Entscheidungsanalytische Instrumente wie das Markov-Modell gehören zum Standardrepertoire derer, die gesundheitsökonomische Evaluationen durchführen. Sie halten auf diesem Gebiet zunehmend Einzug, da sie die Wirkungen und den Ressourcenverbrauch bestimmter Public-Health-Interventionen modellieren. Markov-Modelle stellen ein Verfahren zur unterstützenden Entscheidungsfindung bei Unsicherheit dar und beantworten die Fragen, was es kostet bzw. wie viel mehr es kostet und was es aus klinischer Sicht bringt, Patienten mit einer spezifischen Symptomstellung mit z.B. einer neuen Therapie zu behandeln.
Im Lichte der Kosten-Effektivität als Entscheidungskriterium rückt der vorliegende Beitrag die Markov-Modellierung in den Vordergrund. Dazu erläutert sie zunächst die Grundlagen der Entscheidungsanalyse und den Vorteil der Markov-Modelle gegenüber dem einfachen Entscheidungsbaumverfahren. Nach den Ausführungen zu den Annahmen, Prinzipien und der Konstruktion der Markov-Modelle modelliert diese Arbeit ein fiktives Entscheidungsproblem am Beispiel der hereditären Sphärozytose, das jedoch lediglich der Veranschaulichung dient. An diesem konzipierten hypothetischen Markov-Modells werden dann insbesondere die Simulationsverfahren, Kohortensimulation und Monte Carlo Simulation, diskutiert.
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung und Aufbau der Arbeit
2 Die formale Entscheidungsanalyse im Kontext der gesundheits-ökonomischen Evaluation
2.1 Entscheidungskriterium Kosten-Effektivität
2.2 Definition und Charakteristik der formalen Entscheidungsanalyse
2.3 Bedeutung der entscheidungsanalytischen Modellierung
3 Grundlagen zur Modellierung eines Markov-Modells
3.1 Auf der Suche nach dem adäquaten Modell bei komplexen Entscheidungs-problemen
3.2 Grundlegende Prinzipien und Annahmen des Markov-Modells
3.3 Konstruktion und Repräsentation am Beispiel, hereditäre Sphärozytose
4 Evaluierung der Markov-Modelle durch Simulationen
4.1 Die Kohortensimulation
4.1.1 Berechnungen medizinischer und ökonomischer Erwartungswerte am Beispiel des Markov-Modells „Abwarten“
4.1.2 Das Markov-Modell „Abwarten“ in der Kosten-Effektivitäts-Analyse
4.2 Die Monte Carlo Simulation
5 Markov-Modelle: methodologische Probleme und ihre Lösungsansätze
5.1 Integration vielfältiger Prognosefaktoren
5.2 Die Markov-Modellierung in kritischer Reflexion
6 Literatur
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: partieller rekursiver Entscheidungsbaum bei hereditären Sphärozytose (HS) mit einem Zeithorizont von drei Perioden
Abb. 2: Blasendiagramme für die Intervention „Splenektomie“ (OP) bei HS; a) einfaches Blasendiagramm b) Blasendiagramm zur Veranschaulichung der zyklusgebundenen Übergangswege
Abb. 3: Markov-cycle tree für die Intervention „Splenektomie“ (OP) bei HS
Abb. 4: Blasendiagramm für die Option „Abwarten“ bei HS
Abb. 5: Überlebenskurven für das Markov-Modell „Abwarten“
Abb. 6: Die Korrektur um einen halben Zyklus (the Half-cycle correction)
Abb. 7: Markov-Tunnelstadien-Diagramm am Beispiel der HS
Abb. 8: Die defizitäre Markov-Eigenschaft (a) und die Lösung zur Herstellung der Homogenität (b)
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Transition-Matrix für das HS-Problem, Strategieoption „Abwarten“
Tab. 2: Kohortensimulation für das fiktive Modell „Abwarten“
Tab. 3: Markov-Spur für das Modell „Abwarten“ mit inkrementellen Nutzwerten und Zykluskosten, ohne Diskontierung und ohne Half-cycle correction
