Inhaltsverzeichnis
1. Die Suche nach einer Blaupause für den Sozialstaat
2. Einzeldarstellung der vier nordischen Staaten
2.1. Dänemark
2.2. Schweden
2.3. Norwegen
2.4. Finnland
3. Bewertung und Zusammenfassung der Erkenntnisse
Literaturverzeichnis
Anhang: Synopse
1. Die Suche nach einer Blaupause für den Sozialstaat
Der deutsche Sozialstaat und seine Finanzierung sind in der Krise. Steigende Beiträge, die einer kleiner werdenden Zahl an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aufgebürdet werden, sollen und müssen in der gegenwärtigen Struktur eine immer größer werdende Zahl an Leistungsempfängern tragen. Dies gilt für alle Bereiche des Wohlfahrtsstaates: Arbeit, Rente und Gesundheit. Im letzten Feld versucht sich derzeit die vor einem Jahr ins Amt gekommene zweite Große Koalition auf Bundesebene.
Die beiden Partner verfolgen dabei zwei unterschiedliche Konzepte. Die Uni- on favorisiert ein Prämienmodell während die SPD auf die Idee einer Bürger- versicherung setzt. Ersteres hält an der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Versicherung fest, möchte aber vermehrt die Gesundheit über das Steuersystem finanzieren. Zweiteres möchte hingegen alle Bürger ins gleiche System holen und dann alle gleichmäßig zur Finanzierung heranziehen.
So, wie im Bildungsbereich mit einigem Neid und Interesse auf die nordischen Länder, allen voran Finnland, geschielt wird (Stichwort: PISA-Stu- die), so verweisen gerne Vertreter des eher linken Parteienspektrums auf den skandinavischen Wohlfahrtsstaat, der als Modell dienen könne.
Aber gibt es das eine skandinavische Modell überhaupt, oder verfolgt jedes der nordischen Länder eine eigene Strategie? Kann man Gemeinsamkeiten ausmachen oder sind die Unterschiede so groß, dass man zwar von einzelnen Ländern, jedoch nicht von einer ganzen Region lernen und sich inspirieren lassen kann? Gibt es also ein schwedisches, ein finnisches, ein dänisches, und ein norwegisches Modell, oder ein gemeinsames, nordisches?
Da die Betrachtung des gesamten Wohlfahrtsstaates mit seinen großen Be- reichen Arbeit, Rente und Gesundheit den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sollen deshalb im Folgenden die vier nordeuropäischen Staaten Däne- mark, Schweden, Norwegen und Finnland nur im Hinblick auf ihre Gesund- heitssysteme, als einem Baustein der Wohlfahrtsstaatlichkeit, betrachtet werden. Damit kann dann ggf. natürlich kein nordisches Wohlfahrtsstaats- modell, sehr wohl aber ein nordisches Modell für ein Gesundheitssystem identi- fiziert werden.
Nach einer kurzen Betrachtung der historischen Hintergründe in Bezug auf das Gesundheitswesen werden die Untersuchungsmerkmale die Art der Finanzierung, die Einbeziehung der Bevölkerung sowie die Art und Weise der Erbringung von Gesundheitsleistungen sein. Darüber hinaus wird die politische Verantwortlichkeit und Steuerung skizziert und etwaige Herausforderungen, denen sich das System gegenüber sieht, dargestellt. Im Anhang sind die Ergebnisse in einer Synopse übersichtlich zusammengetragen.
2. Einzeldarstellung der vier nordischen Staaten
2.1. Dänemark
Die Tradition Dänemarks, die Wohlfahrt als staatliche Aufgabe zu betrach- ten, und sie nicht privaten oder kirchlichen Einrichtungen zu überlassen, reicht historisch gesehen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Der Staat, lange vor dem Auftreten sozialdemokratischer Parteien, erkannte schon früh, dass das Wohl des Landes in einer gesunden und starken Bevölkerung liegt und hat daher Schritte unternommen, medizinisches Personal auszubilden und verfügbar zu halten - auch und gerade für die armen Bevölkerungsteile (vgl. Vallgårda et al., 2001: 10f). Bis auf ein staatliches Krankenhaus in Kopenhagen (seit 1757) zu Ausbildungszwecken, befanden sich alle, vornehmlich sehr kleinen Kranken- häuser, in kommunaler Trägerschaft. Seinen Niederschlag findet dies auch schon in der Verfassung von 1849 (§89), in der die Versorgung der Armen den Gemeinden übertragen wurde. Die weitere Ausgestaltung wurde im Armenge- setz von 1891 und im Gesetzüber Krankheitsfonds von 1892 niederge- schrieben (vgl. Grønvald / Alban, 1995: 57).
Die ersten Unterstützungskassen waren für die arbeitende Bevölkerung ge- dacht und nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe organisiert. Beiträge der Bürger wurden mit staatlichen Zuschüssen ergänzt. Nach und nach wurden mehr und mehr Bevölkerungsgruppen einbezogen bzw. gründeten eigene Un- terstützungskassen. Mit deren Hilfe wurden v.a. Behandlungskosten im Haus- arztbereich finanziert. Im Krankenhaussektor mussten zwar durch die Bürger Entgelte entrichtet werden, die aber ebenfalls durch die Kassen erstattet wurden, die Hauptfinanzierung geschah hingegen schon damals über Steuern.
Das System der Krankenkassen wurde schließlich im Jahr 1973 - damals waren darin etwa 90% der Bevölkerung Mitglied - durch ein steuerfinanziertes Krankenversicherungsmodell abgelöst (vgl. Vallgårda et al., 2001: 12f).
Wenige Jahre zuvor - im Jahr 1970 - wurden die Zuständigkeiten im Rahmen einer groß angelegten Gebietsreform neu verteilt. Seither nehmen die nun 14 Landkreise und die beiden Stadträte von Kopenhagen und Frederiks- berg hauptsächlich die Primär- (Hausärzte) und gänzlich die Sekundärversor- gung (Krankenhaus) wahr bzw. organisieren diese, den 275 Gemeinden - hier gehören ebenfalls Kopenhagen und Frederiksberg dazu - verbleibt aus dem Bereich der Primärversorgung v.a. die (häusliche) Pflege (vgl. Vallgårda et al., 2001: 15f).
Die Finanzierung der dänischen Gesundheitsausgaben beruht zu über 80% auf Steuern, die durch die Gemeinden, die Landkreise oder den Zentralstaat erhoben werden. Dabei wird keine explizite „Gesundheitssteuer“ erhoben, son- dern die Gelder kommen aus dem regulären Haushalt. Über die Höhe der Steuern entscheiden die jeweiligen Gebietskörperschaften dabei selbständig, allerdings wird jährlich eine Obergrenze zwischen Regierung und Gemeinde- verband bzw. Landkreisverband vereinbart. Innerhalb dieser Grenzen exis- tieren unterschiedliche Steuersätze. Um regionale Unterschiede in der Be- völkerungszusammensetzung auszugleichen, gibt es darüber hinaus eine Art Risikostrukturausgleich. Etwa 70% der Ausgaben auf Landkreisebene gehen dabei in die Gesundheitsversorgung (vgl. Vallgårda et al., 2001: 27f ). Die rest- lichen knapp 20% der Gesundheitsausgaben ergeben sich durch private Zu- zahlungen und zu deren Deckung abgeschlossene freiwillige Zusatzversi- cherungen, für die sich etwa jeder vierte Däne entschieden hat. Insgesamt wurden im Jahr 1999 10.667 Mio. Euro im Gesundheitswesen aufgewendet, was einen Anteil von 8,4% am BIP ausmacht (vgl. MISSOC, 2002a; Dän. Außenministerium). Im Jahr 2004 haben sich die Ausgaben auf 8,9% des BIP erhöht (vgl. OECD, 2006). Ein Merkmal des dänischen Gesundheitssystems ist, dass es für die medizinischen Leistungen im primären und sekundären Sektor ohne Zuzahlungen auskommt. Lediglich die Behandlungen Erwachsener beim Physiotherapeuten sowie Brillen müssen vollständig, Medi- kamente je nach Abgabepreis voll oder nur bis zu 15% aus der eigenen Ta- sche bezahlt werden. Für die Behandlung beim Zahnarzt, die zunächst auch aus eigener Tasche bezahlt werden muss, gilt ein Zuschusssystem. Für chronisch Kranke existieren aber Obergrenzen, bis zu denen sie Zuzahlungen leisten müssen (vgl. Vallgårda et al., 2001: 30f; Dän. Ministerium für Inneres und Gesundheit, 2002: 15), darüber hinaus sind sie davon befreit.
