This essay emphasises the role of critique for the age of enlightenment. People have always been trying to seize nature to better satisfy their needs. The enlightenment has raised reason to a higher level. Science nowadays has reached human nature itself and furthers their modifcation to the point of perfection. Critiqe is indispensable to question the usefulness of this development, to determine possible consequences and dangers for human society and to discoursely balance them with their public utility. Critique, in its role to purify reason, therefore is to stay inseperably connected to enlightenment.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1. Einleitung
2. Aufklärung, Vernunft, Erkenntnis und Kritik bei Kant
3. Vom Geschöpf zum Schöpfer - Kritik der Aufklärung als zielgerichteten Prozess ..
3.1 Kritik der Aufklärung
3.2 Aufklärung als Kritik
3.3 Aufklärung am Menschen, Problem (o)der Zukunft?
4. Die Zukunft kommt - aber wie? Funktion und Möglichkeit der Kritik in der funktional differenzierten Gesellschaft
4.1 Exkurs: Die Rolle der Kritik in Uwe Schimanks Entscheidungsgesellschaft
5. Die Rolle der Kritik in der Gesellschaft diskursiver Praxis
5.1 Kritik der diskursiven Vernunft
5.1.1 Themen, Beiträge, Authentizität. Wie wird Technik zum Teil des Diskurses?
5.1.2 Massenmedien als Transporteur und Multiplikator von Themen
5.2 Ist eine „vernünftige“ Einigung überhaupt möglich?
6. Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
Abstract
This essay emphasises the role of critique for the age of enlightenment. People have always been trying to seize nature to better satisfy their needs. The enlightenment has raised reason to a higher level. Science nowadays has reached human nature itself and furthers their modifcation to the point of perfection. Critiqe is indispensable to question the usefulness of this development, to determine possible consequences and dangers for human society and to discoursely balance them with their public utility. Critique, in its role to purify reason, therefore is to stay inseperably connected to enlightenment.
1. Einleitung
Seit jeher setzen die Menschen ihre Vernunft ein, um sich die Natur zunutze zu machen. Die Aufklärung nun hat die Entzauberung der Natur durch Wissenschaft und Technik auf ein neues Level gehoben. Mit der hier vorliegenden Hausarbeit möchte ich an die zunehmend breiter werdende Diskussion anschließen, welche Folgen die Aufklärung und die durch sie möglich gewordenen Leistungen der Vernunft, die gerade Erkenntnisse in den Naturwissenschaften rasant beschleunigen, für die Menschen in ihrer Natur, ihren Verstand und ihre Gesellschaft hat.
Hierzu soll zunächst der Zusammenhang von Aufklärung, Vernunft, Erkenntnis und Kritik bei Kant dargestellt werden, der theoretisches Fundament der gesamten Arbeit ist. Kritik, das ist das entscheidende Moment der Aufklärung, das eine jede Erkenntnis der Vernunft auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hinterfragt. Geschieht dies nicht, so prophezeien Horkheimer und Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung, wird die Aufklärung zum zielgerichteten Prozess, schlägt um in ihr Gegenteil und führt so letztlich zurück in die Barbarei. Aufklärung als Leistung der Vernunft, so ihre Schlussfolgerung, muss über sich selbst aufgeklärt werden. Als Mittel hierzu dient ihnen die Kritik, die sie später weiter zu einer kritischen Theorie ausbauen. Auch Michel Foucault nennt die „kritische Haltung“ charakteristisch und notwendig für die Aufklärung und untersucht kritisch, welche Verschränkungen zwischen Zwangsmechanismen und Erkenntniselementen aufgefunden werden können. Nach Habermas sind es eben die Imperative einer instrumentellen Form des Handelns, die die Anpassung der gesellschaftlichen Produktions- und Verkehrsformen an die wissenschaftlich-technischen Fortschritte zur Dominanz gebracht hat. Er stellt daher die Frage nach der Zukunft der menschlichen Natur, die zunehmend selbst in den Fokus der Aufklärung gerät, und zwar sowohl für den Menschen selbst wie für sein jahrtausende währendes Gattungsverständnis.