Tab. 4: Das Markov-Modell „Abwarten“ mit diskontierten und half-cycle corrected Nutzwerten und Kosten
1 Einleitung und Aufbau der Arbeit
Markov-Modelle sind neben dem Entscheidungsbaumverfahren ein mathematischer Modelltyp bzw. eine stochastische Modellierungstechnik der formalen Entscheidungsanalyse. Sie modellieren im Rahmen der jeweiligen Public-Health-Intervention den kurz- und langfristigen Verlauf der betreffenden Krankheit, wobei Markov-Modelle die Krankheitsentwicklung als eine Abfolge von Übergängen zwischen diskreten Gesundheitszuständen begreifen[1]. Entscheidungsanalytische Verfahren sind quantitative Verfahren zur unterstützenden Entscheidungsfindung bei Unsicherheit. Sie ermöglichen ihren Anwendern im klinischen oder ökonomischen Bereich, die wirksamste und leistungsfähigste Methode für die Behandlung von Patienten oder Patientengruppen zu ermitteln. Entscheidungsanalytische Instrumente wie das Markov-Modell gehören zum Standardrepertoire derer, die gesundheitsökonomische Evaluation durchführen und halten auf diesem Gebiet zunehmend Einzug, da sie die Wirkungen und den Ressourcenverbrauch bestimmter Public-Health-Interventionen modellieren[2]. Markov-Modelle können in Anbetracht der Finanzierungsprobleme nun speziell Antworten auf die Fragen liefern, was es kostet und wie viel mehr es kostet und was es aus klinischer Sicht bringt, Patienten mit einer spezifischen Symptomstellung mit der neuen Therapie zu behandeln.
Unter diesem Aspekt erläutert die vorliegende Arbeit das Markov-Modell als Modelltyp der formalen Entscheidungsanalyse vor. Dazu rückt diese Arbeit zunächst die Kosten-Effektivität als Entscheidungskriterium in den Vordergrund, um den entscheidungsanalytischen Bedarf herauszustellen. Anschließend wird die Entscheidungsanalyse definiert und deren Bedeutung ergänzend diskutiert.
Im dritten Gliederungspunkt werden die Grundlagen zur Markov-Modellierung aufgezeigt. Dabei wird zunächst eine Verbindung zum Entscheidungsbaumverfahren hergestellt, um zu beweisen, dass dieses Verfahren bei komplexen Fragestellungen ineffizient ist und zugleich der Ansatzpunkt für Markov-Modelle bildet. Darauf folgt eine Definition dieses Modelltyps einschließlich der Darlegung der Prinzipien und Annahmen. Punkt 3 schließt mit Ausführungen zur Konstruktion eines Markov-Modells und stellt Repräsentationsformen anschaulich an Beispielen dar. Die verwendeten Beispiele sind einfache fiktive Modelle und beziehen sich auf das Krankheitsbild der hereditären Sphärozytose, die zusammen mit dem Entscheidungsproblem im Vorfeld erläutert und für die folgenden Erklärungen genutzt wird.
Mit diesen Beispielen wird insbesondere im Kontext der Evaluierungsverfahren gearbeitet (Punkt 4). Dazu wird im Rahmen eines konzipierten hypothetischen Markov-Modells zu einer Option des Entscheidungsproblems HS die Kosten-Effektivität dieser Option ermittelt, wobei die Berechnung gemäß der Kohortensimulation als Evaluierungsverfahren vorgenommen wird. Es erfolgen ausführliche Berechnungen mit Hilfe von Tabellenkalkulationen, die vordergründig zur Veranschaulichung der Prinzipien der beiden Simulationsverfahren, Kohortensimulation und Monte Carlo Simulation, dienen sollen.
Die vorliegende Arbeit schließt mit Beschreibungen der methodologischen Herausforderungen und einer anschließenden kritischen Reflexion der Markov-Modelle, wobei ein kurzer Ausblick auf den „Markov Decision Process“ -Ansatz gegeben werden soll.
