"Ganz Deutschland bebte vor Empörung. Wo man sich traf, (...) in der Öffentlichkeit und bis in die Familien hinein griff nationale Erregung wie ein plötzlicher, unkontrollierter Flächenbrand um sich. Nur wenige vermochten sich herauszuhalten aus dieser auflodernden nationalistischen Einigkeit, einem flackernden, unsteten Gemeinschaftsgefühl. Es erfasste die Politiker ebenso wie die Journalisten; nur die Intensität und die Überlegtheit des Ausdrucks wechselte, die Überzeugung war einhellig: Dieser Friedensvertrag (...) durfte nicht Wirklichkeit werden."
Treffender als mit dem Historiker Peter Krüger, der bereits 1972 seine Habilitation über das Thema "Deutschland und die Reparationen 1918/19" verfasst hatte, kann man die in Deutschland vorherrschende Stimmung nach der Übergabe des Entwurfs des Versailler Vertrages an die Deutsche Delegation am 7. Mai 1919 kaum beschreiben. Der "Kampf" dieser Delegation unter Leitung des Außenministers Brockdorff-Rantzau gegen den Vertragsentwurf schlug aus vielseitigen und vielfach analysierten Gründen fehl. Letztendlich zwang das Ultimatum der Alliierten vom 16.06.1919, das mit der Drohung verbunden war die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, das Rumpfparlament, gegen den Widerstand vor allem der rechten Parteien, den Entwurf zu ratifizieren und sich somit dem "Diktatfrieden" zu beugen.
Alle deutsche Politik war angesichts dieses Friedens und der großen Enttäuschung über das Zustandekommen des Vertrages von Anfang an auf eine Revision ausgelegt. Umstritten waren lediglich die Mittel, mit denen sie betrieben werden sollte. So ist in der hier zu untersuchenden Kampagne des im Auswärtigen Amt (AA) angesiedelten Kriegsschuldreferats lediglich ein kleiner Ausschnitt der gesamten Revisionsbemühungen zu sehen.
In der Literatur wurde das Kriegsschuldreferat bis Anfang der 80er Jahre fast völlig vernachlässigt. Erst der Historiker Ulrich Heinemann schloss diese Lücke unter Verwertung der zahlreichen Quellen des Politischen Archivs des AAs. Ein Jahr später erschien von Wolfgang Jäger eine weitere Studie, die die Debatten um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwischen 1914 und 1980 untersuchte und dabei der Linie Hans Mommsen folgte. Von ehemaligen Leitern des Referats stammen zudem Darstellungen ihrer Tätigkeit aus dem Jahr 1937. Diese sind jedoch, trotz ihres durchaus objektiven Tons, sehr kritisch zu lesen und erscheinen spätestens seit der Arbeit Heinemanns in einem ganz anderem Licht.
[...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Bedeutung von Artikel 231 des Versailler Vertrages für die Revisionsforderungen
II. Der Weg zur Einrichtung des Kriegsschuldreferats im AA und seine Organisation
1. Erste Vorläufer des Kriegsschuldreferats
2. Die schwierige Geburt des Kriegsschuldreferats im AA
a) Das scheitern der anfänglichen Pläne
b) Neuer Auftrieb für das Kriegsschuldreferat und sein Projekt
c) Die Aufgaben der Zentralstelle im Zusammenspiel mit dem Kriegsschuldreferat
d) Gründe für den Ausbau des Kriegsschuldreferats
III. Die Arbeit des Kriegsschuldreferats
1. Die Aufarbeitung des Aktenbestands des AA
a) Die „Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch“
b) Die „Große Politik der Europäischen Kabinette“
c) Ausländische Dokumente im Besitz des AA
2. Hilfestellung des Kriegsschuldreferats bei der Aufarbeitung ausländischer Aktenbestände
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Ganz Deutschland bebte vor Empörung. Wo man sich traf, (...) in der Öffentlichkeit und bis in die Familien hinein griff nationale Erregung wie ein plötzlicher, unkontrollierter Flächenbrand um sich. Nur wenige vermochten sich herauszuhalten aus dieser auflodernden nationalistischen Einigkeit, einem flackernden, unsteten Gemeinschaftsgefühl. Es erfasste die Politiker ebenso wie die Journalisten; nur die Intensität und die Überlegtheit des Ausdrucks wechselte, die Überzeugung war einhellig: Dieser Friedensvertrag (...) durfte nicht Wirklichkeit werden.“[1]
Treffender als mit dem Historiker Peter Krüger, der bereits 1972 seine Habilitation über das Thema „Deutschland und die Reparationen 1918/19“ verfasst hatte, kann man die in Deutschland vorherrschende Stimmung nach der Übergabe des Entwurfs des Versailler Vertrages an die Deutsche Delegation am 7. Mai 1919 kaum beschreiben. Der „Kampf“ dieser Delegation unter Leitung des Außenministers Brockdorff-Rantzau gegen den Vertragsentwurf schlug aus vielseitigen und vielfach analysierten Gründen fehl. Letztendlich zwang das Ultimatum der Alliierten vom 16.06.1919, das mit der Drohung verbunden war die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen, das Rumpfparlament, gegen den Widerstand vor allem der rechten Parteien, den Entwurf zu ratifizieren und sich somit dem „Diktatfrieden“ zu beugen.
