Im enorm vielseitigen und facettenreichen Lebenswerk Wilhelm von Humboldts ist sein staatstheoretisches Schaffen von geringerem Umfang und ist auch wesentlich weniger bekannt als z. B. sein Wirken in Bildungspolitik, Naturlehre, Sprachwissenschaft oder Ästhetik.
Nichtsdestoweniger lohnt sich die Beschäftigung mit Humboldts liberaler Staatstheorie, besonders in unseren Tagen. Das Schlagwort des Neoliberalismus erfreut sich wachsender Beliebtheit in Medien und Politik. Vor dem Hintergrund der Globalisierung wird angesichts überlasteter Sozialsysteme und überbordender Staatsverschuldung der Ruf nach einer Erneuerung des Liberalismus jedoch fast ausschließlich wirtschaftlich begründet und (miß-)verstanden.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff Liberalismus vielschichtiger ist und nicht nur die Freiheit des Wirtschaftens meint. Wer den Begriff nur wirtschaftlich versteht, verpaßt einen großen Teil der interessanten Ideen, die diese geschichtlich machtvolle Strömung beinhaltet.
Wilhelm von Humboldt kommt auf dem Weg der Philosophie zu seiner (politisch) liberalistischen Staatsauffassung, indem er uns einen weitgehend individualistisch-anthropologisch begründeten Weg zu seiner Staatstheorie zeigt. Der Mittelpunkt von Humboldts Argumentation ist nämlich – wie in seinem gesamten Lebenswerk – sein Bild vom Menschen und dessen Lebenszweck . Von dieser Grundidee leitet Humboldt seine Verhaltensmaßregeln für den Staat gegenüber dem Bürger ab.
Niedergelegt und erläutert sind diese Gedanken in dem Buch „Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“.
In dieser Arbeit soll versucht werden, die theoretischen Grundlagen von Humboldts liberalistischer Staatstheorie darzulegen. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Herleitung der Gedanken aus dem Menschenbild gelegt. Die hypothetischen Konsequenzen auf ein theoretisches Staatsgebilde, wie z. B. die erwünschte Gestaltung einzelner Rechts- und Verwaltungsgebiete (Kapitel X-XV der „Ideen“) werden demgegenüber zurückgestellt.
Gliederung
Biographie
A. Einleitung
B. Kurzüberblick über Humboldts Argumentationslinie
C. Humboldts Staatstheorie im einzelnen
l. Die Anthropozentriertheit von Humboldts Staatsbild
1.) Humboldts Menschenbild
a) Kräfte und unveränderliche Vernunft
b) Höchste und proportionierlichste Bildung.
2.) Voraussetzungen für die „Bildung der Kräfte zu einem Ganzen“
a) Freiheit
b) Mannigfaltigkeit der Situationen
c) Verhältnis der Voraussetzungen untereinander
3.) Wie sind die Voraussetzungen zu schaffen?
a) Wohlfahrtsstaat
b) Rechtsschutzstaat
aa) Äußere Sicherheit
bb) Innere Sicherheit
c)Wirksamkeit der Gesetze
4.) Anwendung der Theorie auf die Wirklichkeit
ll. Kritik – Selbstkritik und andere
1.) Selbstkritik
2.) Kritik anderer
Literaturverzeichnis
Borsche, Tilman
"Wilhelm v. Humboldt"
München 1990
Bouillon, Hardy
"Freiheit, Liberalismus und Wohlfahrtsstaat"
Baden-Baden 1997
Doering, Detmar
"Kleines Lesebuch über den Leberalismus"
3. Aufl., Sankt Augustin 1997
Georg Forsters Werke
Sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe
Hg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR. Bd.
Berlin 1958ff.
v. Humboldt, Wilhelm
"Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen"
Reclam, Stuttgart 1967
zit.: WvH, Grenzen
ders.
Gesammelte Schriften, hg. von der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften
Bd. l-XVll, Berlin 1903ff
zit.: WvH GS (Bandangabe mit röm. Ziffern)
ders.
"Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen"
Nachwort von Friedrich Spitta
Verlag Freies Geistesleben, Rastatt 1962
zit.: Spitta Nachwort
ders.
"Individuum und Staatsgewalt, Sozialphilosophische Ideen"
Leipzig 1985
zit.: WvH Individuum
ders.
"Staatskunst und die Freiheit des Menschen"
in "Wilhelm v. Humboldt, Menschenbildung und Staatsverfassung"
Freiburg, Berlin 1994
Kaehler, Siegfried A.
