Im Hinblick auf den europäischen Integrationsprozess ist ein gemeinsamer Markt ohne Grenzen innerhalb der Gemeinschaft zu einem essenziellen Bestanteil geworden. In dieser Hinsicht können Regelungen, die zur Übernahmeabwehr genutzt werden nicht nur als Beschränkungen genau dieses Marktes angesehen werden, sondern vielmehr als Einschränkung der Grundlagen des europäischen Binnenmarktes und der Grundfreiheiten qualifiziert werden. In der folgenden Darstellung werden insbesondere die Betroffenheit des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit in der Golden Share und VW-Gesetz-Problematik dargestellt, erörtert und analysiert.
Die Golden Shares
Seit etwa 25 Jahren ist in Europa zu beobachten, dass Staaten ihr „Tafelsilber“ verkaufen, also staatliche Unternehmen privatisieren. Die in den jeweiligen Staaten privatisierten Unternehmen haben in der Regel für die jeweilige Volkswirtschaft große Bedeutungen. Damit die Staaten trotz Privatisierungen weiterhin Einfluss auf die Unternehmen ausüben können, haben sie die so genannten Golden Shares geschaffen. Unter Golden Shares werden solche Aktien verstanden, die mit Sonderrechten verknüpft sind. Typischerweise handelt es sich bei diesen Einflussmöglichkeiten um Ge-nehmigungsvorbehalte und Vetorechte von Behörden für wichtige Unternehmensentscheidungen in volkswirtschaftlich und politisch bedeutenden Unternehmen. Diese besonderen Rechte des Staates sollen besonders präventiv gegen feindliche Übernahmen wirken. Die Rechtsgrundlage dieser Golden Shares ist durch Satzungsbestimmungen oder per Gesetz geregelt. Wird die staatliche Einflussmöglichkeit durch ein Privatisierungsgesetz geregelt, so ist ein Aktienbesitz nicht notwendig, d.h. der staatliche Einfluss ist nicht mit dem Aktienbesitz verbunden.
Gliederung
A. Einleitung
B. Die Golden Shares
I. Bisherige EuGH-Rechtsprechung zu den Golden Shares
1. Konkrete Rechtsprechung des EuGH
a) Königreich Belgien
b) Französische Republik
c) Portugiesische Republik
2. Entscheidungen
a) Kapitalverkehrsfreiheit
b) Rechtfertigung
aa) Berufung auf die Eigentumsordnung, gem. Art. 295 EGV
bb) Rechtfertigungsgründe aus Rechtssprechung
(1) Diskriminierung
(2) Rechtfertigungsgründe des Art 58 I EGV
(3) Verhältnismäßigkeit
3. Weitere Rechtsprechung
a) Sachverhalte
aa) Königreich Spanien
bb) Vereinigtes Königreich
(1) Entscheidungen
4. Probleme der EuGH-Ansichten
5. Ökonomische Analyse der Entscheidungen
C. Das VW-Gesetz
I. Geschichte und Inhalt des „Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagen Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand.
1. Das Unternehmen bis zum VW-Gesetz
2. Der Konzert seit dem Jahre 1960
3. Inhalt des VW-Gesetzes
II. Vertragsverletzungsverfahren
III. Klage wegen Vertragsverletzung
IV. Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit
V. Rechtfertigung
VI. Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit
VII. Ökonomische Analyse des VW-Gesetzes
D. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung in ieser Leseprobe nicht enthalten
A. Einleitung
Im Hinblick auf den europäischen Integrationsprozess ist ein gemeinsamer Markt ohne Grenzen innerhalb der Gemeinschaft zu einem essenziellen Bestanteil geworden. In dieser Hinsicht können Regelungen, die zur Übernahmeabwehr genutzt werden nicht nur als Beschränkungen genau dieses Marktes angesehen werden, sondern vielmehr als Einschränkung der Grundlagen des europäischen Binnenmarktes und der Grundfreiheiten qualifiziert werden. In der folgenden Darstellung werden insbesondere die Betroffenheit des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit in der Golden Share und VW-Gesetz-Problematik dargestellt, erörtert und analysiert.
