Zielsetzung der Arbeit
Im Sommer 2000 war der Bundesrat das Thema in den Medien und damit auch in der Öffentlichkeit. Die Tatsache, dass die Steuerreform der Bundesregierung ungehindert den Bundesrat passieren konnte, erregte vor allem deswegen Aufsehen, weil dort die oppositionsgeführten Länder die Mehrheit hatten und mithin die Steuerreform hätten zum Scheitern bringen können. Der Umstand, dass die Ländervertreter nicht dem politischen Votum des Oppositionsführers im Bundestag folgten, wurde von den Oppositionsparteien kritisiert und von der
Öffentlichkeit verwundert zur Kenntnis genommen. Es wurde kolportiert, die Ländervertreter hätten sich ihre Zustimmung durch finanzielle Zugeständnisse seitens des Bundes abkaufen lassen.(1) Als Grund für das Abweichen der Ländervertreter von der offiziellen Linie der Partei wurden gewissermaßen unlautere Ziele unterstellt. Das führte sogar so weit, dass die Oppositionspartei CDU in eine Krise gestürzt wurde.(2) In diesem Fall ist der sonst gegen den
Bundesrat ins Felde geführte Vorwurf, er werde als Blockadeinstrument
missbraucht, gewissermaßen in sein Gegenteil verkehrt worden.
Blockadeinstrument zu sein ist allerdings ein Vorwurf, der empirisch schwer zu belegen ist. Bislang sind etwa 90 Prozent aller Gesetze mehr oder minder problemlos durch den Bundesrat gegangen.(3)
[...]
______
1 Vergl. Herz, Wilfried: Der nächste Kuhhandel, bitte! In: Die Zeit. Nr. 30 vom 20.7.00. S. 15.
2 Vergl. Lölhöffel, Helmut: Steuerreform stürzt CDU in Krise. In: Frankfurter Rundschau vom 15.7.00. S. 1.
3 Vergl. Schneider, Hans-Peter: Nehmen ist seliger als Geben. Oder: Wieviel „Förderalismus“ verträgt der Bundesstaat? In: NJW 1998. S. 3757 – 3759. Hier: S. 3759.
Inhaltsverzeichnis
1 Zielsetzung der Arbeit
2 Die Entstehung des Bundesrats
2.1 Das Senatsmodell
2.2 Die klassische Bundesratslösung
2.3 Die abgeschwächte Bundesratslösung
3 Organisation und Arbeitsweise des Bundesrates
3.1 Der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren
3.1.1 Zustimmungsbedürftige Gesetze
3.1.2 Einspruchsgesetze
3.2 Der Vermittlungsausschuss
4 Der Bundesrat im politischen System
4.1 Parteipolitische Instrumentalisierung des Bundesrates
4.2 Die Gemeinschaftsaufgaben
4.3 Die Kooperation auf der Dritten Ebene
5 Schlussfolgerungen
6 Literatur
1 Zielsetzung der Arbeit
Im Sommer 2000 war der Bundesrat das Thema in den Medien und damit auch in der Öffentlichkeit. Die Tatsache, dass die Steuerreform der Bundesregierung ungehindert den Bundesrat passieren konnte, erregte vor allem deswegen Aufsehen, weil dort die oppositionsgeführten Länder die Mehrheit hatten und mithin die Steuerreform hätten zum Scheitern bringen können. Der Umstand, dass die Ländervertreter nicht dem politischen Votum des Oppositionsführers im Bundestag folgten, wurde von den Oppositionsparteien kritisiert und von der Öffentlichkeit verwundert zur Kenntnis genommen. Es wurde kolportiert, die Ländervertreter hätten sich ihre Zustimmung durch finanzielle Zugeständnisse seitens des Bundes abkaufen lassen.1 Als Grund für das Abweichen der Ländervertreter von der offiziellen Linie der Partei wurden gewissermaßen unlautere Ziele unterstellt. Das führte sogar so weit, dass die Oppositionspartei CDU in eine Krise gestürzt wurde.2 In diesem Fall ist der sonst gegen den Bundesrat ins Felde geführte Vorwurf, er werde als Blockadeinstrument missbraucht, gewissermaßen in sein Gegenteil verkehrt worden. Blockadeinstrument zu sein ist allerdings ein Vorwurf, der empirisch schwer zu belegen ist. Bislang sind etwa 90 Prozent aller Gesetze mehr oder minder problemlos durch den Bundesrat gegangen.3 Freilich lässt sich die Frage, welche Motivation in diesem Fall zum Abstimmungsverhalten der Länder im Bundesrat geführt hat, nur schwierig beantworten – oder würde sich im Bereich der Spekulation bewegen. Allein die Tatsache, dass das unterschiedliche Abstimmungsverhalten der Länder so kurios erscheint, muss eigentlich verwundern; schließlich sollen im Bundesrat nicht zuletzt Länderinteressen vertreten werden, obwohl das Grundgesetz die Landesregierungen nicht auf die reine Interessenvertretung im Bundesrat reduziert.
