Die Schweiz und ihr Neutralitätsstatus ist nicht nur aufgrund ihrer geographischen Lage im Herzen von Europa - eingekeilt zwischen Deutschland im Norden, Frankreich im Westen, Italien im Süden und Österreich im Osten - eine genauere Betrachtung wert.
Um ihr Verhalten während des Zweiten Weltkrieges besser verstehen und beurteilen zu können, ist es wichtig, Fragen hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenarbeit und der Goldtransaktionen sowie der Flüchtlingssituation zu beantworten. An den Beginn der Arbeit stellt sich jedoch die Darstellung der Schweiz als neutralen Staat. Der Aspekt der Neutralität zieht sich durch die ganze Arbeit, denn die Wahrung der Neutralität war oft Grundlage vielfältiger Entscheidungen. Im zweiten Abschnitt wird die Flüchtlingspolitik des von den Achsenmächten eingeschlossenen Landes untersucht, dabei insbesondere die Kontroverse über das Ausmaß der geleisteten und verweigerten Hilfe sowie die Art der Abgrenzung. Gegenstand der Untersuchung sind hier sowohl die Asylpolitik vor dem Kriegsbeginn, d.h. Evian-Konferenz, der J-Stempel und die Grenzschließungen 1938. Darauf folgt die Flüchtlingspolitik der Schweizer Regierung während des Krieges mit der Ausarbeitung einzelner Beschlüsse und ihrer Auswirkungen. Auch hier wird der Neutralitätsaspekt einer Untersuchung unterzogen.
Um die Flüchtlingspolitik in den Kontext besser einzuordnen, findet sich im direkten Anschluss daran Erläuterungen zur Wirtschaftspolitik des Landes, dabei wird u.a. eingegangen auf die Art der Wirtschaftsbeziehungen, die Auswirkungen der Wirtschaftsblockaden und die Bedeutung der Wirtschaft für den eingeschlossenen Staat und seiner Wahrung der Neutralität.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Tätigkeiten bildet die Geld- und Goldpolitik der schweizerischen Nationalbank ein eigenes Kapitel in dieser Arbeit. Diese Untersuchung soll zeigen, ob diese Politik im Bestreben, die finanzielle Überlebensfähigkeit des Landes zu sichern, beim Kauf von geraubtem Gold aus deutsch besetzten Ländern zu bedenkenlos handelte und damit die Wahrung der Neutralität aufs Spiel setzte.
Den Abschluss der Arbeit bildet neben dem Fazit die Ausarbeitung der herausragenden Stellung der Schweiz als Schutzmacht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Neutralitätsaspekte
2.1 Völkerrechtliche Stellung und Neutralität der Schweiz
2.2 Militärstrategische Gesichtspunkte
3. „Neutrale“ Flüchtlingspolitik?
3.2 Reaktion der Schweizer Regierung auf die Flüchtlingsströme
3.3 Die Wende in der Schweizer Flüchtlingspolitik
3.4 Resümee der Flüchtlingspolitik der Schweiz
4. Wirtschaftliche Entscheidungen versus Neutralität
5. Die Goldtransaktionen zwischen Deutschland und der Schweiz
5.1 Definition von Gold
2.2 Die Unterscheidung zwischen Legalem und Illegalem Gold
5.3 Ausmaß der Goldtransaktionen
5.4 Resümee der Transaktionen
6. Die Bedeutung der Schutzmachtstellung der neutralen Schweiz
7. Fazit
Literatur:
1. Einleitung
Nur fünf Staaten gelang es im Zweiten Weltkrieg zu vermeiden, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Sie wählten nicht nur, außerhalb des Krieges zu bleiben, sie entschieden auch, wie sie ihre Neutralität definieren und verteidigen würden. Die Schweiz nahm zwischen den neutralen Staaten einen einzigartigen Status ein. Deshalb soll sie Gegenstand meiner Untersuchung werden. Wie sind militärische, soziale und wirtschaftliche Komponenten, die drei Säulen eines Land während eines Krieges, miteinander unter dem Mantel der Neutralität zu vereinen? Wo stieß die Schweiz an ihre Grenzen und wo wäre mehr möglich gewesen? Unter welchen Voraussetzungen wurden Entscheidungen getroffen und welche Auswirkungen hatten sie? Dies sind einige der zentralen Fragen, die nachfolgend untersucht werden sollen.
Die Schweiz ist nicht nur aufgrund ihrer geographischen Lage im Herzen von Europa - eingekeilt zwischen Deutschland im Norden, Frankreich im Westen, Italien im Süden und Österreich im Osten - eine genauere Betrachtung wert, sondern besonders wegen dem durch das Ende des kalten Krieges erleichterten Zugang zu Archiven, ist eine umfangreichere Diskussion über das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg möglich.
Unter Berücksichtigung verschiedener historischer Veröffentlichungen soll die Diskussion über die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges ausgewertet werden. Die Literaturlage stellt sich dabei als sehr vielfältig dar, jetzt 60 Jahre nach Beendigung des Krieges und nach Beendigung des Ost-West-Konflikts tauchen ständig neue Veröffentlichungen zu diesem Thema auf, sei es durch die Schweiz selbst in Auftrag gegeben oder durch verschiedene Historiker anderer Länder. Die Unabhängige Expertenkommission brachte durch ihre Untersuchungen das wohl umfangreichste Werk heraus, denn ihre Auswertungen umfassen 26 Bände. Doch auch viele andere, sowohl ältere als auch jüngster Natur geben Aufschlüsse über die Schweiz während des Zweiten Weltkrieges.
Die Schweiz stellte sich im Rahmen einer Landesausstellung 1939 wie folgt vor: „Die Schweiz als Zufluchtsort Vertriebener, das ist unsere edle Tradition. Das ist nicht nur der Dank an die Welt für Jahrhunderte langen Frieden, sondern auch besonderes Anerkennen der großen Worte, die uns der heimatlose Flüchtling von jeher gebracht hat.“[1]
Doch zu diesem Zeitpunkt waren die Grenzsperrungen und Ausschaffungen schon in vollem Gange. Wie also ist der Unterschied in der eigenen Wahrnehmung und Darstellung im Gegensatz zum Ansehen von der Außenwelt erklärbar? Worin genau besteht dieser Unterschied? Wie hat der Kleinstaat den Spagat zwischen wirtschaftlicher Aufrechterhaltung und sozialer Asylpolitik geschafft?
Um jenes Verhalten während des Zweiten Weltkrieges besser verstehen und beurteilen zu können, ist es wichtig, Fragen hinsichtlich wirtschaftlicher Zusammenarbeit und der Goldtransaktionen sowie der Flüchtlingssituation zu beantworten. An den Beginn der Arbeit stellt sich jedoch die Darstellung der Schweiz als neutralen Staat. Der Aspekt der Neutralität zieht sich durch die ganze Arbeit, denn die Wahrung der Neutralität war oft Grundlage vielfältiger Entscheidungen. Im zweiten Abschnitt wird die Flüchtlingspolitik des von den Achsenmächten eingeschlossenen Landes untersucht, dabei insbesondere die Kontroverse über das Ausmaß der geleisteten und verweigerten Hilfe sowie die Art der Abgrenzung. Gegenstand der Untersuchung sind hier sowohl die Asylpolitik vor dem Kriegsbeginn, d.h. Evian-Konferenz, der J-Stempel und die Grenzschleißungen 1938. Darauf folgt die Flüchtlingspolitik der Schweizer Regierung während des Krieges mit der Ausarbeitung einzelner Beschlüsse und ihrer Auswirkungen. Auch hier wird der Neutralitätsaspekt einer Untersuchung unterzogen.
