Der mittlerweile weltbekannte Autist Birger Sellin, der mit Hilfe der sogenannten „gestützten Kommunikation“ trotz seiner autistischen Sprachdefizite ein autobiographisches Buch von höchstem literarischen Niveau schrieb, soll hier zur exemplarischen Einleitung dienen. Anders als den meisten Menschen, die unter dem autistischen Syndrom leiden, gelang es ihm nach jahrelanger intensiver Therapierung, seine Sprachdefizite zumindest teilweise zu durchbrechen und sich eine kleine Öffnung in die Außenwelt zu verschaffen, die den meisten Autisten verborgen bleibt.
Im Folgenden möchte ich mich daher mit dem Phänomen Autismus auseinandersetzen und verschiedene Ursachen, Symptome und
Behandlungsmöglichkeiten erwähnen. Vor allem aber soll sich der Text auf die autismusspezifischen Sprachdefizite im Kontext der vorschulischen heilpädagogischen Sprachförderung konzentrieren.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung des autistischen Syndroms
3. Symptomatologie
3.1. Verschlossenheit (Kontaktstörungen)
3.2. Wahrnehmungsstörungen
3.3. Angst (Adaptationsstörungen)
4. Allgemeine sensorische Einschränkungen
4.1. Geräuschempfindlichkeit
4.2. Visuelle Schwierigkeiten
5. Kernsymptom: Sprachdefizite
5.1. Auffälligkeiten in der Grammatik
5.2. Auffälligkeiten in der Pragmatik
5.3. Echolalie und Prosodie
5.4. Pronominale Umkehr
5.5. Kommunikation im fortgeschrittenen Alter
6. Schlussbemerkung
7. Anhang:
7.1. Bibliographie
7.2. Erklärung
1. Einleitung
„Eine sagenhafte Idee, die Ursache von Autismus auf ein fast einfaches Problem wie Hören zu reduzieren. Eine Überempfindlichkeit ist einfach auf allen Gebieten da. Ich kann ein wenig zu viel hören und zu viel sehen, aber die Sinnesorgane sind ok, einfach Innen geht ein Durcheinander los. Wörter, Sätze, Ideen werden so auseinandergerissen und zerrissen. Die einfachsten Dinge werden aus dem Zusammenhang der wichtigen, wirklichen, einzelnen, anderen Außenwelt gerissen. Ein Gedanke ist so schwer wie ein richtiger Innerweltskasten.“[1]
Der mittlerweile weltbekannte Autist Birger Sellin, der mit Hilfe der sogenannten „gestützten Kommunikation“[2]trotz seiner autistischen Sprachdefizite ein autobiographisches Buch von höchstem literarischen Niveau schrieb, soll hier zur exemplarischen Einleitung dienen. Anders als den meisten Menschen, die unter dem autistischen Syndrom leiden, gelang es ihm nach jahrelanger intensiver Therapierung, seine Sprachdefizite zumindest teilweise zu durchbrechen und sich eine kleine Öffnung in die Außenwelt zu verschaffen, die den meisten Autisten verborgen bleibt.
Im Folgenden möchte ich mich daher mit dem Phänomen Autismus auseinandersetzen und verschiedene Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten erwähnen. Vor allem aber soll sich der Text auf die autismusspezifischen Sprachdefizite im Kontext der vorschulischen heilpädagogischen Sprachförderung konzentrieren.
2. Begriffsbestimmung des autistischen Syndroms
Schon der linguistische Ursprung des Wortes „Autismus“ lässt eine grobe Symptomatik erkennbar werden: so weist das griechische Wort „autos“ (dt.: „selbst“) auf die Selbstbezogenheit und Zurückgezogenheit des Erkrankten hin. Da die Krankheit erst seit den späten siebziger Jahren in die öffentliche Diskussion und Forschung vorgedrungen ist, ist sie nach wie vor ein nur teilweise untersuchtes Phänomen; noch immer herrschen starke Kontroversen und Unklarheiten unter den Wissenschaftlern. Schon über die Begriffsbestimmung ist man sich sichtlich uneinig: so tauchen in der Literatur Begriffe wie „symbiotische Psychose“, „kindliche Schizophrenie“, „desintegrative Psychose“[3]auf, aber auch „atypische Psychose“, „frühkindlicher Autismus“ oder „Asperger-Syndrom“[4]finden dort Erwähnung, wobei sich die Bezeichnung vor allem nach der Ätiologie richtet. Das bedeutet beispielsweise, es kann von dem sogenannten Asperger-Syndrom die Rede sein, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, die zwar mit gewissen Charakteristika des Autismus einhergeht, allerdings ohne spezielle Sprachdefizite erkennbar werden zu lassen.
