Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Straßensozialarbeit in der Drogenszene. Dabei geht der Verfasser vor allem auf die Frage ein, warum Streetworker in der Drogenszene einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, sich aufzuarbeiten und Grenzen in Zusammenhang mit Nähe und Distanz zu überschreiten. In diesem Zusammenhang werden erschwerende Rahmenbedingungen der aufsuchenden Drogenarbeit dargelegt.
Die Arbeit beginnt mit den Grundgedanken der Lebensweltorientierung sowie einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit. Diese beiden Begriffe legen die Basis für die Methode Streetwork, das inhaltlich und in Bezug auf Chancen dieser Arbeit dargestellt wird.
Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik „Nähe und Distanz“ in der Theorie der Sozialarbeit und wird fortan übertragen auf die aufsuchende Drogenarbeit in der Szene.
Des Weiteren wird nun die Frage geklärt, ob der Klient in der aufsuchenden Drogenarbeit ein Kumpel ist? Es muss Vertrauen zum Klienten von Seiten des Sozialarbeiters aufgebaut werden. Auch Parteilichkeit, Solidarität und Akzeptanz gegenüber der Szene gehören zur Arbeitshaltung eines Streetworkers. Darüber hinaus verlangt es die Tätigkeit als Streetworker, mit einem emotionalen und menschlichen Umgang der Klientel gegenüber zu begegnen. Der Klient kann bzw. muss schlussfolgernd in einer vertrau-ensgesprägten Atmosphäre Kumpel sein, um die Chancen und die Zielsetzung von Streetwork zu verwirklichen. Jedoch muss der Streetworker sowohl seine eigenen Ressourcen schützen als auch aus einer gewissen Distanz heraus handeln. Die Professionalität darf nicht aufgrund einer vollständigen Identifizierung mit der Szene verloren gehen.
Ein Streetworker muss für die Umsetzung seiner Aufgabe bestimmte Anforderungen erfüllen, jedoch mindern Rahmenbedingungen, die der Träger zu erfüllen hat, Gefahren für den Streetworker. Dazu zählen regelmäßige Reflexion des eigenen Handelns sei es im Team, Supervision oder in Fortbildungen und gewisse Standards wie z.B. aufsuchende Arbeit zu zweit.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Aufsuchende, akzeptanzorientierte und niedrigschwellige Drogenarbeit
2.1 Grundgedanke der Lebensweltorientierung nach Grunwald und Thiersch
2.2 Begründung, Grundlage und Inhalte einer akzeptanzorientierten bzw. niedrig-schwelligen Drogenarbeit
2.3 Arbeitsprinzipien, Arbeitsmethoden und Chancen der aufsuchenden Drogenarbeit - Streetwork
3. Allgemeine Ansichten zu Nähe und Distanz in der Sozialen Arbeit
3.1 Beschreibung der Begriffe Nähe und Distanz
3.2 Persönlichkeitstheoretische Ansichten zum Thema Nähe und Distanz
3.3 Nähe als Voraussetzung einer helfenden Beziehung
3.4 Die Regulierung von Nähe und Distanz
3.4.1 Die Regulierung durch Strukturen
3.4.2 Die Regulierung durch die Person des Sozialarbeiters
3.5 Grenzverletzungen in Bezug auf Nähe und Distanz
3.6 Zusammenfassung
4. Nähe und Distanz in der Arbeit als Streetworker der Drogenszene
4.1 Distanz
4.1.1 Ordnungspolitische Maßnahmen
4.1.2 Zielgruppe ohne Vertrauen in Drogenhilfesystem und mit ablehnender bzw. aggressiver Haltung
4.1.3 Haltung der Abgrenzung von Seiten des Streetworkers
4.1.4 Begrenzte Ressourcen des Straßensozialarbeiters
4.1.5 Antipathien
4.1.6 Zusammenfassung
4.2 Nähe
4.2.1 Berufswahl Streetwork aufgrund von egoistischen Zielen oder eigener Biographie
4.2.2 Nähe zum Ort des Geschehens und unmittelbares Miterleben
4.2.3 Parteilichkeit