B. Die Golden Shares
Seit etwa 25 Jahren ist in Europa zu beobachten, dass Staaten ihr „Tafelsilber“ verkaufen, also staatliche Unternehmen privatisieren. Die in den jeweiligen Staaten privatisierten Unternehmen haben in der Regel für die jeweilige Volkswirtschaft große Bedeutungen. Damit die Staaten trotz Privatisierungen weiterhin Einfluss auf die Unternehmen ausüben können, haben sie die so genannten Golden Shares geschaffen. Unter Golden Shares werden solche Aktien verstanden, die mit Sonderrechten verknüpft sind.[1] Typischerweise handelt es sich bei diesen Einflussmöglichkeiten um Genehmigungsvorbehalte und Vetorechte von Behörden für wichtige Unternehmensentscheidungen in volkswirtschaftlich und politisch bedeutenden Unternehmen.[2] Diese besonderen Rechte des Staates sollen besonders präventiv gegen feindliche Übernahmen wirken. Die Rechtsgrundlage dieser Golden Shares ist durch Satzungsbestimmungen oder per Gesetz geregelt. Wird die staatliche Einflussmöglichkeit durch ein Privatisierungsgesetz geregelt, so ist ein Aktienbesitz nicht notwendig, d.h. der staatliche Einfluss ist nicht mit dem Aktienbesitz verbunden.[3]
I. Bisherige EuGH-Rechtsprechung zu den Golden Shares
Mit den Entscheidungen zu den Golden Shares vom 4. Juni 2002 hat der EuGH erstmals einen Meilenstein zu der Golden Share-Problematik gesetzt. Zu entscheiden war, inwiefern die nationalen Regelungen Belgiens, Frankreichs und Portugals mit dem gemeinschaftsrecht zu vereinbaren waren.
1. Konkrete Rechtsprechung des EuGH
a) Königreich Belgien
Zwei belgische königliche Verordnungen regelten, dass für die beiden Energieversorgungsunternehmen S.N.T.C. und Distrigaz, der Staat je eine Sonderaktie hält. Die Sonderaktien übertragen dem Staate ein Widerspruchsrecht gegen jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks des Unternehmens gehörender Leistungen sowie gegen bestimmte Verwaltungsentscheidungen, die als den energiepolitischen Leitlinien des Landes entgegenstehend angesehen wurden.[4][5] Die belgische Regierung hat ferner das Recht, in jedes Unternehmen jeweils zwei Verwaltungsratsmitglieder zu entsenden. Der Energieminister kann auf Empfehlung seiner Vertreter in den Verwaltungsräten, Entscheidungen, die sich mit der belgischen Energiepolitik überschneiden, aufheben. Bei diesen Widerspruchsrechten hat sich der Staat aber an strenge Fristen zu halten. Ferner unterliegen die Widerspruchshandlungen einem Begründungszwang sowie einer nationalen gerichtlichen Kontrolle.[6]
b) Französische Republik
Der zweite vom EuGH zu entscheidenden Fall der société national Elf-Aquitaine, ähnelt dem belgischen Fall. Es geht nämlich auch hier um die Energieversorgung des Landes. Unterschiedlich ist jedoch, dass im Falle Frankreichs der staatliche Einfluss sich nicht auf Unternehmensentscheidungen erstreckt, sondern vielmehr den Anteils- und Stimmenrechtserwerb kontrolliert. Das bedeutet, dass jede Überschreitung bestimmter Schwellenwerte von Anteilen oder Stimmenrechten, einer vorherigen Genehmigung des Wirtschaftsministers bedürfen. Jede Entscheidung über die Abtretung oder Verwendung als Sicherheit der Mehrheit des Kapitals von vier Tochtergesellschaften (Elf-Aquitaine Producton, Elf-Antar France, Elf-Gabon SA und Elf-Condo SA) konnte durch den Französischen Staat widersprochen werden.[7][8]
c) Portugiesische Republik
Dieser Fall unterscheidet sich besonders von den vorher dargestellten Sachverhalten. Die portugiesischen Regelungen ordnen nämlich neben der Energieversorgung auch den Banken-, Versicherungs- und Verkehrsbereich. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die staatlichen Eingriffmöglichkeiten nicht mit einem Aktienbesitz verknüpft sind.[9][10] Die portugiesische Regierung nimmt durch Gesetze und Verordnungen auf die betreffenden Unternehmen Einfluss. Es werden durch die Regelungen ausländische Anleger, die Aktienanteile portugiesischer Aktiengesellschaften erwerben wollen, diskriminiert. Zunächst durften maximal 25% des Gesellschaftskapitals von ausländischen Anlegern gehalten werden. Weiterhin erstreckte sich die Diskriminierung dahingehend, dass ein Erwerb von mehr als 10% der Stimmenanteile einer portugiesischen Aktiengesellschaft nur durch Genehmigung des Finanzministers möglich war. Der Betrag von Anteilen ausländischer Unternehmen wird so begrenzt oder aber die Erwerber mussten die die Grenzen überschreitenden Anteile verkaufen.
