Was ist Geschichte? Eine Erklärung dafür zu finden ist nicht leicht, kann man sie doch weder sehen, noch fühlen oder anfassen. Was wir mit unseren Sinnen erfassen können sind die Überreste der Vergangenheit, aber ist es das allein, was Geschichte ausmacht? Wohl kaum. Wenn man dann zur Einsicht gelangt ist, dass Geschichte mit der Vergangenheit zu tun hat, ist man der Klärung des Begriffs noch nicht wesentlich näher gekommen, dafür stellen sich neue Fragen und Probleme. Wenn Geschichte vergangen ist, wie gewinnen wir unser Wissen darüber? Wie können wir beurteilen, auf welche Weise sich Dinge zugetragen haben? Gibt es überhaupt eine historische Wahrheit, exakte Ergebnisse, wie sie beispielsweise die Naturwissenschaften liefern oder sind all unsere Erkenntnisse rein spekulativ? Geraten schon Studenten der Geschichtswissenschaft in Bedrängnis, wenn sie mit Grundsatzfragen wie der Definition ihres Fachs konfrontiert werden, wie muss es dann einem Schüler gehen, der sich einmal, höchstens zweimal pro Woche im Unterricht mit geschichtlichen Themen befasst.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem historischen Erkenntnisgewinn. Sie versucht zu klären, ob es überhaupt möglich ist, historische Tatsachen festzustellen. Falls ja, mit welchen Mitteln kann dies erreicht werden? Gleichzeitig zeigt sie am Beispiel des Barbarossa-Mythos auch auf, wie schmal der Grat zwischen vermeintlichen Fakten, Fiktionen und Verfälschungen ist. Schließlich werden die gewonnenen Ergebnisse genutzt um Anforderungen an einen Geschichtsunterricht zu formulieren, der es versteht die Faszination, gleichzeitig aber auch die Komplexität des Faches schülergerecht zu vermitteln.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Gegenstandscharakter der Geschichte
1.1 Definition des Geschichtsbegriffs
1.2 Der Doppelbegriff der Geschichte
2. Geschichtsbewusstsein und Historische Imagination
2.1 Geschichte – die Rekonstruktion der Vergangenheit
2.2 Vergegenwärtigung als Voraussetzung für den Umgang mit Geschichte
2.3 Von den Bildern der Vergangenheit
3. Von Fakten und Fiktionen – Probleme des Erkenntnisgewinns und der Wissensvermittlung
4. Der Barbarossa-Mythos
4.1 Der Tod Friedrich I. während des dritten Kreuzzugs
4.2 Der Eingang Barbarossas in die Sagenwelt
5. Schlussbetrachtung und didaktische Folgerungen
6. Literaturverzeichnis
Einleitung
„Was ist Geschichte überhaupt?“ Diese Frage wurde mir während des letzten Semesters im Fachdidaktikseminar „Musik und Geschichte“ an der Hochschule für Musik und Theater gestellt. Es folgten verwirrte Blicke, betretenes Schweigen und daraufhin verzweifelte Versuche in Worte zu fassen, womit ich mich bereits seit zweieinhalb Jahren fast täglich beschäftige. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, wie schwer es eigentlich ist den Begriff Geschichte zu definieren.
Was ist Geschichte? Eine Erklärung dafür zu finden ist nicht leicht, kann man sie doch weder sehen, noch fühlen oder anfassen. Was wir mit unseren Sinnen erfassen können sind die Überreste der Vergangenheit, aber ist es das allein, was Geschichte ausmacht? Wohl kaum. Wenn man dann zur Einsicht gelangt ist, dass Geschichte mit der Vergangenheit zu tun hat, ist man der Klärung des Begriffs noch nicht wesentlich näher gekommen, dafür stellen sich neue Fragen und Probleme. Wenn Geschichte vergangen ist, wie gewinnen wir unser Wissen darüber? Wie können wir beurteilen, auf welche Weise sich Dinge zugetragen haben? Gibt es überhaupt eine historische Wahrheit, exakte Ergebnisse, wie sie beispielsweise die Naturwissenschaften liefern oder sind all unsere Erkenntnisse rein spekulativ? Gerät ein Student der Geschichte schon in Bedrängnis, wenn er mit Grundsatzfragen seines Fachs konfrontiert wird, wie muss es dann einem Schüler gehen, der sich einmal, höchstens zweimal pro Woche im Unterricht mit geschichtlichen Themen beschäftigt.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem historischen Erkenntnisgewinn. Sie versucht zu klären, ob es überhaupt möglich ist, historische Tatsachen festzustellen. Falls ja, mit welchen Mitteln kann dies erreicht werden? Gleichzeitig zeigt sie am Beispiel des Barbarossa-Mythos auch auf, wie schmal der Grat zwischen vermeintlichen Fakten, Fiktionen und Verfälschungen ist. Schließlich werden die gewonnenen Ergebnisse genutzt um Anforderungen an einen Geschichtsunterricht zu formulieren, der es versteht die Faszination, gleichzeitig aber auch die Komplexität des Faches schülergerecht zu vermitteln.
