Der Einakter „Kraljevo“ aus dem Jahre 1915 markiert eine Wende in Krležas frühem Schaffen, da er mit diesem Drama in Raum und Zeit einer Epoche vordringt, die er selbst als junger Mensch im Alter von 22 Jahren erlebte. Es ist dies die Zeit des Ersten Weltkrieges, der wie vermutlich kein anderer Krieg auch das Ende einer Ära, den völligen Zusammenbruch eines Werte-und Gesellschaftssystems, mit unbeschreiblicher Härte und Brutalität markiert. Der junge Krleža verbrachte fast das ganze Jahr 1915 als Zivilist in Zagreb, erst im Dezember wurde er mobilisiert. Mit „Kraljevo“ bearbeitet er zunächst den kollektiven Schock des Krieges, überdies aber auch die Eitelkeit und Vergänglichkeit menschlichen Daseins schlechthin. Der Schauplatz des alljährlichen Jahrmarktes „Kraljevo“ kurz vor Ausbruch des Krieges wird dabei als eine Metapher für dieses Dasein modelliert.
In der vorliegenden Arbeit soll das Konzept der räumlichen und zeitlichen Gestaltung, das eine solche Metaphorisierung möglich macht, untersucht werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf das für Krleža spezifische Weltmodell hinsichtlich der Gestaltung von Raum und Zeit eingegangen werden. Ferner wird die Bedeutung von Raum und Zeit für die Gesamtkonzeption des Stückes erarbeitet werden. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage nach Korrespondenz- und Kontrastrelationen zwischen Raum und Zeit, die eine wichtige Rolle im Stück spielen.
Im Zuge der Analyse wird immer wieder auch auf andere Dramenelemente, wie z.B. Figuren und deren Sprache, Bezug genommen werden, da es sich bei der Beschränkung des Themas auf Raum und Zeit natürlich auch um eine heuristische Trennung handelt. Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Kategorien Raum und Zeit selbst, da sie wegen ihrer gegenseitigen Bedingtheit sehr stark miteinander verknüpft sind.
Inhaltsverzeichnis
0. Vorwort
1. Raum
1.1 Der dargestellte Raum
1.2 Evozierte Räume
2. Zeit
2.1 Besonderheiten der Zeitkonzeption in „Kraljevo“
2.2 Primäre, sekundäre und terziäre gespielte Zeit
3. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
0.Vorwort
Der Einakter „Kraljevo“ aus dem Jahre 1915 markiert eine Wende in Krležas frühem Schaffen, da er mit diesem Drama in Raum und Zeit einer Epoche vordringt, die er selbst als junger Mensch (im Alter von 22 Jahren) erlebte. Es ist dies die Zeit des Ersten Weltkrieges, der wie vermutlich kein anderer Krieg auch das Ende einer Ära, den völligen Zusammenbruch eines Werte-und Gesellschaftssystems, mit unbeschreiblicher Härte und Brutalität markiert. Der junge Krleža verbrachte fast das ganze Jahr 1915 als Zivilist in Zagreb, erst im Dezember wurde er mobilisiert. Mit „Kraljevo“ bearbeitet er zunächst den kollektiven Schock des Krieges, überdies aber auch die Eitelkeit und Vergänglichkeit menschlichen Daseins schlechthin. Der Schauplatz des alljährlichen Jahrmarktes „Kraljevo“ kurz vor Ausbruch des Krieges wird dabei als eine Metapher für dieses Dasein modelliert.
In der vorliegenden Arbeit soll das Konzept der räumlichen und zeitlichen Gestaltung, das eine solche Metaphorisierung möglich macht, untersucht werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf das für Krleža spezifische Weltmodell hinsichtlich der Gestaltung von Raum und Zeit eingegangen werden. Des weiteren wird die Bedeutung von Raum und Zeit für die Gesamtkonzeption des Stückes erarbeitet werden. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang die Frage nach Korrespondenz- und Kontrastrelationen zwischen Raum und Zeit, die eine wichtige Rolle im Stück spielen.
Im Zuge der Analyse wird immer wieder auch auf andere Dramenelemente, wie z.B. Figuren und deren Sprache, Bezug genommen werden, da es sich bei der Beschränkung des Themas auf Raum und Zeit natürlich auch um eine heuristische Trennung handelt. Dies gilt auch und in besonderem Maße für die Kategorien Raum und Zeit selbst, da sie wegen ihrer gegenseitigen Bedingtheit sehr stark miteinander verknüpft sind.
Theoretische und begriffliche Basis der Arbeit ist Manfred Pfisters einführendes Buch „Das Drama“[1]. Zitate aus dem Primärtext „Kraljevo“ werden aufgrund ihrer großen Zahl nicht, wie die Werke der Sekundärliteratur, in amerikanischer Kurzzitierweise belegt, sondern jeweils nur mit der entsprechenden Seitenzahl versehen.