2. Entscheidungen
a) Kapitalverkehrsfreiheit
Obwohl der Generalanwalt, der ein Rechtsgutachten zu den fraglichen Sachverhalten erstellte, eine Prüfung der Niederlassungsfreiheit als einschlägig sieht[11], hält der EuGH lediglich die Freiheit des Kapitalverkehrs für betroffen,[12] da die Golden Share Regelungen sich auf Direktinvestitionen und Wertpapiererwerb beziehen. Der freie Kapitalverkehr ist ein tragender Grundsatz des EG-Vertrages.[13] Die Umsetzung erfolgt über den Art. 56 I EGV. Es sind danach Regelungen untersagt, die den Kapitalverkehr unter den Mitgliedsstaaten sowie zwischen Mitgliedsstaaten und Drittstaaten beschränken. Der EGV definiert den Begriff des Kapitalverkehrs nicht näher, weshalb der EuGH auf Sekundärrecht zurückgreift. Er greift in ständiger Rechtssprechung auf die Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361 zurück. Aufgeführt werden dort unter anderem Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Aktienerwerb oder dessen vollständige Übernahme.[14] Art. 56 I EGV verbietet jegliche Beschränkung derartiger unternehmerischer Investitionen.[15] Erfasst werden Maßnahmen, die die Ausübung der Freiheit beeinträchtigen, unattraktiv machen, oder davon abschrecken.
Die Prüfung der fraglichen Sachverhalte verläuft in der Regel zweistufig: Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob die fraglichen Regelungen der einzelnen Mitgliedsstaaten in den Schutzbereich des Art. 56 I EGV eingreifen und damit zu einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit führten.
Auf der zweiten Stufe prüfte der EuGH, ob die festgestellte Beschränkung gerechtfertigt sein könnte.
Das die betreffenden Regelungen in den Schutzbereich des Art. 56 EGV eingreifen, ist von der belgischen Regierung im Kern nicht in Frage gestellt worden. Bei dieser Regelung handelte es sich objektiv um eine den freien Kapitalverkehr einschränkende Regelung, da sie geeignet ist, Investoren aus den Mitgliedsstaaten von einer Investition abzuhalten.
Auch die französische Regierung räumte ein, dass ihre Regelungen einen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit darstellten. Eine Ungleichbehandlung der Finanzmarktteilnehmer auf Grund der Staatsangehörigkeit liegt in diesem Falle aber nicht vor, da die Regelungen sowohl für inländische als auch für ausländische Investoren gilt. Es würde also nach der Auslegung der französischen Regierung niemand benachteiligt oder behindert werden. Der EuGH stellt aber klar, dass es genügt, dass die staatliche Regelung geeignet ist, den Erwerb von Unternehmensanteilen zu verhindert und den Anleger generell davon abhält in das Unternehmen zu investieren und damit den Kapitalverkehr illusorisch macht. Für eine Einschlägige Verletzung des Art. 56 EGV ist vielmehr das Behinderungsverbot schlechthin von Belang, welches mehr als die alleinige Diskriminierung darstellt.[16] Die französische Regelung stellt unter diesen Umständen einen Eingriff in die Kapitalmarktfreiheit dar.
Hinsichtlich der portugiesischen Regelungen stellte der EuGH eine offensichtliche Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit fest. Bei der Regelung, die eine ausländische Beteiligung von mehr als 25 % beschränkt, werden in- und ausländische Investoren offensichtlich verschieden behandelt. Es liegt also eine offene Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit vor. Die Freiheit des Kapitalverkehrs ist hier offensichtlich beeinträchtigt.