Um die Flüchtlingspolitik in den Kontext besser einzuordnen, findet sich im direkten Anschluss daran Erläuterungen zur Wirtschaftspolitik des Landes, dabei wird u.a. eingegangen auf die Art der Wirtschaftsbeziehungen, die Auswirkungen der Wirtschaftsblockaden und die Bedeutung der Wirtschaft für den eingeschlossenen Staat und seiner Wahrung der Neutralität.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Tätigkeiten bildet die Geld- und Goldpolitik der schweizerischen Nationalbank ein eigenes Kapitel in dieser Arbeit. Diese Untersuchung soll zeigen, ob diese Politik im Bestreben, die finanzielle Überlebensfähigkeit des Landes zu sichern, beim Kauf von geraubtem Gold aus deutsch besetzten Ländern zu bedenkenlos handelte und damit die Wahrung der Neutralität aufs Spiel setzte.
Den Abschluss der Arbeit bildet neben dem Fazit die Ausarbeitung der herausragenden Stellung der Schweiz als Schutzmacht.
2. Neutralitätsaspekte
Was versteht man unter Neutralität? Auf den ersten Blick erscheint es einfach, Neutralität begrifflich zu erläutern. Neutralität ist der außenpolitische Zustand, sich nicht an einem Krieg zwischen zwei anderen Staaten zu beteiligen. Eine vereinfachte Darstellung liefert uns u.a. Albrecht: „Wenn im Falle eines Krieges zwischen zwei oder mehreren Staaten ein dritter Staat sich davon fernhält und bestrebt ist, mit allen Kriegführenden weiterhin die normalen Vorkriegsbeziehungen aufrechtzuerhalten, dann bezeichnet man ihn als neutralen Staat – er wahrt seine Neutralität.“[2]
Mit den Veränderungen der Kriege im Laufe der Jahrhunderte, veränderte sich auch der Neutralitätsbegriff. Im Altertum gab es Freund oder Feind, aber keine Neutralen, selbst im Mittelalter spielte er noch keine Rolle. Erst im 13. Jahrhundert bildete sich eine erste Festlegung zugunsten der Neutralen für den Seekrieg heraus. Erst 1907 in der Den Haager Kriegskonvention wurde der Begriff der Neutralität gesetzlich festgelegt und besitzt seitdem einen rechtlichen Status.
Der Begriff „nicht kriegsführend“ dagegen hat keinen rechtlichen Status, er wird rhetorisch angewendet, um Handlungsspielräume auszunutzen.
2.1 Völkerrechtliche Stellung und Neutralität der Schweiz
Die Schweiz war schon im ersten Weltkrieg zwischen den führenden Mächten Europas und hat die neutrale Position bewahrt. So auch im zweiten Weltkrieg. Die Schweiz war ein traditionelles neutrales Land.
Flüchtlinge in der Schweiz konnten sich nicht auf Menschenrechte berufen. Garantien zugunsten des Individuums gab es aber damals teilweise im humanitären Völkerrecht. „Als neutraler Staat unterstand die Schweiz im Zweiten Weltkrieg dem Neutralitätsrecht. Das Neutralitätsrecht hatte sich im 19. Jahrhundert zu einem tragenden Teil des Völkergewohnheitsrechts verdichtet und wurde in der Folge im V. und XIII. Haager Abkommen von 1907 kodifiziert [...] Mit dem Neutralitätsstatus sind nach allgemeinem Völkerrecht Rechte und Pflichten des neutralen Staates verbunden. Die in den Haager Abkommen aufgeführten Pflichten beschränken sich im wesentlichen auf das Verbot, einem Kriegführenden Kriegshilfe zu leisten (Enthaltungspflicht), und die Pflicht, die Kriegführenden an der Benützung ihres Gebietes zu militärischen Zwecken zu hindern (Verhinderungs- oder Abwehrpflicht). Eine allgemeine Pflicht zur wirtschaftlichen Neutralität besteht hingegen nicht: Grundsätzlich hat der neutrale Staat ein Recht auf Handelsverkehr mit allen Kriegführenden.“[3]
Außerdem besagte der völkerrechtliche Status der Schweiz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, dass die Schweiz im Falle eines Krieges nach den betreffenden Bestimmungen des Völkerrechts darauf drängen kann, dass die kriegsführenden Parteien die territoriale Integrität, also die Unverletzbarkeit des schweizerischen Gebietes anerkennen müssen. Die Schweiz hat sich zu einer dauernden und bewaffneten Neutralität entschlossen. Sie kann diesen Zustand jederzeit auflösen, doch solange sie daran festhält, muss sie sich an die Internationalen Gesetze der Neutralität halten. Was heißt das für die Schweiz?
Die Rechte und Pflichten für den neutralen Staat Schweiz gegenüber den Kriegsführenden Staaten ist oben beschrieben worden. Als Gegenleistung wird dem neutralen Staat die Unverletzlichkeit des eigenen Gebietes erklärt. Diese Bestimmungen sind nur für den Kriegsfall bestimmt. Das Haager Abkommen beinhaltet keine Regelungen für den Friedensfall. In der Umsetzung der Neutralität sind durch politische und wirtschaftliche Ziele der Nachbarn dem neutralen Staat Grenzen gesetzt. Außenpolitische Entscheidungen haben stets die Einstellung zur Neutralitätsfrage innerhalb der Schweiz in nicht zu unterschätzender Weise beeinflusst. Die Schweiz war gut gerüstet, ihre Neutralität wurde von allen anerkannt. Sie hat aufgrund ihrer geopolitischen Lage abgelehnt, kriegsführend zu werden.
2.2 Militärstrategische Gesichtspunkte
Doch genau jene geopolitische Lage stellte sich für die Schweiz mit dem Kriegsbeginn von 1939 neu dar. Deutschland bezeichnete die schweizerische Neutralität „als bäuerliche Eigenbrötelei“, verleumdete sie „als Furcht vor Entscheidung“, „als moralischer Defekt, als Vergreisung und Dekadenz“.[4]
Wie sollte sich die Schweiz verhalten? Was würde Deutschland tun? Was konnte die Schweizer Regierung tun, um sich zu schützen und trotzdem nicht gegen die oben definierte Neutralität zu verstoßen?
Eine erste Handlung bestand darin, das Militär zu mobilisieren und einen Oberbefehlshaber zu ernennen, um die Grenzen zu sichern, da nicht sicher war, wie Hitler Frankreich angreifen würde. Eine Möglichkeit bestand darin, durch die Schweiz hindurch Frankreich anzugreifen. Diese Möglichkeit hätte dazu geführt, dass das deutsche Reich zusammen mit Italien die strategisch wichtigen Alpentransversalen besetzen und beide Länder somit einen schnelleren Material- und Güteraustausch hätten vollziehen können.
Die Mobilmachung wurde am 28. August 1938 bekannt gegeben. Ferner wurden die Botschafter der wichtigsten Nationen davon verständigt, dass die Schweiz während eines Konfliktes neutral bleiben würde.[5]
Die Landesverteidigung spielte eine zentrale Rolle in der schweizerischen Flüchtlingspolitik, denn die Mobilmachung verstärkte den gesellschaftlichen und politischen Einfluss der Armee. Durch das Milizsystem überlagerten sich militärische, politische und wirtschaftliche Faktoren auf verschiedenen Ebenen.
