibt sich eine weitere Hypothese: Dass dieser Medientext derart kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert wird, könnte daran liegen, dass verschiedene – sich durchaus auch widersprechende – Diskurse eingebunden werden, und (noch wichtiger) Identitäten artikuliert werden, die teilweise offensichtlich dominante Diskurse bestätigen, während andere widerum bestehende Zeichensysteme aufbrechen, und widersprüchlich erscheinen. Letzteres scheint unter anderem anhand von “vorbelasteten” Symbolen und Zeichen zu geschehen, die eine Art von semiologischem Schock herbeiführen.[8]
3.1. Vorbemerkung
Aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist es nicht ungewöhnlich, in ein und demselben Text mehrere sich widersprechende Diskurse und Artikulationen von Identität vorzufinden, vielmehr sind es gerade die gefundenen Widersprüche, die eine Analyse befördern.[9] Von Interesse ist, dass dieser Medientext eine starke öffentliche Kontroverse ausgelöst hat, was ein eindeutiges Indiz für seine gesellschaftliche Relevanz ist, und als solches zur Kenntnis genommen werden muss. Diese Relevanz ist zugleich Anlass und Ansatz sich diesem Text zu nähern und ihn zu untersuchen.
Umso wichtiger ist es deshalb sich Widersprüche bewusst zu machen, was im Ansatz der Analyse ebenso deutlich werden sollte, wie in den angewendeten Methoden. Im Folgenden soll also das Erkenntnisinteresse sowie die Methodik dargelegt werden.
3.2 Analyse-Ansatz
Die in der Vorbemerkung gestellten Hypothesen lassen folgende Fragen zu: Welche Identitäten hinsichtlich von gender, race/ethnicity und class werden in dem Video/Song artikuliert? Wie werden die betroffenen Diskurse eingebunden bzw. werden sie in Frage gestellt? Und schließlich: Konstruiert der Text neue Identitäten (hier ist insbesondere der Begriff von Männlichkeit und nationaler Identität von Interesse)?
Es ist nicht von Interesse, ob Fler ein Neo-Nazi ist und ob das Video rechtes Gedankengut verbreitet. Und es ist nicht von Interesse, ob dieses Video einen schlechten, manipulativen Einfluss auf jugendliche Rezipienten hat.
Es ist ferner nicht von Interesse, ob die eingesetzten Zeichen bewusst oder unbewusst verwendet werden, da dies erstens im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden kann und zweitens nicht zum Erkenntnisinteresse beiträgt.
3.3 Methodik
Das Mittel der Wahl für diese Arbeit ist ein post-strukturalistischer Ansatz der semiotischen Analyse wie ihn Ellen Seiter (1987) vertritt. Der Vorteil dieser Analyse-Methode ist, dass in einem ersten Schritt der Text auf rein technischer und denotativer Ebene wahrgenommen wird, und versucht wird in diesem ersten Schritt Bewertungen, Assoziationen und Vor-Urteile weitgehend auszuschließen. Aufgrund dieser ersten Beartbeitung können in einem zweiten Schritt Schlussfolgerungen gezogen werden, die sich auf Kontext und konnotative Ebenen beziehen.
Die Analyse soll in erster Linie textimmanent geschehen, es sollen jedoch auch Exkursionen möglich sein, wenn sie für die Analyse wichtig erscheinen.
3.4 Semiotische Analyse
Im Folgenden möchte ich einige Shots des Musikvideos NDW 2005 herausgreifen und analysierbar machen. Ich bin mir darüber bewusst, dass eine Selektion einzelner Stellen innerhalb eines Textes Auswirkungen auf die gesamte Analyse haben und das Ergebnis verfälschen kann. Ich muss dieses Risiko allerdings in Kauf nehmen, da eine Analyse des kompletten Videos den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Deshalb habe ich Shots ausgewählt, die meiner Meinung nach hinsichtlich der oben eingegrenzten Fragestellung am aufschlussreichsten erscheinen. Zur Vorgehensweise: Jeder der im Folgenden abgebildeten Frames wird in drei Kategorien festgehalten: 1. der Bildaufbau, 2. die rein denotative Ebene der Darstellung, 3. die Lyrics /Wortebene.
3.5 Shots: Bildaufbau, Denotation, Lyrics
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: von Nah auf Close-up, gedimmtes key-light von links oben
2. Fler hält einen Adler auf dem Arm. Der Adler blickt direkt in die Kamera. Der Adler ist scharf und im Vordergrund, Fler im Hintergrund und verschwommen zu sehen.
