Das politische System Singapurs dürfte weltweit einzigartig sein. Es stellt eine eigenartige Verbindung von Stabilität formaler demokratischer Prinzipien – insbesondere regelmäßiger Wahlen –, wie sie wohl in wenigen ehemaligen Kolonien vorzufinden ist, einerseits und einer relativ autoritären Machtausübung durch die Regierung andererseits dar. Oft wird auf Singapur der Ausdruck des „sanften Autoritarismus“ angewandt, denn trotz der sehr weitreichenden Eingriffe des Staates in das Leben der Menschen erreicht die Regierung seit fast einem halben Jahrhundert bei den – regulär und nach demokratischen Prinzipien ablaufenden – Wahlen eine absolute Mehrheit, die auf eine grundsätzliche Zustimmung der Bevölkerung zur Staatsführung hinzuweisen scheint.
Ziel dieser Arbeit ist es aufzuzeigen, wie dieser Grundkonsens zwischen Regierung und Regierten zustande kam und wie er sich im Laufe der Jahre weiterentwickelte. Nach einem kurzen Abriss über die Geschichte Singapurs von der Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1965 soll insbesondere soll gezeigt werden, wie die Regierung ihre Herrschaftsideologie propagierte und wie sie auf den Legitimationsverlust dieser Ideologie in den achtziger und neunziger Jahren mit dem Versuch der Schaffung einer einheitlichen Zivilreligion und mit Änderungen am politischen System reagierte. Ein kurzer Ausblick schließt die Arbeit ab.
Inhaltsübersicht
1. Einführung: Die Besonderheit des politischen Systems Singapurs
2. Der Weg zur Unabhängigkeit
2.1. Die Entwicklung bis zur Autonomie
2.2. Die People's Action Party
2.3. Die Vereinigung mit Malaya
2.4. Der Ausschluss aus der Föderation Malaysia
3. Die Herrschaftsideologie der PAP-Regierung
3.1. Die ideology of survival
3.2. Die fabianistische Prägung der ideology of survival und ihre Folgen
4. Der Prozess desnation building
5. Die Suche nach einem neuen ideologischen Grundkonsens
5.1. Der Legitimationsverlust des alten Grundkonsenses
5.2. Ein neuer Konsens durch „alte Werte“ oder „geteilte Werte“?
6. Die Veränderungen des politischen Systems in den neunziger Jahren
7. Singapurs Zukunft: Eine nicht-liberale kommunitaristische Demokratie?
Literatur
1. Einführung: Die Besonderheit des politischen Systems Singapurs
Das politische System Singapurs dürfte weltweit einzigartig sein. Es stellt eine eigenartige Verbindung von Stabilität formaler demokratischer Prinzipien – insbesondere regelmäßiger Wahlen –, wie sie wohl in wenigen ehemaligen Kolonien vorzufinden ist, einerseits und einer relativ autoritären Machtausübung durch die Regierung andererseits dar. Oft wird auf Singapur der Ausdruck des „sanften Autoritarismus“ angewandt, denn trotz der sehr weitreichenden Eingriffe des Staates in das Leben der Menschen erreicht die Regierung seit fast einem halben Jahrhundert bei den – regulär und nach demokratischen Prinzipien ablaufenden – Wahlen eine absolute Mehrheit, die auf eine grundsätzliche Zustimmung der Bevölkerung zur Staatsführung hinzuweisen scheint.
Ziel dieser Arbeit ist es, aufzuzeigen, wie dieser Grundkonsens zwischen Regierung und Regierten zustande kam und wie er sich im Laufe der Jahre weiterentwickelte. Insbesondere soll gezeigt werden, wie die Regierung ihre Herrschaftsideologie propagierte und wie sie auf den Legitimationsverlust dieser Ideologie in den achtziger und neunziger Jahren mit dem Versuch der Schaffung einer einheitlichen Zivilreligion und mit Änderungen am politischen System reagierte.
Zunächst aber folgt ein kurzer Abriss über die Geschichte Singapurs bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1965, soweit sie für das Verständnis der späteren Entwicklungen notwendig ist.
