In vorliegender Arbeit wollen wir uns mit Vorstellungen vom Balkan beschäftigen. Dabei wollen wir prinzipiell nicht auf die politische, geographische oder kulturelle Dimension des Begriffs eingehen und uns daher auch nicht auf konkrete Abgrenzungsprobleme einlassen, wer zum Balkan gehört und wer nicht. Auch wollen wir nicht die Entwicklung und die Wandlung der Verwendung des Begriffs Balkan als geographisches und politwissenschaftliches Konstrukt behandeln. Vielmehr interessieren uns die Konnotationen, die mit dem Begriff Balkan alltagssprachlich verbunden sind und unser Balkanbild wesentlich prägen. Wir verwenden Balkan im Folgenden also nicht als einen Begriff zur Beschreibung historisch und geographisch festmachbarer real existierender Phänomene, sondern vielmehr als abstrakten Begriff. Wir wollen in diesem Zusammenhang von sekundären Bedeutungen sprechen, im Gegensatz zur primären Bedeutung als geographischer Begriff. Ausgangspunkt für unsere Untersuchung wird der 1895 von Aleko Konstantivo publizierte Roman Baj Ganjo sein. Das darin enthaltene Balkanbild wollen wir dann mit unserem heutigen Bild vomBalkanvergleichen. Dieser Vergleich ist zumindest in zwei Dimensionen schwierig, bzw. gefährlich. Einerseits ist hier die zeitliche Dimension zu nennen. Zwischen dem BalkanbildsAleko Konsntantinovsund unserem heutigen Balkanbild liegen immerhin mehr als 100 Jahre. Die zweite Dimension ist die, dass es sich beiAleko Konstantinovs Baj Ganjoum eine Selbstbeschreibung handelt, während unser Balkanbild natürlich eine Fremdbeschreibung ist. Ich glaube aber, dass der Vergleich sich trotzdem lohnt. Erstens beeinflussen sich Fremd- und Eigenbild zu einem gewissen Masse immer gegenseitig. Zweitens ist es gerade interessant für unsere Arbeit, die Unterschiede von Fremd- und Eigenbild herauszuarbeiten, falls sich herausstellt, dass es solche gibt.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Einführung in Aleko Konstantinovs Baj Ganjo
2 Das Balkanbild im Baj Ganjo
2.1. Baj Ganjo Teil I
2.2. Baj Ganjo Teil II
3 Das moderne Balkanbild
3.1. Balkan, als Beschreibung politischer Phänomene
3.2. Balkan, als Beschreibung ungeordneter und krimineller Verhältnisse
3.3. Balkan als zivilisatorische Kategorie
3.4. Balkan als positive Idealisierung?
4 Vergleich
Bibliografie
Einleitung
In vorliegender Arbeit wollen wir uns mit Vorstellungen vom Balkan beschäftigen. Dabei wollen wir prinzipiell nicht auf die politische, geographische oder kulturelle Dimension des Begriffs eingehen und uns daher auch nicht auf konkrete Abgrenzungsprobleme einlassen, wer zum Balkan gehört und wer nicht.
Auch wollen wir nicht die Entwicklung und die Wandlung der Verwendung des Begriffs Balkan als geographisches und politwissenschaftliches Konstrukt behandeln.[1]
Vielmehr interessieren uns die Konnotationen, die mit dem Begriff Balkan alltagssprachlich verbunden sind und unser Balkanbild wesentlich prägen. Wir verwenden Balkan im Folgenden also nicht als einen Begriff zur Beschreibung historisch und geographisch festmachbarer real existierender Phänomene, sondern vielmehr als abstrakten Begriff. Wir wollen in diesem Zusammenhang von sekundären Bedeutungen sprechen, im Gegensatz zur primären Bedeutung als geographischer Begriff.
Ausgangspunkt für unsere Untersuchung wird der 1895 von Aleko Konstantivo publizierte Roman Baj Ganjo sein. Das darin enthaltene Balkanbild wollen wir dann mit unserem heutigen Bild vom Balkan vergleichen.