4.2.4 Konsum- und Anspruchshaltung der Klientel
4.2.5 Vollständige Identifikation mit der Szene
4.2.6 Persönliche Abhängigkeit der Klientel vom Streetworker
4.2.7 Zusammenfassung
5. Professionalität mit oder ohne Kumpel in der Streetwork
5.1 Begriffsklärung „Kumpel“ im täglichen Gebrauch
5.2 Klient als Kumpel in der aufsuchenden Drogenarbeit
5.2.1 Professionalität ohne Kumpel
5.2.2 Kumpel und Professionalität
5.3 Ergebnis
6. Anforderungen an den Streetworker und Rahmenbedingungen der Stelle
6.1 Kompetenzanforderungen an den Streetworker
6.1.1 Fachliche Anforderungen
6.1.2 Anforderungen an die Persönlichkeit des Streetworkers
6.2 Rahmenbedingungen der Stelle
6.2.1 Personelle Standards
6.2.2 Zeitlicher Rahmen
6.2.3 Materielle Bedingungen
6.2.4 Fachlicher Rahmen
6.2.5 Strukturelle Rahmenbedingungen
6.3 Zusammenfassung
7. Resümee
Literatur
SUMMARY
„Der Klient als Kumpel? - Nähe und Distanz in der aufsuchenden Drogenarbeit“
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Straßensozialarbeit in der Drogenszene. Dabei geht der Verfasser vor allem auf die Frage ein, warum Streetworker in der Drogenszene einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, sich aufzuarbeiten und Grenzen in Zusammen- hang mit Nähe und Distanz zu überschreiten. In diesem Zusammenhang werden er- schwerende Rahmenbedingungen der aufsuchenden Drogenarbeit dargelegt. Die Arbeit beginnt mit den Grundgedanken der Lebensweltorientierung sowie einer akzeptanzorientierten Drogenarbeit. Diese beiden Begriffe legen die Basis für die Me- thode Streetwork, das inhaltlich und in Bezug auf Chancen dieser Arbeit dargestellt wird.
Es folgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik „Nähe und Distanz“ in der Theorie der Sozialarbeit und wird fortan übertragen auf die aufsuchende Drogenarbeit in der Szene.
Des Weiteren wird nun die Frage geklärt, ob der Klient in der aufsuchenden Drogenar- beit ein Kumpel ist? Es muss Vertrauen zum Klienten von Seiten des Sozialarbeiters aufgebaut werden. Auch Parteilichkeit, Solidarität und Akzeptanz gegenüber der Szene gehören zur Arbeitshaltung eines Streetworkers. Darüber hinaus verlangt es die Tätig- keit als Streetworker, mit einem emotionalen und menschlichen Umgang der Klientel gegenüber zu begegnen. Der Klient kann bzw. muss schlussfolgernd in einer vertrau- ensgesprägten Atmosphäre Kumpel sein, um die Chancen und die Zielsetzung von Streetwork zu verwirklichen. Jedoch muss der Streetworker sowohl seine eigenen Res- sourcen schützen als auch aus einer gewissen Distanz heraus handeln. Die Professionali- tät darf nicht aufgrund einer vollständigen Identifizierung mit der Szene verloren gehen. Ein Streetworker muss für die Umsetzung seiner Aufgabe bestimmte Anforderungen erfüllen, jedoch mindern Rahmenbedingungen, die der Träger zu erfüllen hat, Gefahren für den Streetworker. Dazu zählen regelmäßige Reflexion des eigenen Handelns sei es im Team, Supervision oder in Fortbildungen und gewisse Standards wie z.B. aufsu- chende Arbeit zu zweit.
1. Einleitung
Der Klient als Kumpel! Ausgebildeten Sozialarbeitern kommen sofort bestimmte Be- grifflichkeiten in den Sinn. Sie denken an Burnout, da das Nähe - Distanz - Verhältnis nicht gewahrt wurde. Außerdem werden sie prognostizieren, dass dieses Verhältnis nicht mehr lange gut gehen kann, da im Sinne der Sozialarbeit nicht mehr professionell gearbeitet werden kann. Oder werden sie sich fragen, wie lange der Sozialarbeiter dies noch durchhalten kann?