Habermas bewusst bruchstückhaft bleibende Überlegungen zur Zukunft der menschlichen Natur unter der Last des Fortschritts am Menschen selbst, mit denen er den gesellschaftlichen Diskurs über Aufklärung, Vernunft, Technik, über ihren Nutzen wie ihre Folgen anstoßen will, führen mich so auf sein an Kant angelehntes Konzept einer integrativen gesellschaftlichen Vernunft durch diskursive Praxis, durch die er zunehmend unintegrierbar werdende Rationalitäten in ihrer Verschiedenheit zu vereinen versucht. In dieser diskursiven Vernunft soll eine Ethik und Moral erschaffen werden, durch die mögliche Probleme der Zukunft schon jetzt verhindert werden können. Die Theorie der funktional differenzierten Gesellschaft aber erklärt diese Einheit der Moral zum Ding der Unmöglichkeit und mündet damit in einen Steuerungspessimismus in der Form, als dass die Gesellschaft auf Probleme der Zukunft, die sie selbst erzeugt, überhaupt nur als Einheit reagieren kann, die aber praktisch, eben aufgrund ihrer Differenzierung, nur in ihrer Differenz möglich ist. Am Beispiel des politischen Systems soll gezeigt werden, welche Rolle die Kritik für die Entscheidungspraxis einer Gesellschaft spielt, in der versucht wird diese Differenz durch einen überparteilichen Diskurs in eine Einheit in Form von politischen Entscheidungen aufzulösen.
Abschließend möchte ich den moralisch-praktischen Diskurs und damit die diskursive Vernunft selbst auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hinterfragen, was zurück auf das führt, womit die Arbeit begann: auf die unbedingte Notwendigkeit der Kritik zur Läuterung der Vernunft und ihrer Erkenntnisse, damit sie die Quelle der Irrtümer verstopft. Diese Hausarbeit folgt so mehreren Strängen, die allesamt eines betonen: die Rolle der Kritik in der Gesellschaft der Aufklärung.
2. Aufklärung, Vernunft, Erkenntnis und Kritik bei Kant
Aufklärung, so Kant, „ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, wobei Unmündigkeit zu verstehen ist als „das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (Kant 1783: 9). Unmündig sein zu können, setzt also die Freiheit voraus, sich des eigenen Verstandes überhaupt bedienen zu dürfen. Darf man dies, und tut es nicht - sei es aus „Faulheit“ oder aus „Feigheit“ - ist diese Unmündigkeit selbstverschuldet. Es steht einem weiter frei, von seiner Vernunft, dem eigenen Verstand, in allen Stücken „öffentlichen Gebrauch“ zu machen, also z.B. „als Gelehrter“ vor dem „ganzen Publikum der Leserwelt“ (ebd. 11): „räsoniert, so viel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!“ (ebd. 17) Dieses „gehorchen müssen“ determiniert den privaten Gebrauch, den der Einzelne „in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner eigenen Vernunft machen darf“ (ebd. 11). Der Gebrauch der Vernunft bleibt so eingeschränkt und wird zugleich frei - eingeschränkt im Handeln, frei in der Reflexion des Handelns und dem Eintritt in öffentliche Diskurse. So wird man im Amte des Wissenschaftlers seine gesamte Vernunft zur Schaffung technischen Fortschritts und Innovation verwenden, gleichzeitig kann und soll man dieses Tun jedoch jederzeit kritisch hinterfragen und mit den so gewonnen Reflexionen in einen Diskurs eintreten. Die Freiheit des Diskurses, der öffentlichen freien Meinungsäußerung und des Meinungsaustausches, ja überhaupt die Möglichkeit, unterschiedliche