Einstimmig definiert ist in der Fachliteratur lediglich, dass es sich bei den autistischen Syndrom um eine Entwicklungsstörung handelt, die ab dem ca. zweiten Lebensjahr auftritt, wobei etwa 1-2 von 1000 Kindern und dreimal mehr Jungen als Mädchen betroffen sind.[5]
3. Symptomatologie
Verschlossenheit (Kontaktstörungen)
Als eines der wesentlichen Charakteristika des Autismus zeichnen sch die verhaltensauffälligen Symptome aus. Sie äußern sich je nach Persönlichkeitsbeschaffenheit, sozialem Umfeld, Förder- und Therapiemöglichkeiten etc. bei jedem Autisten in unterschiedlicher Weise, dennoch stehen Kontaktstörungen ganz wesentlich im Zentrum der autistischen Erkrankung. Der oder die Betroffene befindet sich häufig in einem Zustand der totalen Isolation, die Außenwelt kann nicht als ein vom eigenen Ich differenzierter Bereich wahrgenommen werden und ist für den Autisten bzw. die Autistin in gewisser Weise inexistent oder bedrohlich und chaotisch. In nicht wenigen Fällen hat dies einen starken inneren Rückzug zur Folge. Blicken wird ausgewichen, es erfolgt keine Reaktion auf Kontaktversuche, der eigene Name wird nicht gehört bzw. nicht verstanden. Als Außenstehender kann man leicht den Eindruck gewinnen, der Autist/ die Autistin will möglich unauffällig sein und möglichst wenig selbst zur Kenntnis nehmen.
Obwohl es sich bei der Krankheit um keine Form der geistigen Behinderung handelt und viele Autisten sogar über ein überdurchschnittlich hohes Maß an Intelligenz verfügen (sog. „Inselbegabungen“[6]), muss man davon ausgehen, dass kaum eine vergleichbare Krankheit bekannt ist, die derart starke Graduierungen und unterschiedliche Ausprägungen aufweist. Für alle Menschen mit dem autistischen Syndrom lässt sich jedoch zusammenfassen, dass sie in gewisser Weise auf früheren Sozialisationsstufen stehen bleiben: sie entwickeln kein Interesse und keine Empathie für andere Personen[7], lügen jedoch nie und vermögen nicht, zu schauspielern. Sie leben sozusagen in einer eigenen Welt mit eigenen, sinnlosen Beschäftigungen.
Wahrnehmungsstörungen
Ein entscheidendes Symptom der Krankheit ist die Unfähigkeit des/der Erkrankten, Wahrnehmungen zu hierarchisieren und zu filtern. Es besteht somit eine immense Flut an Sinnesinformationen, die vom Gehirn (genauer: von speziellen Arealen des lateralen Cortex) nicht gefiltert werden können und somit chaotisch und ungeordnet auf den/ die Betroffene/n einströmen.[8]Wichtiges kann somit nicht von Nebensächlichem unterschieden werden, die eigene Person und eine fremde können nicht voneinander differenziert werden und es besteht so gut wie keine Interpretationsfähigkeit, weil nichts einen Sinn ergibt, kausale Zusammenhänge zwischen Begebenheiten können nicht erschlossen werden. Die Welt eines Autisten/ einer Autistin ist scheinbar eindimensional und ohne jeglichen Kontext – die fehlende Eigenerfahrung in und mit der Umwelt (Aktion und Interaktion) führt somit zu starker Passivität und Isolation.
Bei einem autistischen Kind kann man beispielsweise nicht beobachten, dass es sich am Oberkörper der Mutter festklammert oder ankuschelt, wenn es auf den Arm genommen wird. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass die Mutter an sich nicht als eine vertraute Person wahrgenommen wird, andererseits ergeben derartige emotionale Gesten und der Austausch körperlicher Zärtlichkeiten für das autistische Kind auch einfach keinen Sinn.[9]
[...]
[1]aus: Seller: Ich will kein Inmich mehr sein, S.71/72
[2]vgl.: Butzkamm: Wie Kinder sprechen lernen, S.198/199
[3]vgl.: Wing, L.: Das autistische Kind, S.211
[4]vgl.: Wing, J.K.: Frühkindlicher Autismus, S.18 sowie
Nieß/Dirlich-Wilhelm: Leben mit autistischen Kindern, S.16
[5]vgl. Butzkamm: Wie Kinder sprechen lernen, S.181 sowie
Bosch: Der frühkindliche Autismus, S.57
[6]vgl.: www.wissenschaft-online.de
[7]vgl.: Nieß/Dirlich-Wilhelm: Leben mit autistischen Kindern, S.17 Punkt A.1.
[8]vgl.: Innerhofer: Die Welt des frühkindlichen Autismus, S.54-58
[9]vgl.: Nieß/Dirlich-Wilhelm: Leben mit autistischen Kindern, S.17/18 Punkt B.2.
- Arbeit zitieren
- Claudia Becker (Autor:in), 2005, Heilpädagogische Sprachförderung im Vorschulalter bei ein-/mehrsprachigen Kindern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61717
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