Das Ziel der effektiven Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit beschäftigt seit Jahrzehnten Wissenschaftler, Politiker und Verbände. Zahlreiche Konzepte und Reformen wurden weltweit durchgeführt - bislang ohne den gewünschten Erfolg. Seit Jahren wächst in Deutschland trotz steigender Produktivität die Arbeitslosigkeit. Mit dem Grundeinkommen wollen seine Befürworter den Herausforderungen der Arbeitslosigkeit und Armut gerecht werden. Das Urteil der Kritiker fällt unterschiedlich aus: naiv, gefährlich und wirtschaftlich schädlich. Trotzdem wird die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen seit Jahrzehnten geführt und heute mehr denn je in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Bereits in den 1960er Jahren wurden unter anderem durch die Unterstützung von Milton Friedman in den USA einige Gesetzesvorlagen dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt. Weltweit haben sich Wissenschaftler, Politiker und Verbände für die Einführung eines Grundeinkommens eingesetzt. Vereinfacht ausgedrückt steht der Begriff Grundeinkommen für die Idee einer garantierten Zahlung des Staates an seine Bürger, die weder an Bedingungen geknüpft ist, noch Kontrollen der Bedürftigkeit unterliegt. Gleichzeitig legen die meisten Konzepte eine umfassende Reform und Vereinfachung der bestehenden Sozialsysteme zugrunde. Indessen unterscheiden sich die entwickelten Ansätze hinsichtlich der Höhe der Zahlung, des Finanzierungsansatzes und der jeweiligen Zielvorstellungen. Dabei bricht die Abkopplung des Lohns von der Erwerbsarbeit mit sämtlichen gewachsenen Denkmustern, Wertevorstellungen und nicht zuletzt dem biblischen Ausspruch „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Tatsache ist aber auch, dass durch die seit Jahrzehnten wachsende Arbeitslosigkeit immer mehr Menschen schon heute von der Erwerbsarbeit abgekoppelt sind. In der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sehen die Befürworter die Lösung der akuten wirtschafts- und armutspolitischen Probleme. Es wird als konsequente Re-form und Anpassung der bisherigen sozialen Sicherungssyteme an die sich wandelnde Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft verstanden. Da die Diskussion um ein Grundeinkommen weltweit geführt wird, liegen unterschiedlichste Vorschläge zur Ausgestaltung vor. So werden Grundeinkommenskonzepte auch als Negative Einkommensteuer, Bürgergeld und Sozialdividende bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens
2.1 Die Vordenker eines bedingungslosen Grundeinkommens
2.2 Probleme der Begriffsabgrenzung
2.3 Vorschläge zur Ausgestaltung eines Grundeinkommens in Deutschland
2.3.1 Diskussionspapier von Bündnis 90/Die Grünen
2.3.2 Vorschlag der FDP zu einem liberalen Bürgergeld
2.3.3 Entwurf des Netzwerk Grundeinkommens
2.4 Ansätze zur Festlegung der Grundeinkommenshöhe
3 Finanzierungsmodelle des Grundeinkommens
3.1.1 Das Transfergrenzen-Modell der Universität Ulm
3.1.2 Vorschlag des Netzwerk Grundeinkommens
3.2 Grundeinkommen – ein Feldversuch
3.2.1 Der Alaska Permanent Fund
3.2.2 Das Experiment des Office of Economic Opportunity
4 Potentielle Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt
4.1 Angebotseffekt
4.2 Nachfrageeffekt
4.3 Existenzgründungen
4.4 Grundeinkommen als Mindestlohn?
5 Gegenüberstellung von Grundeinkommen und ökonomischen Theorien
5.1 Unterschiedliche Formen der Arbeitslosigkeit
5.2 Heterogenes versus homogenes Arbeitsangebot
5.3 Mikroökonomische Betrachtung des Arbeitsangebotes
5.4 Makroökonomischer Erklärungsansatz
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Entwicklung der Armut in Deutschland (1973 - 2003)
Abb. 2: Dividendenzahlung des Alaska Permanent Funds
Abb. 3: Bruttoinlandsprodukt, Arbeitsproduktivität, Erwerbstätige, Arbeitsvolumen und Arbeitszeit, Index (1991 = 100)
Abb. 4: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1991 - 2004
Abb. 5: Mögliche Auswirkung einer negativen Einkommensteuer auf das Arbeitsangebot
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Das Ziel der effektiven Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit beschäftigt seit Jahrzehnten Wissenschaftler, Politiker und Verbände. Zahlreiche Konzepte und Reformen wurden weltweit durchgeführt – bislang ohne den gewünschten Erfolg. Seit Jahren wächst in Deutschland trotz steigender Produktivität die Arbeitslosigkeit. Mit dem Grundeinkommen[1] wollen seine Befürworter den Herausforderungen der Arbeitslosigkeit und Armut gerecht werden. Das Urteil der Kritiker fällt unterschiedlich aus: naiv, gefährlich und wirtschaftlich schädlich. Trotzdem wird die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen seit Jahrzehnten geführt und heute mehr denn je in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Bereits in den 1960er Jahren wurden unter anderem durch die Unterstützung von Milton Friedman in den USA einige Gesetzesvorlagen dem Kongress zur Abstimmung vorgelegt. Weltweit haben sich Wissenschaftler, Politiker und Verbände für die Einführung eines Grundeinkommens eingesetzt. Vereinfacht ausgedrückt steht der Begriff Grundeinkommen für die Idee einer garantierten Zahlung des Staates an seine Bürger, die weder an Bedingungen geknüpft ist, noch Kontrollen der Bedürftigkeit unterliegt. Gleichzeitig legen die meisten Konzepte eine umfassende Reform und Vereinfachung der bestehenden Sozialsysteme zugrunde. Indessen unterscheiden sich die entwickelten Ansätze hinsichtlich der Höhe der Zahlung, des Finanzierungsansatzes und der jeweiligen Zielvorstellungen. Dabei bricht die Abkopplung des Lohns von der Erwerbsarbeit mit sämtlichen gewachsenen Denkmustern, Wertevorstellungen und nicht zuletzt dem biblischen Ausspruch „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Tatsache ist aber auch, dass durch die seit Jahrzehnten wachsende Arbeitslosigkeit immer mehr Menschen schon heute von der Erwerbsarbeit abgekoppelt sind.
In der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sehen die Befürworter die Lösung der akuten wirtschafts- und armutspolitischen Probleme. Es wird als konsequente Reform und Anpassung der bisherigen sozialen Sicherungssyteme an die sich wandelnde Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft verstanden. Da die Diskussion um ein Grundeinkommen weltweit geführt wird, liegen unterschiedlichste Vorschläge zur Ausgestaltung vor. So werden Grundeinkommenskonzepte auch als Negative Einkommensteuer, Bürgergeld und Sozialdividende bezeichnet. Die Modelle unterscheiden sich vor allem in Höhe der Zahlung, Form der Finanzierung, Bedingungen und erwarteten Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Die Diskussion um ein Grundeinkommen wird darüber hinaus noch von verschiedenen anderen Standpunkten und Überzeugungen aus geführt. Neben den erwarteten positiven Einflüssen auf Einkommensverteilung, Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum zielen viele Grundeinkommenskonzepte auch auf Lösungsmöglichkeiten für Umweltprobleme, geschlechtliche Gleichberechtigung und eine universale Freiheit ab.
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich bei der Betrachtung möglicher Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Dabei wird anhand ausgewählter Grundeinkommensentwürfe ein Ausschnitt der aktuellen Diskussion um ein Grundeinkommen in Deutschland aufgezeigt und auf arbeitsmarktpolitische Wirkungen hin untersucht. Die Arbeit beginnt mit einer geschichtlichen Zusammenfassung der weltweiten Grundeinkommensdiskussion. Anschließend auf die mehrdeutige Begriffsverwendung eingegangen. In Kapitel 2 wird darüber hinaus ein Überblick über aktuell diskutierte Grundeinkommenskonzepte in Deutschland gegeben. Dazu werden Entwürfe von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und des Netzwerk Grundeinkommens vorgestellt. Das Kapitel schließt mit einem Überblick über Ansätze zur Festlegung der Grundeinkommenshöhe ab.