2 Die formale Entscheidungsanalyse im Kontext der gesundheits-ökonomischen Evaluation
2.1 Entscheidungskriterium Kosten-Effektivität
Im deutschen Gesundheitswesen entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) darüber, welche Medikamente, Therapien oder Behandlungsmethoden im Sinne des § 12 SGB V notwendig, hilfreich und wirtschaftlich sind. Der GBA ist ein Gremium, das sich aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen sowie aus Patientenvertretern zusammensetzt und unter der Aufsicht der Gesundheitsministerin steht. Der Ausschuss trifft im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung des SGB demokratische Entscheidungen darüber, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur Regelleistung der Krankenkassen avancieren und die Kassen damit bezahlen müssen. Er kann jedoch auch bereits eingeführte Behandlungsmethoden aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließen, wenn sich diese als unwirksam erwiesen haben (§ 34 SGB V). Der Ausschuss entscheidet also vor dem Hintergrund des therapeutischen Nutzen speziell darüber, welche Methode Ärzte bei einer Erkrankung benutzen sollten und welche nicht.
Diesen Entscheidungsprozessen des GBAs liegen die Ziele zugrunde, die finanziellen Belastungen für die Versicherten gering zu halten und den Nutzen der neuen Methoden für die Patienten zu sichern. Grundlage dieser Ziele im Gesundheitswesen sind die steigenden Gesundheitskosten, die zu einem Finanzierungsproblem in der GKV führen. Problematisch ist es jedoch ferner, dass mit steigenden Gesundheitskosten keine adäquate Verbesserung der Gesundheit erzielt wird. Offensichtlich verschwenden Kostenträger ihre begrenzten finanziellen Mittel für wenig wirksame Versorgungsleistungen bzw. für indikationsspezifische Interventionen, die bei bestimmten Patientengruppen kontraindiziert sind. Die Ressourcen im Gesundheitswesen sind begrenzt, was nach einer effizienten Mittelverwendung verlangt. In diesem Zusammenhang spielt die Bewertung der Kosten-Effektivität von Public-Health-Interventionen eine zunehmend signifikante Rolle[3].
Die Kosten-Effektivitäts-Analyse ist ein Analysetyp der gesundheitsökonomischen Evaluation, die Aussagen darüber machen möchte, ob sich der Einsatz einer medizinischen Intervention lohnt. Die Evaluation mit vergleichendem Charakter stellt die Kosten der zu evaluierenden medizinischen Interventionen dem Nutzen gegenüber mit dem Ziel, Informationen für eine rationale Allokationsentscheidung zu liefern. Die gesundheitsökonomische Evaluation wendet jedoch den inkrementellen Ansatz an. Danach ermitteln Ökonomen die Kosten pro zusätzlichen Nutzen, womit sich die Frage klären lässt, ob und wie viel ein Mehr an Kosten einer Intervention auch ein Mehr an Qualität bzw. Nutzen erbringt.
Bei der gesundheitsökonomischen Evaluation werden die medizinischen Interventionen vorwiegend im Rahmen einer Kosten-Effektivitäts- oder einer Kosten-Nutzwert-Analyse verglichen. In der Regel stellt der Analytiker die gegenwärtige Standardleistung – dies kann die am häufigsten eingesetzte (weil bewährteste) Intervention oder das Abwarten als Entscheidungsoption sein – einer neuen, medizinisch wirksameren aber auch kostenintensiveren Versorgungsleistung gegenüber. Eine Kosten-Effektivitäts-Analyse gibt die Behandlungsergebnisse, die der Ökonom in der gesundheitsökonomischen Evaluation als Outcome bezeichnet, in der gleichen natürlichen Einheit an. Outcomemaße dieses Analysetyps sind z.B. gewonnene Lebensjahre oder Anzahl symptomfreier Tage. Bei einer Kosten-Nutzwert-Analyse wird die Effektivität dagegen in Nutzwerte ausgedrückt (z.B. QALYs, HYEs, SAVEs), die die Patientenpräferenzen reflektieren.[4]
Mit der Bestimmung der (inkrementellen) Kosten-Effektivität als ein Entscheidungskriterium zur optimalen Allokationsentscheidung hinsichtlich medizinischer Interventionen ist ein Anwendungsfeld der formalen Entscheidungsanalyse definiert. Die Entscheidungsanalyse lässt sich in der klinischen Entscheidungsfindung (Clinical Decision Making) sowie in Kosten-Effektivitäts/Nutzwert-Analysen einsetzen. Allerdings ergänzen Ökonomen – im Unterschied zur klinischen Modellierung von medizinischen Entscheidungsproblemen – in der gesundheitsökonomischen Modellierung das Krankheitsmodell um ein Kostenmodell.