Meinungen haben zu können, sind dabei prägende Merkmale unseres Zeitalters: des Zeitalters der Aufklärung, „das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß“ (Kant 1974: 13). So muss neben einer jeden Erkenntnis der Vernunft auch die Erkenntnis selbst, sei sie wissenschaftlich oder spekulativ, immer auf ihre Möglichkeitsbedingungen hin überprüft werden, will sie nicht in „Dogmatism“ verfallen; denn „Dogmatism ist […] das dogmatische Verfahren der reinen Vernunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens.“ (ebd. 36) Dies kann und soll geschehen durch einen „Kritizismus, der der Metaphysik in jedem ihrer Sätze zu misstrauen hat, bevor diese nicht auf ihre Möglichkeitsbedingungen geprüft worden sind.“ (Nassehi 2006: 17) Denn, so stellt Kant fest: „Es ist […] ein gewöhnliches Schicksal der menschlichen Vernunft in der Spekulation, ihr Gebäude so früh, wie möglich, fertig zu machen, und hintennach allererst zu untersuchen, ob auch der Grund dazu gut gelegt sei.“ (Kant 1974: 51) Es sind nun die „dornichten Pfade der Kritik“, „die zu einer schulgerechten, aber solche allein dauerhaften und daher höchstnotwendigen Wissenschaft der reinen Vernunft führen“ (ebd. 40). Die Vernunft muss, so die Folgerung Kants, losgelöst werden von der Erfahrung, sie muss „rein“ werden sowohl in ihrer Erkenntnis wie auch in ihren Erkenntnissen. Die Kritik dient dabei der „Läuterung unserer Vernunft“ (ebd. 63), auf „[…] dass man die Quelle der Irrtümer verstopft […]“ (ebd. 34) Sie lehrt uns, das „Objekt in zweierlei Bedeutung“ zu nehmen: „nämlich in der Erscheinung, oder als Ding an sich selbst“ (ebd. 31) Die Erscheinung ist hierbei beeinflusst durch die Erfahrung, und damit „Gegenstand einer empirischen Anschauung“ (ebd. 69) Eine eindeutige, irrtumsfreie Beschreibung eines Objekts allein in seiner Erscheinung ist aufgrund der Verschiedenheit der subjektiven Erfahrungen, die das Objekt je nach Beobachter und Beobachtung verschiedenen erscheinen lassen, unmöglich. Das „Ding an sich selbst“ kann jedoch eindeutig, unabhängig von der Empirie, eben a priori, in seiner „objektiven Gültigkeit“ beschrieben werden. Eben diesen Gang nimmt die Wissenschaft durch „gesetzmäßige Feststellung der Prinzipien, deutliche Bestimmung der Begriffe, versuchte Strenge der Beweise“ und eine „Verhütung kühner Sprünge in Forderungen“ (ebd. 36). Die Mathematik, in der absoluten Notwendigkeit ihrer Sätze, leistet dies vollkommen, und gilt für Kant nicht zuletzt deshalb als Inbegriff der reinen Vernunft. Denn ihre Erkenntnisse sind intersubjektiv nachprüfbar und immer a priori gültig.
Vor allem in der französisch-positivistischen Tradition, so auch bei Emile Durkheim, findet man diesen Gedanken wieder: Durkheim will soziale Tatsachen wie „Dinge“ behandeln (Durkheim 1961: 115), um sie losgelöst von der Idee, die wir von ihnen haben, und damit so objektiv und reliabel wie irgend möglich, zu beschreiben. Doch diese Perspektive auf die soziale Welt stößt schon bald an ihre Grenzen. Nicht empirische Urteile a priori, die „Notwendigkeit bei sich führen, welche aus Erfahrung nicht abgenommen werden kann“ (Kant 1974: 56), sind über Gesellschaft kaum möglich, da die Gesellschaft nicht als stabiler Körper verstanden wird, der strengen Gesetzmäßigkeiten folgt, sondern als empirischer Raum, der sich als solcher selbst ständig neu