Der Tatsachenvortrag der belgischen Regierung, dass die Regelung in der Verwaltungspraxis keine Relevanz hätte und auch so konkret den freien Kapitalverkehr nicht beeinträchtigen würde, da EU-Ausländer und Portugiesen gleichgesetzt würden, überzeugt nicht.[17] Der EuGH hatte eine Rechtfertigung durch dieses Argument durch das Argument der abstrakten Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit abgelehnt.
Die Verordnung, die eine ausländische Beteiligung von mehr als 10% einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt, wird aufgrund des vergleichbaren Sachverhalts zum französischen Urteil mit analogen Gründen als auch für die Kapitalsverkehrsfreiheit beeinträchtigend angesehen.
b) Rechtfertigung
aa) Berufung auf die Eigentumsordnung, gem. Art. 295 EGV
Der Generalanwalt sieht eine Rechtfertigung der Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 56 EGV durch die Eigentumsordnung der einzelnen Mitgliedsstaaten. Art. 295 EGV bildet aus dem Wortlautargument heraus, eine Neutralitätspflicht der EU gegenüber Verstaatlichungsmaßnahmen oder auch Privatisierungen. Es geht hier um die Möglichkeit des Staates sich wirtschaftlich frei zu betätigen und über sein Eigentum frei zu verfügen. Wie der Staat seinen Einfluss gelten macht, ist nicht relevant.[18]
Der EuGH stellt fest, dass eine Rechtfertigung durch das Berufen auf die nationale Eigentumsordnung abwegig ist. Um Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen, ist eine Berufung auf den Art. 295 EGV nicht zulässig, da sich die Eigentumsordnungen nicht den Grundfreiheiten des EGV entziehen kann.[19] Sinn und Zweck des Art. 295 EGV ist es nicht, die Eigentumsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten den Grundprinzipien des EGV vorzuziehen.[20] Auch das Anführen finanzieller und strategischer Interessen lässt in diesem Zusammenhang keine Rechtfertigung unter dem Oberbegriff des Eigentumsordnungsschutzes zu.[21] Der EuGH führte an, dass keine „wirtschaftlichen Gründe“ als rechtfertigend betrachtet werden dürfen.
bb) Rechtfertigungsgründe aus Rechtssprechung
Der EuGH nennt die folgenden Vorraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, damit eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt ist.[22]
- Die betreffende einzelstaatliche Handlung darf nicht diskriminierend wirken, sie muss also für alle im Aufnahmemitgliedsstaat tätigen natürliche Personen und juristische Personen gleichermaßen gelten.
- Die Beschränkung muss sich auf einen der Rechtfertigungsgründe des Art 58 I EGV stützen können (besonders auf Gründe der öffentlichen Sicherheit oder auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses).
- Verhältnismäßigkeit (Geeignetheit und Erforderlichkeit)
(1) Diskriminierung
Bei der Einzelprüfung gelangt der EuGH zu verschiedenen Ergebnissen. Die portugiesische Regelung verstößt bereits gegen das Diskriminierungsverbot. Der EuGH lehnt es ab, die ihrem Wortlaut nach nicht-portugiesischen Anleger benachteiligende Regelung angesichts der politischen Verpflichtung der portugiesischen Regierung, sie nicht auf EU-Angehörige anzuwenden, als nicht diskriminierend anzusehen. Das Diskriminierungsverbot enthält nämlich auch ein Transparenzgebot. Demnach ist bereits ein Diskriminierungsanschein durch entsprechende Formulierungen zu vermeiden, dabei kommt es nicht auf die nichtdiskriminierende Verwaltungspraxis an.[23]
(2) Rechtfertigungsgründe des Art 58 I EGV
Aus Art. 58 I b EGV ergibt sich der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Sicherheit. Die öffentliche Sicherheit wird durch Maßnahmen geschützt, die den Staat vor Gefahren und Bedrohungen, die die Existenz des Staates betreffen.