Die Armee hatte während des Krieges ganz entscheidenden Einfluss auf das Schicksal der Flüchtlinge an der Grenze und auf dem Schweizer Staatsgebiet. Im Laufe der Zeit wurden die Kompetenzen der Armee für beide ausgeweitet. Die Armee übte insofern großen Einfluss aus, als dass die Asylpolitik der militärischen Sicherheit untergeordnet wurde. Die Eliten der Armee drängten auf eine restriktive Asylpolitik, da sie die Flüchtlinge als Sicherheitsrisiko werteten.[6]
3. „Neutrale“ Flüchtlingspolitik?
3.1 Schweizer Asylpolitik bis zum Kriegsausbruch und die Frage nach der Schuldigkeit des „J-Stempels “
Die schweizerische Flüchtlingspolitik ist im Spannungsfeld zwischen dem Überfremdungsdiskurs und dem Wissen um die Verfolgung und Vernichtung der Juden anzusiedeln. Die Ansichten der Schweiz waren nicht nur durch den Nationalsozialismus geprägt, sondern auch durch die Angst vor Überfremdung durch Ausländer und durch wirtschaftliche Schwierigkeiten, z.B. Angst vor Arbeitslosigkeit. Dies verfestigte sich mit der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre.
Die Schweiz teilte die Flüchtlinge aufgrund des Völkerrechts und nationaler Gesetze in verschiedene Kategorien ein, dabei grundlegend in Militär- und Zivilflüchtlinge. Für Erstere wurden die Rechten und Pflichten der neutralen Staaten durch das Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 geregelt. Für zivile Flüchtlinge wurde der völkerrechtliche Schutz erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch verschiedene Abkommen geregelt. Somit bezog sich die Schweiz hinsichtlich der Zivilflüchtlinge auf das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931.[7] Entscheidend ist auch die Einteilung des politischen Flüchtlings, der von denen geltend gemacht werden konnte, die wegen ihrer politischen Tätigkeit persönlich gefährdet waren. Dazu zählte die Verfolgung der Juden nicht.
Die Schweiz gehörte zu den Staaten, deren Demokratisierung relativ weit fortgeschritten war. Aufgrund dessen, dass sie politische Flüchtlinge aus anderen Staaten aufnahm, erhielt sie einen Ruf als Zufluchtsort. Die Schweiz selbst sah sich ausschließlich als Transitland, das Flüchtlinge aufnahm und ihnen zur Weiterreise in ein anderes Land behilflich war.
Dieses konnte nicht länger so gehandhabt werden, als mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 ein bisher nicht bekannter Flüchtlingsstrom einsetzte.
Hinzu kam der Druck der deutschen Regierung, um die Juden zur Auswanderung zu zwingen, denn damit verletzten die deutschen Behörden die internationalen Verpflichtungen, wenn die ausgestellten Visa nur für die Ausreise gültig waren. Diese Verpflichtung war Bestandteil des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrags.[8]
Der Flüchtlingsstrom löste eine weltweite Krise in der Flüchtlingsfrage aus. Daraufhin fand eine von den Vereinigten Staaten einberufene internationale Flüchtlingskonferenz in Evian im Sommer 1938 statt, an welcher 32 Staaten sowie der Völkerbund die Aufnahme der verfolgten Juden besprechen sollten.
Die Schweiz gab auf der Konferenz an, dass sie ihr Möglichstes tue, um die Flüchtlinge aufzunehmen, dass aber die anderen Mitglieder des Völkerbundes sie entlasten solle, so dass die Schweiz weiterhin ihre Funktion als Transitland ausüben könne. Doch die Staaten verweigerten eine höhere Aufnahme. Dies erscheint unmenschlich, doch wie oben erwähnt, war das Verständnis für Menschenrechte und die Behandlung von Flüchtlingen noch nicht in dem Maße entwickelt, wie es heute der Fall ist. Völkerrechtliche Normen über den Rechtsstatus von Flüchtlingen gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Damit nun mit der Suche nach einer dauerhaften Lösung alleingelassen, kam es zu dem folgenschweren Prozess, dessen Ergebnis die Einführung des J-Stempels war. Die deutsche Bevölkerung konnte ohne Visumspflicht die Grenze zur Schweiz überqueren und aufgrund des Beitritts Österreichs zum Dritten Reich würde auch die Österreichische Bevölkerung, welche bisher Visumspflicht hatte, deutsche Pässe erhalten und damit ungehindert die Grenzen passieren können. Dies jedoch wollte die Schweizer Regierung verhindern. So galt es entweder die generelle Visumspflicht für die deutsche Bevölkerung einzuführen oder aber die jüdischen Immigranten zu identifizieren. Da die deutsche Regierung zu diesem Zeitpunkt noch die Ausweisung der Juden im Sinn hatte, war sie gegen die generelle Visumspflicht. Trotzdem lehnt Deutschland den Vorschlag ab, allen potentiellen Emigranten das Erfordernis eines schweizerischen Visums in den Pass zu stempeln. Daraufhin kündigt die Schweiz das Visumabkommen von 1926. Dem Vorschlag der Kennzeichnung durch den J-Stempel stimmte der Bundesrat entgegen dem Antrag von Rothmund am 4. Oktober 1938 zu.
Der Frage, wer zuerst die Initiative gab bzw. wen die Schuld an der Einführung trifft sind nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Historiker nachgegangen. Auch die Presse scheute keinen eigenen Untersuchungen und Veröffentlichungen. So kam es zu der folgenschweren Publizierung des „Schweizerischen Beobachters“ am 31.3.1954, die Rothmund die Schuld am J-Stempel aufdrückte. Diese Veröffentlichung zog zahlreiche weitere Diskussionen nach sich, erschreckend ist jedoch die Tatsache, dass diese Fehleinschätzung Einzug hielt in zahlreichen historischen Veröffentlichungen und selbst gestandene Historiker diese Behauptung nicht wiederlegten. Dazu gehören auch u.a. Georg Kreis und Jacques Picard, die beide der Unabhängigen Expertenkommission angehören, die den Auftrag von der Schweizer Behörde erhielten, die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges für die Schweiz zu untersuchen. Es ist geradezu erschreckend, welche Ausmaße und damit Macht die Medien erreichen können.[9]
Dr. Rippmann stellte 1998 in einer Stellungnahme dar, dass an der schweizerischen Urheberschaft der diskriminierenden Kennzeichnung der Pässe kein Zweifel bestehe. Die Verantwortung dafür trägt auch der Bundesrat mit seiner Zustimmung zu dem Abkommen.[10]
Die UEK dagegen kommt zu der Auffassung, dass die Dokumente keine eindeutige Antwort darauf geben, ob die Deutschen oder die Schweizer zuerst die Kennzeichnung der Pässe durch den J-Stempel vorgeschlagen haben. Die Dokumente erteilen ihrer Meinung nach dafür eindeutig Auskunft darüber, dass die Initiative zur diskriminierenden Kennzeichnung von der Schweiz ausging.[11]
Doch unabhängig von dem Ausgang der Diskussion über die Zuweisung der Schuld zum J-Stempel, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Schweiz auf jeden Fall mit ihrer Flüchtlingspolitik den Weg zum Judenstempel erleichterte.
Die Frage, die sich aufwirft ist die, ob aufgrund der Entwicklungen die Kennzeichnung der Juden vorangetrieben und damit die Vernichtungsmaschinerie begünstigt wurde und ob der Umschwung von der Austreibungs- zur Vernichtungspolitik beschleunigt wurde aufgrund der vermehrt auftretenden Schwierigkeiten der Aufnahme jüdischer Flüchtlinge.
3.2 Reaktion der Schweizer Regierung auf die Flüchtlingsströme
Das Jahr 1942 war von besonders dramatischen Ereignissen geprägt.