2.2 Definition und Charakteristik der formalen Entscheidungsanalyse
Die gesundheitsökonomische Evaluation nutzt im Vorfeld der Analyse von medizinischen Interventionen hinsichtlich ihrer Kosten-Effektivität ein Entscheidungsmodell[5]. Dieser Ansatz zum Vergleich konkurrierender Public-Health-Interventionen wird als formale Entscheidungsanalyse oder als entscheidungsanalytische Modellierung bezeichnet, die auf den Grundlagen der präskriptiven Entscheidungstheorie basiert[6]. Die formale Entscheidungsanalyse (Decision Analysis) ist ein systematischer, expliziter und quantitativer Ansatz zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit und beschäftigt sich speziell mit der Frage, wie medizinische Entscheidungen verbessert werden können[7].
Die Aufgaben der formalen Entscheidungsanalyse liegen primär
- in der Darstellung des Entscheidungsproblems einschließlich der alternativen Handlungsverläufe mit den jeweiligen potentiellen Umwelteinflüssen und der erwarteten Konsequenzen und
- in der Untersuchung der Auswirkungen der Alternativen durch Berechnung des Erwartungsnutzens der einzelnen Alternativen.
Charakteristisch für ein Entscheidungsproblem ist einerseits, dass dem Arzt zur Behandlung einer spezifischen Erkrankung mit einem bestimmten Symptomenkomplex verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Alternative Behandlungsmethoden sind bei dem indikationsspezifischen Erkrankungsbild anwendbar und unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Nutzen-Risiken-Verhältnis sowie ggf. in ihrer Kosten-Effektivität. Unter diesen Bedingungen konkurrieren die betreffenden Alternativen miteinander.
Zum anderen charakterisiert sich ein Entscheidungsproblem durch Unsicherheit und Komplexität. Unsicherheiten bestehen generell hinsichtlich des gegenwärtigen Zustandes des Patienten (z.B. ungenaue Treffsicherheit des diagnostischen Tests) sowie über den gesamten Krankheitsverlauf (individuell verschiedene physische Reaktion des Patienten auf Behandlung, Compliance des Patienten, potentielle Komplikationen). Insbesondere der künftige Krankheitsverlauf formiert sich allgemein durch Umwelteinflüsse, die der behandelnde Arzt nicht kontrollieren kann. Unter diesen Bedingungen ist der Mediziner gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die primär auf die Erhaltung und Verlängerung des Lebens seiner Patienten abzielen. Dabei ist im Ergebnis ungewiss, ob sich der Erfolg der angewandten Public-Health-Intervention einstellt und ggf. in welchem Maße. Allein unter Berücksichtigung der Tragweite medizinischer Entscheidungen erscheint die Anwendung der Entscheidungsanalyse bei klinischen Entscheidungsproblemen als äußerst sinnvoll.[8]
Darüber hinaus können sich bestimmte Entscheidungssituationen als äußerst komplex gestalten. So nimmt die Komplexität beispielsweise mit der Zahl der Alternativen oder mit einem langfristigen Zeithorizont zu. Eine solche Entscheidungssituation verschleiert ein klares eindeutiges Vorgehen, das den größten klinischen Nutzen für Patienten stiftet. Angesichts der Komplexität spezifischer medizinischer Entscheidungssituationen scheint zweifellos festzustehen, dass den Akteuren des Gesundheitswesens das Treffen von Entscheidungen nicht einzig und allein der Intuition überlassen werden kann. Der Mensch mit einem gesunden Menschenverstand scheint mit der vollständigen Erfassung und Verarbeitung der Komplexität schlichtweg überfordert zu sein und daher unfähig, rationale Entscheidungen hervorzubringen[9].