Die Einbeziehung der Bevölkerung kann als universal beschrieben werden. Jeder dauerhaft in Dänemark lebende Bürger ist über die staatliche Krankenversicherung erfasst und leistet über seine Steuern den notwendigen Beitrag. Für den Versicherten besteht lediglich eine Wahlfreiheit bezüglich der Versicherungsart innerhalb des gleichen Systems. Versicherte der Gruppe 1 (das sind etwa 98% der Bevölkerung) schreiben sich bei einem Hausarzt ihrer Wahl in einem Umkreis von maximal 10km ein. Dieser Familienarzt fungiert zu- gleich als Lotse im System. Mit wenigen Ausnahmen (Notfallbehandlung im Krankenhaus und wenige Fachrichtungen) ist eine kostenlose Weiterbehand- lung im Krankenhaus oder beim Spezialisten nur mit Überweisung möglich. Versicherte der Gruppe 2 haben hier erweiterte Wahlmöglichkeiten. Sie können ohne Überweisung direkt jeden Arzt ihrer Wahl aufsuchen, werden dort aber unter Umständen gegen höhere Honorare behandelt, als dies bei Patienten der Gruppe 1 der Fall ist. Von der Krankenversicherung wird ihnen allerdings ma- ximal dieser Satz erstattet, weshalb sie die Differenz aus eigener Tasche bei- steuern müssen. Ein weiterer Unterschied zur Gruppe 1 besteht in der Höhe der Zuzahlungen. Wie dargestellt ist die Behandlung an sich für die Dänen nicht mit zusätzlichen Ausgaben verbunden, mit Ausnahme der Zuzahlungen bei Medikamenten und bspw. Zahnarztbehandlungen, für deren Deckung eine Minderheit eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat (vgl. Baur et al., 2000: 24; Vallgårda et al., 2001: 40).
Wie schon in den einleitenden Worten zum dänischen Gesundheitssystem angemerkt, versteht sich der Staat als die Instanz zur Erbringung von Gesundheitsleistungen. Allerdings trifft dies nur auf den Bereich des Kran- kenhauses zu. Hier sind - bis auf ganz wenige private Einrichtungen - alle in der Hand der Landkreise bzw. eines in der Hand des Zentralstaates und werden demnach auch durch diese über deren Haushalte finanziert. Bis vor wenigen Jahren war es den Bürgern eines Landkreises deshalb auch nicht möglich, Krankenhäuser eines anderen für die Behandlung aufzusuchen. In Anbetracht von Wartelisten wurde diese Regelung aber im Sinne der Patienten aufgegeben. Die Landkreise müssen die Behandlungskosten, die in einem anderen anfallen, diesem allerdings erstatten. Fachärztliche ambulante Leis- tungen werden sowohl in den Kliniken, als auch durch niedergelassenen Fachärzte erbracht (vgl. Vallgårda et al., 2001: 48; Baur et al., 2000: 24f).
Auf der Ebene der Primärversorgung hingegen findet sich ein staatlich regu- liertes Netz an Privatpraxen. In Zusammenarbeit mit den Ärzteverbänden legt der Staat zwar fest, ob und wo sich ein Arzt niederlassen darf - bemessen an der Zahl der zu versorgenden Patienten -, ab dann arbeitet er auf eigene Rechnung nach Abschluss eines Versorgungsvertrages mit dem Landkreis. Seine Vergütung bemisst sich im Fall der Hausärzte zu etwa 1/3 aus einer Art Kopfprämie für jeden bei ihm eingeschriebenen Patienten der Gruppe 1 (Gruppe 2 - Patienten dürfen den Arzt ja jederzeit frei wählen und wechseln) und zu etwa 2/3 aus leistungsabhängigen Zahlungen. Alle anderen Fachärzte werden nur leistungsabhängig bezahlt (vgl. Vallgårda et al., 2001: 40f).
Ebenso, wie Zahl und Ort der Ärzte festgelegt werden, gilt dies auch für die privat betriebenen Apotheken in Dänemark (vgl. Vallgårda et al., 2001: 67).
Die politische Verantwortlichkeit und Steuerung beschränkt sich nahezu gänzlich auf die Ebene der Landkreise. Dieses dezentrale System wird zwar durch Zielvorgaben und Rahmengesetzgebung des Zentralstaates sowie durch Block-Zuweisungen von Finanzmitteln aus dessen Budget - diese machen etwa 20% der Mittel der Landkreise aus (vgl. Baur et al., 2000: 25) - be-einflusst, die Entscheidung über die Ausgestaltung und auch die Finanzierung (also die Höhe der lokal erhobenen Steuern) vor Ort liegt aber bei den Land-kreisen. Deren Budget fließt zu etwa 70% in die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen (vgl. Vallgårda et al., 2001: 20) und somit ist bei Landkreiswahlen dies das dominierende Thema.
Im Gegensatz zu vielen anderen Gesundheitssystemen in der Welt sind die Kosten nicht die Herausforderung in Dänemark. Wie dargestellt ist der Anteil am BIP vergleichsweise gering. Dies konnte aber nicht ohne Einschnitte er- reicht werden und so zeigen sich die Herausforderungen anderer Stelle, näm- lich in Form von Wartelisten, insbesondere für Operationen. Hier hat die Re- gierung durch Sonderprogramme versucht Abhilfe zu schaffen und tut dies noch (vgl. NOMESCO, 2005: 13). Auch deshalb beginnen die Kosten zu stei- gen. Ein Grund dafür könnte auch im fehlenden Wettbewerb im System zu fin- den sein. Da sowohl die Krankenversicherung als auch die Erbringung von Ge- sundheitsleistungen nahezu vollständig in staatlicher Verantwortung liegen, ist die Gefahr gegeben, dass sich Ineffizienzen zu leicht einschleichen (vgl. Baur, 2000: 24f). Dennoch und trotz dieser vergleichsweise harmlosen Probleme sind die Dänen mit ihrem Gesundheitssystem hoch zufrieden (vgl. Baur, 2000: 27).
2.2. Schweden
Im historischen Rückblick ergibt sich für Schweden schon seit je her das Bild einer dezentralisierten Gesundheitsversorgung, die ab dem Jahr 1862 ih- ren organisatorischen Kern in Form von neu gegründeten Landkreisen fand. Schon ab dem Mittelalter erfolgte die Gesundheistversorgung zunächst - bis zur Reformation - durch katholische Klöster. Danach wurde sie zwar als Auf- gabe der Zentralregierung begriffen, aufgrund von Kriegen mit den Nachbarn fand aber praktisch keine Versorgung statt. Erst im Jahr 1663 wurde das Colle- gium Medicum als Ausbildungsstätte gegründet. Diese Institution besteht heute immer noch und ist - nach mehrerern Umorganisationen im Lauf der Jahr- hunderte - seit 1968 das 'National Board of Health and Welfare (Socialsty- relsen)'. Das erste Krankenhaus fand sich im Jahr 1752 in Stockholm. Mit sei- nen acht Betten stellt es die Krankenhausversorgung für ganz Schweden und Finnland dar. Seine Finanzierung erfolgte über Steuern. Gut hundert Jahre später waren in Schweden dann schließlich 50 meist kleinere Krankenhäuser vorhanden und stellten die Versorgung der Bevölkerung sicher. Neben der Krankenhausversorgung stellten die Gemeinden ab dem 17. Jahrhundert zu- sätzliche Ärzte für die öffentliche Fürsorge außerhalb der Kliniken an. Ziel war dabei eine für alle Bürger zugängliche Versorgung aufzubauen.