3. Yeah, der erste Deutsche der richtig Welle schiebt, Fler,…
Shot 2, 0’12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah, gedimmtes key-light von links oben
2. Fler hebt den Arm mit dem Adler. Der Adler schlägt mit den Flügeln, und erhebt sich in die Luft. Fler trägt einen schwarzen Mantel, eine schwarze Mütze und ein schwarzen T-Shirt mit einem schwarz-weiß Aufdruck, der das Gesicht des österreichischen Sängers Falco zeigt. Über dem T-Shirt hängt eine dicke Halskette.
3. ... die neue deutsche Welle, Aggro Berlin 2005, yeah!
Shot 3, 0’24
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Detail
2. Ein Kühlergrill mit einem Mecedes-Stern in der Mitte ist zu sehen. Das dazugehörige Auto fährt.
3. Hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle,…
Shot 4, 0’25
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera zoomt aus auf Halbnah
2. Fahrender, schwarzer Mercedes, an den Bildrändern ist die Straße zu sehen, auf der Motorhaube spiegelt sich die Morgenröte des Himmels
3 . …hier kommt die neue deutsche Welle, oh, oh, die deutsche Welle, yeah!
Shot 4, 0’32
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Totale
2. Der schwarze Mercedes fährt durch eine breite Straße mit Stadtverkehr. Im Hintergrund sind hohe Stadtgebäude zu sehen. Der Zuschauer blickt aus einer niedrigen Perspektive nach oben, so als würde er im nächsten Moment von dem Auto überrollt.
3. Hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, hier kommt die neue deutsche
Welle, deutsche Welle, usw.
Shot 6, 0’34
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah, diffuses Licht fällt von hinten oben in den Raum
2. Fler gestikuliert, deutet auf T-Shirt/Kette
3. …hier kommt
die neue deutsche Welle, oh, oh, die deutsche Welle, yeah!
Shot 7, 0’36
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme
2. Zu sehen sind der Abdruck des Falco-Gesichts auf Fler ’s T-Shirt, sowie die Halskette, an der nun ein Anhänger sichtbar wird.
3. die neue deutsche Welle, oh, oh, die deutsche Welle, yeah!
Shot 7, 1’02
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah
2. Der Zuschauer schaut nun aus einer Perspektive als würde er im Auto sitzen. Im Vorbeifahren sind zwei Jugendliche zu sehen, die miteinander kämpfen. Das Setting ist ein verlassenes Industriegebiet/Stadtrand.
3. Yeah, ich passe nicht in das Biz’ deiner kack Studenten, ihr wolltet mich nicht sehen, guck, wie das Blatt sich wendet, das ist schwarz, rot, gold, hart und stolz, man sieht’s mir nicht an, doch glaub mir, meine Mom ist deutsch, komm nach Berlin und du siehst wie sich die Leute hier boxen, das ist normal, das hier ist Multi Kulti, …
Shot 8, 1’04
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme
2. Fler schaut aus dem fahrenden Auto auf die vorhergehend beschriebene Szene.
3. … meine Homies komm von überall, ihr holt die Bullen, …
Shot 9, 1’13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbtotale
2. Vor einer mit Grafitti besprühten Wand sind zwei Polizisten und ein Jugendlicher zu sehen. Während ein Polizist steht, kniet der andere auf dem am Boden liegenden Jugendlichen und legt im Handschellen an.
3. …wir sind die Außenseiter, wir sind Aggro Berlin, schwarz, weiß, egal, jeder ist hier Aggro in Berlin, …
Shot 10, 1’18
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Totale/Halbtotale
2. Fler fährt langsam auf zwei leicht bekleidete Frauen/Prostituierte zu, die unter einer Brücke stehen.
3. … ich hab’s gesagt, Mann, ich
werd mich rächen, …
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah
2. Zu sehen ist in der linken Hälfte des Bildes der Torso einer der beiden Frauen. In der rechten Hälfte ist das Beifahrer-Fenster des Autos zu sehen. Die Frau beugt sich zum Fenster. Während ihr Gesicht außerhalb des Bildes ist, wird ihr Körper von den Brüsten bis zu Oberschenkel im betont. Sie trägt ein rosafarbenes Top sowie einen hellblauen, kurzen Rock
3. … ich werd komm und die Herzen aller Mädchen brechen, mit der Baisy in der Hand, so crazy ist
der Mann, ihr habt es nicht geschafft, doch ich hab jetzt das Game in meiner Hand!
Shot 11, 1’25
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbtotale, schwaches Licht von rechts unten
2. Eine Gruppe von Männern mit Fler an der Spitze betritt eine verlassene Fabrik. Metallgitter und Beton bestimmen das Bild.
3. Hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, usw.
Shot 12, 1’40
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme, schwaches Licht von rechts oben
2. Ein weißer Hund mit massigem Kopf ist zu sehen. Er sitzt hinter einem Metallgitter. Er beobachtet die Eintretenden.
3. Hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, usw.
Shot 13, 1’42
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Amerikanisch/Halbnah, schwaches Licht von rechts oben
2. In einem Kreis von Männern stehe sich zwei Männer gegenüber, sie beginnen einen Kampf (im Sinne von Boxkampf). Der Kämpfer in der linken Hälfte des Bildes hat kurze blonde Haare, eine bullige, muskulöse Gestalt und trägt ein schwarzes Tanktop. Er ist von Zuschauer abgewandt. Der Kämpfer in der rechten Hälfte ist etwas weiter von der Kamera entfernt und dem Zuschauer zugewandt. Er hat kurze dunkle Haare, einen freien Oberkörper und ist weniger bullig als sein Kotrahent.
3. Ein Deutscher schiebt Welle, jetzt bin ich endlich am rappen und Jahrelang war es cooler blöd auf Englisch zu rappen, ’ne neue Ära beginnt, das ist wie Volksmusik, die Medien boykottieren mich, doch ich werd vom Volk geliebt, ihr habt es damals nicht geglaubt, es gab nur Papa Bär, was für ein Kindergarten, heute regelt’s Papa Fler…
Shot 14, 2’18
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah, schwaches Licht von rechts oben
2. Die beiden Kämpfenden haben nun beide freie Oberkörper. Ihre Köpfe/Gesichter liegen außerhalb des Bildes. Die Betonung liegt auf dem Torso (von der Brust/Schultern bis zum Oberschenkel. Ihre Position zum Zuschauer hat sich umgekehrt.
3. …die Deutschquote ist im Arsch und es ist nichts passiert, dein Radiosender spielt nur Shit, er spielt
nur Britney Spears, es gibt nur Ami-Rap weil man da kein Wort versteht und ich werd gnadenlos zersiebt
weil man’s sofort versteht,…
Shot 15, 2’32
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbnah, strahlendes Licht von oben
2. Der Kampf ist beendet. Der Kämpfer mit den dunklen Haaren wendet sich den Umstehenden in Siegerpose zu. Die Betonung im Bild liegt auf seinem verschwitzten, muskulösen Rücken.
3. deutsche Mucke ist das Gift und ihr seid gegen uns weil ich den längsten hab und weil ich damit jeden bums,…
Shot 16, 2’40
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme, gedimmtes Licht von rechts
2. Der Sieger des Kampfes schaut mit entschlossen grimmiger Miene schräg über seine Schulter, in die Richtung des Verlierers des Kampfes. Er hat ein scharf gezeichnetes Profil, eine große gebogene Nase und tiefsitzende Augen. Das Profil kann als “römisch” bezeichnet werden.
3. … jetzt kommt die neue deutsche Welle und ich will Millionen und teil es gern mit Tussis von Juli oder Silbermond, das ist deutsche Musik, das hier ist eure Musik, 2005 ist das Jahr in dem
was neues passiert, yeah!
Shot 17, 2’50
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme, strahlendes Keylight von vorne
2. Fler hält den Anhänger an seiner Kette/ Fler s Emblem direkt in die Kamera. Es glänz und blinkt silbern. Es stellt einen vereinfachten/schematisierten Bundesadler dar mit Fler s Namenszug in fetten Fraktur-Lettern an der rechten Seite.
3. Hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, hier kommt die neue deutsche Welle, deutsche Welle, usw.
Shot 18, 2’51
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Totale, warmes Licht (Sonnenuntergang) von hinten oben
2. Eine Gruppe von Motorrad-Fahrern fahren von links nach rechts durch das Bild. An dem hinteren Motorrad ist eine deutsche Fahne befestigt, die neben den deutschen Farben auch den Bundesadler zeigt. Sie weht im Fahrtwind.
3. Meine Gnade hat ein Limit, du bist grade am Limit, die neue deutsche Welle kommt, man sieht die Fahnen
am Himmel,…
Shot 19, 2’56
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Halbtotale/Amerikanisch, Licht: warmes Licht vom Sonnenuntergang hinten, warmes Keylight von vorne.
2. Fler steht mit einer Gruppe von Männern vor dem schwarzen Mercedes. Die Scheinwerfer des Autos sind an, Fler deutet mit der linken Hand in die Kamera.