Alle deutsche Politik war angesichts dieses Friedens und der großen Enttäuschung über das Zustandekommen des Vertrages von Anfang an auf eine Revision ausgelegt. Umstritten waren lediglich die Mittel, mit denen sie betrieben werden sollte. So ist in der hier zu untersuchenden Kampagne des im Auswärtigen Amt (AA) angesiedelten Kriegsschuldreferats lediglich ein kleiner Ausschnitt der gesamten Revisionsbemühungen zu sehen.
In der Literatur wurde das Kriegsschuldreferat bis Anfang der 80er Jahre fast völlig vernachlässigt. Erst der Historiker Ulrich Heinemann schloss diese Lücke unter Verwertung der zahlreichen Quellen des Politischen Archivs des AAs.[2] Ein Jahr später erschien von Wolfgang Jäger eine weitere Studie, die die Debatten um den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwischen 1914 und 1980 untersuchte und dabei der Linie Hans Mommsen folgte.[3] Von ehemaligen Leitern des Referats stammen zudem Darstellungen ihrer Tätigkeit aus dem Jahr 1937. Diese sind jedoch, trotz ihres durchaus objektiven Tons, sehr kritisch zu lesen und erscheinen spätestens seit der Arbeit Heinemanns in einem ganz anderem Licht.
Im Folgenden wird zunächst die Bedeutung von Artikel 231 des Versailler Vertrages erläutert werden, bevor auf die Vorläufer und auf die Einrichtung des Kriegsschuldreferats im AA eingegangen wird. Im zweiten Hauptteil der Arbeit wird die Tätigkeit des Kriegsschuldreferats näher beleuchtet bevor in einer Schlussbetrachtung ausgehend vom Historikerstreit eine vorläufige Bilanz gezogen wird.
I. Die Bedeutung von Artikel 231 des Versailler Vertrages für die Revisionsforderungen.
Artikel 231 des bis dato umfangreichsten Friedensvertrages der Geschichte leitete das Reparationskapitel ein und wurde in der deutschen Öffentlichkeit als Grundlage für die Begründung jeglicher Reparationsforderungen angesehen. Demnach sollte Deutschland für alle Kriegsschäden der „alliierten und assoziierten Regierungen und ihrer Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges“ aufkommen.[4] In der Formulierung war nicht vorgesehen Deutschland damit die alleinige Schuld am Krieg zu geben.[5] Dass Artikel 231 in Deutschland so ausgelegt wurde, muss daher bereits als erster Propagandaschritt gewertet werden. Angesichts der Kriegsrhetorik der Jahre 1914 – 1918, welche die Führung eines Präventivkrieges „zur Verteidigung des Vaterlandes“ propagiert hatte, ist die Empörung bei großen Teilen der Bevölkerung sogar nachvollziehbar.
Dieses in den ganzen Kriegsjahren aufgebaute Selbstverständnis der Deutschen wurde nun mit Artikel 231 und den anderen Bestimmungen der Versailler Vertrages aufs tiefste erschüttert. Verstärkt wurde dieses Gefühl ferner dadurch, dass während des Krieges auf Grundlage der Vierzehn Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson verhandelt worden war und so die Hoffnung erweckt wurde, die Friedensbedingungen werden milder ausfallen.[6] Dass gerade rechte politische Parteien diese Stimmung für eigene Zwecke nutzen würden konnte ebenfalls kaum verwundern.
[...]
[1] Peter Krüger, Versailles. Deutsche Außenpolitik zwischen Revisionismus und Friedenssicherung (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, hg. Von Martin Broszat, Wolfgang Benz und Hermann Graml i. V. m. dem Institut für Zeitgeschichte, München), München 1986
[2] Ulrich Heinemann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik [Kritische Schriften zur Geschichtswissenschaft; 59], Göttingen 1983.
[3] Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914-1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges [Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 61], Göttingen 1984.
[4] So die offizielle deutsche Fassung des Artikel 231, vgl.: Auswärtiges Amt, Der Vertrag von Versailles. Der Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Alliierten und Assoziierten Mächten nebst dem Schlußprotokoll und der Vereinbarung betreffend die militärische Besetzung des Rheinlandes, 2. Aufl. Berlin 1924.
[5] So Krüger, S. 15.
[6] Vgl. hierzu die Ausführungen von Ludwig Zimmermann, Deutsche Außenpolitik in der Ära der Weimarer Republik, Göttingen, Berlin, Frankfurt a. M. 1958, S. 43-49.
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.