Kritiker eines Grundeinkommens führen oftmals die Nicht-Finanzierbarkeit der Vorschläge an. Dieser Punkt wird in Kapitel 3 aufgegriffen und zwei Finanzierungskonzepten gegenübergestellt. Gegenstand der Arbeit ist dabei nicht die Überprüfung der einzelnen Konzepte auf eine generelle Finanzierbarkeit. Diese wird ebenso wie der politische Wille zur Umsetzung vorausgesetzt. Vielmehr dienen die Beispiele der Verdeutlichung der unterschiedlichen Ansätze. Auf mögliche Arbeitsmarktauswirkungen hinführend endet Kapitel 3 mit einem Überblick über zwei vergangene Grundeinkommensexperimente. Anschließend werden im 4.Teil der Arbeit die konzeptübergreifenden erhofften Arbeitsmarktauswirkungen einer Grundeinkommenseinführung vorgestellt. Von besonderem Interesse sind dabei die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf das Arbeitsangebot und das Konsumverhalten. Darüber hinaus wird versucht, die Frage nach einer Mindestlohnwirkung des Grundeinkommens zu beantworten. Das 5. Kapitel überprüft schließlich die erwarteten Auswirkungen auf Übereinstimmung mit mikro- und makroökonomischen Theorien und Modellversuchen. Grundlage der mikroökonomischen Untersuchung bildet das neoklassische Verhaltensmodell. Der makroökonomische Vergleich stützt sich auf einen Modellversuch auf Basis des keynesianischen Einkommen-Ausgaben-Modells. Die Arbeit endet mit einem Fazit über die ökonomisch abgesicherten Auswirkungen eines Grundeinkommens auf den deutschen Arbeitsmarkt.
2 Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens
2.1 Die Vordenker eines bedingungslosen Grundeinkommens
Seit wann die Idee eines Grundeinkommens diskutiert wird lässt sich nicht genau festlegen. Weit gefasst kann das Grundeinkommen als eine Art Gesellschaftsentwurf verstanden werden, in dem jeder Einwohner das erhält, was er zum Leben braucht. Konzepte dieser Art finden sich bereits in der literarischen Denkform der Utopie wieder. So beschrieben schon Morus (1517) und Campanella (1623) einen Zustand, bei dem die Versorgung aller gewährleistet ist. Ziel des Entwurfs war die Kritik an der Nicht-Arbeit des Adels, bei dem jedoch der Arbeitswille aller vorausgesetzt wurde.[2] Mehr als 200 Jahre später beschreibt Thomas Paine in seinem Buch Agrarian Justice eine andere Form der Grundversorgung. Laut Paines Ausführung müssen Grund und Boden wieder als öffentliches Gut angesehen werden. Er zielte nicht darauf ab, die Landbesitzer zu enteignen, sondern von ihnen eine Erbschaftssteuer auf den Wert des Besitzes zu erheben. Die Steuereinnahmen sollten dazu dienen, jedem 21jährigen eine Einmalzahlung und jeder Person ab 50 Jahren eine jährliche Pension zu ermöglichen. Im ersten Fall sollte die Zahlung als eine Art Startkapital verstanden werden, wohingegen die Pension dazu dienen sollte, die Risiken des Alters zu mildern. Aus Sicht der heutigen Grundeinkommensdiskussion ist es interessant, dass Paine unabhängig von der Zugehörigkeit der Bürger zu einer sozialen Schicht die gleichen Summen auszahlen wollte und sein Konzept nicht den Arbeitswillen aller voraussetzte. Ein weiterer Wegbereiter der heutigen Grundeinkommensdiskussion ist der französische Sozialphilosoph Charles Fourier. In seinem Werk La Fausse Industrie von 1836 setzte er sich mit den Bedingungen und Auflagen auseinander, die der damaligen Armutsbeihilfe zu Grunde lagen. Er kam zu einem ähnlichen Schluss wie zuvor Thomas Paine. Die Armen sollten für den Verlust des direkten Zugangs zu natürlichen Ressourcen entschädigt werden. Da sie für diesen Verlust nicht selbst verantwortlich waren, sollte die Entschädigung bedingungslos erfolgen. Diese Kompensationszahlungen sollten als Basislohn dienen, der aus dem Sozialprodukt der Gemeinschaft finanziert und allen Mitgliedern gezahlt wird.