hervorbringt. Sie erscheint verschieden, je nach Bedingungen der Möglichkeit ihrer Beobachtung. Zwangsweise stellt sich das Problem der Bedingtheit des Beobachters und die daraus resultierende Eingeschränktheit der Beobachtung, die nie alles sehen kann. Die Soziologie als wissenschaftliche Disziplin versucht dieses Problem empirisch zu lösen, also in dem sie Erkenntnisse über Erscheinungen an den Erscheinungen selbst gewinnt. Doch „was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur komparative Allgemeinheit, nämlich durch Induktion.“ (ebd. 73) Ein Irrtum ist dabei nicht ausgeschlossen, sondern möglichst unwahrscheinlich gehalten. So erlangte Erkenntnisse können nicht als notwendig wahr für die Allgemeinheit angenommen, sondern müssen als empirische Allgemeinheit bei einer verbleibenden Irrtumswahrscheinlichkeit der weiteren Überprüfung aussetzt werden. „Die empirische Allgemeinheit ist also nur eine willkürliche Steigerung der Gültigkeit“ (ebd. 47) und damit ohne die Voraussetzung der Notwendigkeit nicht in der Lage, zu einer Erkenntnis a priori zu führen. „Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori, und gehören auch unzertrennlich zu einander.“ (ebd. 47) Eine „reine Anschauung“ der Gesellschaft im Sinne der transzendentalen Elementarlehre ist somit nicht möglich, da ihre Materie in bestimmter Form nicht schon immer existiert, sondern die Form durch die Beobachtung erst erzeugt wird und damit subjektiv variiert. Der Prozess ist geradezu umgekehrt: es wird eine Erscheinung wahrgenommen, worauf hin versucht wird, ein Ding an sich selbst, ein Modell, zu konstruieren. Doch sowohl die Konstruktion als auch die allumfassende Beschreibung dieses Dings an und für sich sind „rein“ und damit irrtumsfrei nicht zu gestalten; gerade dann nicht, wird die Erkenntnis selbst nicht auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit hinterfragt.
Dies lehrt später auch Niklas Luhmann in der auf Heinz von Förster zurückgehenden Theorie der Beobachtung 2er Ordnung. Diese ist Kants Transzendental-Philosophie insofern nicht unähnlich, als dass sie sich ebenfalls nicht mit den Gegenständen selbst, sondern mit „unserer Erkenntnisart von Gegenständen […] überhaupt beschäftigt“ (ebd. 63), wenn auch nicht um zu Erkenntnissen a priori zu gelangen, sondern eben um auf die Unmöglichkeit einer solchen Erkenntnis hinzuweisen. Denn, so die Theorie, jede Beobachtung schneidet die Welt in 2 Teile, deren eine Seite selektiert wird, während die andere Seite wie auch die Selektion selbst als „blinder Fleck“ unbeobachtet bleiben muss1. Egal wer wie beobachtet, ein Teil bleibt immer ungesehen.
Sich dieses Problems wohl bewusst führt Kant jene bereits erwähnte Unterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft ein, zwischen Theorie und Praxis, zwischen der Erkenntnis a priori, der Notwendigkeit in der Theorie und deren Umsetzung ins Allgemeine, in die gesellschaftliche Praxis2. Durch den privaten Gebrauch der Vernunft gewonnene, theoretische Erkenntnisse haben sich immer in einer kritischen Öffentlichkeit zu bewähren. Hierzu bedarf es des Kritizismus in gleich doppelter Anwendung: es bedarf eines jenen Kritizismus angewendet durch den Erkennenden selbst, der die Erkenntnis ständig auf ihre Möglichkeitsbedingungen hin hinterfragt. Und weiter bedarf es des Kritizismus angewendet in diskursiver