1. Der Gegenstandscharakter der Geschichte
1.1 Definition des Geschichtsbegriffs
Obwohl wir alle, nicht nur Schüler und Studenten, mit dem Begriff „Geschichte“ jeden Tag umgehen, können wohl nur wenige auf die Frage antworten, was denn Geschichte eigentlich sei. Den Gegenstandscharakter der Geschichte zu definieren fällt schwer, da das Fach einen fassbaren Gegenstand in dem Sinne nicht besitzt. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften mangelt es den Geisteswissenschaften oft an Anschaulichkeit. Man kann die Dinge, von denen erzählt wird, oft nicht sehen oder gar anfassen. Daher ist der Geschichtsbegriff nur schwer zu fixieren.
Was ist Geschichte? Zunächst einmal ist es der zeitliche Ablauf allen Geschehens in der Natur und Gesellschaft in der Vergangenheit. Zeitlich bedeutet, Geschichte ist ein Verlaufsprozess, welcher in der Vergangenheit beginnt und in der Gegenwart endet. Das Wort Vergangenheit besagt, Geschichte ist unumkehrbar. Sie ist einmalig und nicht wiederholbar.[1] Joachim Rohlfes grenzt den Begriff weiter ein, wenn er meint: bezüglich der Geschichte sei „alles relevant, was zur zeitlichen Existenz des Menschen und seiner Hervorbringungen gehört.“[2] Er stellt also den Menschen in den Mittelpunkt geschichtlicher Betrachtungen. Dabei schließt er aber eindeutig alle Zeitperioden vor der Entstehung des Menschen aus. Dies ist insofern berechtigt, da es andere Wissenschaften wie die Archäologie und die Astrophysik gibt, die sich beispielsweise mit der Entstehung der Erde oder der Existenz der Dinosaurier beschäftigen. Nicht umsonst beginnt das Unterrichtsfach Geschichte inhaltlich mit der Urgesellschaft und dem Urmenschen.
Die Bezeichnung für jenes Fachgebiet, mit dem wir uns heutzutage beschäftigen, ist eine begriffliche Neuschöpfung des 18. Jahrhunderts. Aus den „Geschichten“ (Historien) wurde die „Geschichte“ und damit ein „regulativer Begriff für alle gemachte und noch zu machende Erfahrung.“[3],[4]
Rohlfes erwähnt weiterhin, dass alle Sachverhalte der Geschichte auch für andere wissenschaftliche Disziplinen von Belang sind, wie die Politologie, die Sozialwissenschaften oder die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Hier gibt es breite inhaltliche Überschneidungen.[5]
Von den Naturwissenschaften unterscheidet sich die Geschichte als Geistes- und Kulturwissenschaft in ihrem Exaktheitsgrad. Geschichtliche Erkenntnisse können nicht durch Experimente wiederholt und somit bewiesen werden. Ebenso gibt es keine unumstößlichen Naturgesetze, welche sich auf die Geschichte anwenden ließen.[6] Geschichte beruht zu einem großen Teil auf Wahrscheinlichkeiten.
1.2 Der Doppelbegriff der Geschichte
Wir alle verwenden den Begriff „Geschichte“ allzu leichtfertig und vergessen dabei oft, dass dieser vielschichtig ist, und dass daher bei einer weiterführenden Definition des Terminus differenziert werden muss.