Im Rahmen dieser Arbeit soll nun der Versuch unternommen werden, den Bundesrat im politischen System der Bundesrepublik Deutschland genauer zu verorten. In den ersten Jahren der Bundesrepublik geriet der Bundesrat nur selten in den öffentlichen Fokus, weil bis 1969 in Bundestag und Bundesrat die gleichen Mehrheitsverhältnisse herrschten.4 Gleichwohl hat Konrad HESSE schon 1962 sich verstärkende Unitarisierungsprozesse ausgemacht.5 Dies verändert freilich auch die Bedeutung des Bundesrates im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Denn mit der Diagnose eines unitarischen Bundesstaates impliziert HESSE, dass der Bundesrat realiter immer weniger reine Länderinteressen vertreten kann und somit der Bundesstaat immer größerer Zentralisierung ausgesetzt wird.
Es gilt, die Einflusskräfte und politischen Prozesse, die die Stellung des Bundesrates beeinflussen, zu skizzieren. Dabei kann es nicht darum gehen, eine konkrete Positionsbestimmung zu leisten. Schließlich ist die Aufteilung der Kompetenzen im Bundesstaat auch in Art. 74 Grundgesetz (GG) durch den Parlamentarischen Rat weitgehend offen gelassen worden.6 Offen blieb damit auch, wie die Länder ihren Einfluss im Bundesrat ausüben sollen.
In einem ersten Schritt soll kurz die Entstehung, Organisation und Arbeitsweise des Bundesrates dargestellt werden; schließlich wurden schon im Parlamentarischen Rat die Grundlagen gelegt, die den Charakter des Bundesrates bis heute bestimmen. Im Anschluss wird es um die wichtigste Mitwirkungsmöglichkeit des Bundesrates gehen: die Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren, die für die Positionierung des Bundesrates im politischen System von besonderer Bedeutung ist. In all diesen Bereichen geht es nicht in erster Linie um eine vollständige Darstellung der formellen Organisations- und Arbeitsregeln des Bundesrates. Vielmehr stehen die Bereiche im Blickpunkt, die relevant für die Rolle des Bundesrates im politischen System sind.
2 Die Entstehung des Bundesrats
Bundesstaaten zeichnen sich in der Regel durch die institutionalisierte Mitwirkung der Gliedstaaten an der Gestaltung der Politik des Zentralstaates aus. Im Parlamentarischen Rat im Jahr 1949 wurden zwei mögliche Formen dieser Mitwirkung kontrovers diskutiert.7 Einigkeit herrschte in jener Diskussion lediglich über die Notwendigkeit, eine zweite Kammer einzurichten. Gestritten wurde um die Etablierung des sogenannten Senatsmodells oder des klassischen Bundesratsmodells.