"Wilhelm von Humboldt und der Staat"
Göttingen 1963
Klenner, Hermann
"Humboldts Staat als Rechtsinstitut des Menschen"
in "Wilhelm v. Humboldt, Menschenbildung und Staatsverfassung"
Freiburg, Berlin 1994
Leitzmann, Albert
"Politische Jugendbriefe Wilhelm von Humboldts an Gentz"
in HZ 152, 1935, S. 48ff.
ders. (Hg.)
"Wilhelm von Humboldts Briefe an Karl Gustav Brinkmann"
Leipzig, 1939
Menze, Clemens
"Wilhelm v. Humboldts Lehre und Bild vom Menschen"
Ratingen 1965
Montesquieu, Charles
"Vom Geist der Gesetze"
Reclam, Stuttgart 1965
Sauter, Christian M.
"Wilhelm v. Humboldt und die deutsche Aufklärung"
Berlin 1989
Schulze, Hagen
"Humboldt oder das Paradox der Freiheit" in
"Wilhelm v. Humboldt", Vortragszyklus zum 150. Todestag
Berlin, New York 1986
Sculra, Herbert
"Wilhelm v. Humboldt, Reformator, Wissenschaftler, Philosoph"
Düsseldorf 1976
Spanger, Eduard
"Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee"
Berlin 1909
Vossler, Otto
"Humboldt und die deutsche Nation"
Leipzig 1941
Biographie
C. M. de Talleyrand: "Un des hommes d'état dont L'Europe de mon temps n'en a pas compte trois ou quatre"[1]
* 22. 06. 1767 Potsdam (zwei Jahre vor Alexander)
Familie des Vaters aus Pommern, Vater Offizier, nach quittiertem Dienst Kammerherr bei Gemahlin des Thronfolgers, dem späteren König Friedrich Wilhelm ll. Daraus resultierend die Patenschaft Friedrich Wilhelm ll. für H.
Familie der Mutter (Marie Elisabeth Colomb 1741-96, einundzwanzig Jahre jünger als Vater) wohlhabende Bürgersfamilie hugenottischer Herkunft.
Mutter bringt als verwitwete Freifrau v. Holwede Schloß und Gut Tegel mit in die Ehe.
Die Kinder gehen nie zur Schule, sondern erhalten ausgesuchten Privatunterricht bei führenden Gelehrten der Zeit.
1787 Einschreibung für juristische Fachstudien an der Universität Frankfurt Oder
Hervorragendes Abschlußzeugnis
1788 Fortsetzung der Studien in Göttingen: Experimentelle Physik, Universal-Geschichte, alte Sprachen und Literatur, Logik und Metaphysik
1789 Ende der Studienzeit in Paris
1790 Feb.: Anstellung als Auskultator am Stadtgericht Berlin
Juli: Referendarsprüfung
Sept.: Referendar am Hof- und Kammergericht, dann Oberappelationsgericht, dann am kurmärkischen Pupillenkollegium, gleichzeitige Tätigkeit unter Graf Hertzberg im auswärtigen Departement
1791 Mai: Entlassungsgesuch aus juristischem Staatsdienst, Beurlaubung vom auswärtigem Dienst
Juni: Hochzeit mit Caroline v. Dachroeden (ein Jahr älter) - acht Kinder
1794 Übersiedlung nach Jena, ausgiebiger Umgang mit Schiller. H. stellt Kontakt zwischen Goethe und Schiller her.
Anatomiestudien
1797 Niederlassung in Paris
Studien besonderer Charkterformen, insb. französischer Nationalcharakter
Große Spanienreise und eine Reise ins Baskenland, Anstoß für Sprachforschung
1801 Rückkehr nach Berlin
1802 Preußischer Resident am Päpstlichen Stuhl in Rom
1806/
1807 Zusammenbruch Preußens und Plünderung Tegels
1808 Ernennung zum Geheimen Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht; nur 16 Monate lang, aber Neuorganisation des gesamten preußischen Schulwesens; Gründung der Berliner Universität
1810 Verleihung des Titels eines preußischen Staatsministers verbunden mit der Ernennung zum preußischen Gesandten in Wien
H. wird einer der führenden Diplomaten am Wiener Kaiserhof
Vertreter Preußens bei den Friedensverhandlungen zum 1. Pariser Frieden
Teilnahme am Wiener Kongreß
1815 Preußischer Bevollmächtigter bei Territorialkommission in Frankfurt am Main
Frage einer deutschen Verfassung
1817/
1808 Preußischer Gesandter in London
1819 Minister für Ständische Angelegenheiten
1819 Herbst: Karlsbader Beschlüsse; H. legt offiziell Protest ein und wird entlassen
1820-
1835 H. lebt als Privatgelehrter in Tegel (1829 Tod seiner Frau)
1830 Wiederberufung in den Staatsrat, aber ohne politischen Einfluß
1825 Vorsitz des Vereins der Kunstfreunde im Preußischen Staate
1829 Vorsitz der Regierungskommission für die Einrichtung des ersten öffentlichen Kunstmuseums in Preußen (dadurch Vater der Berliner Museumskultur)
A. Einleitung
Im enorm vielseitigen und facettenreichen Lebenswerk Wilhelm von Humboldts ist sein staatstheoretisches Schaffen von geringerem Umfang und ist auch wesentlich weniger bekannt als z. B. sein Wirken in Bildungspolitik, Naturlehre, Sprachwissenschaft oder Ästhetik.