Der Begriff Geschichte besitzt einen doppelten Charakter. Er bezeichnet zum einen das, was geschehen ist, die Ereignisgeschichte, den objektive Gegenstand oder die res gestae. Zum anderen benennt er aber auch die Kunde oder Erzählung von jenen Ereignissen, bzw. deren Darstellung - die historia rerum gestarum. Diese ist Gegenstand der Geschichtswissenschaft, welche sich mit der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung beschäftigt, um Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen und historische Ereignisse zu deuten. Dadurch erfolgt ein subjektiver Zugriff auf die Geschichte mit dem Ziel, diese zu verstehen und zu erklären.[7]
Der Januskopf auf dem Einband zu Kluxens Werk „Vorlesung zur Geschichtstheorie I“ stellt den Doppelcharakter der Geschichte besonders treffend dar.[8]
2. Geschichtsbewusstsein und Historische Imagination
2.1 Geschichte – die Rekonstruktion der Vergangenheit
Geschichte kann sich stets nur auf Geschehenes, Vergangenes beziehen. Sie ist nur dem Menschen zueigen, weil dieser ein vernunftbegabtes und bewusst handelndes Individuum ist, denn Geschichte entsteht nicht aus den Überresten vergangener Zeiten allein. „Die Quellen sprechen für sich“, so heißt es. Doch das stimmt nicht. Geschichte muss erst aus diesen rekonstruiert und vergegenwärtigt – bewusst gemacht werden. Kurt Kluxen geht so weit zu sagen: „Geschichte gibt es nur in den Köpfen der Menschen“.[9] Diese aber haben immer einen subjektiven Blick auf die Vergangenheit, so dass das Gebot Leopold von Rankes, nur „zu zeigen, wie es wirklich war“, ein ewiger Wunschtraum bleiben wird.[10]
Geschichte ist eben nur das Abbild des Vergangenen, die Rekonstruktion dessen. Eine Re konstruktion, weil es die Aufgabe des Wissenschaftlers ist, eine möglichst irrtumsfreie Wiederherstellung der Vergangenheit zu ermöglichen, zugleich ist es auch eine Re konstruktion, weil die erforschte „zweite Wirklichkeit“ nichts Absolutes und Endgültiges ist, sondern immer abhängig bleibt von „Selektion, Abgrenzung und Perspektive“.[11] Sie ist gleichzeitig immer an die „Erkenntnismöglichkeiten, Deutungswünsche und lebensweltlichen Fragestellungen einer Gegenwart gebunden“.[12]
Es ist aber nicht allein diese Rekonstruktion der Vergangenheit, welche die Geschichte „neu entstehen“ lässt. Geschichte muss erleb- und erfahrbar und zu diesem Zweck bewusst gemacht werden. Das Geschichtsbewusstsein ist demnach unerlässlich für den Umgang mit der Vergangenheit.
2.2 Vergegenwärtigung als Voraussetzung für den Umgang mit Geschichte
Laut Theodor Schieder bedeutet Geschichtsbewusstsein die „ständige Gegenwärtigkeit des Wissens, daß der Mensch und alle von ihm geschaffenen Einrichtungen und Formen seines Zusammenlebens in der Zeit existieren, also eine Herkunft und Zukunft haben, daß sie nichts darstellen, was stabil, unveränderlich und ohne Voraussetzung ist“.[13]
Geschichte in Form der res gestae ist in ihrer Gestalt stabil. Wir wissen zwar nicht mit letzter Sicherheit wie etwas geschehen ist, dass etwas geschehen ist, steht aber außer Frage. In den Köpfen der Menschen nimmt Geschichte in konstruiertem und reflektiertem Zustand aber eine Form an, welche ständiger Veränderung unterworfen ist. Allein das Wissen um die Geschichtlichkeit in ihren zeitlichen Ebenen und das gegenwärtige Bewusstsein des Vergangenen sind gewiss. Geschichtsbewusstein ist also die „Art, in der Vergangenes in Vorstellung und Erkenntnis gegenwärtig ist“.[14]
