Nachdem in Deutschland, Frankreich und Portugal die Begrenzung der Neuverschuldung auf 3% des BIP in Marktpreisen überschritten wurde, wird einerseits verlangt, die verordnete haushaltspolitische Disziplin unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung strikt einzuhalten. Andererseits besteht die Forderung einer grundlegenden Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP). Begründet wird der Reformbedarf des SWP durch das einseitig ausgelegte Ziel der Geldwertstabilität. Eine solide Haushaltspolitik verlange eine Konsolidierung über die finanzpolitische Stärkung des Wirtschaftswachstums, welche durch die Verschuldungskriterien verhindert wird. Diese Seminararbeit beschäftigt sich somit mit der Revision/Reformierung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP). In gewissem Umfang erfolgt auch eine kritische Betrachtung hinsichtlich makroökonomischer Gefahren, welche aus der Reformierung des SWP für die EU entstehen können. Nach einem kurzen historischen Überblick in Gliederungspunkt (GP) 2 erfolgt in GP 3 eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der bisherigen Erfahrungen mit dem „alten“ SWP. Anschließend werden in Gliederungspunkt 4 Vorschläge zur Reformierung des „alten“ SWP diskutiert. Diese Seminararbeit schließt mit einem Fazit in GP 5 und basiert in ihrer Argumentation und kritischen Betrachtung vorrangig auf den möglichen makroökonomischen Auswirkungen, die im Zusammenhang mit einer Reformierung des SWP entstehen können. Da am 22./23. März 2005 einer „Lockerung“ des SWP seitens des ECOFIN-Rats und der EU-Kommission stattgegeben wurde, sind mögliche wirtschaftliche Auswirkungen also in gewissem Umfang rein spekulativer Natur. Die diskutierten Reformvorschläge basieren daher auf Äußerungen, welche im Vorfeld der Änderung vom März erfolgten.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Historischer Überblick
2.1 Vertrag von Maastricht
2.2 Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP)
3 Erfahrungen mit dem bisherigen „alten“ SWP
3.1 Staatsverschuldung – Auswirkungen auf Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum
3.2 Defizitquote und Asymmetrie in der Finanzpolitik
3.3 Unangemessene einfache haushaltspolitische Regel und Konsolidierung
4 Reformvorschläge und deren makroökonomische Auswirkungen
4.1 Orientierung am strukturellen Defizit und fester Pfad für öffentliche Ausgaben
4.2 Schuldenstand bei der Festlegung der zulässigen Defizitgrenze berücksichtigen
4.3 Begrenzung inflationärer Prozesse und optimale Fiskalpolitik ermöglichen
4.4 Feste Obergrenzen für das Wachstum der Staatsausgaben bei Überschreitung eines Referenzwertes für die Schuldenstandsquote
5 Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: konsolidierter Bruttoschuldenstand in % des BIP und jährliche Ver-änderung der Inflationsrate in % in Dtld. (bis 1995 Verbraucherpreise, ab 1996 HVPI)
Abbildung 2: konsolidierter Bruttoschuldenstand in % des BIP und langfristiger Zinssatz in Dtld.
Abbildung 3: konsolidierter Bruttoschuldenstand in % des BIP und Finanzierungssaldo in % des BIP in Dtld
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Nachdem in Deutschland, Frankreich und Portugal die Begrenzung der Neuverschuldung auf 3% des BIP in Marktpreisen überschritten wurde, wird einerseits verlangt, die verordnete haushaltspolitische Disziplin unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung strikt einzuhalten. Andererseits besteht die Forderung einer grundlegenden Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP). Begründet wird der Reformbedarf des SWP durch das einseitig ausgelegte Ziel der Geldwertstabilität. Eine solide Haushaltspolitik verlange eine Konsolidierung über die finanzpolitische Stärkung des Wirtschaftswachstums, welche durch die Verschuldungskriterien verhindert wird. Diese Seminararbeit beschäftigt sich somit mit der Revision/Reformierung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP). In gewissem Umfang erfolgt auch eine kritische Betrachtung hinsichtlich makroökonomischer Gefahren, welche aus der Reformierung des SWP für die EU entstehen können. Nach einem kurzen historischen Überblick in Gliederungspunkt (GP) 2 erfolgt in GP 3 eine Bestandsaufnahme hinsichtlich der bisherigen Erfahrungen mit dem „alten“ SWP. Anschließend werden in Gliederungspunkt 4 Vorschläge zur Reformierung des „alten“ SWP diskutiert. Diese Seminararbeit schließt mit einem Fazit in GP 5 und basiert in ihrer Argumentation und kritischen Betrachtung vorrangig auf den möglichen makroökonomischen Auswirkungen, die im Zusammenhang mit einer Reformierung des SWP entstehen können. Da am 22./23. März 2005 einer „Lockerung“ des SWP seitens des ECOFIN-Rats und der EU-Kommission stattgegeben wurde, sind mögliche wirtschaftliche Auswirkungen also in gewissem Umfang rein spekulativer Natur. Die diskutierten Reformvorschläge basieren daher auf Äußerungen, welche im Vorfeld der Änderung vom März erfolgten.