Nichtsdestoweniger lohnt sich die Beschäftigung mit Humboldts liberaler Staatstheorie, besonders in unseren Tagen. Neoliberalistische Tendenzen sind allenthalben in Medien und Politik auszumachen. Unter dem Schlagwort der Globalisierung und angesichts überlasteter Sozialsysteme wird der Ruf nach einer Erneuerung des Liberalismus jedoch fast ausschließlich wirtschaftlich begründet und (miß-)verstanden[2].
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff Liberalismus vielschichtiger ist und nicht nur die Freiheit des Wirtschaftens meint. Wer den Begriff nur wirtschaftlich versteht, verpaßt einen großen Teil der interessanten Ideen, die diese geschichtlich machtvolle Strömung beinhaltet.
Wilhelm von Humboldt kommt auf dem Weg der Philosophie zu seiner (politisch) liberalistischen Staatsauffassung, indem er uns einen weitgehend individualistisch-anthropologisch begründeten Weg zu seiner Staatstheorie zeigt. Der Mittelpunkt von Humboldts Argumentation ist nämlich – wie in seinem gesamten Lebenswerk[3] – sein Bild vom Menschen und dessen Lebenszweck[4]. Von dieser Grundidee leitet Humboldt seine Verhaltensmaßregeln für den Staat gegenüber dem Bürger ab.
Niedergelegt und erläutert sind diese Gedanken in dem Buch „Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen“.
In dieser Arbeit soll versucht werden, die theoretischen Grundlagen von Humboldts liberalistischer Staatstheorie darzulegen. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Herleitung der Gedanken aus dem Menschenbild gelegt. Die hypothetischen Konsequenzen auf ein theoretisches Staatsgebilde, wie z. B. die erwünschte Gestaltung einzelner Rechts- und Verwaltungsgebiete (Kapitel X-XV der „Ideen“) werden demgegenüber zurückgestellt.
Entstehungsgeschichte
Das Buch ist wahrscheinlich in den Monaten März bis Mai 1792 (Humboldt war 24 Jahre alt!) entstanden[5]. Ihm ging um ein halbes Jahr voran ein Brief Humboldts an seinen Freund Johann Erich Biester, den Humboldt unter dem Titel „Ideen über die Staatsverfassung, durch die neue französische Konstitution veranlaßt“ in der „Berlinischen Monatsschrift“ veröffentlichte, voraus[6]. In diesem Brief macht Humboldt der französischen Verfassung den Vorwurf, nicht historisch gewachsen zu sein und damit keine Verbindung zu den Staatsbürgern haben zu können[7]. Humboldt glaubt nicht an die Zukunft dieser Verfassung, weil sie den Menschen von oben aufgepfropft wurde.
In diesem Vorwurf zeigt uns der Autor bereits den Kern seines staatstheoretischen Denkens: Das Verhältnis zwischen Staat und Mensch. Als Folge davon ist Humboldts Menschenbild für alle seine staatstheoretischen Gedanken von zentraler Bedeutung[8].
Humboldt hat sein staatstheoretisches Buch wie viele andere seiner Studien zu Lebzeiten nicht in voller Länge veröffentlicht[9]. Schwierigkeiten mit der Berliner Zensur hielten den Autor, der es wohl auch bewußt vermied, sich politisch ins Abseits zu stellen, von der Durchsetzung des Drucks ab[10].
In voller Länge wurde Humboldts Werk erst 1851 veröffentlicht und in liberalen Kreisen (in Zusammenhang mit der Revolution von 1848) mit lebhafter Zustimmung aufgenommen[11].