1. Raum
Auf Grund der spezifischen Kommunikationssituation im Drama kommt es zu einer Überlagerung von innerem und äußerem Kommunikationssystem (vgl. Pfister 2000:21). Diese Überlagerung gilt auch für die räumliche Ebene und findet dort ihren Ausdruck in der Unterscheidung zwischen realem Theaterraum und dem auf der Bühne dargestellten fiktiven Theaterraum. Die Relationen zwischen realem und fiktivem Raum können vom Autor auf verschiedene Weise modelliert werden. Bei „Kraljevo“ hat bereits der Titel eine räumliche (und, wie später erläutert werden wird, auch eine zeitliche) Dimension, die zumindest dem idealen Rezipienten[2] vertraut ist. Der Jahrmarkt „Kraljevo“ war ein allseits bekannter Jahrmarkt, der zu Ehren des ungarischen Königs Stefan, in Nordkroatien als „Sveti Stefan Kralj“ bekannt, gefeiert wurde. Auf dieses Wissen der Rezipienten um die denotative Bedeutung des Wortes „Kraljevo“ wird im Text auch mehrmals Bezug genommen, wenn auf die typischen Züge des Jahrmarktgeschehens verwiesen wird. Krleža bedient sich nun einer Technik, die Holthusen als spezifisch für die Artikulation seines Weltmodells erkannt hat. Er bewertet die Bedeutung des Wortes „Kraljevo“ um und schafft somit eine konnotative, neue Wortbedeutung des „Kraljevo“ im Sinne einer Allegorie für den Wahnsinn der menschlichen Existenz überhaupt. Holthusen formuliert diesen Sachverhalt folgendermaßen:
„Die Semantisierung von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und der
Ausblick auf ein kosmisches Geschehen bringen sowohl die mythische Zeit
als auch den mythischen Raum ins Spiel. Historisch gegebene und historisch
rekonstruierbare „reale“ Räumlichkeiten werden symbolisch überhöht oder
durch ihre Stellung im Kontext mythologisiert bzw. einer Metamorphose
unterworfen.“ (1978: 337/338).
Durch die semantische Aufladung des Ortes „Kraljevo“ bewirkt Krleža also eine Ablösung von der Realität und ermöglicht eine Einordnung des dramatischen Raumes in einen höheren Sinnzusammenhang.
Bei der Ausgestaltung des „Kraljevo“-Raumes zu einem symbolischen, mythischen Raum werden sowohl der visuelle als auch der akustische Kanal in hohem Maße genutzt. Das geschieht jedoch nur teilweise über die Figurenrede, meistens werden außersprachliche Kanäle genutzt. Die auf diese Weise vermittelten Farben und Klänge sind so intensiv und mannigfaltig, dass die Funktion der Sinnvermittlung von optischen und akustischen Signalen zugunsten einer Befreiung des Zeichens von seiner räumlichen und zeitlichen Begrenzung in den Hintergrund treten muss (vgl. Gašparović 1993:72). Als Beispiel könnte der gesamte einführende Nebentext dienen, es soll hier jedoch nur auf zwei besonders eindrucksvolle Stellen hingewiesen werden, wobei in ersterer die optischen Signale dominieren, in letzterer jedoch die akustischen:
„... razabire [se] sijaset platnenih čadorova, ozbiljne sjene kestenova, plamenovi
kumeka pečenjara, crvene kolovzne zvijezde što padaju, bujice crvenih lica,
zmijuljaste geste, pokliči, rakete, bengalske vatre, polutmina i vino što se isparuje
u ružičastim parama opijajući živce.” (S.10).
“Vjetar zanosi arije panoramskih orgulja: sentimentalni barokni “rendez-vous”
- pa talijanske melodije aristona - negdje iz daljine jedan herojski bariton u
fonografu – pa sirene bioskopa u daljini.” (S.10).
Diese Synästhesieeffekte, in denen der Ausdruck über Inhalt und Form dominiert, sind für die literarische Epoche des Expressionismus typisch und weisen „Kraljevo“ daher als ein Stück mit starken expressionistischen Zügen aus (vgl. Nünning 1998:140/141).
Neben den zahlreichen akustischen und visuellen Phänomenen, die zur Raumgestaltung beitragen, werden sogar olfaktorische Signale angesprochen, wie beispielsweise die duftenden Würste ( „[kobasičar] prodaje [...] vijence [...] mirisnih kobasica.“ , S.20). Es handelt sich hierbei, wie auch zum größten Teil bei den obigen Zitaten, um Lokalisierungen im Nebentext, die nicht als reine Regieanweisungen gelesen werden können, sondern die als Prosapassagen eine metadramatische Funktion erfüllen, die nur dem lesenden Rezipienten in ihrer vollständigen Dimension deutlich werden kann. Der Nebentext wird zu einem eigenständigen epischen Vermittlungssystem von starker poetischer Ausdruckskraft erhöht.
Bevor mit den folgenden Unterkapiteln eine detaillierte Analyse der in „Kraljevo“ vorkommenden Räume und deren Lokalisierungstechniken geleistet werden soll, muss noch kurz auf die Frage der Raumstruktur eingegangen werden.