Streetworker in der aufsuchenden Drogenarbeit beschreiben, wie schwer es sein kann, mit ihrer Klientel Kontakt aufzunehmen. Nur eine vertrauensgeprägte Beziehung bringt sie in ihrer Arbeit mit drogengebrauchenden Szenemenschen voran. Dabei müssen sie auch ihre eigene Person oder ihren eigenen Background miteinbringen. Wie kann ein Streetworker erkennen, dass ein Klient bereits zum Kumpel geworden ist oder ist dieses „kumpelhafte“ Verhältnis sogar nötig, um mit dem Klienten einen positi- ven Prozess beginnen zu können?
Es ist auf jeden Fall festzustellen, dass bestimmte Rahmenbedingungen Streetwork im Vergleich zu anderen Arbeitsfeldern im sozialen Bereich schwieriger machen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Der Kontakt geht vom Streetworker, nicht von der Klientel aus und der Streetworker sieht das Leid der Menschen direkt vor Ort in der Szene, wäh- rend die herkömmliche Sozialarbeit als Beratungssetting in einem Büro stattfindet.
Ein Streetworker „bringt sich ein (...), erlebt, (...), lernt den Giftler - Alltag kennen und begreift die dort gültigen Normen und Werte.“ (Thieme, 2005, S.43) Folglich werden für den Streetworker die in der Szene gemachten Erlebnisse prägend für seine Haltung nicht nur im Berufs-, sondern auch im Lebensalltag. Früher wichtige Begebenheiten im Alltag werden nicht mehr wert geschätzt. Kollegen der Beratungsstelle werden aufgrund
- verwendete Sprachwahl:
- auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung wurde bewusst verzichtet, um die Lesbarkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen. Sämtliche Formulierungen sind sowohl in femininer als auch maskuliner Form zu verstehen.
- Als Klienten/Klientel werden Menschen bezeichnet, deren soziale Probleme Gegenstand der Sozialen Arbeit sind.
- Die hier angesprochenen Menschen gebrauchen illegale Drogen und sind meist abhängig oder süchtig. Diese werden als Drogenkonsumenten, User, Szenemitglieder, drogenabhängige Menschen o.ä. bezeich- net. Der Verfasser verzichtet jedoch auf Unterstellungen und will auf keinen Fall stigmatisieren.
1. Einleitung
der traditionellen Arbeitsweise nicht mehr als vergleichbare Vertreter derselben Arbeitshaltung und Zielsetzung gesehen. (vgl. ebd.)
Der Verfasser will in seiner Arbeit darauf eingehen, wie es zu einem solchen Neutralitätsverlust kommen kann und welche Rahmenbedingungen den Balanceakt „Nähe - Distanz“ in das eine oder andere Extrem wanken lassen können.
Durch eine intensive Auseinandersetzung mit Nähe und Distanz in der aufsuchenden Drogenarbeit werden Situationen aufgezeigt, die der oben genannten Balance nicht mehr entsprechen.
Jedoch werden daraus Handlungsanforderungen an den Streetworker bzw. Möglichkeiten zur positiven Gestaltung der aufsuchenden Drogenarbeit aufgeführt.
Kann ein Klient Kumpel sein, muss ein Klient Kumpel sein, oder bedeutet beides, dass professionelles Handeln bereits nur noch eingeschränkt möglich ist?
2. Aufsuchende, akzeptanzorientierte und niedrigschwellige Drogenarbeit
2.1 Grundgedanke der Lebensweltorientierung nach Grunwald und Thiersch
Die aufsuchende, akzeptierende Drogenarbeit basiert in den Grundzügen dem Konzept und der Philosophie der Lebensweltorientierung nach Grunwald und Thiersch. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit sieht institutionelles Arbeiten, sofern diese lebensweltliche Aspekte nicht aufgreifen, als kritisch an. Lebensweltorientierung geht immer von den Erfahrungen der Klientel aus.