2 Historischer Überblick
2.1 Vertrag von Maastricht
Im Jahre 1992 wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Er ist die rechtliche Grundlage für die Schaffung einer Europäischen Währungsunion. Auf Grund von hohen Staatsverschuldungen einiger europäischer Länder Anfang der neunziger Jahre verständigten sich die Regierungen auf die Geltung relativ strikter Obergrenzen für die Neuverschuldung und den Schuldenstand der Mitgliedstaaten. Diese Obergrenzen fanden Eingang in den EG-Vertrag in Form des Vertrages von Maastricht. Gemäß Artikel 104 des EG-Vertrages verpflichteten sich die Staaten zur Vermeidung „übermäßiger Defizite“(wenn ein Finanzierungssaldo von mehr als -3% des BIP besteht). Für die Neuverschuldung wurde ein Referenzwert in Höhe von 3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und für den Schuldenstand ein Wert in Höhe von 60% des BIP festgelegt. Diese Referenzwerte bestimmten sich als Durchschnittswerte des Jahres 1990 und basieren damit nicht auf einer wissenschaftlich fundierten Analyse über die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung der jeweiligen Mitgliedsstaaten.[1]
2.2 Der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP)
Im Sommer des Jahres 1997 haben die EU-Mitgliedsstaaten mit dem SWP die Vorschriften des Vertrages von Maastricht für die zukünftige Finanzpolitik konkretisiert. Dabei wurden wesentlich engere Grenzen für die Staatsverschuldung gesetzt. Im Rahmen dieser Konkretisierung ist jedes Euro-Mitgliedsland verpflichtet worden, ein „Stabilitätsprogramm“ und jedes Nicht-Euro EU-Mitglied ein „Konvergenz-Programm“ vorzulegen. Inhalt dieser Programme sind Angaben zur voraussichtlichen Entwicklung der Gesamtwirtschaft und der wichtigsten finanzpolitischen Kennziffern (vorrangig Staatsdefizit und Schuldenstand).[2] Außerdem ist darin darzulegen, wie das Ziel eines ausgeglichenen Hauhaltes erreicht werden soll. Die Länder tragen der im ECOFIN-Rat im Oktober 1998 gemeinsam getroffenen Vereinbarung Rechnung, dass die mittelfristigen Haushaltsziele („nahezu ausgeglichener Haushalt oder Haushaltsüberschuss“) spätestens im Jahr 2002 erreicht sein müssen. Die Europäische Kommission bewertet die Programme und der EU- bzw. ECOFIN-Rat prüft sie. Darüber hinaus kann der ECOFIN-Rat Nachbesserungen in den Programmen fordern, sofern diese nicht den Vorschriften des SWP entsprechen. Sobald ein Mitgliedsland in seiner aktuellen Entwicklung des öffentlichen Gesamthaushalts von den SWP bzw. Konvergenzzielen abweicht, kann der ECOFIN-Rat das betreffende Land zur Korrektur auffordern. Wird die Defizitobergrenze von 3% (Referenzwert) des BIP überschritten und stellt der ECOFIN-Rat ein übermäßiges Defizit (siehe auch Kasten Exkurs) nach den Bestimmungen des SWP fest, verhängt er innerhalb von 10 Monaten Sanktionen, sofern keine Maßnahmen zum Defizitabbau ergriffen wurden. Hierbei handelt es sich um eine zinslose Einlage (bei der EZB) von 0,2% (maximal zulässig 0,5%) des BIP (feste Komponente) zuzüglich einer variablen Komponente von 1/10 der Differenz zwischen der faktischen Defizitquote und dem Referenzwert (3%). Sofern das übermäßige Defizit nicht innerhalb von 2 Jahren beseitigt wird, kann die Einlage in eine Strafe (Geldbuße) umgewandelt werden.[3] Anzumerken ist, dass bei der Feststellung, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt, konjunkturelle Einflussfaktoren keine Berücksichtigung finden.[4] Von einem Defizitverfahren wird abgesehen, wenn das Defizit „auf ein außergewöhnliches Ereignis („asymmetrische Schocks“ oder „schwerwiegende Wirtschaftsabschwünge“), das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats entzieht und die Finanzlage erheblich beeinträchtigt“ zurückzuführen ist. Ein schwerwiegender Wirtschaftsabschwung ist gegeben, wenn das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) innerhalb eines Jahres um mindestens 2% zurückgegegangen ist.[5]
Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Der SWP dient zur Sicherung der ökonomischen Basis der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Die Mitgliedsländer sind zu einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik (FiPo) angehalten, um im Zusammenspiel mit der auf Preisstabilität (Geldwertstabilität des EURO) ausgerichteten Geldpolitik der EZB die Voraussetzungen für ein starkes, nachhaltiges und der Schaffung von Arbeitsplätzen förderliches Wachstum zu gewährleisten.[6] Durch die Regelungen des SWP soll ein übermäßiges Verschuldungsverhalten der Euroländer unterbunden werden, da dadurch die Inflation steigt (Geldwertstabilität würde gefährdet) und Unsicherheit entsteht. Insbesondere ist anzunehmen, dass auch der so genannte Crowding-Out-Effekt unterbunden werden sollte. Dieser Effekt entsteht durch hohe Staatsverschuldung (Kreditnachfrage des Staates) in den jeweiligen Mitgliedsländern, wodurch der Zinssatz des jeweiligen Mitgliedslandes steigt und die Gefahr der Verdrängung privater Investitionen besteht. Erforderlich wurde diese Festlegung, da in einer Währungsunion die Finanzmärkte das Fehlverhalten eines Mitgliedes der Währungsunion nicht mehr sanktionieren. Es besteht somit die Gefahr, dass alle Mitglieder der Union insgesamt für die Schulden dieses Landes in Gestalt höherer Zinsen „geradestehen“ müssen.[7]
3 Erfahrungen mit dem bisherigen „alten“ SWP
3.1 Staatsverschuldung – Auswirkungen auf Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum
Einseitige Fixierung auf die Geldwertstabilität
Bis heute prägt die einseitige Fixierung auf die Geldwertstabilität, die ökonomische Begründung der auf Dauer gestellten Begrenzung der öffentlichen Staatsverschuldung.
Bereits hier ist kritisch anzumerken, dass der unterstellte Zusammenhang, ein über die Kriterien hinausgehender Anstieg der öffentlichen Verschuldung würde zur Inflation der Euro-Währung führen, zum Zeitpunkt der Festlegung weder analytisch noch empirisch belegbar war.[8] Trotz vieler Modelle und statistischer Berechnungen ist der Wirtschaftswissenschaft bis heute nicht bekannt, wie hoch der optimale Schuldenstand eines Landes sein soll.[9] Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wird durch schuldenfinanzierte Staatsausgaben in Phasen der wirtschaftlichen Wachstumsschwäche stabilisiert, ohne dass zwangsläufig die Inflation steigt. Insofern greift die Behauptung einer inflationstreibenden Staatsverschuldung zu kurz und ist darüber hinaus empirisch nicht nachweisbar.[10] Auch im Zuge der Finanzierung der Deutschen Einheit in den 90er Jahren ist eine sich beschleunigende Inflation nicht ausgelöst worden, obwohl die Staatsverschuldung schnell anstieg (siehe Abb.1). Abbildung 1 verdeutlicht den schnellen Anstieg des konsolidierten Bruttoschuldenstandes in % des BIP im Zeitraum von 1993 bis 1999. Während in den 90er Jahren die Inflation bei steigendem Bruttoschuldenstand schrittweise bis 1998 / 1999 zurückging, stieg sie von 1999 bis 2001 wieder an. Der Anstieg im Zeitraum von 1999 bis ins Jahr 2001 widerspricht jedoch der Behauptung, dass mit steigendem Schuldenstand die Inflation steigt, da sich in diesem Zeitraum der konsolidierte Bruttoschuldenstand verminderte. Darüber hinaus entstehen inflationäre Tendenzen nicht ausschließlich durch Wirtschaftsaktivitäten im Inland, sondern sind ebenfalls abhängig von z.B. Preisen der Importgüter (z.B. Ölpreisentwicklung) und der Auslastung des vorhandenen Produktionspotentials. In Boomphasen ist die Kapazitätsgrenze schnell erreicht, so dass die Unternehmen häufig mit Preissteigerungen reagieren. Das Argument, eine höhere Staatsverschuldung führt zu höheren Zinsen (siehe Abb.2), ist auch nicht schlüssig. Während der Phase der Finanzierung Deutschen Einheit sanken die Kapitalmarktzinsen deutlich. Wie Abb. 2 verdeutlicht, erhöht sich der konsolidierte Bruttoschuldenstand in % des BIP (abzulesen an der linken Skala) deutlich in den 90er Jahren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: konsolidierter Bruttoschuldenstand in % des BIP und jährliche Veränderung der Inflations- rate in % in Dtld. (bis 1995 Verbraucherpreise, ab 1996 HVPI)