2. Der Weg zur Unabhängigkeit
2.1. Die Entwicklung bis zur Autonomie 1959
Im Jahre 1819 pachteten die Briten die Insel Singapur vom Sultan von Jahore, weil sie auf der Insel einen Militärstützpunkt und einen Hafen für den Handel mit Waren aus den Kolonien in Ost- und Südostasien errichten wollten. Zu diesem Zeitpunkt war Singapur nahezu unbewohnt: Auf der Insel wohnten etwa 150 Menschen, die zum Teil von der Fischerei lebten (Heidt: 2). In der Folgezeit „importierten“ die britischen Kolonialherren deshalb die benötigten Arbeitskräfte aus China, Malaya und Südasien. Als die Briten 1824 Singapur kauften, lebten dort bereits 10 000 Menschen; 1901 war die Bevölkerungszahl durch Einwanderung auf 220 000 angestiegen, und Mitte der 1990er Jahre betrug sie etwa 2,6 Millionen. 1901 war etwa die Zusammensetzung der Bevölkerung erreicht, wie sie heute vorliegt: 77,7% Chinesen, 14,1% Malaien, 7,1% Inder[1]und 1,1% andere[2](Tamney: 1). 1926 wurde Singapur mit Penang und Malacca zu denStraits Settlementszusammengefasst, die unter britischer Kolonialherrschaft standen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, während dem Singapur von den Japanern besetzt worden war, beschlossen die Briten, langfristig ihre Kolonien in Südostasien loszuwerden. Zu diesem Zweck planten sie den Zusammenschluss Malayas und derStraits Settlementszu einer Malaiischen Union, die eine einheitliche Verwaltung Malayas ermöglichen und später die Dekolonisierung erleichtern sollte. Die Malaiische Union sollte nicht ein malaiischer Nationalstaat sein, sondern ein Staat, in dem alle Einwohner unabhängig von ihrer ethnischen Abstammung dieselben Rechte haben sollten. Allerdings sollte nach dem Plan der Briten die Malaiische Union Singapur nicht mit einschließen. Offiziell führten die Briten als Grund an, dass die zahlreichen in Singapur lebenden Chinesen das ethnische Gleichgewicht in der Malaiischen Union stören würden und dass Malaya und Singapur unterschiedliche wirtschaftliche Interessen hätten. Tatsächlich dürfte aber auch eine Rolle gespielt haben, dass die Briten die Kontrolle über ihren Stützpunkt in Singapur behalten wollten (Schönen-berger: 70). Langfristig war allerdings durchaus die Vereinigung Singapurs mit Malaya vorgesehen.
Letztlich scheiterte der Plan der Briten jedoch am Widerstand der Malaien, die das Ziel eines malaiischen Nationalstaates verfolgten; außerdem trug die Vorstellung eines Zentralstaates der bisherigen relativ föderalen Struktur Malayas nicht ausreichend Rechnung. Deshalb wurde der Plan einer Malaiischen Union durch den einer Föderation Malaya ersetzt. In Bezug auf Singapur realisierten die Briten ihre Politik der Dekolonisierung zunächst, indem sie Singapur 1959 weitgehende innere Autonomie gewährten; lediglich in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik behielt Großbritannien auch weiterhin das Sagen.