Die Darstellung der Entscheidung erfolgt in einem sog. Entscheidungsmodell, dessen Struktur die Modellierung des Krankheitsverlaufs im Rahmen der einzelnen Alternativen determiniert. Ein Entscheidungsmodell besteht neben den Alternativen aus drei weiteren Elementen: den Konsequenzen, den Wahrscheinlichkeiten und den Outcomes. Der Behandlungsverlauf sowie ggf. der natürliche Krankheitsverlauf kennzeichnet sich durch krankheitsspezifische Ereignisse oder klinische Zustände, deren Auftreten unsicher aber in Form von Wahrscheinlichkeiten, Anteilen, Häufigkeiten oder Odds Ratios quantifizierbar ist – häufig operieren die Anwender jedoch mit Wahrscheinlichkeiten[10]. De facto erlebt der individuelle Patient diese Ereignisse oder Zustände oder nicht; allerdings ist die exakte Vorhersage unmöglich. Mit jeder Behandlungsoption und den jeweiligen krankheitsspezifischen Ereignissen oder Zuständen determinieren sich Konsequenzen (Outcomes). Outcomes beschreiben in der Gesundheitsökonomie Behandlungsergebnisse bzw. allgemein Ergebnisse einer Intervention im Zusammenhang mit der Mortalität, Morbidität und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wie z.B. gewonnene Lebensjahre, Anzahl symptomfreier Tage oder QALYs[11].
Durch ein Entscheidungsmodell werden die Komplexitäten und Unsicherheiten des Entscheidungsproblems handhabbar, da sich ein Modell durch seine Repräsentationsfunktion, durch Vereinfachung und durch Pragmatismus auszeichnet[12]. Entscheidungsmodelle sind gemäß der genannten Eigenschaften so komplex wie nötig, um entsprechend des definierten Entscheidungsproblems alle relevanten Strategien, Ereignisse, Risiken und Konsequenzen in Form von medizinischen Effekten und Kosten abzubilden und so vereinfacht wie nötig, um das Entscheidungsproblem verständlich, transparent und kommunizierbar sowie einer Diskussion zugänglich zu machen[13].
In der Entscheidungsanalyse trifft der Analytiker somit Annahmen, die das Entscheidungsproblem pragmatisch nach relevanten Kriterien des Entscheiders eingrenzen. Auf diese Weise kreiert der Analytiker kein vollständiges Abbild der Realität, sondern eine abstrakte Entscheidungssituation. Zu den relevanten Kriterien zählt vor allem die Perspektive des Entscheiders, die in der Analyse die Outcomeparameter determinieren. Während Krankenkassen beispielsweise vornehmlich an Einsparungen der direkten medizinischen Kosten interessiert sind, fokussiert die Gesundheitspolitik zudem die indirekten Kosten. Diese Akteure des Gesundheitswesens betrachten medizinische Entscheidungsprobleme auf der Populationsebene und modellieren eine spezifische Erkrankung auf Basis einer Patientengruppe oder einer Patientenpopulation.
Ärzte als Leistungserbringer verfolgen dagegen das Ziel, das Leben ihrer Patienten zu erhalten und zu verlängern. Dabei spielen wirtschaftliche Interessen ebenfalls eine Rolle, da die Leistungen der Vertragsärzte gemäß dem Sachleistungsprinzip von der GKV vergütet werden. Dahingegen stellen Patienten als Konsument und Nicht-Zahler von Versorgungsleistungen ihre Lebensqualität in den Vordergrund. Patienten sowie Ärzte in der klinischen Praxis betrachten medizinische Entscheidungsprobleme aus der individuellen Perspektive, d.h. sie zielen auf die Ermittlung der optimalen Alternative für einen individuellen Patienten.
Die Aufgabe, den Erwartungsnutzen zu ermitteln, realisiert die Entscheidungsanalyse durch eine modelltyp-abhängige Kombination der Variablen zu einer mathematischen Gleichung. Die Berechnung erfolgt mittels probabilistischer Verfahren wie dem Entscheidungsbaumverfahren oder den Markov-Modellen, wobei die Wahl der Modellierungstechnik vom Entscheidungsproblem abhängt, d.h. von der Struktur des Krankheitsverlaufs, dem Zeithorizont, der Datenverfügbarkeit oder den Auswirkungen einer Gesundheitstechnologie[14].