Bei all den vorangegangenen Konzepten wird deutlich, dass zu dem Zeitpunkt ihrer Erarbeitung, Grund und Boden das entscheidende Produktionsmittel war. Im Zuge der Industrialisierung haben andere Einflussfaktoren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Neben den zur Produktion notwendigen Maschinen und Fertigungseinrichtungen ist das in den Produkten einfließende Wissen in der Moderne zum entscheidenden Kriterium geworden. In Folge dessen veränderte sich mit den relevanten Produktionsmitteln auch die Argumentation der Befürworter eines Grundeinkommens. Der erste Wissenschaftler, der diese Erkenntnisse in einem Konzept für ein Grundeinkommen einfließen ließ, war der Schotte Major Clifford H. Douglas. Mit seinem Entwurf der New Economics zog er Anfang des 20. Jahrhunderts die Konsequenz aus dem Wandel hin zur Wissensgesellschaft. Vereinfacht ausgedrückt unterschied er zwischen zwei Arten von Krediten. Zum einen den financial credits, die von Banken gewährt werden, und zum anderen den real credits in Form kreativen Inputs aus der Gesellschaft in den Wirtschaftsprozess flossen. Als real credits können beispielsweise Erfindungen und Innovationen bezeichnet werden, wohingegen financial credits in monetärer Form gewährt werden. Douglas erkannte bereits damals, dass die erste Form von Krediten eine rechtliche Grundlage hatte und anerkannt war, jedoch die zweite Form diejenige war, die das entscheidende Produktionsmittel darstellte. Dabei ist zu betonen, dass Douglas damit nicht nur das Wissen weniger Menschen meinte, sondern das Wissen und die Erfahrungen der gesamten Gesellschaft. Um das Wissen der Gesamtheit, welches das wesentliche Produktionsmittel darstellte, finanziell zu vergüten, stand gemäß Douglas jedem Bürger eine regelmäßige Dividende zu. Die Finanzierung sollte über die Einnahmen des Staates erfolgen, die dieser für die Gewährung von Anleihen und Krediten erhielt. Douglas konnte in den dreißiger Jahren einen kanadischen Politiker für seine Idee gewinnen und gründete die Social Credits Party. Mit dem Versprechen, jedem Bürger des Bundesstaates Alberta ein monatliches Grundeinkommen von 25 Dollar zu zahlen, gewann seine Partei die lokalen Wahlen. Bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, intervenierte die Föderationsregierung und stoppte sein Vorhaben. Die Bemühungen Douglas’ sind daher so bemerkenswert, da sie das erste tatsächlich realisierte Grundeinkommenskonzept der Weltgeschichte dargestellt hätten.[3]
Eine weitere Vordenkerin der heutigen Diskussion um ein Grundeinkommen war die britische Politikerin Juliet Rhys Williams. Rhys Williams legte 1943 mit ihrem New Social Contract einen Gegenvorschlag zu dem von dem britischen Wirtschaftstheoretiker William Beveridge ausgearbeiteten Plan zur britischen Sozialversicherung vor. Abgesehen davon, dass sie eine Bedürftigkeitsprüfung für den Erhalt des Grundeinkommens voraussetzte, ist sie bereits vielen heutigen Ansätzen sehr nahe gekommen.[4]
Mit seinem 1962 erschienenen Buch Capitalism and Freedom verhalf Milton Friedman dem Gedanken eines Grundeinkommens zu weiterer Bekanntheit. In seinem Werk proklamierte Friedman seine Idee der Negativen Einkommensteuer.[5] Dieser Vorschlag sollte gegenüber den vorhandenen Beihilfesystemen den Vorteil haben, geringere Administrationskosten zu verursachen und das Funktionieren des Marktes nicht zu beeinträchtigen. Das Konzept der negativen Einkommensteuer sieht vor, dass Steuerzahler ab einer bestimmten Einkommenshöhe auch Steuerempfänger sein können. Implizit bedeutet dies, dass Personen mit einem niedrigen oder gar keinem Einkommen den Betrag monatlich erhalten würden, den sie bei entsprechend höherem Einkommen an Steuern zahlen müssten. Bürger, die über dieser Einkommensschwelle lägen, wären weiterhin Steuerzahler, Personen mit niedrigerem Einkommen würden de facto ein Grundeinkommen erhalten. Obwohl der Entwurf von Friedman die Diskussion um ein Grundeinkommen und die Sozialpolitik in den USA im Allgemeinen angeregt hat, stimmt das Konzept der negativen Einkommensteuer nicht in allen Details mit dem Ansatz vieler Grundeinkommensbefürworter überein. Erstens werden bei der negativen Einkommensteuer Familien und Haushalte als Zahlungsempfänger zugrunde gelegt und nicht Individuen. Zweitens setzt sich die Höhe der negativen Steuer aus der Differenz des Haushaltseinkommens und der Einkommensschwelle zusammen und ist somit weiterhin an eine Bedürftigkeitsprüfung gekoppelt.[6] Obwohl das Modell der negativen Einkommensteuer die eben aufgezeigten Unterschiede zu einem Grundeinkommen aufweist, wird es im Verlauf dieser Arbeit als ein mögliches Grundeinkommensmodell Berücksichtigung finden. Das ist damit zu begründen, dass die negative Einkommensteuer in Deutschland unter dem Namen Bürgergeld auf bundespolitischer Ebene ausführlich diskutiert wird. Darüber hinaus wurden in den sechziger Jahren groß angelegte Experimente mit der negativen Einkommensteuer durchgeführt und exemplarisch die ökonomischen Resultate untersucht. Dabei ist festzuhalten, dass trotz der konstitutionellen Unterschiede zwischen dem Bürgergeld und einem Grundeinkommen, die erwarteten Auswirkungen identisch sind. Die Ergebnisse aus den Experimenten werden als Überleitung zu den antizipierten Einflüssen auf den deutschen Arbeitsmarkt in Kapitel 3.2 vorgestellt.