Die 1862 gegründeten Landkreise erhielten nach und nach alle Kompeten- zen im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung. Allerdings war dieser Prozess erst im Jahr 1983 abgeschlossen. Ein Merkmal Schwedens ist das krankenhausbasierte Gesundheitssystem. Die überwiegende Mehrheit der Ärzte ist dort beschäftigt und viele ambulante Behandlungen werden dort vorgenommen. Begründet ist dies im Krankenhausausbau von 1950 bis 1970. In den letzten Jahren wurden im Zuge mehrerer Reformen einige Kompeten- zen von den Landkreisen auf die Gemeinden verlagert (vgl. Lindgren, 1995: 245f; Glenngård et al., 2005: 15f).
Ähnlich wie in Dänemark beruht auch die Finanzierung des schwedischen Gesundheitssystems hauptsächlich auf Steuern. Im Jahr 2003 wurden dort mehr als 30 Mrd. Euro aufgewendet, was einem Anteil von 9,3% am BIP ent- spricht (vgl. Schwed. Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, 2005: 2). Die überwiegende Mehrheit dieser Mittel stammt dabei aus der durch die Landkreise erhobenen Einkommenssteuer. 90% ihres Budgets wenden die Landkreise für Gesundheitsausgaben auf. Weitere Einnahmen der Landkreise bestehen aus Zuschüssen des Zentralstaates, aus Zuzahlungen der Patienten für die Inanspruchnahme von Gesundheitsfürsorge sowie aus weiteren Abgaben der Bürger für andere Dienstleistungen. Die Landkreise bestreiten da- mit die Ausgaben für die Ärzteschaft im ambulanten und stationären Bereich, sowie den Betrieb der Krankenhäuser und die zahnmedizinische Versorgung der unter 20-Jährigen. Für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie Zu- schüsse beim Kauf von Medikamenten existiert eine nationale Krankenversi- cherung deren Finanzierung lohnabhängig allein durch die Arbeitgeber erfolgt.
Neben der Einkommenssteuer an Landkreise und den Zentralstaat tragen die Bürger auch über Zuzahlungen zur Finanzierung des Gesundheitswesens bei. Anders als in Dänemark fallen hier auch Zuzahlungen beim Arzt an, diese variieren von Landkreis zu Landkreis und belaufen sich auf bis zu 17 Euro je Hausarztbesuch, beim Facharztbesuch ohne Überweisung auch deutlich mehr. Auch für die Krankenhausbehandlung fällt eine tägliche Zuzahlung an. In- nerhalb eines 12-Monatszeitraums müssen aber nicht mehr als 95 Euro (900 SKR) an Zuzahlungen geleistet werden. Im Bereich der Medikamente trägt der Patient die Kosten bis ebenfalls 95 Euro (900 SKR) innerhalb von 12 Monaten gänzlich selbst. Weitere Ausgaben darüber hinaus werden zum Teil erstattet. Insgesamt muss niemand mehr als 190 Euro (1800 SKR) innerhalb von 12 Monaten an Medikamentenkosten übernehmen. Für den Bereich der Zahnbehandlungen gelten auch Zuschussregelungen, prinzipiell ist die Be- handlung aber selbst zu finanzieren (vgl. Glenngård et al., 2005: 41f). Über alles betrachtet kann festgestellt werden, dass etwa 85% der Gesundheitsaus- gaben aus öffentlichen Kassen und nur 15% aus der Tasche der Bürger geleis- tet werden (vgl. Glenngård et al., 2005: 54). Anders als in Dänemark haben zu- sätzliche und freiwillige Krankenversicherung eine noch unbedeutendere Rolle. So haben nur knapp 200.000 Schweden 2003 eine solche abgeschlossen (vgl. Schwed. Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, 2005: 3).
Ebenso wie in Dänemark kann auch in Schweden im Hinblick auf die Einbe- ziehung der Bevölkerung, von einem universalen System gesprochen werden, und so ist es dem 'Swedish Health and Medical Services Act' von 1982 zu entnehmen. Alle Bürger sind erfasst und haben Zugang zu medizinischer Versorgung. Jeder leistet seinen Beitrag gemäß seinen Möglichkeiten über sei- ne Steuerzahlungen. Vielleicht ist dieses universale System sogar noch weiter ausgeprägt als beim südlichen Nachbarn. Es gibt nur eine Art der staatlichen Krankenversicherung, keine zwei Gruppen wie in Dänemark. Auch die freiwil- lige und zusätzliche Privatversicherung wird in einem äußerst geringem Um- fang in Anspruch genommen, meist um Wartezeiten zu verkürzen und Zuzah- lungen zu decken. Im Unterschied zu Dänemark sind allerdings diese Zuzah- lungen vielfältiger und für alle Leistungen vorgesehen.
Vergleichbar zu Dänemark ist auch in Schweden die Erbringung von Gesundheitsleistungen in erster Linie Aufgabe des Staates, hier sogar noch weit ausgeprägter als beim südlichen Nachbarn. Die in Verantwortung der Landkreise stehenden Einrichtungen decken sowohl die Primär- als auch die Sekundärversorgung ab.
Im Primärbereich dominieren landesweit etwa 1100 Gesundheitszentren (dort sind die verschiedenen Fachrichtungen und weitere Dienstleistungen wie Physiotherapeuten oder Krankenschwestern für Hausbesuche unter einem Dach vereint) das Bild, nur etwa 300 davon in privater Trägerschaft, jedoch mit einem mit dem Landkreis geschlossenen Versorgungsvertrag. Ärzte und medi- zinisches Personal sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - Angestellte bei den Landkreisen. Einige selbständig tätige Ärzte stammen noch aus einem Versuch Anfang der 1990er Jahre, bei dem man den Ärzten die Nie- derlassungsfreiheit einräumte und sie nach den erbrachten Leistungen bezahl- te, also sehr dem deutschen Modell ähnlich. Dieser Versuch wurde aber auf- grund ausufernder Kosten wenige Jahre später von der dann wieder ins Amt gekommenen sozialdemokratischen Regierung gestoppt. Die zu diesem Zeit- punkt niedergelassenen Ärzte durften weiter praktizieren, jedoch sind von diesen heute nur noch wenige übrig (vgl. Haarmann / Wieseler, 2006: 72). Oft- mals erfolgt aber die Primärversorgung auch in den Ambulanzen der Kliniken, woran man auch die starke Stellung der Kliniken innerhalb des Gesundheits- systems Schwedens erkennen kann (nur etwa 20% der Ärzte arbeiten als Hau- särzte) (vgl. Glenngård et al., 2005: 78f; Swedish Institute, 2003).
Im Bereich der Sekundärversorgung in Kliniken ist der Staat in Form der Landkreise ähnlich dominant wie in Dänemark auch. Das Krankenhaussystem ist dreigliedrig aufgebaut, unterschieden nach Spezialisierung und Größe. In je- dem Landkreis existieren etwa zwei 'district county hospitals', die für einfachere stationäre Behandlungen zuständig sind. Zusätzlich ist in jedem Landkreis ein 'central county hospital' zu finden, das die volle Bandbreite an Klinikbehand- lungen aufweist. Schließlich arbeiten die Landkreise aufgeteilt in sechs Gesundheitsregionen zusammen, dabei entfällt auf jede dieser Regionen mindestens eines der landesweit neun 'regional hospitals'. Diese sind zugleich Lehrkrankenhäuser und meist an eine Universität angebunden und fungieren somit als Uni-Kliniken. Damit stehen sie für spezielle und aufwändige Behand- lungen zur Verfügung, deren Vorhaltung auf Landkreisebene zu teuer wäre und zu wenig nachgefragt würde (vgl. Glenngård et al., 2005: 80f; Swedish Institute, 2003).