Quelle: EUROSTAT, SVR (2000/2001), S. 316 (Tab. 10*), eigene Darstellung
Die Kapitalmarktzinsen (abzulesen an der rechten Skala) hingegen fallen kontinuierlich bis zur Aufschwungphase (1998 bis 2000) und steigen im Boomjahr 2000 auf einen Zinssatz von 5,26%, fallen im folgenden Abschwung allerdings erneut, obwohl die Staatsverschuldung steigt. Vielmehr scheint in Aufschwungphasen der langfristige Zinssatz zu steigen, wobei in der Phase des letzten Aufschwungs der konsolidierte Bruttoschuldenstand zurückgeführt wird.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: konsolidierter Bruttoschuldenstand in % des BIP und langfristiger Zinssatz in Dtld.
Quelle: EUROSTAT, eigene Darstellung
Die Verdrängung von kreditfinanzierten privaten Investitionen durch steigende Kapitalmarktzinsen infolge der staatlichen Inanspruchnahme der Kapitalmärkte ist ebenfalls nicht zu beobachten. Insofern kann von einem „Crowding-out“ nicht die Rede sein. Seit Deutschland und einige andere Mitgliedsstaaten 2002 die Neuverschuldungsquote von 3% überschritten haben, müsste eine sich beschleunigende Inflation zu beobachten sein. Auch hier ist dieser Zusammenhang nicht beobachtbar. Vielmehr hat Deutschland eine der niedrigsten Inflationsraten im gesamten Euroraum[11] und liegt zudem deutlich unterhalb des von der EZB angestrebten Inflationsziels von 2%. Der an den Kriterien gemessene, übermäßige Schuldenanstieg ist in dieser Phase mit extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen einhergegangen. Der unterstellte Zusammenhang zwischen einem Anstieg der Staatsverschuldung und einer damit verbundenen Geldentwertung[12] (Inflation) ist vor allem in konjunkturellen Schwächephasen nicht nachweisbar. In Ländern wie Deutschland und Frankreich gibt es trotz der Nichteinhaltung der Defizitobergenze keinerlei stärkere inflationäre Tendenzen. Im Fall von Deutschland ist die schlechte Haushaltslage stärker auf ein sehr schwaches Wachstum zurückzuführen als auf eine exzessive Ausgabenpolitik des Staates. Das Resultat sind unzureichende Einnahmen. Die schlechte Wirtschaftslage führte zu Belastungen der Sozialversicherungssysteme.[13] Gleichzeitig bewirkt aber die enge Auslegung der Regeln des SWP eine Verengung des Handlungsspielraums für die nationalen Fiskalpolitiken. Durch die Maßgabe, in jeder konjunkturellen Phase konsolidieren zu müssen und den Defizitabbau voranzutreiben, wird die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung belastet. Durch den Zwang die öffentlichen Haushalte auch in wirtschaftlich schlechten konjunkturellen Phasen zu konsolidieren, bleibt den betroffenen Mitgliedsstaaten nur die Möglichkeit eine, prozyklische fiskale Wirtschaftspolitik[14] zu betreiben. Beispielsweise wird in Deutschland das strukturelle Defizit im Jahr 2003 zurückgeführt, obwohl sich die konjunkturelle Lage als sehr ungünstig darstellte.[15]
Fiskalpolitik kann nicht flexibel genug auf konjunkturelle Schwankungen reagieren
Das vielleicht größte Problem des „alten“ SWP besteht in der Tatsache, dass die nationale Finanzpolitik nicht flexibel genug auf konjunkturelle Schwankungen reagieren kann. Der Grund liegt dabei in der Tatsache, dass auch in konjunkturellen Schwächephasen für Staaten mit einem „übermäßigen Defizit“ ein Konsolidierungszwang durch den SWP besteht. Eine antizyklische Politik wird verhindert und durch den Konsolidierungszwang wirkt die Finanzpolitik prozyklisch. Somit verstärkt sich in konjunkturellen Schwächephasen der wirtschaftliche Abwärtstrend durch den Versuch, über die staatliche Haushaltskonsolidierung (z.B. Ausgabensenkung) die festgelegte Defizitgrenze einzuhalten.