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit will eine Stärkung sozialer Gerechtigkeit erreichen. Es dürfen keine Normen und Regeln vorgegeben werden, d.h. Zugangsschranken werden abgebaut.
Lebensweltorientierung zielt darauf ab, dass es zu einem Aushandeln der Lebensgestaltung kommt. Allerdings soll diese Gestaltung nach sozialer Gerechtigkeit orientiert sein. Die einzelne Person soll dadurch vor allgemeinen Moralvorstellungen der Gesellschaft geschützt werden. (vgl. Grunwald, Thiersch, 2004, S.22,23)
„Lebensweltorientierte Soziale Arbeit agiert in der Lebenswelt, um in ihr einen gelingenderen Alltag möglich zu machen.“ (ebd., S.23) Jedoch kann der Alltag nicht nur in der Lebenswelt selbst verändert werden, denn auch Politik und Gesellschaft nehmen Einfluss auf die Lebenswelt der Adressaten. Somit muss Lebensweltorientierte Arbeit immer auch Partei ergreifen und muss über Probleme und Situationen der Klientel aufklären. Mit Bund, Ländern, Kommunen und Stadtteilen muss verhandelt und vermittelt werden, um die Interessen der Klientel zu vertreten.
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit bringt gegenüber der eigenwilligen Gestaltung des Alltags Respekt auf. Der Mensch in seiner Lebenswelt hat sich für diese Art zu leben entschieden. Dies muss akzeptiert und respektiert werden. Im Gegensatz dazu steht die Destruktion der Lebenswelt. Es sollen Möglichkeiten und Optionen im Sinne sozialer Gerechtigkeit aufgezeigt werden, die ihre Lebenswelt nicht zu bieten hat. Respekt und Destruktion gegenüber der Lebenswelt zu kombinieren ist nicht einfach, aber auf jeden Fall möglich.
Vor allem in der traditionellen Sozialen Arbeit wurde versucht, Normen und Moral durchzusetzen oder aber Fürsorge zu betreiben. Respekt bedeutet in der Lebensweltori- entierten Sozialen Arbeit auch, den Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und wie er für sich entschieden hat zu leben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass unterschied- liche Erfahrungen vorliegen. Jeder neue Kontakt ist unterschiedlich dem vorigen gegen- über.
Die Destruktion der Lebenswelt versucht oftmals auf autoritäre Art und Weise gesellschaftliche Wertvorstellungen durchzusetzen, indem bessere Lebensgestaltungen aufgezeigt werden. Dies entspricht der traditionellen Sozialen Arbeit.
Die Gefahr der respektvollen Haltung der Lebenswelt gegenüber besteht in einer vorschnellen Bequemlichkeit. Man hält sich vorschnell zurück, da der Mensch für seine Situation selbst verantwortlich ist.
Beide Begriffe, Respekt und Destruktion, stellen eine Option für die Klientel der Lebenswelt dar. Diese können sich für eine Art des Lebens entschließen, oder aber sie sind dafür noch nicht bereit. Es liegt an ihrer Einwilligung. (vgl. ebd., S. 23,24)
Die Klientel muss in die Planung und Entscheidungsfindung ihrer Lebensgestaltung miteinbezogen werden. Dabei muss eine gegenseitige Akzeptanz der beiden Parteien hergestellt werden, auch müssen strukturelle Ungleichheiten abgebaut werden. Für die Entscheidungsfindung sind Räumlichkeiten bzw. Plätze zu finden, in denen der Klient sich nicht zu einer Entscheidung gezwungen fühlt, sondern frei seine Ansicht und Mei- nung äußern kann.
Da beide prinzipiell gleiche Partner sind, findet eine Entscheidungsfindung nicht ohne Reibung, also Auseinandersetzung und Provokation, statt. Die Voraussetzung, dass Konflikte ausgetragen werden können, muss in der Lebensweltorientierung erfüllt sein.