Dieser Vergleich ist zumindest in zwei Dimensionen schwierig, bzw. gefährlich. Einerseits ist hier die zeitliche Dimension zu nennen. Zwischen dem Balkanbilds Aleko Konsntantinovs und unserem heutigen Balkanbild liegen immerhin mehr als 100 Jahre. Die zweite Dimension ist die, dass es sich bei Aleko Konstantinovs Baj Ganjo um eine Selbstbeschreibung handelt, während unser Balkanbild natürlich eine Fremdbeschreibung ist.
Ich glaube aber, dass der Vergleich sich trotzdem lohnt. Erstens beeinflussen sich Fremd- und Eigenbild zu einem gewissen Masse immer gegenseitig. Zweitens ist es gerade interessant für unsere Arbeit, die Unterschiede von Fremd- und Eigenbild herauszuarbeiten, falls sich herausstellt, dass es solche gibt.
1 Einführung in Aleko Konstantinovs Baj Ganjo
Baj Ganjo ist eine Sammlung zeitsatirischer und kulturkritischer Skizzen. Zuerst wurden diese im Laufe des Jahres 1894 einzeln in der Zeitschrift „Misal“ publiziert, bevor Aleko Konstantinov sie 1895 in einer Gesamtausgabe herausgab.[2]
Der Held der Geschichte ist Baj Ganjo Balkanski. Der Name ist Programm. Baj ist das alte türkische Wort für Herr, während Balkanski ein typisch bulgarischer Name ist, der auf das Balkangebirge anspielt:
„Baj Ganju [sic!] ist der Prototyp jener Bulgaren, die, weil es ihnen an Bildung fehlte, die plötzliche Umwandlung ihres Landes aus einer türkischen Provinz in einen gleichberechtigten autonomen Staat geistig nicht bewältigen konnten und sich in einer nationalistischen Hybris und einer lächerlichen Selbstüberschätzung sonnten.“[3]
Da diese Situation sich in allen Staaten am Balkan – stark vereinfacht gesprochen - historisch annähernd gleich abspielte, können wir das Bild das Aleko Konstantinov von Bulgarien malt auf den ganzen Balkan übertragen.
Der Struktur nach lässt sich Baj Ganjo in zwei Teile teilen. Im ersten Teil reist Baj Ganjo als Rosenölverkäufer durch Europa. Im zweiten Teil kehrt Baj Ganjo nach Bulgarien zurück. Das Balkanbild, das in den beiden Teilen dargestellt wird, ist zwar konsistent, kann aber auch wie wir es in den folgenden Kapiteln unternehmen werden, getrennt behandelt werden.
2 Das Balkanbild im Baj Ganjo
2.1. Baj Ganjo Teil I
Im ersten Teil von Baj Ganjo beschreibt Konstantinov vor allem die individuellen Charakterzüge Baj Ganjos. Die wesentlichsten können wie folgt zusammengefasst werden:
- Naivität: Baj Ganjo erscheint uns gelinde gesagt ordentlich naiv in Konfrontation mit der westlichen Welt. Beispielsweise hat er ganz am Anfang des Buches noch nie etwas von Kopfbahnhöfen gehört und glaubt so, dass er dem Zug nachlaufen muss, wie dieser zu rangieren anfängt.[4]
In Prag verirrt er sich, weil er anstatt eines Straßennamens ein Verbotsschild als Orientierungspunkt abschreibt.[5] Die Beispiele für seine Naivität sind zahlreich.
- Geizigkeit: Baj Ganjo ist krankhaft geizig. Dies wird an mehreren Stellen des Buches beschrieben.[6] Trotzdem möchte er auf nichts verzichten. Er schnorrt seine Freunde an, lässt sich einladen und vermeidet es aufs äußerste, sein Geld zu verbrauchen. Er schummelt sich sozusagen auf Kosten seiner Freunde durchs Leben.