Durch Gegenüberstellung des jeweiligen Erwartungsnutzens einer jeden Alternative offenbart sich die optimale Alternative, die den größten Nutzen stiftet. Die Entscheidungsanalyse unterliegt dem Prinzip der Nutzenmaximierung, wonach es diejenige Handlungsalternative zu identifizieren gilt, die unter Gewichtung der Risiken, der medizinischen Effekte und ggf. der Kosten den maximalen Erwartungsnutzen stiftet. Im Kontext der gesundheitsökonomischen Evaluation beabsichtigt die Entscheidungsanalyse, ihren Anwendern zunächst eine Grundlage für die Berechnung der Kosten-Effektivität der konkurrierenden Public-Health-Interventionen zur Verfügung zu stellen. Der primäre Zweck im Spiegel der medizinischen Entscheidungsfindung ist jedoch, dem behandelnden Arzt Informationen für die klinisch optimale Behandlung einer spezifischen Erkrankung zu liefern, womit er in der Praxis seine Behandlungsentscheidung stützen kann.
Es ist zu konstatieren, dass die Entscheidungsanalyse dem behandelnden Arzt keine klinisch objektiven Entscheidungen anbietet, sondern ihr lediglich eine Unterstützungsfunktion zukommt. Klinische Entscheidungsprobleme sind trotz der entscheidungsanalytischen Modellierung weiterhin der Subjektivität überlassen und müssen per se unter Unsicherheit getroffen werden, die durch eine Entscheidungsanalyse fortbesteht. Eine Entscheidung ist und muss Ausdruck der jeweiligen Präferenzen des Entscheiders sein. Dies zeigt sich insbesondere im gesundheitsökonomischen Kontext, wonach eine effiziente Behandlung nicht zwingend mit einem gewünschten Behandlungsziel korrespondiert, so dass ethische Aspekte und die Verteilungsgerechtigkeit die Entscheidung beeinflussen.
Die Entscheidungsanalyse gewährleistet letztlich, dass ihre Anwender informierte Entscheidungen treffen und zu durchdachten wie begründeten Schlussfolgerungen kommen[15]. Bestenfalls führt sie dazu, dass sie den Akteuren des Gesundheitswesens ihre getroffene Entscheidung bestätigt und ihnen damit versichert, dass ihre Entscheidung eine logische Konsequenz der vielfältigen, unsicheren und komplexen Entscheidungsbedingungen ist.
2.3 Bedeutung der entscheidungsanalytischen Modelle
Entscheidungsanalytische Modellierungen kommen in der gesundheitsökonomischen Evaluation zunächst zum Einsatz, da ein Bedarf an informierten Entscheidungen besteht. Dieser Bedarf lässt sich teilweise durch randomisierte klinische Studien oder Beobachtungsstudien decken. Problematisch wird es jedoch dann, wenn Entscheider Informationen zu Langzeiteffekten benötigen oder diverse Datenlücken bestehen, die klinische Studien nicht bzw. noch nicht füllen können. Gesundheitsökonomische Modelle vermögen diese Defizite auszugleichen und eignen sich insbesondere dann, wenn
- längere Beobachtungszeiten simuliert,
- Daten fehlen und ersetzt und
- Studienergebnisse übertragen werden sollen[16].
Simulation längerer Beobachtungszeiten
Klinische Studien beschränken sich nicht zuletzt aus finanziellen Gründen vornehmlich auf einen relativ kurzen Untersuchungszeitraum. Entscheidungsanalytische Modelle können dagegen genutzt werden, um über die in klinischen Studien gewonnen Daten hinaus zu extrapolieren und um von den intermediären Parametern der klinischen Studien auf finale klinische Endzeitpunkte schließen zu können[17]. In diesem Sinne liefern Modelle Informationen zu Langzeiteffekten. Typische Outcomeparameter in Modellen sind daher solche Parameter, die sich auf die Lebenserwartung oder die Lebensqualität beziehen wie z.B. gewonnene qualitäts-adjustierte Lebensjahre (QALY) oder gerettete Lebensjahre. Zudem eignen sich im Kontext der gesundheitsökonomischen Evaluation vordergründig deswegen lange Zeiträume, da sich die mit den Public-Health-Interventionen angestrebten Effekte häufig erst langfristig einstellen und die meisten medizinischen Interventionen langfristige Auswirkungen haben. Damit sind Investitionsentscheidungen in das Gut Gesundheit verbunden, so dass die langfristigen Effekte annähernd bekannt sein müssen.