Angesichts der bekannt gewordenen Verfolgungen von Juden und der dadurch ausgelösten zu erwarteten Steigerung der Flüchtlingsrate für die Schweiz als Anlaufziel, reagierte der Bundesrat und der Chef der schweizerischen Polizei, Dr. Heinrich Rothmund. In einem Bericht von dessen Assistenten Dr. Jezler von Juli 1942 schreibt dieser zwar, dass aufgrund von Berichten über die den Juden drohende Deportation ,,eine Rückweisung kaum mehr verantwortet werden kann", aber wegen einer Reihe von Gründen, die Ernährung, die Anzahl der Flüchtlinge, die innere Sicherheit und ,,außenpolitische Erwägungen", weniger Flüchtlinge aufgenommen werden sollten. Aufgrund der Gefahr, dass ausländische Flüchtlinge später einmal den inländischen Arbeitsmarkt belasten könnten, dürfe die Schweiz nicht Flüchtlinge in unbeschränkter Zahl bei sich aufnehmen.[12]
Mit diesem Bericht und einer ähnlichen Empfehlung von Heinrich Rothmund beschloss der Bundesrat am 4. August 1942 eine strengere Anwendung des Artikel 9 des Bundesratsbeschluss vom 17. Oktober 1939. In diesem Artikel wurde die Ausweisung von illegal in das Land gereisten Flüchtlingen geregelt. Um diesen Beschluss besser durchsetzen zu können und zukünftige illegale Einreisen zu be- oder verhindern, ließ Rothmund am 13. August die Grenzen schließen und später am 9. Oktober von Militär unter anderem mit Stacheldrahtzäunen sichern.[13] In dem Schreiben an die Polizei der Kantone hieß es ferner: ,,Flüchtlinge, nur aus Rassengründen, zum Beispiel Juden, gelten nicht als politische Flüchtlinge".[14] Der Begriff des politischen Flüchtlings stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es wurden damit Personen definiert, die wegen ihrer politischen Überzeugungen bedrängt werden und bei der Rückkehr in ihr Land argen Verfolgungen ausgesetzt wären.[15]
Erst am 12. Juli 1944 wurde diese Passage durch folgendes ersetzt: ,,Aufzunehmen sind vorläufig nur noch: [...] Ausländer, die aus politischen oder anderen Gründen wirklich an Leib und Leben gefährdet sind und keinen anderen Ausweg als die Flucht nach der Schweiz haben, um sich der Gefahr zu entziehen.“[16]
Die Folge dieser Anordnung vom 13. August war ein öffentlicher Aufschrei in den Zeitungen, in Briefen an den Bundesrat oder in öffentlichen Reden und Vorträgen, der einem Sturmangriff auf Heinrich Rothmund und die betreffende Weisung gleich kam. Aufgrund der enormen öffentlichen Reaktion wurde die vollständige Schließung der Grenzen durch ein Rundschreiben an die kantonalen Polizeibehörden am 25. August 1942 gelockert. Um die bisherige Flüchtlingspolitik zu verteidigen, hielt der Bundesrat Eduard von Steiger, der Vorgesetzte von Heinrich Rothmund, am 30. August eine Rede vor etwa 8.000 Schweizern, worin die Schweiz mit einem Schiff verglichen wurde: ,,Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten zu kommandieren hat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe nach Rettung schreien, muss hart scheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann. Und doch ist er noch menschlich, wenn er beizeiten vor falschen Hoffnungen wart und wenigstens die schon Aufgenommen zu retten sucht."[17]
3.3 Die Wende in der Schweizer Flüchtlingspolitik
Der Schweizer Autor Edgar Bonjour formulierte in seinem Werk von 1978 etwas spitz: „Eine Lockerung der strengen fremdenpolizeilichen Verfügungen trat erst ein, als das Kriegsglück die deutschen Waffen zu fliehen begann.“[18] Nun ist es nicht nachweisbar, dass die Schweiz tatsächlich aus diesen Gründen gehandelt hat, aber die Tatsachen sprechen dafür, dass die Wende der Schweizer Asylpolitik, die mit dem Herbst 1943 begann, einsetzte, nachdem die deutsche Armee ihren Siegestriumph nicht mehr fortsetzte. Am 2. Februar 1943 kapitulierten die deutschen Truppen vor Stalingrad und damit zeichnete sich eine Kriegswende ab und damit kam erneut oder verstärkt die Frage nach dem Nachkriegseuropa auf. Wie würde es aussehen, wie geht mein Land daraus hervor? So oder ähnlich müssen Überlegungen der Schweizer Regierung ausgesehen haben.
Doch nicht nur diese Überlegungen werden eine Rolle gespielt haben in den Überlegungen zur Asylpolitik. Fast ein Jahr zuvor, am 20. Januar 1942 hatte die Wannsee-Konferenz zur Koordinierung der „Endlösung“ der Judenfrage stattgefunden, dessen Ergebnisse durchaus bekannt wurden. Zu diesem Zeitpunkt wurde von der restriktiven Asylpolitik nicht abgewichen, im Gegenteil, fast sechs Monate darauf erfolgte die inzwischen überall bekannte Rede vom Bundesrat von Steiger mit der Metapher vom „stark besetzten, kleinen Rettungsboot“.
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das US State Department die Veröffentlichung von Informationen über die Existenz von Vernichtungslager noch verhindert, so hatte die Schweiz dennoch eigene Informanten, die inzwischen immer zahlreicher genau diese Informationen an die Schweizer Behören schickte. Am 21. Oktober desselben Jahres besuchte gar Rothmund selbst das Konzentrationslager Sachsenhausen.[19]
Doch trotz der schon erwähnten Kapitulation und der zuvor veröffentlichten Berichte der NS-Massenmorde durch die Alliierten im Winter 1942/43 wurden die Schweizer Einreisebestimmungen erst am 26. Juli 1943 gelockert. Nach der Besetzung Italiens im September 1943 setzte ein großer Flüchtlingsstrom in die Schweiz ein. Im Hinblick darauf, dass den Juden in Italien von den SS der Untergang drohte, wurden jüdische Flüchtlinge nicht mehr zurückgewiesen.
3.4 Resümee der Flüchtlingspolitik der Schweiz
Die Diskussion über die Politik und die Moral der Schweiz hinsichtlich ihrer Flüchtlingspolitik ist keine einfache, denn Aufnahme oder Abweisung eines Flüchtlings entschieden oft über Leben und Tod jedes Einzelnen.
Der Winter 1942/43 und der Sommer 1943 waren und sind in vielen Veröffentlichungen über diese Zeit dunkle Punkte in der Geschichte der Schweizer Flüchtlingshilfe, denn die verschärften Vorschriften erfolgten, obgleich die Behörden über die Massentötungen und Vergasungen von Juden bereits wussten.[20] Die Schweizer Behörden erhielten über diplomatische Kanäle erstmals Ende 1941 Kenntnisse über die Verbrechen der Nationalsozialisten. „Die Schweizer Vertreter im Ausland erhielten die unterschiedlichsten Informationen, oft anlässlich von Gesprächen, manchmal auch in Form von Publikationen des Widerstands, die anonym in ihre Briefkästen gelangten.“[21] Doch zum einen wurden diese Auskünfte nicht konsequent an die Schweizer Regierung weitergereicht und zum anderen muss die Situation zu dieser Zeit beachtet werden. Aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges war bewusst, dass die Deutschen Opfer einer Greuelpropaganda waren und außerdem war unklar, inwieweit man diesen Berichten trauen konnte, denn eine solche Massenvernichtung schien schier unglaublich und war so nicht vorstellbar. Auch wenn die Schweizer Militärbehörden solche Informationen zudem von den Flüchtlingen erhielten, bleibt auch hier die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Doch zusätzlich mit Informationen der Hilfsorganisationen und der Ende des Jahres 1942 Veröffentlichung seitens der Alliierten muss auch die Schweiz es ab einem gewissen Zeitpunkt gewusst haben. Wenn Informationen durch so viele unterschiedliche Kanäle fließen und alle dasselbe Ergebnis haben, fällt es schwer zu glauben, dass es möglich war, sich zu diesem Zeitpunkt noch der Wahrheit zu verschließen. Die Bundesbehörden hatten Kenntnisse von den systematischen Massentötungen und der Vernichtung der Juden. Demzufolge war auch das Schicksal der Zurückgewiesenen oder wieder Ausgewiesenen klar. Sie wurden in den Tod geschickt.