2.2. Die People's Action Party
Im gleichen Jahr konnte diePeople's Action Party(PAP) einen überzeugenden Sieg bei den Wahlen zum Parlament Singapurs erringen. Der Erfolg der PAP war dadurch zu erklären, dass sie als erste legale Partei die Unterstützung eines großen Teils insbesondere der chinesischen Arbeiter-schaft gewinnen konnte. Zwar hatten sich schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Parteien gegrün-det. Jedoch hatten diese entweder den britischen Kolonialherren nahe gestanden und deswegen keine Zustimmung in der Bevölkerung gefunden, oder sie hatten so sehr radikale linke Positionen vertreten, dass sie – wie etwa dieMalayan Communist Party(MCP) – verboten worden waren. Die Gründung der PAP im Jahre 1954 hatte eine Kompromisslösung dargestellt. Sie war eine Vereini-gung von Intellektuellen, die eine Ausbildung in Großbritannien genossen hatten, und von linken Gewerkschaftern, die auch aus den Reihen der MCP rekrutiert wurden. Diese beiden Flügel verei-nigten sich unter dem gemeinsamen Banner des Anti-Kolonialismus (Chua 1995: 11). In dieser Zusammensetzung der Partei war bereits ein Spannungspotential angelegt, weil sich der gemäßigte Flügel der PAP als antikommunistisch verstand, der linke Flügel aber dem Kommunismus nicht ab-geneigt gegenüberstand. 1959 waren Gegensätze jedoch noch nicht offen zutage getreten, sodass die PAP als einzige legale Vertreterin der Arbeiterschaft die Wahlen gewinnen konnte; der in Groß-britannien ausgebildete Rechtsanwalt Lee Kuan Yew wurde zum ersten Premierminister Singapurs.
Die Aufgaben der Staatsführung wurden vom gemäßigten Flügel der PAP übernommen, obwohl der linke Flügel weitaus mehr Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Die Regierung stand damit unter einem starken Druck von links. 1961 kam es schließlich zum Zerwürfnis zwischen dem linken und dem gemäßigten Flügel der PAP; der linke Flügel der Partei spaltete sich mit der Mehr-heit der Parteibasis ab und gründete dieBarisan Sosialis(Sozialistische Front). Letztlich machte die Spaltung der PAP auch eine Spaltung der Gesellschaft in eine auf Englisch ausgebildete Ober-schicht und eine überwiegend auf Chinesisch ausgebildete Arbeiterschaft deutlich (Schönenberger: 80). Da dieBarisan Sosialisgroßen Rückhalt bei der Arbeiterschaft genoss, war ein Machtverlust der PAP bei den Parlamentswahlen von 1964 absehbar.
2.3. Die Vereinigung mit Malaya
Dies rief nun die Regierung Malayas auf den Plan. Sie konnte kein Interesse an einem Wahl-sieg derBarisan Sosialisund der Errichtung eines kommunistischen Staates in Singapur – eines „dritten Chinas“ – haben. Wohl aus diesem Grund (Schönenberger: 82) deutete der Ministerpräsi-dent Malayas die Möglichkeit des Zusammenschlusses von Malaya und Singapur an, konnte er doch damit rechnen, in einem gemeinsamen Staat dieBarisan Sosialisdurch Repressalien unter Kontrolle zu halten. Die PAP hatte ohnehin schon die Vereinigung mit Malaya angestrebt, weil dies die wirtschaftliche Entwicklung begünstigen würde; nun kam noch das Argument hinzu, dass die Vereinigung mit Malaya die Machtübernahme durch dieBarisan Sosialisverhindern könne, weil eine kommunistische (und außerdem überwiegend chinesisch geprägte) Partei in Malaya keine Aussicht auf Erfolg haben konnte. Aus demselben Grund widersetzte sich dieBarisan Sosialisdem Zusammenschluss, wenngleich sie ihren Widerstand offiziell damit begründete, dass die Interessen Singapurs nicht ausreichend gewahrt würden.
Bei einem Referendum über den Zusammenschluss erreichte der von der PAP favorisierte Vorschlag 71% der gültigen Stimmen. Allerdings hatten lediglich drei Vorschläge zur Wahl gestanden, die allesamt einen Zusammenschluss vorsahen, sodass dieses Referendum kaum als demokratisch beurteilt werden kann.
Jedenfalls war mit diesem Referendum der Weg zur Vereini-gung Singapurs mit Malaya geebnet, die 1963 mit der Gründung der Föderation Malaysia erfolgte.
[...]
[1] Unter der offiziellen Kategorie „Inder“ werden Einwanderer aus Indien, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka sowie deren Nachkommen zusammengefasst.
[2] Die Kategorie „andere“ umfasst überwiegend Europäer.
- Quote paper
- Cedric Andre (Author), 2006, Ideologie und Zivilreligion in Singapur nach der Unabhängigkeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64330
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