Dabei bedeutet dieses einen rationalen Umgang mit historischen Zeugnissen. Es ermöglicht die Reflexion über die „Reichweiten und Grenzen eigener Deutung“, lässt uns andere, vielleicht konträre Meinungen tolerieren und ist aus diesem Grund wesentlich für den historischen Erkenntnisgewinn. Es ist somit die „Tätigkeit der historischen Vernunft“.[15]
Gleichzeitig verändert gewonnenes Wissen das Bewusstsein der Menschen. Geschichtsbilder, die sich über Jahrzehnte etabliert haben mögen, müssen so der Kritik unterzogen und gegebenenfalls korrigiert werden. Erkenntnis und Geschichtsbewusstsein stehen also miteinander in Wechselwirkung. Daher dient das Geschichtsbewusstsein gleichzeitig der Orientierung des Individuums. Es übt „über die Vergangenheitsdeutung hinaus auch eine gesellschaftliche Funktion für die Gegenwart aus und eröffnet so gegebenenfalls Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft“.[16] Daher fordert Rohlfes als didaktische Konsequenz, dass weniger Daten und Tatsachen gelehrt werden sollten. Vielmehr sei es von Bedeutung, die Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeit der Schüler zu fördern.[17]
Nur durch das Bewusstmachen und Vergegenwärtigen von Geschichte kann diese für den Schüler erfahrbar bemacht werden, denn die Vergangenheit ist wirklich vergangen, sie ist „entworden“, wie der Lebensphilosoph Alfred Schütz es bezeichnete.[18] Daher ist es die Aufgabe des Lehrers, durch den geschickten Gebrauch von Medien und vor allem seiner Sprache, die Geschichte so zu rekonkretisieren, dass sie gleichsam in eine neue Gegenwart, in ein „sekundäres Leben“ transformiert wird.[19] Vergegenwärtigung heißt in diesem Zusammenhang also, die vergangene Wirklichkeit „mit Leben zu füllen“, sie „vorstellbar“ zu machen. Paul Ricoeur prägte dafür den Begriff „Refiguration“ (refigurer = sich vorstellen).[20]
[...]
[1] Bayer, Erich: Wörterbuch zur Geschichte. Stuttgart 1974. S. 179.
[2] Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik. Göttingen 2005. S. 28.
[3] Ebenda, S. 28.
[4] Koselleck, Reinhard: Geschichte, Geschichten und formale Zeitstrukturen. in: Koselleck, Reinhard; Stempel, Wolf-Dieter [Hrsg.]: Geschichte – Ereignis und Erzählung. München 1990. S. 211.
[5] Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik (wie Anm. 2). S. 28.
[6] Fuchs, Konrad; Raab, Heribert: Wörterbuch zur Geschichte. München 1972. S. 300.
[7] Bialas, Wolfgang: Geschichte. in: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 1997. S. 111.
[8] Kluxen, Kurt: Vorlesung zur Geschichtstheorie I. Paderborn 1974.
[9] zitiert nach: Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik. S. 29.
[10] zitiert nach: Fuchs, Konrad; Raab, Heribert: Wörterbuch zur Geschichte (wie Anm. 6). S. 300.
[11] Schörken, Rolf: Begegnungen mit Geschichte. Stuttgart 1995. S. 11 f.
[12] Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein. in: Handbuch der Geschichtsdidaktik (wie Anm. 7). S. 42.
[13] zitiert nach: Jeismann, Karl-Ernst: Geschichtsbewußtsein. in: Handbuch der Geschichtsdidaktik. S. 42.
[14] Ebenda, S. 42.
[15] Ebenda, S. 43-46.
[16] Schörken, Rolf: Geschichtsbewusstsein/ Geschichtsbild. in: Ploetz – Lexikon für den Geschichtsunterricht. Freiburg-Würzburg, 1984. S. 59.
[17] Rohlfes, Joachim: Geschichtsbewußtsein: Leerformel oder Fundamentalkategorie? in: Becher, Ursula; Bergmann, Klaus: Geschichte – Nutzen oder Nachteil für das Leben. Düsseldorf 1986. S. 92.
[18] Schörken, Rolf: Begegnungen mit Geschichte (wie Anm. 11). S. 12.
[19] Ebenda, S. 12.
[20] Ebenda, S. 12.
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