In seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ entwirft Friedrich Schiller das Bild eines idealen Staates, in dem sich der einzelne Mensch frei entfalten kann, ohne dass die Interessen der Gemeinschaft verletzt werden. Das Mittel, um einen solchen Staat zu schaffen, ist für Schiller die Ästhetik, beziehungsweise die ästhetische Bildung des Menschen.
Ausgehend von den gegenwärtigen Bedingungen seiner Zeit greift er die rousseauistische Theorie auf, dass sich der Mensch bei wachsendem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zunehmend von sich selbst entfremdet.
In dieser Gespaltenheit der menschlichen Seele – zwischen sinnlich-emotionaler und vernünftig-rationaler Welt – sieht Schiller die Ursache aller negativen Entwicklungen des Individuums und somit auch der Gesellschaft.
Um diese Entwicklung aufzuheben proklamiert Schiller die alles versöhnende Kraft der Ästhetik. Nur im ästhetischen Zustand, wenn der Mensch mit der Schönheit spielt, wie Schiller es nennt, werden die beiden antagonistischen Prinzipien „Gefühl“ und „Verstand“ miteinander harmonisch verbunden.
Diese Verbindung muss im idealen Staat realisiert werden.
Im Folgenden soll diese Philosophie Schillers möglichst kompakt zusammengefasst und erklärt werden.
Dabei ist es zum besseren Verständnis von Vorteil, die logische Struktur der Briefe beizubehalten, ihre jeweiligen Kernaussagen jedoch übersichtlich zusammenzufassen. Auch werden einige grundlegende Begriffe erklärt werden, die für die aufschlussreiche Rezeption hilfreich sind.
Inhalt
1. Einführung ins Thema und Darstellung der Vorgehensweise
2. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ zu Schillers Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“
2.1 Schillers politische Zeitdiagnose und seine philosophische Anthropologie
2.1.1 Naturstaat und moralischer Staat
2.1.2 Physischer und moralischer Mensch
2.2 Schillers Idee der versöhnenden Wirkung der Ästhetik
2.2.1 Zustand und Person
2.2.2 Stofftrieb und Formtrieb
2.2.3 Spieltrieb, Schönheit und ästhetischer Zustand
2.3 Schillers Utopie eines ästhetischen Staates
2.3.1 Welt des schönen Scheins
2.3.2 Möglichkeiten und Grenzen der Ästhetik
3. Nachüberlegungen
Literaturverzeichnis
1. Einführung ins Thema und Darstellung der Vorgehensweise
In seinen Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ entwirft Friedrich Schiller das Bild eines idealen Staates, in dem sich der einzelne Mensch frei entfalten kann, ohne dass die Interessen der Gemeinschaft verletzt werden, oder in dem „ihm das ‚sittliche Betragen’ zur ‚Natur’ werde.“[1]
Das Mittel, um einen solchen Staat zu schaffen, ist für Schiller die Ästhetik, beziehungsweise die ästhetische Bildung des Menschen.
Ausgehend von den gegenwärtigen Bedingungen seiner Zeit greift er die rousseauistische Theorie auf, dass sich der Mensch bei wachsendem wissenschaftlich-technischen Fortschritt zunehmend selbst entfremdet.
In dieser Gespaltenheit der menschlichen Seele – zwischen sinnlich-emotionaler und vernünftig-rationaler Welt – sieht Schiller die Ursache aller negativen Entwicklungen des Individuums und somit auch der Gesellschaft.
Um diese Entwicklung aufzuheben proklamiert Schiller die alles versöhnende Kraft der Ästhetik. Nur im ästhetischen Zustand, wenn der Mensch mit der Schönheit spielt, wie Schiller es nennt, werden die beiden antagonistischen Prinzipien „Gefühl“ und „Verstand“ miteinander harmonisch verbunden.
Diese Verbindung muss im idealen Staat realisiert werden.
Im Folgenden soll diese Philosophie Schillers möglichst kompakt zusammengefasst und erklärt werden.
Dabei ist es zum besseren Verständnis von Vorteil, die logische Struktur der Briefe beizubehalten, ihre jeweiligen Kernaussagen jedoch übersichtlich zusammenzufassen. Auch werden einige grundlegende Begriffe zu klären sein, die für die aufschlussreiche Rezeption hilfreich sind.
2. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ zu Schillers Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“
Im Zentrum der Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen, kann ein konkreter Satz heraussegmentiert werden, der den Kern der Philosophie Schillers relativ knapp wiedergibt:
„Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Dieser Satz […] wird […] eine große Bedeutung erhalten […]; er wird, ich verspreche es Ihnen, das ganze Gebäude der ästhetischen Kunst und der noch schwierigern Lebenskunst tragen.“[2]
Dieser Satz kann auch innerhalb der folgenden Erläuterungen als Leitfaden angesehen werden.
2.1 Schillers politische Zeitdiagnose und seine philosophische Anthropologie
In den ersten beiden Briefen stellt Schiller seine Vorgehensweise dar und weist auf die Problematik der genauen begrifflichen Trennung hin, die für die rationale Abhandlung zwar notwendig, für das emotionale Nachempfinden jedoch hinderlich sei.