Lebensweltorientierung fordert für die Soziale Arbeit eine Arbeitsteilung, die Kooperation, Akzeptanz sowie Fachlichkeit beinhaltet. So soll verhindert werden, dass der Sozialarbeiter für eine Person die Funktion des verständnisvollen Zuhörers, des Ratgebers, des Helfers sowie des Kontrolleurs einnimmt. (vgl. ebd., S.25)
Lebensweltorientierte Arbeit setzt sich strukturelle Eckpunkte. Zum Einen ist die Prävention zu nennen. Menschen werden in ihrer sozialen Kompetenz gestärkt. Auch die Prävention hat die Zielsetzung, soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Prävention versucht vorsorgend dort anzusetzen, wo Problemlagen zu erwarten sind.
Unter dem Begriff Alltagsnähe ist die Hilfe vor Ort in der Lebenswelt der Klientel zu verstehen. Die Erreichbarkeit der Hilfe muss niedrigschwellig angesetzt sein. Hilfesu- chende müssen ohne ihnen auferlegte Kriterien Hilfe angeboten bekommen. Außerdem muss die Hilfe vor Ort breit gefächert sein, um auf alle verschiedenen Problemlagen bedingt durch verschiedene Erfahrungen der Klientel fachlich reagieren zu können. Die Dezentralisierung, Regionalisierung sowie Vernetzung bedeutet, dass sich Hilfsan- gebote in der Lebenswelt niederlassen und sich strukturell diesen Bedingungen anpas- sen.
Durch den Begriff der Integration werden alle Menschen egal welcher Herkunft, Religion, Kultur, Geschlecht bzw. Lebensgestaltung erreicht. Jeder Mensch ist gleich und hat gleichen Anspruch auf Hilfsangebote.
Die Partizipation zielt ab auf eine demokratische Mitbestimmung der Adressaten, wenn es um die Entwicklung und Planung von Angeboten in Ihrer Lebenswelt geht. Außer- dem orientiert sich die Partizipation an den Ressourcen der Klientel. Diese erlangen durch die Einbeziehung ihrer Person nicht nur eine Stärkung des Selbstwertgefühls, sondern werden wiederum in ihren sozialen Kompetenzen gestärkt. (vgl. ebd., S.26)
Um das Konzept der Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit umzusetzen, muss sich bewusst gemacht werden, wie sozialpädagogisches Handeln in diesem Kontext ausse- hen muss. Vor allem prägend für zielgerichtetes sozialpädagogisches Handeln sind die in der Lebenswelt gemachten Vorerfahrungen. Ein bestimmtes Schema wie Beschrei- bung der Situation des Klienten, Lösungs- und Entscheidungsfindung, das Umsetzen dessen und die Kontrolle der Umsetzung kann sich zu einem länger andauernden Pro- zess unter Anwendung von Beratung, Erziehung, Belehrung und Ressourcenfindung entwickeln. Es muss davon ausgegangen werden, dass es zu bestimmten Wiederholun- gen von Vorgaben bzw. zu einem neuen Ansetzen von Vorgaben kommt. „Für alles pädagogische Handeln gilt dabei in der Fallarbeit der Zusammenhang von Verständnis und Handeln.“ (ebd., S.30)
Wie bereits erwähnt, ist es von Bedeutung, verschiedene Handlungsformen von Erzie- hungs-, Belehrungs-, Beratungs- und Ressourcenorientierten Arbeiten miteinander zu kombinieren. Wichtig dabei ist, dass ein Kontakt zu den Adressaten in der Lebenswelt hergestellt werden kann. Im Alltag der Klientel kann es, wie z.B. in der Streetwork vor- kommen, dass gemeinsam der Tag verbracht wird, ohne dass sozialpädagogische Ab- sichten zu erkennen sind. Diese Haltung ist dem oben beschriebenen Begriff Respekt zuzuordnen. Für beide Seiten, den Sozialpädagogen wie den Adressaten, bedeutet dies die „Gefahr, sich im Beliebigen zu verlieren.“ (ebd., S.30) Es ist also entscheidend, im- mer wieder das sozialpädagogische Handeln zu reflektieren und auszuwerten, um nicht die Realität aus den Augen zu verlieren.