Der EuGH hat in vergangener Rechtssprechung festgelegt, dass die Sicherstellung der Versorgung mit Erdölprodukten ein Rechtfertigungsgrund für die Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit ist. Die Energieversorgung im Krisenfalle stellt zweifellos ein legitimes Ziel dar, das den Schutz der öffentlichen Sicherheit gewährleistet und auch dem öffentlichen Interesse dient. Die Versorgung der Bevölkerung mit Erdölprodukten stellt neben der Erbringung öffentlicher Dienste auch einen nicht unerheblichen Beitrag zu einer funktionsfähigen Wirtschaft dar. Im Kriesenfalle könnte die Gewährleistung der Erdölversorgung sogar lebensrettend für die heimische Bevölkerung sein.[24] In diesem Zusammenhang darf der Staat durchaus eine gewisse Einflussmöglichkeit auf privatisierte Unternehmen behalten.
Da in den vorliegenden Fällen eine ähnliche Konstellation gegeben ist, d.h. die Sachverhalte vergleichbar sind, ist eine Analogie gestattet, die die Argumente auch für eine Rechtfertigung der Kapitalverkehrsfreiheit plausibel machen.[25] Die Energie- und Erdölversorgung ist also unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit zu subsumieren. Im Fall Belgien und auch im Falle Frankreich sind die betreffenden Unternehmen im Energieversorgungs- bzw. Erdölgeschäft tätig. Es ist also grundsätzlich eine Rechtfertigung der Einriffe in den Schutzbereich durch die öffentliche Sicherheit möglich.
Aus Art. 58 I EGV können auch zwingende Gründe des Allgemeininteresses die fraglichen Regelungen rechtfertigen. Als solche Gründe sind bisher anerkannt worden: Berufsregeln, Schutz der Arbeitnehmer, Schutz der Verbraucher, erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, steuerliche Kohärenz, guter Ruf des nationalen Finanzsektors oder Erbringung öffentlicher Dienstleistungen.[26] Die portugiesische Regierung hatte wirtschaftspolitische Ziele wie Produktivitätssteigerung, Steuerung des Aktienbesitzes und weitere finanzielle Interessen vorgebracht. Der EuGH sah in den Regelungszielen keinen Rechtfertigungsgrund. Dieses entspricht den Grundsätzen die der EuGH bereits zur Dienstleistungsfreiheit[27] und Warenverkehrsfreiheit[28] aufgestellt hatte. Reine wirtschaftliche oder finanzielle Interessen eines Mitgliedsstaates, rechtfertigen keine Beschränkung von Grundfreiheiten als Allgemeininteresse. Die portugiesischen Regelungen sind also nicht gerechtfertigt.
(3) Verhältnismäßigkeit
Die Regelungen der verschiedenen Staaten müssen verhältnismäßig sein. Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie geeignet und auch erforderlich ist. Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit ihr das gesetzte Ziel zu erreichen ist. Der EuGH nennt beide Aspekte der Verhältnismäßigkeitsprüfung, prüft diese Aspekte jedoch nicht stringent gesondert. Im Fall Belgien stellt der EuGH „nebenbei“ fest, dass die belgische Regelung die Gewährleistung der Verfügbarkeit der Energieleitung erlaubt und als geeignet anzusehen ist.[29] In der Prüfung des französischen Sachverhaltes macht der Gerichtshof bezüglich der Geeignetheit keinerlei Ausführungen. Vordergründig wird die Erforderlichkeit der französischen Regelung geprüft. Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn sie das relativ mildeste Mittel ist. Dabei ist auf die Reichweite der Eingriffsbefugnis in die Unternehmensabläufe, die Vorgehensweise nach welcher der Eingriff ausgeübt wird und die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfbarkeit einzugehen.