3. ... du wolltest abrechnen, lern erst das Ein mal Eins und ich komm locker in die Top Ten auf Ein mal Eins, denn Papa ist da, guck, ich hab’s euch gesagt, deutscher Rap ist ein Kinder-garten, ihr habt euern
Spaß, ihr seid nur Party-Bitches F-l-e-r macht ... Business, fragt die Bitches, fragt wer ist es und sie schreien, der Star der Hitlist, wohhh, guck, wie es der Deutsche macht, die Nationalhymne kommt heut mit Schlagzeug und Bass, ey, ich bin der Beste, seht her, das ganze Land schreit F-l-e-r!
Lied ist zu Ende. Kein Ton, keine Lyrics.
Shot 20, 3’24
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Kamera: Großaufnahme, schwaches, goldenes Licht von links oben
2. Das Schlussbild ähnelt dem Anfangsbild. Fler hält den Adler auf dem Arm. Schwarzer Hintergrund. Im Unterschied zu Anfangsbild sind nun jedoch auch die Augen (eigentlich nur das linke) von Fler zu sehen. Im Vordergrund ist der Adler. Der Blick des linken Auges des Adlers und der von Fler s Auge verlaufen parallel.
3. Das Lied ist zu Ende. Kein Ton, keine Lyrics.
Shot 21, 3’59
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.6 Paradigmatische Dimension
Seiter (1987, 36) macht deutlich, dass auf paradigmatischer Ebene Zeichen nur in Beziehung zu assoziativen Zeichen im gleichen Zeichensystem gedeutet werden können. Eine Bedeutung kann also nur erkannt werden, wenn man zur Kenntnis nimmt wie sich Zeichen in einem Text gegenüber vergleichbaren Zeichen abgrenzen. Daraus ergibt sich zu erst einmal ein Problem: Der vorliegende Text ist ein HipHop-Video – heißt dies nun, dass er nur mit Bezug auf Zeichensysteme des HipHop-Genres gedeutet werde kann? Ich glaube dies nicht. Denn HipHop ist kein hermetisch abgeschirmter Kulturbereich sondern ist in einen ständigen Austausch- und Referenzprozess mit allen möglichen Bereichen involviert. HipHop selbst ist in unzählige spezifische Kontexte und Genres unterteilt (wie z.B. den amerikanischen, deutschen, griechischen HipHop, oder auch feministischen, Gangster- oder Fun- Rap) die ihre eigenen stilistischen Formen und eigene Terminologien hervorbringen. Außerdem wäre es falsch, anzunehmen, HipHop-Videos wären nur für eine spezielle HipHop-Audience konzipiert.
Trotzdem müssen bestimmte Praktiken dieses Genres, wie zum Beispiel das dissen (jemanden verbal herabsetzen, um die eigene Person hervorzuheben) oder das vor allem in letzter Zeit dominant gewordene Geschlechtermodell, das Männer zu pimps (Zuhältern) und Frauen zu bitches (Nutten, Prostituierte) reduziert, zur Deutung herangezogen werden. Es ist also anzunehmen, dass das Video nicht nur auf (verschiedenste) HipHop-Diskurse zurückgreift, sondern sich auch auf andere, in der Gesellschaft vorhandene Diskurse bezieht, oder um mit Connell zu argumentieren: von Dividenden anderer, dominanter Diskurse profitiert (1999, 97 ff). Als Konsequenz muss also in der Analyse in mehreren Referenz-Schichten gearbeitet werden.