Allerdings spielen in dem Zusammenhang von Respekt der Gegenentwurf der Destruktion und des provokativen Handelns eine Rolle. Es werden immer auch Aufgaben an die Sozialpädagogik herangetragen, die Klientel zu fordern und ihnen Strukturen zu setzen. Lebensweltorientierte Soziale Arbeit muss Vertrauen zu den Adressaten schaffen, Lösungen und Ziele miteinander formulieren und destruktiv arbeiten. Durch Provokation und Reibungspunkte ist es möglich, soziales Lernen für einen gelingenderen Lebensalltag voran zu treiben. (vgl. ebd., S.31)
Auch die Persönlichkeit des Sozialarbeiters ist entscheidend. In der Kontaktaufnahme und der Gestaltung eines vertrauensgeprägten Verhältnisses zur Klientel kommt es auf persönliche Fähigkeiten im Umgang mit Menschen an. Jedoch muss dies im Rahmen der sozialarbeiterischen Tätigkeit bleiben. Somit geht der distanzierte Blickwinkel und auch die professionelle Arbeit nicht verloren. Das Handeln bleibt reflektierbar und das Nähe - Distanz - Verhältnis bleibt gewahrt.
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit rückt in Person der Sozialpädagogen sehr nahe an die Klientel. Wichtige Vorgehensweisen sind unter diesen Rahmenbedingungen, pädagogisch und diskret mit eigenwilligen Klienten umzugehen, durch Heraushalten sich selbst zu schützen, in der eigenen Person liegende Gefährdungen kritisch zu hinterfragen und sich im Team zu beraten. (vgl. ebd., S.31)
Das Konzept der Lebensweltorientierung ist als offen und für Sozialpädagogen riskant zu sehen, da Situationen zwischen Menschen und das Handeln nicht vorher geplant werden können. Deswegen müssen sie durch Methoden, durch reflektiertes Handeln und auch durch einen organisatorischen Rahmen geschützt werden.
Es ist zusammenfassend festzustellen, dass die Arbeit in der Lebenswelt vor Ort andere Herangehensweisen erfordern als im Setting einer Beratungsstelle. (vgl. ebd., S.32)
Die Lebenswelt der Adressaten bietet der Sozialen Arbeit mehrere Bereiche, an denen sie ansetzen kann.
So gehört es auch zur Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit, kleine Dinge des Alltags mit der Klientel gemeinsam zu bewältigen. Pädagogisches Arbeiten ist beispielsweise, den Adressaten eine gewisse Tagesstruktur vorzugeben oder sie zu ermutigen, bestimmte Behördenangelegenheiten zu erledigen.
Lebensweltorientierung sieht nicht die Zukunft des Adressaten, sondern kümmert sich vor allem um die gegenwärtige Situation und deren Bewältigung. Gerade in der Drogenarbeit hat eine gegenwärtige Gefährdung des Menschen Vorrang zu einer evtl. späteren Therapievermittlung.
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit sieht die Menschen in ihrer Situation vor Ort, in ihrem unmittelbaren Umfeld. „Sie sucht bornierte, unattraktive und deprivierende Struk- turen eines verengten Lebensraums für neue Optionen zu öffnen, indem gegebene Res- sourcen zugänglich gemacht und neue inszeniert werden.“ (ebd., S.33) Lebensweltorientierung lernt die Menschen und deren familiäres sowie soziales Umfeld kennen. Nicht selten haben Adressaten der Lebenswelt mit Beziehungsabbrüchen zu kämpfen. Sie sind es nicht gewohnt, sich auf jemanden verlassen zu können oder selbst ein verlässlicher Bestandteil einer Beziehung zu sein. Hier kann die Soziale Arbeit an- setzen, indem sie selbst verlässlicher Partner ist und andererseits lehrt, wie ein soziales Miteinander in Beziehungen funktioniert.