2.2 Probleme der Begriffsabgrenzung
Wie soeben dargelegt wurde, ist die Abkopplung des Lohns von der Erwerbsarbeit eine über viele Jahre hinweg gewachsene Idee. Es wurde deutlich, dass es bei der Auffassung zu diesem Konzept viele unterschiedliche Ansätze gibt. Da die Diskussionen um ein Grundeinkommen sowohl arbeits- und sozialpolitisch, als auch lohnarbeits- und beschäftigungskritisch geprägt sind, werden oft Begriffe wie Grundsicherung, Grundeinkommen, Mindesteinkommen, Bürgergeld und negative Einkommensteuer gleichgesetzt. Meist wird die Verwendung der Begrifflichkeiten stark von den individuell oder institutionell verfolgten Zielen bestimmt.[7] Da sich heute, wie auch in der Vergangenheit, zahlreiche Parteien, Verbände, Institutionen und Organisationen für die Einführung eines Grundeinkommens ausgesprochen haben und es dabei oftmals keine inhaltliche Übereinstimmung gibt, ist es nicht möglich eine allgemeingültige Definition eines Grundeinkommens festzulegen. Auch die von Philippe Van Parijs aufgestellte Definition, wonach eine Grundeinkommen ein bedingungslos gezahltes Einkommen an alle Bürger eines Staates ist, das nicht an bereits geleistete Erwerbsarbeit oder den generellen Arbeitswillen geknüpft ist, wird nicht allen heutigen Konzepten gerecht.[8] Vielmehr wird der Begriff sowohl von den Befürwortern als auch von den Kritikern zu verschieden verwendet, als dass konstituierende Rahmenbedingungen und Ausgestaltungen generell festgelegt werden können. Einerseits bestehen seitens der Wissenschaft Bemühungen dem Begriff eine gewisse Transparenz zu verleihen, andererseits erschweren die erwähnten Überschneidungen die einheitliche Verwendung einer Definition.[9] Daher werde ich mich nicht auf eine einzige Definition beschränken. Vielmehr werden zur Verdeutlichung in den folgenden Abschnitten einige Konzepte exemplarisch dargestellt. Anhand der Entwürfe von Bündnis90/Die Grünen, FDP und des Netzwerk Grundeinkommens werden die Unterschiede in der Begriffsverwendung verdeutlicht und aktuell in Deutschland diskutierte Konzepte vorgestellt.
2.3 Vorschläge zur Ausgestaltung eines Grundeinkommens in Deutschland
2.3.1 Diskussionspapier von Bündnis 90/Die Grünen
Nachdem die Partei von Bündnis 90/Die Grünen noch in den 1980er Jahren die Einführung eines Grundeinkommens auf breiter Front verteidigt hat, wurden in den 90er Jahren eher Konzepte zur Einführung bedarfsorientierter Grundsicherung entwickelt. Diese orientieren sich eher an bestehenden Sozialversicherungssystemen und an der Hilfe zum Lebensunterhalt. Trotz dieser, im Gegensatz zur Grundeinkommenseinführung, geringen Reformtiefe sahen die Vorschläge eine deutliche Erhöhung des garantierten Existenzminimums und Ausweitung des anspruchsberechtigten Bevölkerungskreises vor.[10] In der jüngsten Vergangenheit haben die Grüne Jugend und einige Mitgliedergruppen mit deutlichen Forderungen nach einer Wiederaufnahme der Diskussion um ein Grundeinkommen die Partei bewegt. Obwohl die Grüne Jugend sich bundesweit für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen hat, fehlt noch die Vorlage eines konkreten Vorschlages. Als Rahmenbedingungen wurden bislang das Individualitätsprinzip und das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe beschlossen. Darüber hinaus wurde vereinbart, die Höhe des Grundeinkommens oberhalb der Armutsgrenze anzusetzen und seine Auszahlung weder an eine Bedürftigkeitsprüfung, noch an den Willen zur Arbeitsaufnahme zu knüpfen. Die Grüne Jugend bezeichnet diesen Beschluss selbst als Diskussionsgrundlage und entzieht sich deshalb jeder genauen Aussage zu Höhe und Finanzierung des Grundeinkommens.[11] Konkreter wird das Grundeinkommen dahingegen in einem Diskussionspapier der Grünenpolitiker Thomas Poreski und Manuel Emmler dargestellt. Diese verfassten unter dem Titel „Die Grüne Grundsicherung“ einen Entwurf für den Zukunftskongress 2006 des Bündnis 90/Die Grünen. Zwar erhebt auch dieser Vorschlag keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt nicht die Meinung innerhalb der gesamten Partei wider, dennoch eignet er sich meiner Meinung nach dafür, die Ausgestaltung eines möglichen grünen Grundeinkommens darzulegen.