Auch die Darstellung des zu kleinen Rettungsbootes, dass mit 10.000 bis 12.000 Flüchtlingen schon stark besetzt sei, lässt sich im Nachhinein nicht halten. Zahlen belegen, dass mehr Flüchtlinge aufgenommen wurden als zuvor für möglich gehalten wurde. Und es muss sich natürlich gefragt werden, hat die Schweiz genug getan oder hätte es mehr sein können?
Auch wenn aufgrund der Faktenlage und der unterschiedlichen Untersuchungen zur Flüchtlingsfrage der Schweiz die Erkenntnis nicht zu verbergen ist, dass die Schweiz zu spät und zu wenig geholfen hat, darf nicht außer Acht gelassen werden, unter welchem unermesslichen Druck von außen die Verantwortlichen ihre Entscheidungen trafen. Sie waren für die Existenz des Staates verantwortlich. Sie hatten nicht nur für eine ausgeglichene Innenstabilität zu sorgen, sondern auch für eine ausgewogene Außenpolitik und für die Versorgung der Bevölkerung.
Edgar Bonjour betont, dass die Beurteilenden nicht die amtliche und private Leistung seines Volkes übersehen dürfen. Er schreibt, dass während der Kriegszeit 295.381 Flüchtlinge für kürzere oder längere Zeit in der Schweiz lebten. Hinzu kamen die zahlreichen Emigranten, die die Grenze schwarz passierten. Die Gesamtausgaben der Schweiz für die Flüchtlingsbetreuung beliefen sich auf 238 Millionen Franken.[22]
Doch hauptsächlich kümmerten sich private Hilfswerke um die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge und auch die finanzielle Regelung überließen die Behörden den Hilfsorganisationen, die unterstützt wurden durch finanzielle Spenden der Bevölkerung. Erst als sich die Organisationen an die Regierung wandten und vortrugen, dass sie dem Aufkommen finanziell nicht gewachsen seien, leistete die Regierung finanzielle Unterstützung.
Die Schweiz nahm im Verlauf des Krieges alles in allem 295.381 Flüchtlinge auf, die zum größten Teil nur vorübergehend in der Schweiz waren. Von diesen waren 103.869 Soldaten, die entweder aus der Kriegsgefangenschaft geflohen waren, sich freiwillig hatten internieren lassen, Fahnenflucht begannen hatten oder von dem Roten Kreuz aufgrund besonderer Verwundungen zur Erholung in die Schweiz gebracht wurden. Rund ein Fünftel (55.018) waren Zivilpersonen, die nach Kriegsausbruch in die Schweiz kamen, 9.909 Personen waren Emigranten, die noch vor Kriegsausbruch in die Schweiz gekommen waren. Ferner gab es 59.785 Kinder, die von dem Roten Kreuz zur Erholung in die Schweiz transportiert wurden oder sich in die Schweiz vor dem Krieg flüchteten; zu den 66.549 Grenzflüchtlinge kamen noch 251 politische Flüchtlinge in die Schweiz.[23]
Diese Zahlen sind enorm, wenn man bedenkt, dass Bundesrat in seiner rede davon ausging, dass lediglich 10.000 bis 12.000 Flüchtlinge auf das „Boot“ passen würden. Die Zahlen sind u.a. deshalb so hoch, weil die Auslegung der Anordnungen für das Ausweisen und Abweisen oft nicht konsequent befolgt wurden. Auch wenn die Schweizer Regierung eine restriktive Flüchtlingspolitik befolgte, halfen viele aus der Bevölkerung und es gab viele humane Grenzleute. Ähnlich verhält es sich mit den Zahlen der Abgewiesenen. Oftmals versuchten es die Flüchtlinge mehrmals entlang der Grenze und ebenso kam es vor, dass nicht alles dokumentiert wurde.
Die bloße Aufnahme von Flüchtlingen war und ist die eine Sache; eine andere Sache ist die Unterbringung, Ernährung und die dadurch entstandenen Kosten. Hierfür lohnt es sich, einen Blick auf die wirtschaftliche Lage der Schweiz zu werfen, wie sie sich während des Krieges darstellte und welche Probleme dabei auftraten.
4. Wirtschaftliche Entscheidungen versus Neutralität
Den größten Test der Schweizer Neutralität hatte die Wirtschaft zu bestehen. Der Lebensanspruch, mit allen Staaten Handel zu treiben, gefiel den kriegsführenden Staaten nicht. Sie versuchten, sich gegenseitig durch Blockaden von der Zufuhr wichtiger Waren abzuschnüren. Damit die Waren nicht über den Umweg der neutralen Länder an ihr Zielort gelangten, wurden auch diese in die Blockadepolitik mit einbezogen. Ähnlich wie im Ersten Weltkrieg bekam die Wirtschaftsblockade des Feindes eine wichtige Rolle, die mit Hilfe von Zertifikaten über die (End-) Bestimmung von Gütern und der schwarzen Liste zugunsten der Alliierten entschieden werden konnte. Ökonomische Isolation ist kein Luxus, den sich die Schweiz leisten konnte. Wie kein anderes Land in Europa war und ist die Schweiz von Importen aus dem Ausland abhängig, besonders von Lebensmittelimporten, der Lieferung von Kohle, Beton und anderen Rohstoffen. Dafür exportierte die Schweiz vor allem feinmechanische Instrumente, die für Präzisionsgeräte wie eine Stoppuhr oder auch Annäherungszünder nötig sind. Somit wurde der Erfolg der mitunter oft zähen Wirtschaftsverhandlungen mit den Kriegsparteien wichtig für den Erfolg.
„Mehr als die Hälfte ihrer damals 4,2 Millionen Einwohner wurden durch den Export beschäftigt und ernährt. Nennenswerte Bodenschätze fehlen; die Rohstoffe [...] sind durch Importe zu beschaffen. In der Vorkriegszeit rechnete man damit, dass die im eigenen Land produzierten Nahrungsmittel ausreichten, den Kalorienbedarf der Bevölkerung in der Schweiz während etwa sechs Monate zu decken.“[24] Diese Einschätzung spielte auch eine große Rolle, bei der schon erwähnten Beurteilung der Flüchtlingsfrage.