Praxis, die Erkenntnisse anderer, sowohl wissenschaftliche wie auch spekulative, überprüft, um sie in ihrer vermeintlichen Notwendigkeit zu widerlegen und über ihren möglichen Irrtum aufzuklären. Damit kann die Differenz der Beobachterperspektiven in empirische Allgemeinheit aufgelöst werden. Denn die spekulative Vernunft allein, die fortwährend angewendet erfahrungsgeleitete also a posteriori Urteile fällt und dabei zumindest zunächst von einer kritischen Überprüfung verschont bleibt, führt sonst zwangsweise zu einer Verengung unseres Vernunftsgebrauchs (ebd. 30). Denn sie sieht nur, was sie sieht, weil sie es sieht, weiß aber nicht um ihre Beschränktheit. Die Erfahrung „sagt uns zwar, was da sei, aber nicht, daß es notwendiger Weise, so und nicht anders, sein müsse. Eben darum gibt sie uns auch keine wahre Allgemeinheit […]. (ebd. 48)
Bleibt die Läuterung der Vernunft durch den Erkennenden selbst aus, der in seiner Perspektive auf die Welt immer schon eingeschränkt ist3, braucht es also diesen Anderen mit anderer Erfahrung, der anderes anders sieht. Und genau hierin liegt der Schritt einer Erkenntnisphilosophie am Subjekt hin in das Terrain gesellschaftlicher Praxis: mit jeder Überprüfung einer Erkenntnis durch einen zusätzlichen Anderen wird diese Erkenntnis zumindest empirisch allgemeiner, wenn dadurch auch keine Notwendigkeit. Auf diese Weise aber, indem wir die Vernunft und eine jede ihrer Erkenntnisse sowohl privat wie öffentlich auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit untersuchen und somit Irrtümer ausschließen, so hofft Kant, können wir wahres Wissen produzieren, können wir lernen, „besser“ zu denken und aus der (nahezu) reinen Vernunft heraus moralische Maßstäbe für ein besseres Zusammenleben entwickeln.
3. Vom Geschöpf zum Schöpfer - Kritik der Aufklärung als zielgerichteten Prozess
3.1 Kritik der Aufklärung
Anders als Kant, der davon ausgeht, dass die Aufklärung und die durch sie ermöglichte reine Vernunft die Menschheit in eine bessere Welt und letztendlich zu Gott führt, sehen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno den Prozess der Aufklärung kurz nach dem Zusammenbruch des totalitären Deutschlands in einem düsteren Lichte. Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Nazi-Barbarei sollte eine kritische Theorie formuliert werden, die nicht nur ohnmächtig dem Grauen hinterher philosophiert. Denn eine aufgeklärten Vernunft, die in ihrem Einsatz den notwendigen Kritizismus ablegt und fortwährend erkennt, verfängt sich in ihrem erfahrungsgeleiteten Erkenntnisprozess, dessen Richtung sie sich durch bereits gewonnene Erkenntnis ständig selbst vorgibt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Erkenntnis zum Zwecke des Fortschritts wird so zur gesellschaftlichen Rationalität4 und damit auch selbst zum Gegenstand der Rationalisierung als „Prozeß, effektive Wege und Mittel zu finden, durch die menschliche Zwecke verwirklicht werden können, […] insbesondere [...] die Verringerung des zur Erreichung des Zwecks erforderlichen Aufwands.“ (Bernsdorf 1972: 658) Dies aber verengt den Vernunftgebrauch und führt damit geradewegs hinein in einen „gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang“, in dem letztlich auch der öffentliche Gebrauch der Vernunft, gerade wenn er die herrschende Rationalität kritisch hinterfragt, ausbleiben muss5.