Die Autoren beanspruchen für sich nicht ein völlig neues Modell entwickelt zu haben, vielmehr kombinieren sie Teile bestehender Konzepte und fügen es unter dem Namen „Die Grüne Grundsicherung“ zu einem neuen Ganzen zusammen. Dieser Entwurf soll wie eine negative Einkommensteuer wirken und dabei besondere Anreize zur Erwerbsaufnahme setzen. Darüber hinaus bedient es sich „klassischen“ Elementen des Grundeinkommens, indem auf aufwendige Bedürftigkeitsprüfungen verzichtet wird. Ebenso wird weiteren sozialpolitisch getriebenen Transferleitungen und Vergünstigungen, wie beispielsweise Kindergeld oder Kinderfreibetrag, entsagt. Interessant ist, dass die geplante Höhe des Grundeinkommens bei 500 Euro pro volljährige Person liegen soll. Diese Summe wäre nach eigenen Angaben nicht armutsfest und läge mindestens 440 Euro unter dem von der OECD ermittelten armutsfesten Level von 938 Euro.[12] Nach Angabe der Verfasser wäre die Zahlung von 938 Euro aber nicht finanzierbar. Die geplante Höhe orientiert sich somit am soziokulturellen Existenzminimum des heutigen Arbeitslosengeldes II. Um dennoch auch für Alleinstehende eine existenzsichernde Grundsicherung zu gewährleisten, sollen im Bedarfsfall weitere Leistungen gezahlt werden. Auf eine Bedürftigkeitsprüfung wird aber nur im Ausnahmefall zurückgegriffen. Der Entwurf von Poreski und Emmler bezieht als einer der wenigen Konzepte eine klare Stellung zur Renten- und Krankenversicherung. Für die Autoren ist die Mitgliedschaft in einer Krankenversicherung ein ökonomisches Grundrecht und gilt somit für alle Einwohner. Bürger, die ihren permanenten Wohnsitz in Deutschland haben, sind über die Grundsicherung krankenversichert und erhalten die medizinische Grundversorgung mindestens auf dem Niveau der heutigen gesetzlichen Krankenversicherung. Die Finanzierung der Krankenversicherung erfolgt über Steuereinnahmen und auch die Rentenversicherung soll mittel- bis langfristig in die Grundsicherung integriert werden. Für die heutigen Rentner soll als Übergangslösung eine Grundrente in Höhe von 500 Euro pro Monat gezahlt werden, zusätzlich werden Unterstützungen wie etwa Wohngeld gewährt. Die Finanzierung des Grundeinkommens wird über eine grundlegende Einkommensteuerreform gesichert. Einkünfte aller Art, also beispielsweise auch Renten, Zinsen, Mieteinnahmen und Einkünfte aus selbständiger Arbeit, werden mit einer 25%igen Einkommensteuer belegt. Hinzu kommt eine 25%ige Grundsicherungsabgabe. Die effektive Belastung der Einkommen soll somit deutlich unter 50 Prozent liegen, da die Grundsicherung von Sozialversicherungsbeiträgen befreit ist. Das Ziel ist es die niedrigeren und mittleren Einkommen zu stärken und gegenüber dem heutigen System die höheren Einkommen stärker an der Finanzierung zu beteiligen. Die beabsichtigten Auswirkungen erstrecken sich vom sozialen und kulturellen Bereich, über föderalistische Veränderungen bis hin zu ökonomischen Effekten. Im Rahmen dieser Arbeit interessieren besonders die Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. An diesem Punkt machen Poreski und Emmler aber deutlich, dass Effekte eines Grundeinkommens immer nur als mögliche Tendenz gesehen werden können. So erhoffen sie sich für den Arbeitsmarkt ähnliche positive Auswirkungen wie andere Befürworter eines Grundeinkommens. Neben der generellen Hoffnung auf steigende Arbeitsanreize für geringer Qualifizierte und positive Multiplikatoreffekte durch steigende Konsumgüter- und Dienstleistungsnachfrage wird deutlich die Familienfreundlichkeit durch erleichterte Teilzeitarbeit hervorgehoben.