Humboldt hatte für seine Ideen viele geistige Quellen und Bezugspunkte. Als Kind bzw. Schüler hatte er Gelehrte von hohem wissenschaftlichen Niveau und großem Format als Privatlehrer (Campe, Dohm, Engel, Klein). Bereits im Alter von 24 Jahren, als Humboldt „Ideen“ schrieb, war er ein Geist von großer, universeller Bildung. Er zeigt sich in seinen Schriften u. a. von Kant und Leibniz beeinflußt und die Grundlagen seines Denkens sind in vielerlei Hinsicht die der Aufklärung. Den für seine Staatsschrift bedeutsamen Sicherheitsgedanken hatte Humboldt von seinem Lehrer Christian Wilhelm v. Dohm[12].
B. Kurzüberblick über Humboldts Argumentationslinie
Was ist der Zweck des Staates[13] ?
- Die Beförderung des Menschen.
Was ist der Zweck des Menschen?
- „Die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen“[14]
Was ist dafür Voraussetzung?
- Freiheit und Mannigfaltigkeit der Situationen[15].
Was muß der Staat tun und lassen, um diese Voraussetzungen zu erfüllen?
- Die größtmögliche Freiheit lassen und die (für die Freiheit) nötigste Sicherheit nach außen und innen gewährleisten. Daraus ergeben sich die Grenzen (der Wirksamkeit) des Staates.
C. Humboldts Staatstheorie im einzelnen
l. Die Anthropozentriertheit von Humboldts Staatsbild
Humboldts Staatsschrift unterscheidet sich vor allem in einem wesentlichen Punkt von zeitgenössischen Publikationen. Der Staat wird nicht angemahnt, den Menschen im Bürger nicht zu vergessen, sondern umgekehrt, die Form des Staates ist nach dem Menschenbild zu gestalten und soll so dem Menschen die weitestgehende Entwicklung ermöglichen[16]. Humboldt schreibt im Juni 1792: „Ich glaubte auch kein anderes Prinzip zum Grund meines ganzen Raisonnements legen zu dürfen, als das, welches allein auf den Menschen – auf den doch am Ende alles hinauskommt – Bezug nimmt, und zwar auf das an dem Menschen, was eigentlich seiner Natur den wahren Adel gewährt[17].“ Der Maßstab ist nun „die Bildung des Menschen bei politischen Einrichtungen, und die Art der Bildung. (...) Nun aber habe ich dies allgemeine im Grunde anthropologische Raisonnement auf Staaten angewendet, und denen eine Norm, wenn gleich nur als Ideal vorschreiben wollen.“[18]
1.) Humboldts Menschenbild
„Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen.“[20] Was meint Humboldt damit?[19]
a) Kräfte und unveränderliche Vernunft
Humboldt erkennt in der Tradition der Aufklärung zwei Instanzen, die den Charakter des Menschen bilden: Kräfte und Vernunft.
Im Menschen wirken viele verschiedene Kräfte, die alle aus der Sinnlichkeit des Menschen stammen[21]. Zu einem Ganzen zusammengenommen können sie als innere Kraft des Menschen betrachtet und als Inbegriff der selbständigen Anlagen des Menschen verstanden werden[22].
Mit der Kennzeichnung als selbständige menschliche Anlage verwehrt sich Humboldt gegen jede lenkende Einwirkung auf diese Kräfte von außen. Sie wäre wesensfremd. Zugleich sind die Kräfte aber doch auf Anregung von außen angewiesen, um zu ihrer individuellen Ausprägung zu gelangen[23]. Die innere Kraft des Menschen ist es für Humboldt allein, „um die es sich zu leben verlohnt“, „nicht nur das Prinzip, wie der Zweck aller Tätigkeit, sondern der einzige Stoff alles wahren Genusses.“[24] Mit seinem Ansatz von einer Grundkraft folgt Humboldt der Leibniz-Wolffschen Philosophie und widerspricht der Kantschen Theorie, nach der eine Identität von Substanz und Kraft nicht möglich ist[25].
Nach Humboldts eigenem Vernunftbegriff hat die Vernunft „wohl Fähigkeit, vorhandenen Stoff zu bilden, aber nicht die Kraft, neuen zu erzeugen“[26]. Die Vernunft muß deshalb nach möglichst gleichmäßiger und vollständiger Entfaltung der Kräfte streben, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Dies liegt zwingend in ihrem Wesen, deshalb spricht Humboldt von ewig unveränderlicher Vernunft. Ihr Ziel ist die
b) Höchste und proportionierlichste Bildung.
Während die Aufklärung glaubte, aus der Vernunft für den Menschen bestimmte Richtlinien ableiten zu können, was er zu tun und zu lassen habe, so bestimmt sich der humboldtsche Mensch selbst aus seinen Anlagen und handelt somit vernünftig, wenn er sie ausgewogen zu vollster Entfaltung bringt[28]. Damit läßt Humboldt die Fragestellung des aufklärerischen Philantropismus, welche Kräfte der Mensch in welchem Ausmaß auszubilden habe, schon im Ansatz leerlaufen[29]. Dabei ist der humboldtsche Ansatz, ähnlich dem Kants[30], allemal toleranter[31] und humanistisch in seinem Wesen[32] [27].