Horkheimer und Adorno also hinterfragen die Aufklärung selbst auf die Bedingungen ihrer Möglichkeit, auf ihre Gefahren und Folgen nicht zuletzt für die Vernunft. Auch sie hegen „keinen Zweifel […] daß die Freiheit in der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist.“ (Horkheimer/Adorno 2004: 3) Doch sie gehen davon aus, dass die Aufklärung als Programm zur „Entzauberung“ der Welt den Keim zum Rückschritt bereits in sich trägt. Auf der einen Seite „hat die Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. […] Sie wollte die Mythen auflösen und Einbildung durch Wissen stürzen.“ (ebd. 9) Doch die Herrschaft der Vernunft zum Zwecke der Herrschaft der Menschen über die Natur wandelt sich letztendlich in eine Herrschaft des Menschen über die Menschen selbst, und damit zum „totalen Betrug der Massen“ (ebd. 49). Denn mit der zunehmenden „Preisgabe des Denkens, das in seiner verdinglichten Gestalt als Mathematik, Maschine, Organisation an den seiner vergessenden Menschen sich rächt, hat Aufklärung ihrer eigenen Verwirklichung entsagt. Indem sie alles Einzelne in Zucht nahm, ließ sie dem unbegriffenen Ganzen die Freiheit, als Herrschaft über die Dinge auf Sein und Bewusstsein der Menschen zurückzuschlagen.“ (ebd. 48) So verleiht „die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität, die einerseits die Bedingungen für eine gerechtere Welt herstellt […] andererseits dem technischen Apparat und den sozialen Gruppen, die über ihn verfügen, eine unmäßige Überlegenheit über den Rest der Bevölkerung. Der Einzelne wird gegenüber den ökonomischen Mächten vollends annulliert. Dabei treiben diese die Gewalt der Gesellschaft über die Natur auf nie geahnte Höhe.“ (ebd. 4) Und, so die Konsequenz, wird Aufklärung nicht über sich selbst aufgeklärt, „nimmt Aufklärung die Reflexion auf dieses rückläufige Moment nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal.“ (ebd. 3)
Aufklärung wird so verstanden als dialektischer Prozess. Dem schließt sich auch Herbert Marcuse an: „Die befreiende Kraft der Technologie - die Instrumentalisierung der Dinge - verkehrt sich in eine Fessel der Befreiung, sie wird zur Instrumentalisierung des Menschen.“ (Marcuse 1967: 174) Seine Figur des eindimensionalen Menschen kann so „kantisch“ verstanden werden als der Mensch, der die Vernunft instrumentell einsetzt zum Zwecke der fortschreitenden Erkenntnis zur Beherrschung der Natur, eben ohne diesen Gebrauch und dessen Folgen einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Doch dieser „Triumph subjektiver Rationalität“, diese „Unterwerfung alles Seienden unter den logischen Formalismus wird mit der gehorsamen Unterordnung der Vernunft unters unmittelbar Vorfindliche erkauft“ (Horkheimer/Adorno 2004: 33), weil eine Hinterfragung dieses Vorfindlichen auf die Bedingungen seiner Möglichkeit nicht stattfindet. Der eindimensionale Mensch wird gefangen in einem „gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang“, in seinem unaufhörlichen Drang, durch Wissenschaft Wissen zu schaffen um so den Menschen als Herrscher der Natur einzusetzen, bis diese komplett beherrscht ist6. Denn „Aufklärung ist totalitär.“ (ebd. 12) Dadurch gerät er aber auch selbst, als Teil der Natur, in den Fokus der Herrschaft. Seinem Ziel, Gott als Schöpfer abzulösen kommt der Mensch in diesem Rausch nach Erkenntnis, in dem er sich gar selbst der Technik unterwirft, so zwar immer näher. Träume von Perfektion und Unsterblichkeit begannen nicht nur im Hitler Deutschland Wirklichkeit zu werden. Doch der religiöse Beigeschmack dieser Destruktion seines Gottes durch vollkommene Erkenntnis kommt nicht von ungefähr. Auch der Sündenfall im Paradies verdeutlicht den Wunsch des Menschen nach Erkenntnis - ohne Abschätzung und Abwägung der Folgen. In der Konsequenz wird der Mensch zwar zum Gott, besiegelt dadurch aber letztlich auch seinen Untergang. „Ueberstolzer Europäer des neunzehnten Jahrhunderts“, so schreibt Nietzsche, „du rasest! Dein Wissen vollendet nicht die Natur, sondern tödtet nur deine eigene.“ (Nietzsche 1980: 313) Und weiter fragt er: „Wohin ist Gott?“; „ich will es euch sagen! Wir haben ihn getödtet, - ihr und ich! Wir alle sind Mörder!“ (Nietzsche 1980: 480)
3.2 Aufklärung als Kritik
Ein mögliches Problem der Aufklärung liegt also in der unhinterfragten Verabsolutierung ihres Zwecks, immer neuen Fortschritt zu schaffen. Die Folgen und Gefahren dieses Fortschritts werden zunehmend sichtbar und erschüttern die aufstrebende europäische Gesellschaft in ihrem Glauben an die Wissenschaft in ihrer Hoffnung, sie durch Vernunft in eine bessere Gesellschaft und letztendlich zu Gott zu führen. Mit dem Gewinn allumfassender Erkenntnis einher geht auch der Gewinn einer unbeschränkten Macht Gottes, der Macht über die gesamte Natur, auch die des Menschen. Aufklärung und Macht scheinen so untrennbar miteinander verbunden7. Dies beschäftigt auch Michel Foucault, wenn er fragt: „wie kommt es, daß die Rationalisierung zur Raserei der Macht führt?“ (Foucault 1992: 24) Die Aufklärung und die durch die Herrschaft der Vernunft aufblühende Wissenschaft selbst unterwirft Foucault einem kritischen Blick.