Lebensweltorientierte Soziale Arbeit will Menschen in ihren bereits vorhandenen Kompetenzen stärken. Sie erkennt die Stärken der Adressaten, die auch das Ergebnis des Aushaltens der Lebensverhältnisse sind. „Lebensweltorientierte Soziale Arbeit zielt auf Hilfe zur Selbsthilfe, auf Empowerment.“ (ebd., S.34)
2.2 Begründung, Grundlage und Inhalte einer akzeptanzorientierten bzw. niedrig- schwelligen Drogenarbeit
Akzeptanzorientierte Drogenarbeit unterscheidet sich von traditionellen Ansätzen der Drogenhilfe. Drogenarbeit mit einer akzeptierenden Grundhaltung „verzichtet auf Cle- an-Ansprüche und Drogenfreiheitsideologie.“ (Steffan, 1988, S.14) Die abstinenzorientierte Drogenarbeit konnte immer weniger Drogenkonsumenten durch ihre Angebote erreichen. Außerdem passen immer weniger Klienten in ein von der traditionellen Drogenhilfe praktiziertes Schema mit der Abfolge: „Persönlichkeits- defizit - Soziale Probleme - Abhängigkeit - Therapie - Abstinenz.“ (Internet 1, S.1) Dies bedeutet nicht, dass sich der akzeptanzorientierte Ansatz unabhängig von Bera- tungsstellen und/oder Therapieeinrichtungen bewegt, vielmehr wurde die Drogenhilfe erweitert. Eine Kooperation miteinander oder Vermittlungen sind sehr wichtig und an der Tagesordnung.
Mehrere Begebenheiten in den achtziger Jahren führten zu einer neuen Orientierung hin zu den Adressaten. Die niedrigschwellige Arbeit war eine Folge der oben beschriebenen geringen Reichweite der bisherigen Drogenarbeit. Außerdem wurden mehr und mehr HIV - Infektionen festgestellt, die auf unsauberen intravenösen Gebrauch von drogen- abhängigen Menschen zurückgeführt wurde. Auch die Zahl der Toten aufgrund des Drogenkonsums stieg an. Die fortführenden Kosten aufgrund von Drogenkonsum, vor allem Beschaffungskriminalität, aber auch für medizinische Behandlungen, wuchsen an. Die Niederlande war ein Vorreiter dieses akzeptanzorientierten, niedrigschwelligen An- satzes. Erfolge waren sichtbar und so wurde diese Arbeit auch in Deutschland nach und nach angewendet. (vgl. Schroers, 1995, S.27)
Die akzeptierende Grundhaltung findet seinen Ursprung im Konzept der Lebensweltori- entierung nach Grunwald und Thiersch wieder. Es wird Respekt gegenüber der Ent- scheidung über die Lebensführung gefordert. Dies ist auch ein Grundsatz der akzep- tanzorientierten Drogenarbeit. „Der Konsum von Drogen wird als eine Verhaltensalter-native akzeptiert, die ein Individuum (...) unter vielen anderen denkbaren alternativen Lebensentwürfen gewählt hat. (Steffan, 1988, S.14)
Eine weitere Grundlage einer akzeptierenden Haltung ist, den Menschen ernst zu nehmen und in Entscheidungen für seine weitere Entwicklung oder Hilfeplanung miteinzubeziehen. Der eigene Wille des Klienten ist entscheidend, d.h. der Klient beteiligt sich freiwillig an seiner Hilfeplanung.
Durch den völligen Verzicht von Regeln oder Forderungen gegenüber den Adressaten können Drogengebraucher erreicht werden, die die abstinenzorientierte Drogenhilfe nicht angenommen haben. So werden User in ihrem Lebensfeld in einem ihrer Situation entsprechendem Zustand aufgesucht und vorgefunden, d.h. den Klienten kann und wird nicht der Zwang auferlegt, clean zu sein. Auch ist es nicht notwendig, bestimmte Termine zu vereinbaren, um an Hilfe zu kommen. Zwischen Drogengebraucher und Berater soll es zu einem ungezwungenen Kontakt kommen, indem nicht zuallererst überprüft wird, ob der Klient die Motivation zum Ausstieg besitzt.