Abschließend möchte ich die Kerneigenschaften des Modells der grünen Grundsicherung zusammenfassen um später einen Vergleich verschiedener Konzepte zu erleichtern. Der Entwurf strebt keine Zahlung in existenzsichernder Höhe an, sondern erreicht dies durch zusätzliche Transferleistungen. Die Auszahlung erfolgt im Bruttoprinzip, das bedeutet, dass alle Bürger ein Grundeinkommen erhalten und erst anschließend weitere Einkünfte versteuert werden müssen. Der Erhalt des Grundeinkommens ist an keine Bedingungen geknüpft und erfolgt in der Regel ohne Bedürftigkeitsprüfung. Der Finanzbedarf wurde auf Basis von Datenmaterial aus den Jahren 2003 – 2006 ermittelt und beläuft sich auf ungefähr 893,5Mrd. Euro. Hierin enthalten sind die Kosten für das Grundeinkommen und der Sozialversicherungsleistungen. Nicht enthalten sind mögliche Einsparungseffekte oder ökonomische Auswirkungen durch beispielsweise ein verändertes Arbeitsangebot, da diese auf Schätzungen beruhen und zu Verzerrungen führen würden.[13] Im Gegensatz zu Bündnis 90/Die Grünen hat die Freie Demokratische Partei (FDP) im Jahre 2005 einen Beschluss auf Bundesebene getroffen, der als Ziel die Einführung eines Bürgergeldes hat. Generell fußen Bürgergeldkonzepte auf einer negativen Einkommensteuer und können daher als Vorschlag für ein Grundeinkommen verstanden werden.
2.3.2 Vorschlag der FDP zu einem liberalen Bürgergeld
Im Mai 2005 hat die FDP auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, sich offen für die Einführung eines Bürgergeldes einzusetzen. Dem Beschluss liegt das Konzept eines so genannten liberalen Bürgergeldes zugrunde. Wie ich bereits in der geschichtlichen Entwicklung des Grundeinkommens aufgezeigt habe, beruhen Bürgergeldkonzepte auf der Grundlage einer negativen Einkommensteuer, welche in den 1960er Jahre von Milton Friedmann vorgestellt wurde. Bereits zur Bundestagswahl 1998 erklärte die FDP die schrittweise Einführung eines Bürgergeldes zum Bestandteil des Wahlprogramms.[14] Anhand des Konzepts für ein Bürgergeld von 2005 möchte ich den aktuellen Entwurf der FDP vorstellen. Hinsichtlich der Auswirkungen und Effekte wird das Bürgergeld mit einem Grundeinkommen gleichgesetzt. Somit kann das liberale Bürgergeld als direkter Gegenentwurf zu klassischen Grundeinkommenskonzepten verstanden werden. Besonders aber in der Ausgestaltung des Bürgergeldsystems gibt es signifikante Unterschiede zu anderen Grundsicherungskonzepten. Das liberale Bürgergeld soll sich gemäß individueller Bedürfnislage aus verschiedenen Teilbeträgen zusammensetzen. So errechnet sich beispielsweise der individuelle Betrag aus einer Pauschale zur Sicherung des Lebensunterhaltes, einer Pauschale für Unterkunft, den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung und individuellen Pauschalen für eine Ausbildung oder Behinderungen. Die Veranlagung erfolgt dabei nicht nach dem Individualprinzip, sondern nach der so genannten Bedarfsgemeinschaft. Zu einer Bedarfsgemeinschaft zählen alle in einem Haushalt lebenden Personen. Das liberale Bürgergeld zielt insbesondere auf die finanzielle Besserstellung von gering Qualifizierten ab und versucht gerade im unteren Einkommensbereich verstärkte Arbeitsanreize zu setzen. Im Gegensatz zu anderen Vorschlägen einer reformierten Grundsicherung koppelt die FDP in ihrem Vorschlag den Erhalt des Bürgergeldes an die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme. Personen die Jobofferten ablehnen, müssen