Markus Heiniger schreibt, dass die Schweiz nach dem Fall Frankreichs wirtschaftlich in das Dritte Reich eingebunden wurde; so wuchsen die Exporte der Schweiz von Eisen- und Stahlwaren von 1939 bis 1943 von 5,9 auf 107,3 Millionen Franken, von Maschinen- und Maschinenbestandteilen von 25,3 auf 156,6 Millionen, der Export von Instrumenten und Apparaten von 3,7 auf 97 Millionen Franken. Der deutsche Anteil am Export stieg von 15,5% 1937 bis auf 41,7% im Jahr 1942, während der Anteil am Import von 22,2 % 1937 bis auf 36,4% 1944 anstieg. Der Handel mit kriegswichtigen Materialien, also zum Beispiel Waffen, Munition, Maschinen zur Herstellung von Waffen oder Munition, sogenannte Präzisionsgeräte und anderes, nahm in den entscheidenden Jahren 1942 und 1943 stark zu. Heiniger merkt kritisch an, dass die Alliierten 1942 Waren in einem Gegenwert von 13,8 Millionen bekamen, in das Dritte Reich dagegen für 353 Millionen Franken exportiert wurde. Noch deutlicher 1943: Deutschland bekam Rüstungsgüter im Wert von 425 Millionen Franken, während die Alliierten mit 17,8 Millionen einen wesentlich geringeren Anteil am Export der Schweiz ausmachten.[25] Ende 1942 arbeitete der größte Teil der schweizerischen Industrie für das Dritte Reich: 80% der Industrie für Präzisionsinstrumente, 75% der Industrie für Uhrwerke, 70% der Elektroindustrie und 60% der schweizerischen Waffenindustrie.[26] Neuere Literatur dagegen gibt für die erste Hälfte von 1942 an, dass der Export zu den Achsenmächten 1,166 Millionen Schweizer Franken und zu den Alliierten 1,7 Millionen.[27] Diese Zahlen sind durchaus wichtig, wenn es um die Beurteilung der Neutralität geht, denn laut dem Haager Abkommen, ist der Handel eines neutralen Staates mit kriegsführenden Staaten ausgeglichen zu handhaben. Nur, welche Zahlen sind die relevanten?
Es sind jedoch nicht ausdrücklich diese Zahlen, die entscheidend sind. Wichtig sind dabei auch die Betrachtungen der weiteren Handelspartner der jeweiligen Parteien. Woher erhielten die Alliierten zusätzliche Kriegsmaterialien? Falls sie weitere gute Bezugsquellen besaßen, waren vielleicht ihre angebotenen Preise im Vergleich zu dem, was das Naziregime der Schweiz bot. Auch das spielt volkswirtschaftlich gesehen eine große Rolle für die Entscheidung der Schweiz, Handel mit Nazi-Deutschland zu führen. Eine Volkswirtschaft hat die Aufgabe, Wohlstand zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen. Durch eine Inflationshemmung gelingt es, innenpolitische Stabilität herzustellen, diese jedoch steht oft im Gegensatz zu außenpolitischen Belangen.
Die Lieferungen von Kriegsmaterialien wurden zum einen in Naturalien, also Rohstofflieferungen, bezahlt, welche die Schweiz benötigte, zum anderen mit Krediten, die von der eidgenössischen Regierung gewährt wurden. Wenn man die Kredite, etwa 1,2 Milliarden Franken, und die Goldlieferungen von etwa 1,6 Milliarden Franken, auf die ich weiter unten genauer eingehen werde, zusammenzählt, wie es etwa Werner Rings tat, kommt man auf eine Summe von etwa 3 Milliarden Franken, mit denen die deutsche Kriegswirtschaft von der Schweiz unterstützt wurde.[28] Gemessen an den gesamten Kriegskosten des Dritten Reiches, die von Professor Boelcke in einer Mitteilung an Werner Rings vom 24.1.1984 auf etwa 1.200 Milliarden geschätzt werden[29], mutet der Schweizer Beitrag eher gering an. Dabei wird aber vergessen, dass dieser Betrag von einem ,,neutralen" Land zum Teil freiwillig geleistet wurde und qualitativ hochwertiges Material umfasste. Außerdem verbietet das Neutralitätsrecht den Neutralen, Kredite für Kriegsmaterialien zu vergeben. Erlaubt seien diese nur durch private Unternehmen. Doch die sogenannten Clearingkredite, gewährt von der Schweizer Regierung durch das schweizerisch-deutsche Abkommen vom 9. August 1940, dienten der Kriegsfinanzierung.
Doch bleibt in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass sich ab 1941 der deutsche Wirtschaftsdruck verstärkte und in den darauffolgenden zwei Jahren sich zu Wirtschaftsdiktat entwickelte. Die Schweiz wurde von den Achsenmächten fast hermetisch gegen die Alliierten abgeschlossen und somit konnte jeder Import nur auf das Gebiet der Achsenmächte erfolgen. Dies bedurfte ihrer Genehmigung. Auch die Exporte bedurften einer Genehmigung, doch die der Alliierten, die den Seeweg beherrschten. Dies zeigt deutlich, dass die Schweiz für ihren wirtschaftlichen Bestand schwer zu kämpfen hatte. Es relativiert die Aussage Heinigers, dass Deutschland wirtschaftlich in das deutsche Reich eingebunden war.
Zum Verständnis der Schweizer Wirtschaftspolitik gehört auch der Neutralitätsaspekt. Auch dieser nimmt durch die dargestellte Situation für die Schweiz eine nicht unerhebliche Aufgabe in der Darstellung der Gesamtsituation ein, denn es ist gut vorstellbar, wie schwer es fiel, Handel nach den Grundsätzen der Neutralität zu betreiben unter diesen Voraussetzungen.
Für den Neutralitätsaspekt ist die Unterscheidung zwischen staatlichen und privaten Ausfuhren und Durchfuhren wichtig, denn nach dem Haager Abkommen „ist die Ausfuhr von Kriegsmaterial seitens eines neutralen Staates an einen kriegführenden Staat verboten, ebenso wie die Durchfuhr von Kriegsmaterial eines kriegführenden Staates durch neutrales Gebiet. Grundsätzlich zulässig ist dagegen die Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial an Kriegführende durch private Lieferanten.“[30]
Die UEK hat dargestellt, dass verschiedene Waffenlieferungen auf Veranlassung der Militärverwaltung erfolgte. Diese sei dem Bund zuzurechnen und damit eine Verletzung des Neutralitätsaspekt. Doch die UEK sieht es selbst als Neutralitätsverletzung an, dass die Schweiz nicht alle Zuglieferungen kontrollierten, denn wie oben aufgeführt, ist auch die Durchfuhr durch neutrales Gebiet nicht erlaubt. Doch erscheint es dem Laien ein schier unmögliches Verlangen, alle Lieferungen zu kontrollieren, sowohl vom logistischem Aufwand als auch von der generellen Praxis der Staaten untereinander.
Ebenso ist die Beurteilung Edgar Bonjours, dass die Rechtspflichten der Neutralen von der Schweiz missachtet worden seien, nicht zu halten. Auch die Alliierten drängten in ihren Verhandlungen auf einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen mit Deutschland und gaben damit Ausdruck, wie gering sie die wirtschaftliche Neutralität einschätzten.[31]
Nicht zu unterschätzen ist der Handel zwischen der Schweiz und Deutschland auf privater Ebene. Er nimmt einen Großteil der Exporte ein und ist dennoch separat zum Neutralitätsaspekt zu beurteilen, da dieser nur für staatliche Aktionen gilt. Die enge Beziehung, beruhend auf jahrelange Zusammenarbeit, zwischen den Unternehmen beider Länder führte dazu, dass viele Schweizer die Auswirkungen ihrer Transaktionen ignorierten und die kriminelle Natur des Regimes ihrer Handelspartner übersahen.[32]
Wie sah es mit den oben angesprochenen Goldlieferungen aus? Waren sie ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor oder nahmen sie eine eigene finanzpolitische Stellung ein?