[30] Bei der Frage, wie weit die Eingriffsbefugnis reicht, kommt es darauf an, ob der Staat beliebig von seinen Sonderrechten gebrauch machen kann oder ob die staatliche Handlungskompetenz begrenzt ist. Die staatliche Handlungskompetenz wird besonders durch das Setzen von Bedingungen geknüpft, die ein solches Handeln erst möglich machen. Weiterhin kann die Handlungskompetenz durch die Art und Weise des Eingriffs beschränkt sein. Wichtig ist also in diesem Zusammenhang, ob der Staat jede beliebige Eingriffsmöglichkeit hat oder ob ihm ein bestimmtes Handeln, auch durch Maßnahmenkataloge vorgegeben ist. Sind die vorgegebenen Vorraussetzung nicht erfüllt, so wäre als ein milderes Mittel eben die Schaffung eines Maßnahmenkatalogs oder durch die Vorschrift eines bestimmten Handelns denkbar und der Maßnahme würde es an der Erforderlichkeit fehlen.[31] Dies ist auch im Falle Frankreich so der Fall. Der Genehmigungsvorbehalt des französischen Wirtschaftsministers bei einer Überschreitung verschiedener Schwellenwerte unterlag keinen konkreten Voraussetzungen. Es gab lediglich einen allgemeinen Bezug zum nationalen Interesse.[32] Das Einfordern der Genehmigung war also auch dann möglich, wenn es gar nicht für die Erhaltung der Energieversorgung nötig gewesen wäre Da das Vorligen objektiver Kriterien nicht gegeben ist, kann ein potentieller Anleger im Vorfeld nicht absehen, ob er die notwendige Genehmigung erhalten wird oder auch nicht erhalten wird. Das gilt zum einen für die Genehmigung in Bezug auf die Schwellenüberschreitungen und auch für die zweite streitgegenständliche Verordnung Frankreichs, die das Widerspruchsrecht bei Abtretung bzw. Sicherheitsverwendung der Aktiva der vier Tochterunternehmen regelt. Auch wenn es keiner pauschalen Genehmigung bedarf, sondern lediglich eine nachträgliche Widerspruchsmöglichkeit gibt, so ist diese an keinerlei Bedingungen gebunden und räumt der französischen Regierung einen sehr weiten, man könnte sogar sagen zu weiten Ermessensspielraum ein.[33] Die Tatsache des Vorliegens unbestimmter Umstände stellen die französische Regelung als nicht Erforderlich dar und qualifiziert sie deshalb zu einer gravierenden Einschränkung des Kapitalverkehrs.
[...]
[1] Ruge, in: EuZW 2002, 421 (421).
[2] Kilian, in: NJW 2003, 2653 (2653).
[3] Grundmann/ Möslein, in: ZGR 2003, 317 (322).
[4] RS. C-503/99, Slg. 2002, I-04809.
[5] NJW 2002, 2303 (2303).
[6] Grundmann/Möslein, in: ZGR 2003, 317 (319 f.).
[7] Rs. C-483/99, Slg. 2002, I-04781.
[8] Grundmann/Möslein, in: ZGR 2003, 317 (320).
[9] Rs. C-367/98, Slg.2002, I-04731.
[10] Ruge, in: EuZW, 2002, 421 ( 422).
[11] Colomer, in: Schlussantrag, Rs. C-367/98, C-483/99, C-503/99, Rn 21.
[12] NJW. 2002, 2303.
[13] NJW 2002, 2305.
[14] Wilmovsky, in Ehlers, S. 290 f.
[15] EuGH NJW 2002. 2305 (2305); Ress/ Ukrow, in: Grabitz/ Hilf Art 56, Rn 12.
[16] NJW 2002, 2305 (2305 f).
[17] Ruge, in: EuZW 2002, 421 (422).
[18] Colomer, in: Schlussantrag, Rs. C-367/98, C-483/99, C-503/99, Rn. 65.
[19] Armbrüster, in: JuS 2003, 223 (225).
[20] EuZW 1999, 635 (637).
[21] NJW, 2002, 2305 (2305).
[22] NJW 2002, 2303 (2303) ; NJW 2002, 2305 (2305).
[23] NZG 2002, 632, Rn. 41 f..
[24] EuGH 1984, 2751, Rn. 72, 83.
[25] NJW, 2002, 2303 (2304).
[26] EuGH, 1979, 35, Rn. 28; EuZW 2001, 315, Rn. 27; NJW 1997, 1765, Rn. 46; EuGH 1998, I-1931 (1948), NJW 2003, 2663 (2664).
[27] EWS 1997,277 (279 Rn. 23).
[28] EWS 1998, 212 (215 Rn. 62).
[29] NJW 2002, 2303 (2304).
[30] Grundmann/Möslein, ZGR, 2003, 317 (342).
[31] Grundmann/Möslein, in: ZGR, 2003 317 (342 f.).
[32] NJW, 2002, 2305 (2306).
[33] NJW, 2002, 2305 (2306).
- Quote paper
- Andreas Schultz (Author), 2006, Die Golden Shares-Entscheidungen des EuGH und das VW-Gesetz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60487
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