Bildung bedeutet für Humboldt den kontinuierlichen Weg zu einem gesteigerten Menschsein, zu einer höheren Daseinsstufe[33]. Mit dem „Höchsten“ meint Humboldt die jeweils menschenmögliche, nicht auf ein bestimmtes Maß beschränkte Entwicklung. Das „proportionierlichste“ Verhältnis verlangt Harmonie und Ausgewogenheit innerhalb der Anlagen[34]. „Proportionierlichste Bildung bedeutet daher das freie Zusammenspiel und wechselseitiges Gewährenlassen aller Anlagen und Fähigkeiten zur Erkenntnis und Gestaltung der Welt[35].
2.) Voraussetzungen für die „Bildung der Kräfte zu einem Ganzen“
a) Freiheit
„Zu dieser Bildung ist Freiheit die erste und unerläßlichste Bedingung“ schreibt Humboldt[36]. Dabei versteht er unter Freiheit den Freiraum, der es erlaubt, „sich aus sich selbst in seiner Eigentümlichkeit zu entwickeln.“[37] Das bedeutet, jeder Zwang, jeder Einfluß, der die Entwicklung der Kräfte aus sich selbst heraus stören könnte, wird als Eingriff in die Freiheit angesehen.
[...]
[1] Nach Scurla, S. 19-29.
[2] vgl. Borsche, S. 47.
[3] Spranger, S. 39f.
[4] WvH, Grenzen, S. 197; vgl. auch Kaehler, S. 138.
[5] WvH ,Grenzen (zum Text), S. 211; Borsche, S. 45.
[6] Sauter, S. 324; WvH, Grenzen (zum Text), S. 211; Scurla, S. 96.
[7] Sauter, a. a. O.
[8] vgl. Klenner, S. 316f.; auch Sauter S. 324.
[9] Kaehler, S. 146.
[10] Scurla, S. 108f.
[11] Scurla, S. 108.; Kaehler, S. 149f.
[12] Kaehler, S. 140.
[13] WvH, Grenzen, S. 13.
[14] WvH, Grenzen, S. 22.
[15] WvH, Grenzen a. a. O.
[16] Sauter, s. 331.
[17] Georg Forsters Werke, Bd. 18, S. 534.
[18] Leitzmann, S. 54.
[19] ausführlich dazu Menze, S. 35ff, 96ff.
[20] WvH, Grenzen, S. 22.
[21] WvH, Grenzen, S. 100; Sauter, S. 335, s. auch S. 356: "Gegenüber der rationalistischen Aufklärungsphilosophie, in der Humboldt großgeworden ist, vertritt er hier eine ganz neue Einschätzung der Sinnlichkeit: Sie hat den ihr auch noch bei Mendelsohn anhaftenden defizitären Charakter abgelegt und wird in ihrem Eigenwert anerkannt."
[22] Menze, S. 101: "Die Wolffsche Einteilung in Grundkraft (vis) und davon abgeleitete Kräfte (facultates) und in anderer Weise die kantische Unterscheidung zwischen dem empirischen und dem intelligiblen Charakter wirken an dieser Stelle nach."
[23] Sauter, S. 336.
[24] Georg Forsters Werke, a.a.O.
[25] Menze, S. 99.
[26] WvH, GS l, S. 80.
[27] ausführlich Menze, S. 125ff.
[28] Sauter, S. 334.
[29] Sauter, S. 332.
[30] Sauter, S. 332.
[31] Sauter, S. 337: "Damit weicht Humboldt fundamental von der Toleranzlehre der Aufklärung ab, die die Toleranz mit dem Hinweis auf die gemeinsame Existenz als Mensch einforderte. Gegen diesen Toleranzbegriff der Aufklärung hat Goethe seinen "Maximen und Reflexionen" seinen Einwand formuliert, der zugleich Humboldts Kritik auf den Punkt bringt: "Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.""
[32] vgl. Sauter, S. 333.
[33] Sauter, S. 337.; vgl. Meyer in FAZ ¢98, Nr. 154, S. 11 (zum humboldtschen Bildungsideal).
[34] Sauter, S. 332.
[35] Sauter, S. 333.
[36] WvH, Grenzen, S. 22; vgl. auch Schulze, S. 147.
[37] WvH, Grenzen, S. 28.
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