5. Die Goldtransaktionen zwischen Deutschland und der Schweiz
5.1 Definition von Gold
Das deutsche Noteninstitut, die Reichsbank, war als Umschlagplatz für Gold für die Schweiz von zentraler Bedeutung. Es galt die Auffassung, „die Schweiz sei praktisch das einzige Land, durch dessen Vermittlung wir [...] Devisen durch Gold beschaffen, d.h. noch Gold kaufen können.“[33]
Einen Wirtschaftskrieg gegen die Schweiz konnte Deutschland nicht führen, da sie dann für militärische und andere handelspolitische Belange keine Schweizer Franken mehr erhalten würden. Diese Ausgangslage führte zu der hohen Bedeutung der schweizerisch-deutschen Finanzbeziehungen während der Kriegsjahre.
Bevor jedoch Zahlen und Fakten Erklärungen bieten sollen, ist es nicht unentscheidend, theoretische Definitionen und Erläuterungen darzubieten, z.B. die Unterscheidung zwischen monetärem und nichtmonetärem Gold, die oft in der Literatur auftaucht und auch als es um die Wiedergutmachung nach dem Krieg ging, war diese Einteilung die Übliche, da es in erster Linie um die Bezahlung der Kriegskosten ging. Das sogenannte Raubgold bzw. die Opfer, die beraubt wurden, hatten hinter diese Wiedergutmachung zurückzustehen.
Monetäres Gold fungierte als nationale Währungsreserve und befand sich im Verfügungsbereich von Zentralbanken. Unter nichtmonetäres Gold fällt alles übrige Gold, das von Privatpersonen und –unternehmen gehalten und gehandelt wurde.
Die UEK „verwendet den Begriff ‚Raubgold’ allgemein und übergreifend für jenes Gold, dessen sich das NS-Regime durch die auf den NS-Rassengesetzen beruhenden Vermögenskonfiskationen und seit dem Einsetzen der kriegerischen Expansion in weiten Teilen Europas bemächtigte.“[34]
Des Weiteren hat die UEK das Gold in fünf Kategorien geteilt. Wichtig für die vorliegende Arbeit sind die ersten drei. Erstens, Gold, das mit staatlichen Zwangsmitteln in die Gewalt der Reichsbank überging. Dabei waren Steuergesetze, Devisenbestimmungen, kriegswirtschaftliche Zwangsmassnahmen etc., genutzte Maßnahmen. Zweitens, konfisziertes und geplündertes Gold, u.a. im Rahmen der NS-Rassengesetzgebungen. So waren es vor allem eingetriebene Vermögenswerte der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Österreich bzw. durch Beraubung der Bevölkerung der einverleibten und besetzten Gebiete. Dieses auf diese Weise beschaffene Gold wurde in die Reserven der Reichsbank transferiert, über Schwarzmärkte verwertet oder gehortet.
Die dritte Kategorie ist das Opfergold, d.h. Gold, welches das NS-Regime ermordeten oder überlebenden Opfern der Ghettos, der Massenerschießungen sowie der Konzentrationslager entwendete. Die UEK bezeichnet dies auch als einen „großangelegten Raubzug auf Schmuckgold, Edelsteine und Devisen.“[35]
2.2 Die Unterscheidung zwischen Legalem und Illegalem Gold
Die sogenannten Clearingkredite der Schweiz an Deutschland, also die Verrechnung von einer Schuld mit einer (Waren-) Lieferung, - in diesem Fall wurden die Kredite an Deutschland mit Materiallieferungen wie Kohle oder Lebensmittel auf Grund eines Wirtschaftsabkommen von 1934 miteinander verrechnet[36] - betrugen trotzdem im Endeffekt etwa 1,119 Milliarden Schweizer Franken zu Lasten des Dritten Reiches. Ein Teil wurde durch die Goldlieferungen der deutschen Reichsbank an die Schweizerische Nationalbank (SNB) gedeckt, wobei ein Teil des Goldes, das die Reichsbank an die SNB schickte, dazu benutzt wurde, um strategische Rohstoffe zu bezahlen, teils direkt von dem Depot der Reichsbank aus, teils über den Umweg der SNB, wodurch das Gold gewaschen wurde. Diese Goldwäsche wurde notwendig, da schon ab 1942 die Alliierten neutrale Staaten vor der Annahme von deutschem Gold warnten, weil ihnen Informationen vorlagen, dass auch illegal in Besitz genommenes Gold über die Schweiz verkauft werden würde. Bevor diese Ausführungen genauer erläutert werden, ist es notwendig zu erklären, was man unter legaler beziehungsweise illegaler Inbesitznahme von Gold versteht und warum das Gold so wichtig ist.
Gemäß dem während des Zweiten Weltkrieges gültigen Völkerrecht darf ein siegreicher Staat das Eigentum des besiegten Staates als Kriegsbeute behandeln, aber nur das staatliche und nicht das private Eigentum. Ebenso wie die Schweizerische Nationalbank hatten sich auch unter anderem die Niederländische und Belgische Nationalbank schon vor dem Krieg in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, damit das Gold der Notenbanken auch durch das Völkerrecht geschützt ist. Dementsprechend wird von legalem Beutegold gesprochen, wenn es sich um staatliches Eigentum gehandelt hat; analog dazu wird Gold privater Herkunft als illegales Raubgold definiert, also in diesem Fall auch das Gold der Holländischen und Belgischen Nationalbank, das auf unrechtliche Art und Weise in den Besitz von Deutschland und von dort ebenso widerrechtlich in die Schweiz gelangte und weiter verkauft wurde.[37]
Das holländische und belgische Gold machte etwa ein Drittel des gesamten Goldwertes aus, der während des Krieges in die Schweiz floss. Des Weiteren muss es möglich sein, die Herkunft des Goldes nachweisen zu können, da es sonst nicht legal ist.
Ein weiterer, geringer Anteil an dem ,,looted gold", wie das Raubgold von den Alliierten während und nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet wurde, stammt aus einer anderen Quelle: das sogenannte Melmer-Gold, das Gold derer, die in den Konzentrationslagern umgebracht wurden. Benannt wurde das Gold aus den Konzentrationslagern nach dem Leiter des Amtes AII des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes, dem SS-Hauptsturmführer Bruno Melmer, der diese Transaktionen vornahm.[38]
5.3 Ausmaß der Goldtransaktionen
Die deutsche Kriegswirtschaft war im großen Maße von Importen der wichtigen Rohstoffe abhängig. Mangan, das zur Herstellung von u. a. Kanonenrohren oder Gewehrläufen benötigt wurde, musste zu 100% aus Spanien importiert werden. Wolfram, ein Grundstoff der Stahl-Wolfram-Legierungen, welches genutzt wurde, um Stahl schneller und besser zu erhärten, was einen entscheiden Beitrag für die Panzerherstellung bzw. -sicherung für Deutschland darstellte, wurde zu 75,9% aus Portugal importiert. Chrom, benötigt für rostfreien Stahl, Kugellager oder Granathülsen, wurde 1943 zu 99,8% aus der Türkei importiert.[39]
Bezahlt wurden diese Lieferungen entweder in Gold oder in Schweizer Franken. Während des Krieges lieferte die deutsche Reichsbank Gold für insgesamt 594,3 Millionen Dollar in das Ausland. Davon entfielen 4,6 Millionen Dollar auf die Schwedische Nationalbank, 5,7 Millionen auf die Türkische Nationalbank, was direkt und ohne Umweg über die Schweiz an das Land geliefert wurde; der Anteil des in die Schweiz gelieferten Goldes betrug 450,2 Millionen Dollar, von denen 389,2 Millionen der Schweizerische Nationalbank (SNB) zufielen und 61,2 Millionen direkt schweizerischen Geschäftsbanken zugute kamen.[40]
Die SNB handelte ebenfalls mit bedeutender Menge Gold von den westlichen Alliierten. Sie kaufte von 1941 bis 1945 in den USA und Großbritannien Gold im Wert von 2,9 Milliarden Franken. Diese Transaktionen wurden, im Gegensatz zu den Goldlieferungen der Reichsbank, mit legal erworbenen Währungsreserven durchgeführt und resultierten zu einem Grossteil aus transatlantischen Kapitalbewegungen.[41]
Zu erklären ist diese Abweichung von der nach Neutralitätsaspekten geforderte Ausgleich im Handel von Gold zwischen den kriegsführenden Parteien u.a. damit, dass dich die Lage verschärfte, als am 22. Juni 1941 sämtliche kontinentaleuropäischen Guthaben in den Vereinigten Staaten gesperrt wurden. Davon war auch die SNB betroffen, denn ein großer Teil ihrer Goldreserven befand sich in den USA.