Diese Grundlagen der akzeptanzorientierten Drogenarbeit ermöglichen den Klienten, möglichst einfach, ohne Angst oder Skrupel haben zu müssen, den Zugang zu Drogenberatern zu finden. (vgl. Internet 1, S.2)
Ein Drogenberater „tritt dem Drogenkonsumenten mit einer nicht richtenden und nicht fordernden Haltung, mit Interesse, Sympathie und Anerkennung gegenüber.“ (Steffan, 1988, S. 14)
Um akzeptanzorientierte Drogenarbeit umsetzen zu können, müssen bestimmte Voraus- setzungen erfüllt sein. Es muss erkannt werden, dass Drogen sowohl eine positive als auch schädigende Wirkung haben. User, die exzessiv konsumieren, entwickeln sich nicht stetig voran. Der Drogenberater muss dies in einer gelassenen Haltung hinnehmen. Nach der Kontaktaufnahme dürfen nicht sofort Aufforderungen in Richtung einer ande- ren Lebensweise ausgesprochen werden. Auch regelmäßige Treffen dürfen nicht festge- setzt werden, sondern müssen sich von selbst ergeben. Die Drogenkonsumenten geben den Verlauf ihrer Hilfemaßnahmen bzw. ihrer Treffen mit dem Drogenberater selbst vor.
Außerdem dürfen Klienten nicht den Stempel aufgedrückt bekommen, dass sie behandelt werden müssen.
Die Entscheidung für das Leben mit Drogenkonsum muss akzeptiert werden, jedoch darf es zu keiner „Verbrüderung“ mit der Szene kommen. Die Balance zwischen Nähe und Distanz muss gewahrt bleiben. (vgl. Internet 1, S. 2)
Akzeptanzorientierte Drogenarbeit zielt darauf ab, einen gesundheitsbewussten Umgang mit Konsum zu vermitteln. So soll es zu keinem Teilen von Nadeln kommen, die Substanz soll getestet werden und demnach dosiert werden, um Überdosierungen zu vermeiden. Außerdem soll das Besteck immer steril sein. Safer - Use - Sets sind über die Drogenhilfe erhältlich, Spritzen können getauscht werden. Auch können Alternativen zum intravenösen Konsum aufgezeigt werden. (vgl. ebd., S.3)
Somit mindert akzeptierende Drogenarbeit eine Verelendung und setzt präventiv zum Schutz vor Krankheiten an. Des Weiteren will dieser Ansatz die Klienten selbst miteinbeziehen, d.h. sie müssen ihre Stärken und Ressourcen selbst miteinbringen und mobilisieren. Ein typisches Konsumverhalten und Anspruchdenken von Seiten der Klienten an das Drogenhilfesystem wird somit vermieden. Selbststeuerungsfähigkeit und Empowerment soll aufgebaut werden. (vgl. ebd., S.3)
Akzeptanzorientierte Drogenarbeit nimmt die Klientel in ihrer jeweiligen Problemlage ernst. So können psychosoziale Schwierigkeiten bei einem User auftreten, jedoch der Drogenkonsum hat damit gar nichts zu tun. Die Hilfe wird nicht verweigert, auch wenn es nicht um die Bereitschaft zum Ausstieg geht. Die Akzeptanz und das Interesse gegenüber der einzelnen Person fördern eine mögliche Weiterarbeit. Verschiedene Ziele können gemeinsam entworfen werden, die nicht immer in der Drogenfreiheit enden müssen. Alternativen können eine Substitutionsbehandlung oder ein verantwortungsvoller Umgang mit Drogen heißen. (vgl. Steffan, 1988, S.15)
Dem Konzept der Lebensweltorientierung von Grunwald und Thiersch entsprechend setzt die Soziale Arbeit im Alltag der Klientel und dort an, wo „die Adressaten ohnehin vorbeikommen.“ (vgl. ebd., S.16)
Dies wird von der akzeptanzorientierten Drogenarbeit durch die Streetwork oder Straßensozialarbeit umgesetzt, auf deren Arbeitsweisen und Chancen der Verfasser im nächsten Kapitel eingeht.
[...]
- Quote paper
- Dipl. Sozialpädagoge FH Martin Thiergärtner (Author), 2006, Der Klient als Kumpel? Nähe und Distanz in der aufsuchenden Drogenarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64071
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