- Patriotismus: Baj Ganjo ist weiters sehr patriotisch. Dieser Charakterzug wird von Konstantinov aber so übertrieben dargestellt, dass er peinlich und negativ erscheint. Beispielsweise meint er bei einer Blumenausstellung in Prag: „Ich sehe hier aber nirgends wilde Geranien! […] Was taugt denn das Ganze, wenn sie keine wilden Geranien haben! Ha, bei uns! Auf dem Balkan! Alle Wetter noch mal!.“[7]
Einerseits rühmt Baj Ganjo Bulgarien also für Eigenschaften, die aus unserer Sicht nichts Rühmenswertes beinhalten (wie eben das Vorkommen von wilden Geranien), andererseits gibt er an allem, was in Bulgarien nicht funktioniert, anderen (z. B. den Serben) die Schuld.[8]
- Ablehnung des westlichen Ideals und der westlichen Sitten: Baj Ganjo ist – was die westliche Welt betrifft - nicht nur naiv, sondern vielmehr lehnt er auch ihre Ideale und Sitten gänzlich ab. Bei mehreren Ereignissen etwa in der Oper, im Bad oder beim Begräbnis seiner eigenen Schwester benimmt er sich unmöglich.[9] Besonders klar wird das auch angesichts seiner Einschätzung der anderen Bulgaren im Ausland. So bezeichnet er etwa gerade jene bulgarischen Studenten als „Prachtkerle“, die den ganzen Tag im Café mit Kartenspielen und Trinken verbringen, anstatt sich dem westlichen Bildungsideal unterzuordnen.[10]
2.2. Baj Ganjo Teil II
Nach der Rückkehr nach Bulgarien entpuppt sich Baj Ganjo als skrupelloser und höchst erfolgreicher Opportunist. Er kann seine politischen Zugehörigkeiten innerhalb von Sekunden wechseln, wenn der politische Wind sich dreht.[11]
Auch kann Baj Ganjo nicht gerade als großer Freund der Demokratie gelten. Als er Abgeordneter werden möchte, kauft er Stimmen und hindert die Parteigänger seiner Konkurrenten gewaltsam am Wahlgang.[12]
Als gewählter Politiker verhält er sich nicht weniger opportunistisch. Er setzt sich nicht für seine Bekannten und Parteigänger ein, auch wenn diese im Recht zu sein scheinen, sondern geht den Weg des geringsten Widerstands.[13] Opposition ist für ihn gänzlich undenkbar, er ist immer für die Mächtigen.[14]
Auch als Herausgeber einer Zeitung verhält sich Baj Ganjo nicht anders. Seine Zeitung besteht zum Großteil aus übertriebenen Lobeshymnen au die Mächtigen und Beschimpfungen der fortschrittlichen Systemkritiker.[15]
3 Das moderne Balkanbild
In der Diskussion um das moderne Balkanbild geht man im Allgemeinen davon aus, dass das moderne Balkanbild negativ konotiert ist. So schreibt etwa Kaser, dass der Begriff Balkan seit dem ersten Weltkrieg pejarotiven Charakter hat: „Der Balkan wird zum Schimpfwort […].“[16]
[...]
[1] Diese Thematik ist ausführlich von Todorova 1997 behandelt worden.
[2] Vgl. Baj Ganju 2002, S. 642.
[3] Ebd.
[4] Vgl. Konstantinov 1971, S. 12f.
[5] Vgl. ebd., S. 52.
[6] Vgl. ebd., etwa S. 13, S. 15, S. 33, S. 45f und S. 47.
[7] Ebd., S. 43.
[8] Vgl. etwa ebd., S. 31f.
[9] Vgl. ebd., S. 18, S. 22, bzw. S. 27.
[10] Vgl. ebd., S. 78f.
[11] Vgl. ebd., S. 99ff.
[12] Vgl. ebd., S. 109ff.
[13] Vgl. ebd., S. 164ff.
[14] Vgl. ebd., S. 151ff.
[15] Vgl. ebd., S. 132ff.
[16] Vgl. Kaser 2001, S. 21.
- Quote paper
- Mag. rer. soc. oec. et phil. Paul Swoboda (Author), 2006, Balkanbilder: Ein Vergleich von Aleko Konstantinovs Baj Ganjo mit modernen Bildern vom Balkan, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60518
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.