In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union (EU) dramatisch an. Die Beschäftigungsquote fiel von 62 Prozent im Jahre 1992 auf weniger als 60,5 Prozent im Jahre 1997, sogar noch unter die Quote von 1970. Die Arbeitslosenquote, die noch 1990 auf 7,7 Prozent gesunken war, stieg auf 11,1 Prozent im Jahre 1994 an (Goetschy 1999: 121). Da bisher keinerlei Zuständigkeiten auf Europäischer Ebene im Bereich der Beschäftigungspolitik gegeben waren, nahm die EU-Kommission diese drastischen Entwicklungen zum Anlass, eine europaweit koordinierte Beschäftigungspolitik einzuführen. Um dieses Vorhaben umzusetzen, einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten 1997 in Luxemburg auf den sogenannten ‚Luxemburg-Prozess’, der einen Koordinationsmechanismus zur Umsetzung der neuen Europäischen Beschäftigungsstrategie enthielt, der später auf dem EU-Gipfel in Lissabon 2000 als „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK) bezeichnet wurde und heutzutage auch in anderen Politikbereichen der EU angewandt wird. Da diese neue Form des Regierens primär nicht auf traditionelle Formen der Regulierung auf EU-Ebene von oben nach unten und ausgestattet mit Sanktionsmechanismen beruht, kann sie dem Regieren durch „soft law“ zugeordnet werden
In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, ob die OMK eine Alternative zur traditionellen Gemeinschaftsmethode und somit eine neue Form des Regierens innerhalb der EU darstellt-. Dabei werde ich darauf eingehen, wie es zur Entstehung der OMK kam, aus welchen Elementen sie besteht und was ihre Zielsetzung ist. Da die Entstehung der OMK eng mit der Entwicklung der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) zusammenhängt, werde ich diese als Beispiel für meine Analyse heranziehen. Kernpunkte sind hier die Entstehung der EBS, ihre Ziele sowie erste Ergebnisse aus den Jahren 1997 bis 2002. Die weiteren Entwicklungen nach 2002 im Bereich der EBS werden in dieser Arbeit nicht thematisiert, da sie den Rahmen dieser Arbeit erheblich überschreiten würden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Offene Methode der Koordinierung
2.1 Einordnung in den Kontext der EU
2.2 Zielsetzung
3. Die Europäische Beschäftigungsstrategie
3.1 Entstehung
3.2 Ziele
3.3 Umsetzung
3.4 Ergebnisse
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union (EU) dramatisch an. Die Beschäftigungsquote fiel von 62 Prozent im Jahre 1992 auf weniger als 60,5 Prozent im Jahre 1997, sogar noch unter die Quote von 1970. Die Arbeitslosenquote, die noch 1990 auf 7,7 Prozent gesunken war, stieg auf 11,1 Prozent im Jahre 1994 an (Goetschy 1999: 121). Da bisher keinerlei Zuständigkeiten auf Europäischer Ebene im Bereich der Beschäftigungspolitik gegeben waren, nahm die EU-Kommission diese drastischen Entwicklungen zum Anlass, eine europaweit koordinierte Beschäftigungspolitik einzuführen. Um dieses Vorhaben umzusetzen, einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten 1997 in Luxemburg auf den sogenannten ‚Luxemburg-Prozess’, der einen Koordinationsmechanismus zur Umsetzung der neuen Europäischen Beschäftigungsstrategie enthielt, der später auf dem EU-Gipfel in Lissabon 2000 als „Offene Methode der Koordinierung“ (OMK) bezeichnet wurde und heutzutage auch in anderen Politikbereichen der EU angewandt wird. Da diese neue Form des Regierens primär nicht auf traditionelle Formen der Regulierung auf EU-Ebene von oben nach unten und ausgestattet mit Sanktionsmechanismen beruht, kann sie dem Regieren durch „soft law“ zugeordnet werden
In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, ob die OMK eine Alternative zur traditionellen Gemeinschaftsmethode und somit eine neue Form des Regierens innerhalb der EU darstellt-. Dabei werde ich darauf eingehen, wie es zur Entstehung der OMK kam, aus welchen Elementen sie besteht und was ihre Zielsetzung ist. Da die Entstehung der OMK eng mit der Entwicklung der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) zusammenhängt, werde ich diese als Beispiel für meine Analyse heranziehen. Kernpunkte sind hier die Entstehung der EBS, ihre Ziele sowie erste Ergebnisse aus den Jahren 1997 bis 2002. Die weiteren Entwicklungen nach 2002 im Bereich der EBS werden in dieser Arbeit nicht thematisiert, da sie den Rahmen dieser Arbeit erheblich überschreiten würden.
In einem letzten Abschnitt werde ich die vorangegangenen Entwicklungen bewerten und positive wie negative Kritik üben.