Vor diesem Hintergrund möchte ich als erstes das Motiv des schwarzen Mercedes im Video herausgreifen. In vielen HipHop-Videos (weniger den deutschen als eher traditionell den US-amerikanischen) gehört ein Mercedes zu den Standard-Requisisten. Er dient zweifelsohne als Fallussymbol, und unterstreicht männliche Macht, (finanzielle wie sexuelle) Potenz und Stärke. Als einzige Anomalie im vorliegenden Text könnte genannt werden, dass hier der Mercedes darüber hinaus für ein indigenes deutsches Merkmal/Symbol steht, das sozusagen zurückgeholt wird, in seinen „natürlichen“ Kontext (als Signifikant eines deutschen Rappers). Losgelöst vom HipHop-Kontext kann dieses Auto vor dem Hintergrund eines gesellschatflich dominanten Gender-Diskurses ebenfalls als Fallussymbol, als Zeichen für männliche Potenz und Technologie gelesen werden. Hier besteht also kein Widerspruch – die Bedeutungen überschneiden sich, dominante Geschlechter-Identifikation werden bestätigt. Dies wird auch am Beispiel der Shots 10 und 11 deutlich. Die Prostituierten (passive Objekte, Waren, die am Straßenrand stehend Verfügbarkeit signalisieren) werden vom Auto angesteuert. Nicht nur, dass der unmittelbare Kontakt zwischen Frau und Mann über den Mercedes visualisert wird (die Prostituierte berührt nur das Auto, und dabei werden auch nur ihre sexuell relevanten Körperpartien dargestellt), nein, der männliche Körper selbst (hier Fler) ist nicht einmal im Bild vorhanden, sondern wird vollständig vom stählernen Signifikat ersetzt. An dieser Stelle sind außerdem noch zwei bemerkenswerte Umstände zu berücksichtigen: Erstens wird nur in dieser Sequenz des Videos Männlichkeit direkt gegenüber einer Frau abgegrenzt (dies ist die einzige Stelle an der Frauen auftreten), wobei die Abgrenzung gegenüber dem weiblichen Prinzip noch an anderen Stellen stattfindet. Zweitens ist die der Sequenz entsprechende Textzeile[10] „ich hab’s gesagt, Mann, ich werd mich rächen, ich werd komm und die Herzen aller Mädchen brechen, mit der Baisy in der Hand, so crazy ist der Mann, ihr habt es nicht geschafft, doch ich hab jetzt das Game in meiner Hand!” nur schwer in Bezug auf die Bildebene umzusetzen. (Kann man als “Freier” das Herz einer Prostituierten brechen?)
[...]
[1] In der crump- Dokumentation Rize von David LaChapelle wird dies folgendermaßen charakterisiert: „ A highly volatile, expressive and versatile form of black dance which was developed and is constantly evolving, krumping is now a structured form of dance, with a variety of styles. It is an outlet for anger and is a nonviolent alternative to the street violence that is widespread in many of the areas where it is performed. Various styles of krumping include: goofy; it is the least aggressive of the krump styles, usually funny and energetic. rugged, beasty, grimey; a dirty, mistrating and wrong style. flashy; it looks cocky, stuck up and conceited. there is also: jerky, bully and tricks.
[2] Das Kürzel „MC“ wird im allgemeinen als „Master of Ceremony“ verstanden, und bezeichnet den oder die Sänger/Rapper innerhalb einer Formation oder bei einem Rap-Battle. Es gibt jedoch hinsichtlich der Geschichte des Ausdrucks Meinungsverschiedenheit, da „MC“ auch mit „Mic Control“ (also die Person, die das Mikrophon in der Hand hat) übersetzt wird.
[3] DJ = Disc Jockey
[4] breaker, eigentlich breakdancer oder b-boys. Abgeleitet von breakdance/b-boying, die erste Tanz-Form, die sich mit der HipHop-Musik entwickelte.
[5] Bezeichnet die beiden wichtigsten Ausformungen im Graffiti: sprayer schaffen Bilder, writer schaffen Schriftzüge (auch tags genannt).
[6] Eine Ausnahme stellt torch von AdvancedChemistry dar, der als erster MC der Alten Schule anfing auf Deutsch zu freestylen, und später auch ganze Platten auf deutsch veröffenlichte (Vgl.Verlan/Loh 2000, 140 und Loh/Güngör 2002, 121 ff).
[7] unter anderem bei der Rap-Formation AnarchistAcademy
[8] Seiter (1987, 31) geht davon aus, dass in bestimmten Situationen etablierte, dominante Konnotationen eines Zeichens destabilisiert werden können, oder das Zeichen sogar kurzfristig wieder auf seine denotative Ebene „restored“ werden kann, woraus sich eine Plattform für „competing ideological interpretations“ eröffnet. Potentiell ist somit die Möglichkeit für eine „production of counterideological connotations“ gegeben.
[9] Diese Ansicht bringen unter anderem Ang/Hermes (1987) sowie Haraway (1988) zum Ausdruck, wenn sie von „living within limits and contradictions“ sprechen.
[10] In Teilen handelt es sich hier auch um ein Zitat der Punkband Die Ärzte: „...ich werd kommen und die Herzen aller Mädchen brechen, dann bin ich ein Star der in der Zeitung steht, doch dann ist es zu spät, ja dann ist es zu spät zu spät“ (Titel: Zu Spät, 1993, EMI).
- Arbeit zitieren
- M.A. Florian Rosenbauer (Autor:in), 2006, »Kuck wie's der Deutsche macht« Lebensrealitäten und Identitätskonstruktionen zwischen Hauptschule und HIPHOP-Video, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64717
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