Anders als im dänischen System haben die Schweden grundsätzlich seit 2003 die freie Arzt- und Krankenhauswahl, auch fungiert der Hausarzt nicht als Lotse im System (vgl. Schwed. Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, 2005: 2).
Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung herrscht ein leicht anderes Bild. Da die Landkreise diese kostenlose Versorgung für die unter 20-Jährigen sicherstellen müssen, findet sich die Hälfte der Zahnärzte in einem Angestelltenverhältnis, die anderer Hälfte arbeitet selbständig. Generell sind die für die Zahnbehandlung erhobenen Preise frei gestaltbar, die Patienten erhalten lediglich einen Zuschuss (vgl. Swedish Institute, 2003).
Ebenfalls anders als in Dänemark ist die Versorgung mit Medikamenten geregelt. Diese werden nur in Apotheken der im Staatsbesitz befindlichen 'National Corporation of Swedish Pharmacies (Apoteket AB)' zu landesweit gleichen Festpreisen verkauft (vgl. Glenngård et al., 2005: 82f).
Die politische Verantwortlichkeit verteilt sich auch in Schweden auf drei Ebenen: Zentralstaat, Landkreise und Gemeinden. Ersterer hat die über- blickhafte Aufsicht, welche zum einen durch Gesetze grundlegender Art (z.B. Höhe der maximalen Zuzahlungen, maximale Höhe der jeweiligen Steuern), zum zweiten durch Vereinbarungen mit den Gemeinde- und Landkreisver- bänden und zum dritten über unabhängige Regierungsagenturen (bspw. für die Zulassung von Medikamenten, die Qualitätssicherung oder die Aufsicht über das medizinische Personal) erfolgt. Die 21 Landkreise wiederum tragen die Hauptlast und -verantwortung. Sie sind für die konkrete Erbringung von Gesundheitsleistungen, für deren Verfügbarkeit und die Finanzierung zustän- dig. Einen kleinen Teil leisten die 290 Gemeinden, die sich v.a. um Pflegeein- richtung kümmern, welche sie per Vertrag von den Landkreisen übernehmen können. Davon hat etwa die Hälfte der Gemeinden Gebrauch gemacht (vgl. Schwed. Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, 2005; NO- MESCO, 2005: 36f; Glenngård et al., 2005: 18f).
Als Herausforderungen für das schwedische Gesundheitssystem erweisen sich, wie auch schon in Dänemark, längere Wartezeiten, die mit Hilfe verschie- denster Anstrengungen zu verkürzen versucht werden. Jüngstes Beispiel ist die seit November 2005 gültige Garantie über die Gesundheitsversorgung, die nach der Formel „0-7-90-90“ arbeitet. Dabei steht die 0 für eine sofortige Ein- schätzung der Bedürftigkeit durch qualifiziertes Personal, etwa einer Kranken- schwester, die 7 für einen Termin bei einem Hausarzt innerhalb von 7 Tagen, die erste 90 steht für einen Termin beim Spezialisten binnen 90 Tagen und die zweite 90 für eine evtl. notwendige Behandlung binnen einer erneuten Frist von 90 Tagen (vgl. NOMESCO, 2005: 21f; Glenngård et al., 2005: 75f).
2.3. Norwegen
Im historischen Rückblick weist Norwegen aufgrund seiner lange Zeit - bis zur Entdeckung der Öllagerstätten unter der Nordsee - ländlichen Struktur und der eher armen Bevölkerung keine so weit zurückreichende Tradition im Be- reich des Gesundheitswesens auf wie z.B. Dänemark. Hinzu kommt, dass Nor- wegen bis 1814 Teil Dänemarks war, von da an bis 1905 unter schwedischem Einfluss stand, wenn auch mit eigener Verfassung und Teilsouveränität, und erst seither selbständig ist.
Das erste Gesundheitsgesetz, das jenes aus der Zeit der dänischen Herrschaft ersetzte, wurde 1860 erlassen. Zuvor arbeiteten ab 1831 Kommissionen an der Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Die Aufgabe der Gesundheitsversorgung lag dabei bei den Gemeinden (vgl. Uhde, 1995: 192).
Mit dem Anwachsen der Bevölkerung entstanden ab Beginn des 20. Jahr- hunderts mehr und mehr Krankenhäuser, und Staat und Gemeinden sahen sich zunehmend in der Pflicht für die Gesundheit zu sorgen. Auch entstanden erste Krankenversicherungen und der 'Practitioner's Act' legte fest, dass jeder, unabhängig von Einkommen und Status, Zugang zu einer Behandlung haben müsse.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges änderte sich die Struktur des norwe- gischen Gesundheitssystems grundlegend mit der Errichtung des Gesundheits- direktorats als Teil des Sozialministeriums. Schließlich wurde im Jahr 1967 der 'National Insurance Scheme' als universales Sozialversicherungswesen etabliert, in dem fortan alle Bewohner Norwegens erfasst waren. Nur wenig später, im Jahr 1970, ging die gesamte Verantwortlichkeit für die Kranken- häuser auf die Landkreise über, und im Jahr 1984 wurde die den Gemeinden obliegende Verantwortung für die Primärversorgung klarer und definitiv diesen zugewiesen, als dies im Gesetz von 1912 der Fall war. In Folge dessen wurde auch das Gesundheitsdirektorat aufgelöst. Weitere Reformen folgten und wiesen den Gemeinden auch die Verantwortlichkeit für den Pflegebereich zu. Für den Krankenhausbereich kam es zudem erst im Jahr 2002 zu einer völligen Umgestaltung, auf die im Folgenden genauer eingegangen wird, da sie den Jetzt-Zustand darstellt (vgl. Johnsen, 2006: 13f).
Ebenso wie in den beiden bereits vorgestellten nordischen Staaten wird der Großteil der Finanzierung des Gesundheitssystems auch in Norwegen über Steuern gedeckt. Insgesamt wurden im Jahr 2004 etwa 21 Mrd. Euro (168 Mrd. NOK) für das Gesundheitswesen aufgewendet, was einem Anteil von etwa 10% am norwegischen BIP darstellt. Etwa 85% davon werden aus öffentlichen Geldern aufgewendet, die restlichen etwa 15% leisten die Norweger nahezu gänzlich über Zuzahlungen und Eigenleistungen, v.a. bei Medikamenten, Arzt- besuchen und Zahnbehandlungen. Private Zusatzversicherungen spielen - wie auch schon in den anderen vorgestellten Ländern - praktisch keine Rolle.
Im Gegensatz zu Dänemark existiert aber eine Sozialversicherungskasse ('National Insurance Scheme - NIS'), in der jeder in Norwegen Lebende oder Arbeitende Pflichtmitglied ist. Für diese Kasse werden im Falle einer abhän- gigen Beschäftigung vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge in Abhängig- keit vom Lohn ohne ein Beitragsbemessungsgrenze abgeführt. Auch Selbstän- dige sind dort Pflichtmitglied. Faktisch wirken diese Beiträge wie eine zweckbe- stimmte Steuer und nicht wie ein Versicherungsbeitrag (vgl. MISSOC, 2002c: 4). Der NIS ist als Voraussetzung für Leistungen aus dem Gesundheitswesen zu verstehen. Er trägt aber nur zu 10% die Gesundheitsausgaben, der Rest der NIS-Ausgaben wird für andere Sozialleistungen (Renten u.a.) verwendet. Ins- besondere leistet der NIS in Bezug auf das Gesundheitswesen Geldleistungen wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Sachleistungen, z.B. Behandlung beim Arzt oder im Krankenhaus, werden hingegen aus Steuern, die der Zentralstaat, Landkreise und Gemeinden erheben oder aus Zuzahlungen fi- nanziert. Dabei existiert, um Unterschiede in der Finanzkraft der Landkreise und Gemeinden auszugleichen, eine Art Risikostrukturausgleich (vgl. Johnsen, 2006: 47f).