mit Abschlägen von mindestens 30 % des Bürgergeldes rechnen. Des Weiteren soll eine effiziente und zielgerichtete Bedürftigkeitsprüfung Grundlage der Auszahlung sein. Die Zahlung erfolgt aus Gründen des Bürokratieabbaus durch die Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer erhält dann Nettoerwerbseinkommen und Bürgergeld aus einer Hand. Zu entrichtende Steuern und Bürgergeld würden miteinander verrechnet werden. Jene Arbeitnehmer, deren zu entrichtende Steuerlast geringer als das Bürgergeld wäre, würden faktisch eine negative Einkommensteuer erhalten. Über die konkrete Höhe des Bürgergeldes schweigt sich die FDP aus und verweist an das vom Bundesverfassungsgericht definierte soziokulturelle Existenzminimum.[15] Im Gegensatz zu Grundeinkommenskonzepten sieht das liberale Bürgergeld eine monatliche Verrechnung der Steuerschuld mit dem Bürgergeld vor. Dieses Verfahren wird als Nettoprinzip bezeichnet und hat ein insgesamt geringeres Umverteilungsvolumen zur Folge. Durch die sofortige Verrechnung handelt es sich hierbei um eine so genannte ex post Auszahlung des Grundeinkommens. Diese ist von der ex ante Auszahlung zu unterscheiden. Bei der zweiten Auszahlungsform wird das Grundeinkommen an alle Bürger gezahlt und erst in einem zweiten Schritt erfolgt die zur Finanzierung notwendige Steuerzahlung der Bürger.[16] Flankierend und unabdingbar für das Eintreten der proklamierten Effekte des liberalen Konzeptes sind weit reichende Reformen des Arbeitsmarktes und des Einkommensteuersystems geplant. An dieser Stelle sei besonders auf die beabsichtigte Abschaffung von Flächentarifverträgen, Flexibilisierung der Tarife nach unten und der Reform des Kündigungsschutzes hingewiesen. Diese Maßnahmen sind gemäß des liberalen Bürgergeldes für eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit notwendig und führen über verstärkte Anreize zur Erwerbsarbeit zu den gewünschten Ergebnissen.[17] Bereits bei der Gegenüberstellung der beiden beschriebenen Konzepte wird deutlich, wie unterschiedlich die Auffassungen über ein Grundeinkommenssystem sind. Einen weiteren Überblick erhält man, wenn zusätzlich zu den politischen Entwürfen jene von Verbänden, Vereinigungen oder der Wissenschaft zu dem Vergleich hinzugezogen werden.
[...]
[1] Aus Gründen der Vereinfachung wird in dieser Arbeit auf den Zusatz „bedingungslos“ teilweise verzichtet.
[2] Vgl. Vobruba, Georg (1985), S. 2.
[3] Vgl. Füllsack, Manfred (2002), S. 103 ff.
[4] Vgl. Roebroek, Joop M. (1992), S. 118.
[5] Vgl. Blaschke, Ronald (2004), S. 9 f.
[6] Vgl. Füllsack, Manfred (2002), S. 114.
[7] Vgl. Blaschke, Ronald (2005), S. 10.
[8] Vgl. Van Parijs, Philippe (1992), S. 4 und derselbe (2004), S. 3.
[9] Vgl. Stirton, Lindsay / De Wispelare, Jurgen (2004), S. 266.
[10] Vgl. Eichler, Daniel (2001), S. 175-176. / Kaltenborn, Bruno (1995), S. 57.
[11] Vgl. Grüne Jugend (2006a) / Grüne Jugend (2006b).
[12] Vgl. Poreski, Thomas / Emmler, Manuel (2006), S. 8.
[13] Vgl. Poreski, Thomas / Emmler, Manuel (2006), S. 11 ff.
[14] Vgl. Eichler, Daniel (2001), S. 180 f.
[15] Vgl. Werner, Horst (2002), S. 3 ff. / Lambsdorff, Otto Graf (2001), S. 2.
[16] Vgl. Blaschke, Ronald (2005), S. 14.
[17] Vgl. FDP (2005), S. 2 ff.
- Quote paper
- Christian Kerwel (Author), 2006, Bedingungsloses Grundeinkommen - Chancen und Risiken für den deutschen Arbeitsmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62726
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