2. Die Offene Methode der Koordinierung
2.1 Einordnung in den Kontext der EU
Lange Zeit bildete die traditionelle Gemeinschaftsmethode die Grundlage des Regierens in der EU und der Europäischen Integration. Sie bezeichnet die institutionelle Funktionsweise der ersten Säule der Europäischen Union, in der auch die Europäische Beschäftigungspolitik angesiedelt ist. Sie ist integrationsorientiert und weist folgende Hauptmerkmale auf: alleiniges Initiativrecht der Kommission; Mehrheitsbeschlüsse (qualifizierte Mehrheit) im Rat als Regelfall; aktive Rolle des Europäischen Parlaments (häufig als Mitgesetzgeber neben dem Rat); einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof (Europäischer Konvent: Gemeinschaftsmethode und Methode der Regierungszusammenarbeit: http://european-convention.eu.int/glossary.asp?lang=DE&content=G).
Die Entwicklung einer neuen Methode der Kooperation auf EU-Ebene kam zustande, da das Projekt Europäische Integration eine Phase erreicht hatte, in der die Kernelemente der europäischen Wohlfahrtsstaaten direkt betroffen waren, so zum Beispiel in der Sozial- und Beschäftigungspolitik (hohe Arbeitslosigkeit in der EU, keinerlei Zuständigkeiten in diesem Bereich). Da die traditionelle supranationale Form der Entscheidungsfindung in diesem Bereichen keine politische Unterstützung fand, wurde eine Kooperationsmethode entwickelt, die grundsätzlich eine Kooperation der nationalen Regierungen untereinander bedeutet, aber auch supranationale Elemente enthält und sehr viel Wert auf die Beteiligung der Sozialpartner legt. Ziel ist die Erreichung einer freiwilligen Kooperation unter den Mitgliedsstaaten und die Anpassung ihrer nationalen Politiken. Im Vordergrund steht die Konvergenz dieser Politiken und nicht deren Harmonisierung, denn der Bereich Sozialpolitik ist sehr sensibel, da er, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip, ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fällt. Außerdem wäre eine Harmonisierung schon allein deshalb schwierig, weil die Komplexität und die Unterschiede zwischen den einzelnen Wohlfahrtsstaaten sehr hoch ist (vgl. Jacobsson 2001).Die Offene Methode der Koordinierung lässt sich also zwischen intergouvernementaler Kooperation der Mitgliedsstaaten und supranationaler Gesetzgebung durch die Organe der EU verankern.
Im Folgenden soll nun kurz auf den Rahmen ihrer Einführung und ihre Zielsetzung sowie auf ihre Mechanismen eingegangen werden.
2.2 Zielsetzung
Auf der Tagung des Europäischen Rats in Lissabon im März 2000 setzte sich die EU das neue strategische Ziel „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“ (Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates, Lissabon 2000: Paragraph 5).
Die Offene Methode der Koordinierung soll zur Erreichung dieses ehrgeizigen Zieles beitragen. In Paragraph 38 der Schlussfolgerungen werden die Merkmale sowie die Legitimitätsgrundlage dieser neuen Methode benannt:
„Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wird nach einem völlig dezentralen Ansatz vorgegangen werden, so dass die Union, die Mitgliedsstaaten, die regionalen und lokalen Ebenen sowie die Sozialpartner und die Bürgergesellschaft im Rahmen unterschiedlicher Formen von Partnerschaften aktiv mitwirken. Die Europäische Kommission wird in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Anbietern und Nutzern, wie den Sozialpartnern, den Unternehmen und den nichtstaatlichen Organisationen, ein Benchmarking der bewährten Praktiken zur Gestaltung des Wandels erstellen.“
Der Prozess zur Erreichung des Ziels umfasst vier Phasen:
1. Festlegung von Leitlinien für die Union mit einem jeweils genauen Zeitplan für die Verwirklichung der von ihnen gesetzten kurz-, mittel- und langfristigen Ziele;
2. gegebenenfalls Festlegung quantitativer und qualitativer Indikatoren und Benchmarks im Vergleich zu den Besten der Welt, die auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten und Bereichen bestehenden Bedürfnisse zugeschnitten sind, als Mittel für den Vergleich der bewährten Praktiken;
3. Umsetzung dieser europäischen Leitlinien in die nationale und regionale Politik durch Vorgabe konkreter Ziele und den Erlass entsprechender Maßnahmen unter Berücksichtigung der nationalen und regionalen Unterschiede;
4. Regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung im Rahmen eines Prozesses, bei dem alle Seiten voneinander lernen (Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats; Lissabon 2000: Paragraph 37).
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- Quote paper
- Mamke Kühl (Author), 2006, Regieren in der EU durch „soft law“ - Die Offene Methode der Koordinierung: eine neue Form des Regierens auf EU-Ebene?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60888
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