Außer bei der Behandlung im Krankenhaus fallen im ambulanten Bereich umfassende Zuzahlungen an. Bei jeder Konsultation eines Allgemeinarztes 15 Euro (Tag) (125 NOK) bzw. 26 Euro (Nacht) (210 NOK), bei Hausbesuchen nochmals darüber. Beim Aufsuchen eines Facharztes oder einer Krankenhaus- ambulanz generell 30 Euro (245 NOK). Auch für Labor- und Röntgenuntersu- chungen werden nochmals Zuzahlungen fällig. Die vergleichsweise hohen Zu- zahlungen decken damit etwa 35% der entstehenden Kosten für die Behand- lung. Ausgenommen sind nur Kinder unter sieben Jahren und Schwangere (vgl. NOMESCO, 2005: 49f).
Hinzu kommen noch Zuzahlungen für evtl. verordnete Medikamente in Höhe von 36% des Abgabepreises mit einer Obergrenze von 61 Euro (490 NOK). Ausgenommen sind auch hier nur Kinder unter sieben Jahren und Personen mit sehr niedriger Rente. Die Zuzahlungsregel gilt allerdings nur für jene Medikamente die in der 'blue prescription class' erfasst sind, alle anderen muss der Patient zu 100% selbst zahlen (vgl. NOMESCO, 2005: 55f).
Zahnbehandlungen werden nur für Jugendliche unter 18 Jahren vom NIS übernommen, teils auch für Personen, die in Pflegeheimen leben. Generell - mit sehr wenigen Ausnahmen - müssen diese Kosten aber selbst getragen werden (vgl. NOMESCO, 2005: 64f).
Für alle Zuzahlungen gelten Überforderungsklauseln. Dabei wird zwischen zwei Gruppen an Zuzahlungen unterschieden. In der ersten Gruppe (Arztbe- handlungen, Medikamente) beträgt die maximale Zuzahlung im Kalenderjahr 201 Euro (1615 NOK), in der zweiten Gruppe (u.a. Physiotherapie, erstattungs- fähige Zahnbehandlungen) 311 Euro (2500 NOK). Im Jahr 2006 sind etwa 1 Mio. norwegische Bürger unter die Befreiungsvoraussetzung der ersten Gruppe gefallen. (vgl. Johnsen, 2006: 44f).
Auch für Norwegen lässt sich aufgrund der einen, alle Bewohner abde- ckenden Sozialversicherung für die Einbeziehung der Bevölkerung ein uni- versales Gesundheitssystem konstatieren. Die beiden maßgeblichen Gesetze - 'National Insurance Act' und 'Social Care Act' - hierfür legen exakt dies fest. Sie fordern einen Zugang zu Gesundheitsleistungen unabhängig von Status, Einkommen und Wohnort und damit gleichwertige Angebote in Bezug auf Quantität und Qualität in allen Landesteilen (Johanson, 2006: 34f).
Die Erbringung von Gesundheitsleistungen hat sich aufgrund einiger Re-formen in jüngster Zeit in Norwegen gewandelt. Im Zuge der Einführung eines Hausarztmodells nach dänischem Vorbild im Jahr 2001 haben sich die meisten der bis dahin bei den Gemeinden angestellten Allgemeinärzte selbständig ge-macht (etwa 90%). Die Patienten haben, dem dänischen Vorbild folgend, die Wahl, ob sie sich bei einem Hausarzt einschreiben, 98% tun dies. Die übrigen 2% nehmen für ihre Freiheit, den Arzt jederzeit zu wechseln und nicht maximal zwei mal jährlich, höhere Zuzahlungen in Kauf. Der Hausarzt übernimmt eben-falls eine Lotsenfunktion und die Patienten benötigen, um eine Kostenüber-nahme durch den NIS zu gewährleisten, eine Überweisung zum Spezialisten oder in die Klinik. Für ihre Tätigkeit müssen die Ärzte einen Behandlungsver-trag mit den Gemeinden eingehen, ihre Bezahlung beruht - auch hier dem dä-nischen Modell folgend - zu 30% auf Kopfprämien für die eingeschriebenen Patienten (maximal 1500), die sie von den Gemeinden erhalten, und zu 70% auf den erbrachten Leistungen, die durch die Patientenzuzahlungen und die Kostenübernahme durch den NIS gedeckt sind (vgl. OECD, 2005a: 116; Johnsen, 2006: 92f).
Im Bereich der Fachärzte sieht die Lage etwas anders aus. Hier arbeitet weniger als 1/5 in der eigenen Praxis, statt dessen sind sie zu 80% in der Klinik angestellt und erbringen dort neben der stationären auch ambulante Behandlungen (vgl. OECD, 2005a: 115).
Im Bereich der Krankenhausversorgung kam es mit dem Krankenhausge- setz im Jahr 2002 zu den einschneidensten Veränderungen der Organisa- tionsstruktur. Um Ineffizienzen und doppelte Strukturen zu beheben mussten die seit den 1970ern zuständigen 19 Landkreise diese Zuständigkeit und die Eigentümerschaft über die landesweit 80 Krankenhäuser an den Zentralstaat abgeben. Neben diesen staatlichen Kliniken existieren noch einige wenige private, die aber nur in wenigen Bereichen (z.B. plastische Chirurgie) relevant sind. Die Patienten haben schon seit 1999 das Recht die Klinik für ihre Be- handlung frei zu wählen, sind also nicht an das Krankenhaus ihrer Region gebunden (vgl. OECD, 2005a: 110f; Johnsen, 2006: 94f).
Bis zum Jahr 2001 oblag es der staatlichen Arzneimittelagentur über die Standorte der Apotheken zu bestimmen, seither wurde der Markt geöffnet und es bedarf nur noch einer Genehmigung Medikamente zu verkaufen, die bislang alle erteilt wurden. Heute ist der Markt - mit etwa dreimal so vielen Verkaufsstellen wie zuvor - von lediglich drei großen Apothekenketten dominiert, die 90% des Marktes unter sich aufteilen. Dennoch ist der Arzneimittelsektor immer noch stark reguliert, insbesondere die Preise für Medikamente der 'blue prescrition class' (Johanson, 2006: 102f).
Der Bereich der Zahnmedizin ist - vergleichbar zu den bereits vorgestellten nordischen Ländern - derjenige, mit dem geringsten staatlichen Einfluss. 75% der Zahnärzte arbeiten selbständig. Die Preise sind nicht reguliert und obliegen damit den Marktkräften. Der Staat wird nur für bestimmte Gruppen tätig: Kinder und Jugendliche sowie Alte, Behinderte und Bewohner von Pflegeheimen. Der Bereich der Zahnmedizin bzw. die Herstellung der Versorgungssicherheit, ist der letzte Bereich, der den Landkreisen in ihrer Verantwortung, nach der Abgabe des Krankenhausbereichs, geblieben ist (vgl. Johnsen, 2006: 119f).
Auch wenn die Gemeinden im Bereich der Primärversorgung gewisse Kom- petenzen (v.a. die Organisation und die Finanzierung durch eigene Steuern und Blockzuweisungen des Zentralstaats) haben, so kann man spätestens seit der Rezentralisierung des Sekundärbereichs in Norwegen allenfalls bei der po- litischen Verantwortung noch von einem semi-zentralistischen System spre- chen, was im Gegensatz zu den bereits dargestellten nordischen Ländern steht. Jene sehen in der Dezentralisierung von Kompetenzen und Verantwort- lichkeiten einen Baustein, die Steuerung des Gesundheitssystems näher an die Betroffenen heranzubringen und auf diesem Weg auch Kosten zu sparen und die Effizienz zu steigern. In Norwegen hingegen liegen sowohl die Gesetzge- bung als auch die Administration für alle Bereiche des Gesundheitswesens bei der Zentralregierung bzw. dem Gesundheitsministerium, auch der NIS steht un- ter direkter Aufsicht des Ministeriums für Arbeit und soziale Integration. Wei- terhin unterstehen dem Gesundheitsministerium insgesamt sieben Agenturen die u.a. für die Zulassung von Medikamenten oder die Qualitätskontrolle der Gesundheitseinrichtungen und des -personals verantwortlich zeichnen.