[16],[17] Dies führt zu einer Verstärkung der Schwächephase, welche dann zwangsläufig zur Überschreitung der Defizitgrenze führt. Als Gegenargument wenden die Befürworter des SWP jedoch ein, dass die Überschreitung der Defizitgrenze ihre Ursache nicht ausschließlich in der konjunkturellen Schwächephase hat. So errechnet der SVR für das Jahr 2003 ein strukturelles Defizit nach Abzug des konjunkturellen Defizits und der investitionsorientierten Verschuldung vom Gesamtdefizit (4,1% des BIP) des Staates von ca. 3,5 %, so dass primär ein strukturelles Defizit vorgelegen hat.[18] Diesem Argument ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich Deutschland seit dem Jahr 2001 tatsächlich in einer konjunkturellen Schwächephase befindet und sich die Wirtschaft seitdem nicht nachhaltig erholt hat. Vielmehr herrscht in Deutschland ein rückläufiges Trendwachstum,[19] die Binnennachfrage ist sehr schwach und die Arbeitslosenquote sehr hoch (rund 10,2% im Jahr 2004). Die Arbeitnehmerentgelte in Deutschland sind in den vergangenen Jahren nur sehr moderat gestiegen, wobei deren Wachstumsraten deutlich unter denen des europäischen Durchschnitts liegen. Die Produktivitätssteigerungen (gemessen am BIP pro Erwerbstätigen) entsprechen dem europäischen Durchschnitt. In diesem Zusammenhang sind die Lohnstückkosten in Deutschland im Vergleich mit den anderen Ländern im Euroraum gesunken.[20] Dies hat aber nicht zwangsläufig positive Effekte auf der Nachfrageseite der privaten Haushalte. Dämpfend wirken die im Vergleich zu anderen Ländern des Euroraums hohen Realzinsen auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen in Deutschland. Ein nachhaltiges Wachstum des BIP ist jedoch nötig, um Arbeitslosigkeit substantiell abzubauen und die Sozialkassen zu entlasten. Anschließend könnte eine Konsolidierung über die Einnahmenseite und die Ausgabenseite des Staates erfolgen und das strukturelle Defizit zurückgeführt werden. Wird aber in einer wirtschaftlichen Schwächephase über die Ausgabenseite des Staates konsolidiert, hat dies durchaus negative Rückwirkungen auf das Konsumverhalten. Ein Nachfragerückgang wirkt sich dann besonders für Unternehmen, die für das Inland produzieren, negativ aus, so dass keine Einstellungen vorgenommen werden. Dies wirkt sich auf nahezu alle Wirtschaftsbereiche mehr oder weniger stark aus. Besonders deutlich wird diese Wirkung durch das im Vergleich zum Jahr 2002 um 0,1% gesunkene BIP im Jahr 2003.[21] Dies ist unter anderem auf den Rückgang des privaten Konsums von 0,1% im Vergleich zum Jahr 2002 zurückzuführen.[22] Auch die Unsicherheit der Bevölkerung trägt einen erheblichen Teil dazu bei, dass die wirtschaftliche Erholung nur sehr langsam voranschreitet. In diesem Fall spricht man vom so genannten „keynesianischen Effekt.“ Selbstverständlich ist diesem Argument entgegenzuhalten, dass eine verstärkte Konsolidierung auch positive Wirkungen auf die Konjunktur haben kann. Die Rückführung der Staatsausgaben (insbesondere konsumtive Ausgaben) kann auch relativ schnell Vertrauen schaffen und positive Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung haben.[23] Die privaten Haushalte und Unternehmen erwarten dann in der Zukunft gesunde Staatsfinanzen und brauchen keine weiteren Steuererhöhungen fürchten. Dies führt zu einer höheren Investitions- und Verbrauchsdynamik. In diesem Zusammenhang spricht man auch vom „nicht-keynesianischen Effekt.“[24] In den letzten Jahren scheint sich trotz verstärkter Konsolidierungsanstrengungen der „keynesianische“ Effekt zu bestätigen. Die Binnennachfrage ist schwach, die Sparquote hoch und die Konsolidierungsanstrengungen des deutschen Finanzministers zeigten bisher nicht die positiven Wirkungen, welche von den „nicht-keynesianischen“ Effekten ausgehen.