[...]
1 Siehe Luhmann 2004: 70.
2 Die Gleichsetzung von Diskurs und Allgemeinheit in ihrem Unterschied zur Notwendigkeit ist bei Kant immer schon präsent. So z.B. bei seiner Erörterung der Zeit: „Die Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der sinnlichen Anschauung.“ (Kant 1974: 79)
3 Dies ist eine Contradictio in adjecto. Denn wie kann meine Perspektive, die Beobachtung 2er Ordnung der Erkennenden, das allgemeine Postulat der Beschränktheit von Beobachtern annehmen, wenn sie gleichzeitig betont, dass ein allgemeines Postulat aus einer subjektiven Beobachtung eben aufgrund ihres immer blind bleibenden Fleckes gar nicht möglich ist. So ist auch meine Beobachtung 2er Ordnung blind auf diesem einen Fleck: sie kann ihre eigene Beschränktheit nicht sehen.
4 Eine kurze Klarstellung zur Verwendung der Begriffe: Vernunft soll sein die Fähigkeit des Geistes, Erkenntnisse zu produzieren. Technik und technischer Fortschritt ist eine Erkenntnis der Vernunft. Viele Erkenntnisse der Vernunft vereint ergeben eine Rationalität, Technik und deren Erkenntnis wird so selbst zur Rationalität, an der sich der Gebrauch der Vernunft orientiert. Genau dies ist die Dialektik der Aufklärung.
5 Gemein ist einem jeden totalitären Regime, dass es die Vernunft kanalisiert zur Erfüllung seiner proklamierten Zwecke, die nicht mehr hinterfragt werden dürfen. Der Gebrauch der Vernunft wird angeordnet, seine Erkenntnis dient Zwecken, die außerhalb ihrer selbst liegen, nämlich in demjenigen, der anordnet. Die Vernunft darf so nur noch privat eingesetzt werden, die durch die Aufklärung gewonnene Freiheit des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft und damit die Freiheit der öffentlichen Äußerung von Kritik, wird zuallererst genommen.
6 Interessant wäre hierbei zu untersuchen, welchen Einfluss das Wirtschaftssystem auf die Zwecke der Vernunft hat, welche Zwecke das Wirtschaftssystem der Vernunft setzt. Es erscheint plausibel, und das behaupten ja auch Horkheimer und Adorno, dass gerade das kapitalistische System die Vernunft in ihrem Rausch nach Erkenntnis zur Höchstleistung antreibt, um technischen Fortschritt und damit Wachstum zu erreichen.
7 Wobei man einem Wissenschaftler, gerade einem, der Technik entwickelt, wohl kaum unterstellen kann, er würde dies deswegen tun, um Macht über den Menschen zu erlangen. Handelt er frei und nicht unter Zwang, so wird er wohl Zwecke verfolgen, im besten Falle den, seinem Entdeckungsdrang zu befriedigen. In der Regel aber wird er sich Vorteile aus der Entdeckung versprechen, Vorteile für sich selbst oder für seinen Auftraggeber, in dessen Auftrag er seine Vernunft privat einsetzt, genau die geforderte Erkenntnis und keine andere voranzutreiben.
- Arbeit zitieren
- Julian Huff (Autor:in), 2006, Aufklärung - Technik - Kritik: Über die Rolle der Kritik in der Gesellschaft der Aufklärung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63649
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