Die seit 2002 in Verantwortung des Zentralstaates stehenden Kranken-häuser werden aber dennoch in einer dezentralen und eigenständigen, aber dennoch zentralstaatlich kontrollierten Struktur verwaltet. Dazu wurden fünf so genannte 'Regional Health Authorities (RHA)' gegründet. Sie verwalten und organisieren in den verschiedenen Landesteilen die Sekundärversorgung in Form von 'Regional Health Enterprises (RHE)', die die eigentlichen Kranken-häuser betreiben. Dafür erhalten sie von der Zentralregierung Globalbudgets, da sie - anders als die Gemeinden - keine eigenen Steuern erheben dürfen (vgl. NOMESCO, 2005: 34f + 43f; Johnsen, 2006: 16f + 57f).
In Anbetracht der gerade erst durchgeführten, massiven Reformen im nor-wegischen Gesundheitswesen lassen sich nur sehr allgemeine und deshalb kaum norwegen-spezifische künftige Herausforderungen finden. Eine davon ist die zunehmende Alterung der Gesellschaft. Die schon aus Dänemark und Schweden bekannte Problematik der Wartelisten wurde mit den erwähnten Re-formen angegangen und scheint die gewünschte Entwicklung zu nehmen (vgl. Johnsen, 2006: 155).
2.4. Finnland
Aufgrund der erst 1917 erfolgten Unabhängigkeit von Russland bzw. Schweden ergibt sich für das finnische Gesundheitssystem im historischen Rückblick eine vergleichsweise kurze, aber nicht minder wechselvolle Geschichte. Traditionell wird Gesundheit in Finnland als öffentliche Aufgabe begriffen und aufgrund der späten eigenständigen Entwicklung ist es sehr an die Systeme der übrigen nordischen Länder angelehnt.
Von Beginn an zeichneten die Gemeinden für die Gesundheitsversorgung verantwortlich und beschäftigten Schwestern und stellten selbständigen Ärzten ausgestattete Praxen zur Verfügung, während ihre Bezahlung durch die Pati- enten erfolgte. Ab etwa 1940 begann der landesweite Aufbau von Kranken- häuser, vornehmlich für Schwangere. Daneben wurden spezielle Tuberkolose- Kliniken, meist in Zusammenarbeit einiger Gemeinden in sog. Tuberkolose-Dis- trikten, errichtet. Einen weiteren Aufschwung nahm dieser Ausbau in den 1950ern durch entsprechende Gesetze und mit der nachlassenden Tuberkoloseepidemie wendeten sich diese Häuser auch anderen Krankheiten zu. Zugleich gingen die meisten der bis dahin staatseigenen Krankenhäuser in den Besitz der Gemeinden über.
Im Jahr 1960 wurde aufgrund der individuell zu tragenden und teuren Be- handlungskosten eine Krankenversicherung - 'National Health Insurance (NHI)' - gegründet. Da sie aber weder die örtliche Verteilung des Zugangs zu Kliniken, die meist in urbanen Räumen lagen, noch die Konzentration auf die Institution Krankenhaus (90% aller Aufwendungen erfolgten in den Kranken- häusern, nur 10% im ambulanten Bereich) beheben konnte, wurde im Jahr 1972 der 'Primary Health Care Act' erlassen. Dieser führte landesweite Fünf- Jahres-Pläne für den Bereich der Primärversorgung ein und verpflichtetet die Gemeinden, diese zur Verfügung zu stellen. In der Folge kam es in Ermange- lung geeigneter Einrichtungen zum Aufbau von Gesundheitszentren im ganzen Land. Zugleich wurde die NHI dahingehend erweitert, dass er Krankentagegeld bezahlte. 1974 wurden auch die Krankenhäuser in die Planungen der Primär- versorgung integriert und 1984 wurden alle sozialstaatlichen Maßnahmen mit jenen der Gesundheitsfürsorge zusammengeführt und auf die selbe Weise fi- nanziert: Über Steuern.
In den folgenden Jahren wurde zunächst eine Art Hausarztmodell einge- führt, bevor es im Jahr 1993 zu einer neuerlichen Reform im Bereich der Fi- nanzierung kam. Die bis dahin nach primärer und sekundärer Versorgung un- terschiedenen und an die tatsächlich entstandenen Kosten (Behandlungen etc.) gebundenen Gelder aus dem Staatshaushalt wurden durch Globalbudgets für die Gemeinden ersetzt, die u.a. an demographischen Kriterien orientiert waren. Ziel war es, so die Effizienz und die Verantwortung vor Ort zu stärken. Die zentrale gesetzgeberische Tätigkeit fand im Jahr 2000 ein Ende, seither nimmt der Zentralstaat nur noch Einfluss über Informations- und Koordinations- maßnahmen. Darunter werden Evaluationen und Forschungsmaßnahmen ebenso verstanden, wie die Ausbildung und Training des medizinischen Perso- nals (vgl. Häkkinen, 1995: 127f; Järvelin, 2002: 12f).
Im finnischen Gesundheitswesen beliefen sich die Gesamtausgaben auf etwa 11 Mrd. Euro im Jahr 2003. Dies entspricht einem Anteil am BIP von 7,3%, und damit dem niedrigsten der in dieser Arbeit betrachtetet Länder, aber auch weniger als im OECD-Durchschnitt (vgl. Fin. Ministerium für Soziales und Gesundheit, 2004: 24). Die Finanzierung dieser Mittel ist vergleichbar dem norwegischen Modell. Ein Großteil von etwa 60% wird über Steuern, weitere 17% über ein Krankenversicherungswesen und die verbleibenden 23% durch private Zuzahlunge aufgebracht. Die Hauptlast der Finanzierung des Gesund- heitswesens liegt bei den finnischen Gemeinden, die knapp die Hälfte aller Ausgaben im Zusammenhang mit Gesundheit leisten. Sie erhalten ihre Mittel aus der örtlich festgelegten Einkommensteuer (durchschnittlicher proportionaler Steuersatz 18%) und aus Block-Zuweisungen aus dem Staatshaushalt, die sich v.a. an demographischen Merkmalen ausrichten. Bei der Verteilung der Gelder existiert zusätzlich eine Art Risikostrukturausgleich zwischen den Gemeinden. Mit diesen Geldern werden insbesondere die Einrichtungen der Primär- und der Sekundärversorgung finanziert. Neben der Finanzierung über Steuern spielt in Finnland auch das staatliche Krankenversicherungswesen (NHI) eine wichtige Rolle. Dieses übernimmt zum Teil die Kosten für Behandlungen bei privaten Dienstleistern im Gesundheitsbereich, einen Teil der Medikamentenkosten oder auch Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer Behandlung. Die Kranken- versicherung wird aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen gespeist und seit einiger Zeit durch Steuermittel ergänzt (vgl. OECD, 2005b: 24f; Järvelin, 2002: 29f). Dabei sind die Beiträge relativ moderat. 1,6% der Löhne und Gehäl- ter beim Arbeitgeberanteil, 1,5% des zu versteuernden Jahreseinkommens beim Arbeitnehmeranteil. Rentner führen ebenfalls einen Beitrag ab (vgl. MISS- OC, 2002d: 9). Als dritte Finanzierungsquelle verbleiben - neben freiwilligen Zusatzversicherungen, die aber praktisch keine Rolle spielen - Zuzahlungen der Patienten. Im Verlauf der 1990er Jahre sind diese aufgrund der Rezession in Finnland merklich gestiegen, während zugleich die Block-Zuweisungen an die Gemeinden gesunken sind. Zuzahlungen werden (im Jahr 2005) beim Auf- suchen eines Gesundheitszentrums in Höhe von 11 Euro (maximal drei mal jährlich) fällig. Abends, Nachts und am Wochenende kann diese Zuzahlung auch höher ausfallen. Bei einer Zanhbehandlung, die seit Dezember 2002 ebenfalls für alle Finnen vom NHI erstattet bzw. in den Gesundheitszentren erbracht wird, 7 Euro und für bestimmte Behandlungen (z.B. Füllungen) noch- mals zusätzlich bis zu 45 Euro. Im Klinikum werden für ambulante Behand- lungen bis zu einmalig 72 Euro, für einen stationären Aufenthalt bis zu 26 Euro pro Tag fällig, ein Besuch in der Klinikambulanz kann bis zu 22 Euro Zuzahlung bedeuten. Für diese Zuzahlungen gilt eine Obergrenze von 590 Euro jährlich pro Person (Kinder unter 18 Jahren werden den Eltern zugerechnet). Über die Höhe der Zuzahlungen entscheiden die Gemeinden, die genannten Sätze stellen Obergrenzen dar und werden vom Parlament erlassen. Ohne Zuzah- lung können nur Vorsorgeuntersuchungen (z.B. während der Schwangerschaft), Impfungen und Hilfsmittel (z.B. Rollstühle) in Anspruch ge- nommen werden. Im Primärbereich sind Kinder bis 18 Jahre von der Zuzahlung ausgenommen. In der Klinik wird die Zuzahlung für sie nur an maximal sieben Tagen im Kalenderjahr fällig. Ebenfalls andere Regeln gelten bei psychischen Erkrankungen.