„Wie der Scheidekünstler, so findet auch der Philosoph nur durch Auflösung die Verbindung […]. Um die flüchtige Erscheinung zu haschen, muß er sie in die Fesseln der Regel schlagen […].“[3]
In der Tat scheint es zunächst paradox, Begriffe wie „Ästhetik“ oder „Schönheit“ theoretisch erklären zu wollen. Das System der jeweiligen Gegenüberstellung gegensätzlicher Begrifflichkeiten ist jedoch in Schillers Briefen elementar, da es die Voraussetzung für den Alles verbindenden Ästhetikbegriff ist und somit zum besseren Verständnis beiträgt.
2.1.1 Naturstaat und moralischer Staat
Ausgehend von den gesellschaftspolitischen Umständen seiner Zeit unterscheidet Schiller zwei Möglichkeiten der Staatsbildung.
Alles beginnt damit, dass der Mensch bereits in ein bestehendes Staatssystem hineingeboren wird. Schiller bezeichnet das typische Staatssystem seiner Zeit als „Naturstaat“.
Dieser Staat ist für ihn ein “Notstaat, der aus seiner Naturbestimmung hervorgegangen“[4]. Er stellt sozusagen die notwendige Rohform menschlichen Zusammenlebens dar, die für das Überleben der Gemeinschaft unumgänglich ist. In ihm herrschen bloße Naturgesetze, wie beispielsweise das Recht des Stärkeren, und der einzelne Mensch ist diesen Gesetzen ausgeliefert und muss sich ihnen unterordnen.
Auch der gegenwärtige Staat stellt für Schiller einen Naturstaat dar. Durch den zunehmenden wissenschaftlich-technischen Fortschritt der Aufklärung verliert der einzelne Staatsbürger an Bedeutung.
Schiller bezeichnet den Staat auch als ein Uhrwerk, in dem der einzelne Bürger lediglich „funktionieren“ muss.
„Auseinandergerissen wurden jetzt der Staat und die Kirche, die Gesetze und die Sitten; der Genuß wurde von der Arbeit, das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung geschieden. Ewig nur an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich der Mensch selbst nur als Bruchstück aus;
[…] Aber selbst der karge fragmentarische Anteil, der die einzelnen Glieder noch an das Ganze knüpft, [...] wird ihnen mit skrupulöser Strenge durch ein Formular vorgeschrieben, in welchem man ihre freie Einsicht gebunden hält.“[5]
Der moderne Mensch befindet sich also in einem primitiven Staatssystem, das ihm seine spezifische Funktion vorschreibt und seine eigenen Interessen unberücksichtigt lässt.
Gesetze werden durch eine fremde Macht, die Regierung, bestimmt und müssen streng befolgt werden, um die Erhaltung des Staates zu sichern.
Schiller kritisiert diesen Naturstaat, „denn das Werk blinder Kräfte besitzt keine Autorität“[6].
Er hält diese Staatsform für unangemessen, da sich der Mensch durch Gebrauch seiner Vernunft zur Selbstbestimmung entscheiden, die Problematik innerhalb des bestehenden Staates kritisieren und nach seinem Ideal neu aufbauen kann.
Dieser ideale Staat ist nach Schiller der „moralische Staat“. Ihn gilt es sowohl im Interesse des Individuums als auch im Interesse der Gemeinschaft zu verwirklichen.
Das bestimmende Prinzip des moralischen Staates ist nach Schiller die menschliche Vernunft. In diesem Staat widersprechen sich die Interessen des Einzelnen nicht mit denen der Gemeinschaft. Denn wenn der Einzelne vernünftig handelt, so berücksichtigt er stets auch das Wohl der Gemeinschaft.
Schiller greift hier eindeutig auf Kants Idee des kategorischen Imperativs zurück, nach der die Handlung des Einzelnen stets so vorbildlich sein soll, dass sie auf die gesamte Gesellschaft übertragbar sein könnte.
Auf diese Weise bleiben die Interessen der Gemeinschaft stets gewahrt, Gesetze werden nur auf Basis der Vernunft aufgestellt und sind nicht mehr abhängig von dem willkürlichen Machtverhalten einer dem Einzelnen fremden Regierung.
Doch kann das Interesse der Gemeinschaft jemals auch das Interesse jedes Einzelnen decken? Schiller nennt seinen moralischen Staat auch einen Staat der Freiheit, in dem sich der Einzelne individuell entfalten kann. Dies begründet er folgendermaßen:
„Ist der innere Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Universalisierung seines Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger seines schönen Instinkts, die deutlichere Formel seiner innern Gesetzgebung sein.“[7]
Auf diese Weise zeichnet Schiller das Bild eines idealen Staates. Sein Ziel ist die Entwicklung vom gegenwärtigen Naturstaat zum moralischen Staat, in dem die Interessen des Einzelnen nicht mit denen der Gemeinschaft kollidieren.
Es stellt sich jedoch schon anhand des oben genannten Zitats die Frage:
Wann ist „der innere Mensch mit sich selbst einig“, und auf welche Art kann man diese Einigkeit erreichen?
Auf diese Frage wird Schiller in den folgenden Briefen eingehen.
[...]
[1] Vosskühler, Friedrich: Kunst als Mythos der Moderne. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann 2004. S. 38
[2] Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart: Reclam Universal-Bibliothek 1986. S. 63
[3] Ebd. S. 4
[4] Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart: Reclam Universal-Bibliothek 1986. S. 8
[5] Ebd. S. 20
[6] Ebd. S. 9
[7] Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart: Reclam Universal-Bibliothek 1986. S. 14
- Quote paper
- Elisabeth Donhauser (Author), 2005, Schillers Briefe 'Über die ästhetische Erziehung des Menschen', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64545
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