2.1 Das Senatsmodell
Dem amerikanischen Vorbild gemäß gehören Mitglieder eines Senats keiner Landesregierung an und werden direkt oder durch das Landesparlament gewählt, wobei jedem Land ein Senator zusteht.8 Bei der Abgabe ihrer Stimme sind die Senatoren frei und ungebunden. Durch seine direkte demokratische Legitimation muss gleichsam dem Senat im Gesetzgebungsprozess die gleiche Kompetenz eingeräumt werden, die dem Zentralparlament zusteht. Gerade dieser Umstand war ein Kritikpunkt bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates. Dies würde nur zu einer Verdoppelung des Zentralparlaments führen, der Senat hätte schließlich eine fast identische politische Zusammensetzung. Im bundesrepublikanischen Parteiensystem wären die Senatoren parteipolitisch gebunden – und würden so die Vertretung der Länderinteressen der Parteimeinung unterordnen.9 Eingedenk der aktuellen Diskussion ist dies ein interessanter Einwand. Es stellt sich die Frage, ob jener Gefahr mit der gefundenen Lösung vorgebeugt wurde.
Konrad REUTER leitet aus diesen Umständen ab, dass das Senatsmodell nicht mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar gewesen wäre, weil es nicht die Mitwirkung der Länder gesichert hätte.10 Da der Artikel die genaue Ausformung der Ländermitwirkung hingegen nicht festschreibt, sondern sie nur von möglichen Grundgesetzänderungen ausschließt, steht die Richtigkeit dieser Aussage dahin.
2.2 Die klassische Bundesratslösung
Schon die erste deutsche, bismarcksche Reichsverfassung von 1871 sah einen Bundesrat vor.11 Er war, wie auch der Senat, bei der Gesetzgebung neben dem Parlament, hier dem Reichstag, gleichberechtigt. Beide Kammern besaßen folglich ein gegenseitiges absolutes Vetorecht. Daher wird diese Konstruktion auch als „ klassisches Zweikammersystem “12 bezeichnet.
Der Bundesrat setzte sich aus Mitgliedern der entsprechenden Länderregierungen zusammen, deren Anzahl von der Landesgröße abhing. Dies führte in der Verfassung von 1871 dazu, dass der Bundesrat klar durch Preußen dominiert wurde – 17 von 58 Stimmen konnte es einbringen, während kleine Länder wie Schaumburg-Lippe mit lediglich einer Stimme repräsentiert waren. Ein weiterer Kritikpunkt bei der Diskussion dieses Modells im Parlamentarischen Rat war die unzureichende demokratische Legitimation des Bundesratsmodells. Schließlich würden die Mitglieder des Bundesrates nicht direkt gewählt, sondern von den Landesregierungen entsandt. Da die Ländervertreter bei der Stimmabgabe weisungsgebunden seien, wurde befürchtet, die Entscheidungsebene des Bundesrats sei nicht das Plenum, sondern verlagere sich auf anonyme und nicht transparente Gremien.
2.3 Die abgeschwächte Bundesratslösung
Aus diesen beiden Antipoden wurde schließlich ein Kompromiss gebildet. Bei der sogenannten abgeschwächten Bundesratslösung des Grundgesetzes fanden einige Bestandteile des klassischen Bundesratsmodells Eingang. In diesem Kompromiss sieht LAUFER den „ Keim für die Entwicklung zum unitarischen Bundesstaat jüngster Zeit gelegt. “13
Die Mitglieder des Bundesrates werden, wie bei dem klassischen Modell, von den Landesregierungen entsandt, und müssen gemäß Art. 51 Abs. 1 GG Mitglieder der Landesregierung sein. Die Stimmen der Länder können nach Art. 51 Abs. 3 S. 1