Pfister unterscheidet zwischen offener und geschlossener Raumstruktur, wobei er unter geschlossener Raumstruktur die Einhaltung der von der klassischen Dramentheorie geforderten Einheit des Raumes versteht. Letztere ist gegeben, wenn der Schauplatz des Geschehens im ganzen Drama nur ein einziger ist. Eine offene Raumstruktur liegt dementsprechend vor, wenn verschiedene Räumlichkeiten auf der Bühne dargestellt werden (vgl. Pfister 2000:330 ff.). Bei „Kraljevo“ liegt offensichtlich eine geschlossene Raumstruktur vor, da das ganze Stück auf dem königlichen Jahrmarkt spielt. Eine geschlossene Raumstruktur folgt überdies auch völlig der Logik des Einakters, da der Einakter ja keine Handlungsentwicklung darstellen will, sondern einen Ausschnitt aus einem unüberschaubaren Ganzen mit offenem Anfang und Ende (vgl. von Wilpert 1997: 203).
1.1 Der dargestellte Raum
Mit der Bezeichnung „dargestellter“ Raum ist der Raum gemeint, der bei der Aufführung auf der Bühne dargestellt und somit konkret akustisch und/oder visuell erfassbar wird. Wie oben bereits erwähnt, gibt es im Einakter „Kraljevo“ nur einen Raum, nämlich einen Ausschnitt aus dem traditionellen königlichen Jahrmarkt am Rande Zagrebs. Dieser Raum ist nun in hohem Maße heterogen, er bietet das Forum für die karnevaleskischen Mesalliancen, die Bachtin als eine der vier zentralen Kategorien des Karnevals erkannt hat (1969:49) und die in „Kraljevo“ eine große Rolle spielen.
Der in Neben-und Haupttext dargestellte Raum untergliedert sich in Vordergrund („scena“) und Hintergrund („iza scene“ oder „pozadina“), was an vielen Stellen betont wird (z.B. S.10,20,37,40,41,42,45). Beide Raumteile sind jedoch stark miteinander verwoben, die Ausdruckskraft des einen wird durch die des anderen intensiviert und komplettiert. Dies gilt in besonderem Maße für das Zusammenspiel zwischen Reigen („kolo“) im Vordergrund, einem zentralen Symbol des Stückes, und Wind im Hintergrund, der sich allmählich zu einem Sturm („vihor“) entwickelt. Auf die Bedeutung des Kolo, auch in Zusammenhang mit dem Windmotiv, wird an späterer Stelle noch einmal genauer eingegangen werden.
Im Vordergrund der Bühne wird ein Ausschnitt aus dem königlichen Jahrmarkt dargestellt. Von zentraler Bedeutung ist hierbei eine Schenke, die als Mittelpunkt des Geschehens gesehen werden kann, weil sie als Forum der Begegnung und Konfrontation zwischen den vielen verschiedenen Figuren dient. Der umliegende Raum wird von einem wilden Durcheinander, einem Chaos aus Klängen und Farben bestimmt, das im Nebentext poetisch beschrieben wird. So finden sich dort zahlreiche Tropen und Redefiguren, deren Aussagekraft nicht in ein Bühnenbild transferiert werden kann und somit dem Leser vorbehalten bleibt. Zu solchen poetischen Kunstgriffen gehören Synästhesien (z.B. „Ritam boja i linija i ploha i tonova“ , „Mlazovi šarenila teku, silne se kaskade zvukova ruše halabukom“ S.10), Vergleiche (z.B. „tamburaški korovi [...] poput potopa“, S.10; „kolo [...] kô natekao udav“, „kolo [...] kô potres“, S.11), Personifikationen (z.B. „Plaču gusle.“, S.36) aber auch lautmalerische, lyrische Figuren wie beispielsweise das Spiel mit zahlreichen Alliterationen auf „p“ im letzten Teil des Nebentextes (S.46). Die Kette der Beispiele für das episch-lyrische Eigenleben des Nebentextes ließe sich noch lange fortsetzen.
[...]
[1] Vollständige Literaturangabe im Literaturverzeichnis S.22.
[2] Als idealer Rezipient kann im Falle „Kraljevos“ ein kroatisch sprechender, gebildeter, die Kultur Kroatiens kennender Leser/Theaterbesucher Anfang des 20.Jahrhunderts angenommen werden. Einem solchen Rezipienten wäre es möglich, ein Maximum an Informationen aus der Lektüre des Dramentextes oder einer Aufführung zu ziehen, und sich somit den Intentionen des Autors maximal anzunähern. Diese Konzeption des idealen Empfängers wird an einigen Stellen im Nebentext in Form direkter Leseranreden explizit (z.B. S.15: „... po cijeloj nam domivini između Save i Drave“ oder S.23: „Onaj stanoviti smijeh kakvim se smiju naše frajle.“).
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