Bei einer Behandlung in einer privaten Einrichtung erhalten die Patienten eine Kostenerstattung durch die NHI von maximal 60% bezogen auf eine fest- gelegte Gebührenordnung. Da die Gebühren aber auch höher ausfallen dürfen, fällt die Erstattung dann entsprechend niedriger aus. Auch bei Medikamente er- folgt eine Erstattung maximal in Höhe von 50% bei einem fixen Eigenanteil von 8 Euro (für chronisch Kranke gelten allerdings Ausnahmen und Erstattungen bis zu 100%). Für die Medikamentenzuzahlung gilt eine separate jährliche Obergrenze, die 2001 580 Euro betragen hat (vgl. Järvelin, 2002: 34f; Fin. Ministerium für Soziales und Gesundheit, 2004: 25f).
Für die Einbeziehung der Bevölkerung ergibt sich in Finnland das für alle nordischen Länder identische Bild einer universalen Versorgung. Alle Bewohner Finnlands sind über die gleichen Systeme erfasst und werden versorgt. Dies ergibt sich aus dem Verfassungsgebot (Kapitel 2, Paragraph 19), dass die öffentliche Hand die Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen und diese adäquat mit entsprechenden Dienstleistungen versorgen muss.
In Finnland ist die Erbringung von Gesundheitsleistungen Staatsaufgabe, genauer Aufgabe der Gemeinden. Für den Primärbereich betreiben die etwa 440 Gemeinden in Kooperation oder alleine landesweit etwa 270 Gesundheits- zentren. Ein Gesundheitszentrum muss dabei allerdings keine einzelne Einrich- tung sein, sondern stellt nur die Organisationsform dar. Bei den Gesundheits- zentren sind hauptsächlich Allgemeinärzte, aber auch einige Spezialisten ange- stellt. Hinzu kommen Krankenschwestern und Zahnärzte. Von ihnen werden alle primären Gesundheitsleistungen, Labor- und Röntgenuntersuchungen, Vorsorgeuntersuchungen und Zahnbehandlungen angeboten. Neben der am- bulanten Versorgung gibt es in der Regel auch eine kleine stationäre Einheit, in der vorwiegend ältere und chronisch Kranke behandelt werden. Die detaillierte Ausgestaltung der Gesundheitszentren und ihrer angebotenen Leistungen ist den Gemeiden überlassen. Diese müssen nur die Versorgung sicher stellen und könnten diese auch bei privaten Dienstleistern zukaufen. Dennoch lassen sich landesweit kaum Unterschiede feststellen und zwei Prinzipien haben sich herausgebildet. Zum einen eine Art Hausarztmodell, bei dem eine Familie sich für den immer gleichen Arzt im Gesundheitszentrum entscheidet und zum anderen das 'population responsibility model', bei dem ein Team aus Ärzten, Krankenschwestern und weiterem medizinischen Personal für jeweils ein be- stimmtes geografisches Gebiet verantwortlich ist. Meist ergibt sich dies aber automatisch aus der Größe des Gesundheitszentrums und der geringen Be- völkerungsdichte. Im Schnitt betreut ein Arzt etwa 1500 bis 2000 Patienten. Für die Weiterbehandlung bei einem Spezialisten im staatlichen Bereich benötigen die Patienten eine Überweisung, der Allgemeinarzt stellt somit eine Lotsen- funktion dar (vgl. OECD, 2005b: 27; Järvelin, 2002: 45f; MISSOC, 2002d: 3).
Die Sekundärversorgung ist ebenfalls durch die Gemeinden organisiert. Alle Krankenhäuser befinden sich in kommunaler Trägerschaft. Hierzu haben sich die einzelnen Gemeinden zu 20 Föderationen bzw. Krankenhausdistrikten zusammengeschlossen. Jede Gemeinde muss einem solchen Distrikt angehören. Diese betreiben landesweit 5 Universitätskliniken, 15 Zentral- und weitere 40 kleinere Distriktkrankenhäuser. In den Kliniken findet auch hauptsächlich die ambulante Behandlung durch Spezialisten statt.
Sowohl für im Krankenhaus, als auch in den Gesundheitszentren angestellte Ärzte gilt, dass sie in ihrer Freizeit private Praxen betreiben dürfen. Etwa ein Drittel der im öffentlichen Dienst angestellten und dort via monatlichem Gehalt entlohnten Ärzte macht davon Gebrauch und etwa 8% aller Ärzte in Finnland arbeiten nur in solchen Privatpraxen. Die Bezahlung dort erfolgt direkt durch den Patienten, der sich die Rechnung dann teilweise durch den NHI erstatten lassen kann. Diese Privatpraxen und die sehr wenigen privaten Kliniken stellen auch die einzige Möglichkeit der freien Wahl für die Patienten dar. Sie haben weder die Wahl über ihr Gesundheitszentrum, noch in welchem Krankenhaus sie behandelt werden wollen (vgl. OECD, 2005b: 27f; Järvelin, 2002: 57f; MISSOC, 2002d: 4).
Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt ausschließlich durch die landes- weit etwa 800 privat betriebene Apotheken (in dünn besiedelten Gebieten dürfen einige Postämter verschreibungsfreie Medikamente verkaufen), die allerdings einer Lizenz bedürfen. Dadurch ist eine Kontrolle von Zahl und örtli- cher Verteilung gegeben. Die Preise für Medikamente werden im Fall von verschreibungspflichtigen Präparaten von einer Regierungsbehörde festgelegt, bei verschreibungsfreien Präparaten ist der Preis freigegeben (vgl. OECD, 2005b: 27; Järvelin, 2002: 69f).
Die politische Verantwortung in Finnland ist zwischen der Zentralregierung auf der einen und den Gemeinden auf der anderen Seite geteilt. Während erstere Gesetze grundlegender Art auf den parlamentarischen Weg bringt, bestimmte Qualitätsstandards festlegt und das Gesundheitswesen mit Hilfe von Evaluationen einer ständigen Kontrolle und einem ständigen Wettbewerb um die beste Versorgung aussetzt, gestalten letztere die konkreten Details der Ausführung und sind für die Finanzierung zuständig. Als dritten Spieler kann man die staatliche Krankenversicherung ansehen, die zwar unter Aufsicht der Regierung arbeitet, aber dennoch unabhängig ist.
Die Regierung vollzieht ihre Aufgaben zum einen über entsprechende Behörden in den fünf Provinzen, sodass auch dort eine gewisse Dezentralität gegeben ist. Bürger können sich mit Beschwerden dorthin wenden und im Um- kehrschluss werden Lizenzen und Zulassungen dort erteilt. Weiterhin bedient sich die Regierung insgesamt sieben Regierungsagenturen, die Qualitätskontrollen durchführen, Medikamente zulassen oder Forschungsvorhaben durchführen. Eine weitere Zuständigkeit der Regierung liegt in der Ausbildung von Medizinern in den Universitätskliniken, obwohl diese von den Kommunen getragen werden. Die gesundheitspolitischen Ziele werden alle vier Jahre zu beginn der Legislatur festgelegt.