3.2 Defizitquote und Asymmetrie in der Finanzpolitik
Verwendung der Defizitquote als Zielgröße problematisch
Zur Verhinderung einer übermäßigen Staatsverschuldung ist die Defizitquote ungeeignet. Das Problem besteht nicht im öffentlichen Defizit an sich, sondern am unkontrollierten Anstieg der Schuldenstandsquote (Anteil der Staatsschulden am BIP). Deren Anstieg führt automatisch zu einem Anstieg der Zinslastquote (Anteil der Zinsausgaben an den Staatsausgaben). Langfristig bedroht dieser Anstieg die Zahlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte.[25] Erschwerend kommt hinzu, dass die Defizitquote eine für die Regierung nur schwer und unvollkommen kontrollierbare Zielgröße darstellt. Zur Bewertung tatsächlicher Konsolidierungsmaßnahmen und Entscheidungen über Sanktionsmaßnahmen ist sie schlecht geeignet. Der wesentliche Einfluss auf das tatsächliche Defizit wird nicht nur von der Finanzpolitik der Regierungen ausgeübt, sondern von der Konjunkturlage. Wachstumseinbrüche äußern sich dabei in einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, was wiederum zu steigenden Ausgaben bei Arbeitslosengeld und anderen Sozialtransfers führt. Auch der Rückgang von Steuereinnahmen ist dabei ins Kalkül zu ziehen. Konjunkturschwankungen sind von der Finanzpolitik in begrenztem Umfang beeinfluss- und steuerbar. Die Finanzpolitik kann zwar die Konjunkturlage deutlich beeinflussen, ist jedoch nicht der maßgeblichste Faktor.
[...]
[1] Vgl. Bofinger (2003), S. 328
[2] Vgl. Dumke / Leibfritz / Müller / Ochel / Reuter / Westermann (2001), S. 111
[3] Vgl. Dumke / Leibfritz / Müller / Ochel / Reuter / Westermann (2001), S. 111
[4] Vgl. Bofinger (2003), S. 330
[5] Vgl. Bofinger (2005), S. 95
[6] Vgl. Bofinger (2003), S. 329
[7] Vgl. Ohr / Schmidt (2003), S. 4 -5
[8] Vgl. Hickel (2005), S. 2
[9] Vgl. Bofinger (2005), S. 92
[10] Vgl. Bofinger (2005), S. 96
[11] Vgl. Schulten (2004), S. 348 (Tab. 2)
[12] Vgl. Weinert (2004),S. 3
[13] Vgl. Bofinger (2003), S. 332
[14] Vgl. Hickel (2005), S. 2
[15] Vgl. Bofinger (2003), S. 328 - 332
[16] Vgl. Peffekoven (2004), S. 7
[17] Vgl. Weinert (2004), S. 4
[18] Vgl. SVR (2003/2004), S. 167 (Ziff. 264)
[19] Vgl. DIW (2005), S. 300 - 301
[20] Vgl. DIW (2005), S. 313
[21] Vgl. DIW (2004), S. 248 (Tab. 3.2)
[22] Vgl. DIW (2004), S. 276
[23] Vgl. Peffekoven (2004), S. 7
[24] Vgl. Dumke / Leibfritz / Müller / Ochel / Reuter / Westermann (2001), S. 88
[25] Vgl. Horn / Truger (2005), S. 2
- Quote paper
- Diplom-Volkswirt Maik Klann (Author), 2005, Die Revision des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts - Eine Gefahr für die makroökonomische Stabilität?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61394
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