GG nur einheitlich abgegeben werden. Freilich ließe sich auch hier die bei der Diskussion um das klassische Bundesratsmodell schon ausgeführte mangelnde demokratische Legitimation anführen, da die Mitglieder des Bundesrates nicht direkt gewählt werden. In der Literatur überwiegt allerdings die Meinung, dass der Bundesrat durch die Landtagswahlen mittelbar hinreichend legitimiert ist. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhalten alle Organe der Gesetzgebung ihre demokratische Legitimation aus Art. 20 Abs. 2 GG.14 Die demokratische Legitimation wird somit durch direkt gewählte Verfassungsorgane vermittelt.15 Im Hinblick auf die demokratische Legitimation wird noch weitere Kritik geübt: Der Bundesrat bildet wie der Bundestag Ausschüsse, in denen die Sitzungen des Plenums und die Entscheidungen vorbereitet werden. Damit kommt den Ausschüssen eine wichtige Rolle zu. Momentan hat der Bundesrat 16 Ausschüsse, deren thematischer Zuschnitt sich an die Bundesministerien anlehnt. Die Kritik richtet sich gegen die weit verbreitete Praxis der Bundesratsmitglieder, sich in den Ausschüssen durch sogenannte Beauftragte der Regierung vertreten zu lassen. In der Regel handelt es sich bei ihnen um Landesbeamte aus den Ressorts der Kabinettsmitglieder, die dem Ausschuss eigentlich angehören. An die Stelle der demokratisch legitimierten Bundesratsmitglieder treten so die Ministerialbeamten. Die Anwesenheit eines Politikers neben dem Ausschussvorsitzenden ist eher selten.16 Dies und die Tatsache, dass die Ausschüsse nichtöffentlich wesentliche Entscheidungen vorbereiten, trägt zum Eindruck bei, die Arbeit des Bundesrates sei schwer durchschaubar und bürokratisch. Auch hier wird also der Einwand wiederholt, der schon im Parlamentarischen Rat gegen das Bundesratsmodell vorgebracht wurde.
[...]
1 Vergl. Herz, Wilfried: Der nächste Kuhhandel, bitte! In: Die Zeit. Nr. 30 vom 20.7.00. S. 15.
2 Vergl. Lölhöffel, Helmut: Steuerreform stürzt CDU in Krise. In: Frankfurter Rundschau vom 15.7.00. S. 1.
3 Vergl. Schneider, Hans-Peter: Nehmen ist seliger als Geben. Oder: Wieviel „Förderalismus“ verträgt der Bundesstaat? In: NJW 1998. S. 3757 – 3759. Hier: S. 3759.
4 Vergl. Hanickel, Andreas (1991): Die Organisation des Bundesrates. Rheinfelden und Berlin. S. 4.
5 Vergl. Hesse, Konrad (1962): Der unitarische Bundesstaat. Karlsruhe. S.14.
6 Vergl. Dolzer, Rudolf/Michael Sachs (1999): Das parlamentarische Regierungssystem und der Bundesrat – Entwicklungsstand und Reformbedarf. Berlin und New York. S. 12.
7 Zu diesem Bereich vergl. z.B Laufer, Heinz (1995): Bundesrat. In: Andersen, Uwe/Wichard Woyke: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Bonn. S. 57 ff. 8 Vergl. z.B. Laufer, Heinz (1991): Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. Bonn. S. 97 ff.
9 Vergl. ebd., S. 99.
10 Vergl. Reuter, Konrad (1991): Praxishandbuch Bundesrat. Heidelberg. S. 90.
11 Die Tradition des Bundesrates reicht aber schon weiter zurück: Immerwährender Reichstag des Heiligen Römischen Reichs, Plenum der Bundesversammlung des Deutschen Bundes, Bundesrat des Norddeutschen Bundes.
12 Laufer, Heinz/Ursula Münch (1998): Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland. München. S. 83.
13 Laufer, Heinz (1995), S. 57. Zu dieser Frage vergl. auch Kapitel 4 dieser Arbeit.
14 Vergl. Hanickel, Andreas (1991), S. 6 f.
15 Thomas Groß sieht in dieser Legitimationskette die Gefahr der Verselbständigung der Organe. Vergl. Groß, Thomas (2000): Die Legitimität staatlicher Herrschaft. In: Frankfurter Rundschau vom 11. Juli 2000. S. 22.
16 Vergl. Laufer, Heinz/Ursula Münch (1998), S. 152.
- Quote paper
- Marcus Pierk (Author), 2000, Der Bundesrat im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/606