Auf Gemeindeebene entscheiden die alle vier Jahre gewählten Gemeinderä- te über die konkrete Ausgestaltung der Gesundheitszentren und damit un- mittelbar über die Art und Weise der Erbringung von Gesundheitsleistungen und die Verwendung der Mittel. Ihre Unabhängigkeit von der Zentralregierung ist dabei durch die seit 1993 gezahlten Block-Zuweisungen gestiegen. Zugleich bilden immer einige Gemeinden einen Krankenhausdistrikt, von dem sie die Leistungen für die Sekundärversorgung und die Behandlung durch Spezialisten für ihre Bevölkerung beziehen. Jährlich handeln die einzelnen Gemeinden die Konditionen dafür mit den Distrikten aus, bezahlen diese schließlich dafür und können seit 1999 frei den Krankenhausdistrikt, zu dem sie gehören wollen, auswählen, was ihre Verhandlungsposition stärkt.
Eine Besonderheit stellt der NHI dar, da dieser in Ergänzung zum staatlichen Gesundheitswesen auch zu Doppelungen führt. Über ihn werden privaten Gesundheitsleistungen zum Teil erstattet, die in Konkurrenz zu den staatlichen bestehen. So kann beispielsweise die Lotsenfunktion der Gesundheitszentren durch den direkten Besuch einer Privatpraxis eines Spezialisten unterlaufen werden, zugleich wird dieses Unterlaufen aber auch noch durch teilweise Erstattung der Kosten unterstützt. Es stellt also in dieser Hinsicht - der NHI ist ja darüber hinaus auch für Krankentagegeld und die Erstattung von Medi- kamentenkosten zuständig - einen gewissen Systembruch dar, wenn auch die damit einhergehende Wahlfreiheit der Patienten begrüßenswert scheint (vgl. OECD, 2005b: 30f + 39f; Järvelin, 2002: 17f).
Als Herausforderungen für die Zukunft lassen sich in Finnland nur wenige Dinge ausmachen. Wartelisten, wie in den anderen nordischen Ländern exis- tieren kaum, das Gesundheitswesen ist eines der preiswertesten bezogen aufs BIP überhaupt, wenn auch in Finnland der Kostendruck spürbar ist. Die Versor- gung der Bevölkerung ist in allen Landesteilen gut ausgebaut. Als problematisch können allenfalls die fehlenden Wahlmöglichkeiten für die Patienten und die vergleichsweise hohen Zuzahlungen gesehen werden (die Überforderungsgrenzen wurden erst im Jahr 2000 eingeführt), die aus sozialpolitischer Sicht einmal zum Problem werden könnten.
3. Bewertung und Zusammenfassung der Erkenntnisse
Wie an der einzelstaatlichen Betrachtung ersichtlich wurde, zeigen sich im Bereich der Gesundheitssysteme sehr viele Gemeinsamkeiten bei den betrachteten vier nordischen Staaten.
Auffälligste und als erstes zu nennenden Gemeinsamkeit ist die Universalität der Absicherung. Die gesamte Bevölkerung, unabhängig von der Staatsbürgerschaft, ist in ein und dem selben System abgesichert. Niemand kann sich aufgrund Status, Vermögen oder sonstiger Umstände diesem einheitlichen System - bei Unterschieden im Detail - entziehen. Jeder trägt auf die gleiche Weise bei und sichert die solidarische Finanzierung.
Auch die Frage der Finanzierung ist in den betrachteten Ländern gleich ge- löst. Steuern tragen die Hauptlast, teilweise ergänzt durch eine Sozialversi- cherung, bei der die Mittel, im Gegensatz zu den nicht zweckgebundenen Steuermitteln, allein dem Gesundheitssystem zugeleitet werden. Mit der Aus- nahme Finnland - bei der aus diesem Sozialversicherungstopf auch Behand- lungskosten in Privatpraxen erstattet werden, trotz des an sich staatlichen Ver- sorgungssystems in den Gesundheitszentren - dienen diese Gelder nur für Lohnfortzahlungen und die Erstattung von Medikamenten, nicht jedoch für die Finanzierung der Grundlage aller medizinischen Versorgung: Der Beziehung zwischen Arzt und Patient. Hinzu kommen Eigenleistungen und Zuzahlungen der Patienten in unterschiedlicher Höhe und an unterschiedlicher Stelle. Außer in Dänemark, wo diese nur für Medikamente anfallen, müssen Patienten in den übrigen nordischen Ländern bei jeder Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen einen Teil der Kosten selbst tragen. Auch spielen in allen betrachte- ten Ländern private Zusatzversicherungen praktisch keine Rolle. Daraus kann man ablesen, dass die Bevölkerung keinen maßgeblichen Bedarf darin sieht, dem bestehenden System zu entkommen und eine - wenn auch spärlich, aber dennoch vorhandene, Alternative in Form privat organisierter Versorgung zu wählen.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist - mit Abstrichen für Norwegen - die äußerst dezentral gestaltete Verantwortung, Steuerung und Finanzierung, da die Hauptlast durch Gemeinde-(bzw. im Falle Schwedens) Landkreissteuern erbracht wird. Der Zentralstaat agiert meist nur über Rahmengesetzgebung oder ergreift Maßnahmen für die Qualitätssicherung und erfüllt Koordinierungsmaßnahmen. Weiterhin übernimmt er Aufgaben, die sinnigerweise zentral erledigt werden, wie bspw. die Zulassung von Medikamenten. Selbst im Falle Norwegens, bei dem der Krankenhaussektor in die Verantwortung des Zentralstaates verlagert wurde, ist eine neuerliche Dezentralisierung durch die fünf Krankenhausbezirke zu beobachten. Das Subsidiaritätsprinzip findet demnach in allen betrachteten nordischen Ländern Anwendung.
Einen Unterschied gibt es bei der Erbringung der konkreten Gesundheitsleis- tungen im Primärbereich. Hier weisen Norwegen und Dänemark mit selbstän- dig betriebenen Praxen ihrer Allgemeinmediziner ein anderes Modell auf, als Schweden und Finnland mit ihren Gesundheitszentren, wobei Norwegen bis in die 1990er Jahre ebenfalls das System der Gesundheitszentren besaß. Und auch bei genauerer Betrachtung sind die Unterschiede geringer, als auf den ersten Blick. Da die selbständigen Ärzte keine Niederlassungsfreiheit genießen, obliegt es weiterhin staatlichen Stellen, über die Zahl und die örtliche Verteilung der Ärzte zu entscheiden, ganz so, wie auch bei einem System mit staatlich betriebenen Gesundheitszentren.
Weitere Unterschiede im Detail gibt es bei der Versorgung mit Medi- kamenten, bei der Übernahme von Zahnbehandlungen, die nur in Finnland von den staatlichen Systemen übernommen werden, in den anderen Staaten in der Regel Privatsache sind und bei der Erbringung der fachärztlichen Versorgung.
Man kann also feststellen, dass man, trotz einiger Unterschiede im Detail, durchaus von einem „einheitlichen nordischen Modell“ im Bereich der Gesund- heitsversorgung sprechen kann. Das grundlegende Prinzip der universalen Versorgung aller Bürger durch die solidarische Finanzierung durch alle Bürger, die Sicherstellung des Zugangs zu medizinischen Leistungen unabhängig von Wohnort, Einkommen und Status sowie die Auffassung, dass Gesundheit Staatsaufgabe sei und somit keine Gewinnerzielungsabsichten verfolgt werden, ist allen betrachteten nordischen Ländern gemein.
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Anhang: Synopse
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Arbeit zitieren
- Christian Schneider (Autor:in), 2006, Gibt es das eine nordische Wohlfahrtsstaatsmodell? Untersucht am Beispiel der Gesundheitssysteme Dänemarks, Schwedens, Norwegens und Finnlands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62143
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