Nicht verfügbare Daten – Modelle als Ersatz
Klinische Studien können nicht nur in ihrem zeitlichen Horizont begrenzt sein, sondern sie darüber hinaus auch nur bestimmte ökonomische und gesundheitsbezogene Parameter erfassen und ebenso nur eine geringe Zahl von Strategiealternativen berücksichtigen. Ferner können zum Zeitpunkt des Bedarfs an Informationen zu einer Strategie noch keine Ergebnisse aus klinischen Studien zur Verfügung stehen. Die Gründe dafür liegen zum einen in der Langwierigkeit der Durchführung klinischer Studien gegenüber den Modellierungen und zum anderen weil die Erhebung von bestimmten Ereignissen im Rahmen klinischer Studien aus finanziellen oder ethischen Gründen gänzlich unmöglich ist[18]. Beispielsweise ist es in klinischen Studien unmöglich – weil unethisch – erkrankte Patienten mit Placebos zu therapieren und ihnen damit eine adäquate Therapie vorzuenthalten. In diesem Fall – wenn die Strategie „Nichtstun“ als Alternative relevant ist – ist eine Modellierung der beste und einzig verfügbare Ansatz[19].
Generalisierungen
Klinisch kontrollierte Studien testen Therapieinterventionen unter idealen Bedingungen, um lediglich die Wirksamkeit der Intervention herauszustellen, nicht aber die Effektivität. In der Praxis können diese Ergebnisse einer Therapie nicht direkt verwendet werden, da sie nicht mit dem Versorgungsalltag übereinstimmen. Die ökonomische Evaluation versucht nun ein realeres Bild zu formen, indem sie z.B. Faktoren wie Akzeptanz und Compliance der Patienten sowie die Kompetenzen der Leistungserbringer, die in der natürlichen Umgebung weniger ideal ausgeprägt sind, korrigiert und dem Alltag anpasst.
[...]
[1] Die Fachliteratur spricht häufig von „Krankheitsstadien“. Unter Berücksichtigung des Salutogeneseprinzips soll hier jedoch die Formulierung „Gesundheitsstadien“ verwendet werden.
[2] vgl. Drummond et al. 1997, S.242
[3] vgl. Gold et al. 1996; Leidl 2000; Weinstein & Fineberg 1980, S. 229ff.
[4] vgl. Leidl 2003, S. 346ff.; Schulenburg & Greiner 2000
[5] vgl. Schöffski et al. 2002, S. 51ff.
[6] vgl. Eisenführ & Weber 2003, Chapman & Sonnenberg 2000, S. 3ff.)
[7] vgl. Hunink & Glaszious 2001, S. 3; Petitti 2000, S. 17ff.; Siebert et al. 2003; Weinstein & Fineberg 1980, S. 3ff.
[8] vgl. Weinstein & Fineberg 1980, S. 2ff.
[9] vgl. Eisenführ & Weber 2003, S. 1ff.
[10] vgl. Hunink & Glaszious 2001, S. 36ff.
[11] Schulenburg 1998, S. 128f.
[12] vgl. Rychlik 1999, S. 51f.; Stachowiak 1973
[13] Detsky et al. 1997a, S. 124, Keeney 1982, S. 803ff.
[14] Brennan & Akehurst 2000, S. 446f.
[15] vgl. Hunink & Glasziou 2001, S. 1ff.
[16] Wasem & Hessler 2000, S. 321
[17] vgl. Briggs & Sculpher 1998, S. 398f.; Buxton et al. 1997, S. 218ff.; Wasem et al. 2000, S. 9
[18] vgl. Kuntz & Weinstein 2001, S. 142ff.
[19] vgl. Brennan & Akehurst 2000, S. 447; Buxton et al. 1997, S. 221; Kuntz & Weinstein 2001, S. 142; Siebert 2003
- Quote paper
- M.Sc. Rena Truschinski (Author), 2006, Entscheidungsanalytische Modellierung von Public-Health-Interventionen mittels Markov-Modellen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60449
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