Interessant ist auch die Tatsache, dass die Goldeinfuhr von 17,1 Millionen im Jahr 1939 auf 596,9 Millionen im Jahr 1943 anstieg, was eindeutig den Höhepunkt im gesamten Kriegsverlauf darstellt. Im Jahr 1944 waren es nur noch 258,2 Millionen und 1945 war man fast auf den Stand von 1939 mit 15,8 Millionen.[42]
Wie ist dieser enorme Anstieg zu erklären? Welche wirtschaftlichen Zwecke stehen dahinter, sowohl für Deutschland als auch für die Schweiz?
Im Jahr 1942 nahmen die Geschäfte auf dem Schweizer Goldmarkt immer mehr zu, denn die in- und ausländische Nachfrage nach Gold erreichte einen neuen Höhepunkt. Die Schweizer Politik der Währungshüter war in fünf Grundsätze gegliedert: reibungslose Kooperation mit dem Noteninstitut des NS-Staates, Sicherstellung der Landversorgung, Aufrechterhaltung der Konvertibilität des Schweizer Franken, Bekämpfung einer unkontrollierten Preisentwicklung und Sicherung der inländischen Goldbestände. Wichtig für diese Politik waren die Goldtransaktionen mit der Reichsbank.[43]
Außerdem war Gold eine entscheidende Grundlage für den wirtschaftlichen Aufbau der Schweiz nach dem Krieg, denn wichtig ist immer, was kommt nach dem Krieg, wie wird sich das Land entwickeln, wer werden die zukünftigen Handelspartner sein. Die Schweiz wollte auf jeden Fall verhindern, dass sich die soziale Instabilität der Nachkriegszeit nach 1918 wiederholte.
Auch für Deutschland spielten die Goldtransaktionen eine nicht unwesentliche Rolle, denn dieses hatte eine große Nachfrage nach kriegswichtigen Rohstoffen aus Portugal, z.B. Wolfram. Diese Rohstoffe konnte Deutschland durch die eingebrachten Erträge der Goldverkäufe an die Schweiz bezahlen. Schweizer Franken waren in den Dreißiger Jahren neben Dollar die wichtigste Währung.
Das Nachlassen der Goldeinfuhr aus Deutschland nach 1943 lässt sich demzufolge nur damit erklären, dass sich eine Niederlage für das NS-Regime als immer wahrscheinlicher abzeichnete. Der Kriegsverlauf erwies sich als nicht siegreich für Deutschland, die Alliierten landeten am 9./10. Juli 1944 auf Sizilien und am 13. Oktober desselben Jahres wandte sich der einstige Verbündete gegen Deutschland und erklärte ihm den Krieg. Des Weiteren verschärften sich die Warnungen der Alliierten bezüglich der unrechtmäßigen Aneignung des Goldes durch den NS-Staat.
Im Sommer 1942 verbreiteten britische Radiosendungen, dass Deutschland mit Raubgold handeln würde, während etwa ein halbes Jahr später im Januar 1943 die offizielle Warnung durch ein von mehreren Regierungen unterzeichnetes Memorandum den nicht vom Krieg betroffenen Ländern zugestellt wurde, in dem es hieß, dass die Alliierten alle Transaktionen mit Waren oder anderen Sachen aus dem besetzten Einflussbereich von Deutschland für nichtig erklären würden. Die Warnungen nahmen von Mal zu Mal an Deutlichkeit zu. Von schweizerischer Seite aus wurde dagegen argumentiert, dass es nicht erwiesen sei, dass Deutschland mit Raubgold handeln würde und dass infolge von höherer Gewalt die Schweiz fast gegen ihren Willen zu dem einzigen Markt geworden sei, auf dem man Gold und Devisen kaufen könne. Mit dem Gold sollte die eigene Versorgung sichergestellt werden, da infolge der Blockade seitens der Alliierten, wodurch die Finanzmittel derer, die von Hitler überfallen und besetzt wurden oder sich mit Hitler verbündet hatten, eingefroren wurden, der Export und Import erschwert worden war.[44]
Dies führte zu einer zunehmenden Zurückhaltung der SNB gegenüber den Wünschen des NS-Regimes, doch obwohl sich diese Haltung noch verstärkte mit der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944, rang sich die Schweiz nie zu einer grundsätzlichen Zurückweisung des angebotenen Goldes durch.
Das lässt sich nur durch die Tatsache etwas abmildern, dass die Erträge aus den Goldverkäufen ausschließlich in der Schweiz genutzt werden sollten. Damit sollten schweizerische Finanzgläubiger befriedigt werden.[45]
Rückgreifend auf den Neutralitätsbegriff von Albrecht stellt sich auch hier die Frage nach der Neutralität. Wie ist es mit dem Begriff des neutralen Staates vereinbar, dass die Goldtransaktionen der Schweiz mit Deutschland während des Krieges auf das 35fache anstiegen, wenn denn Neutralität fordert, weiterhin die normalen Vorkriegsbedingungen aufrechtzuerhalten? Neuere Veröffentlichungen gehen dazu über, dass die Schweiz den Goldhandel einzig aus volkswirtschaftlichen Gründen berieb, der Aspekt der Neutralität wurde erst im Nachhinein als Argumentationslinie zur Rechtfertigung für den massiven Goldhandel eingesetzt.[46]
5.4 Resümee der Transaktionen
Die Schweiz hatte wachsende Handelsdefizite gegenüber Ländern wie Rumänien, Spanien, Ungarn, Türkei und Portugal und musste diese durch Goldabgaben ausgleichen, um die Lieferung wichtiger Rohstoffe zu gewährleisten. Die Länder Südosteuropas bestanden auf die Bezahlung mit Gold. Hinzu kam der Bedeutungsverlust des Dollars nach dem Kriegseintritt der USA, der die Wichtigkeit des Goldes noch verstärkte.[47]
Die Schweiz gab an, ihre Reserven aus währungspolitischen Motiven aufstocken zu wollen, so u.a. die Sorge um die Deckung des Notenumlaufs mit Inlandgold und die damit verbundene Konvertibilität des Frankens. Eine Politik, deren Grundlagen sich in der Zwischenkriegszeit verfestigten, in deren Zentrum die Verteidigung des Finanzplatzes und einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz stand und die während der Kriegsjahre mit der Sicherung der Landesversorgung verbunden wurde
Doch wie ist es zu erklären, dass trotz aufgefüllter Reserven die SNB auch nach 1943 ihre Rolle als Drehscheibe für die Goldtransaktionen der Reichsbank weiterhin wahrnahm?
Die während des Zweiten Weltkriegs erfolgten Goldtransaktionen zwischen der Reichsbank und der SNB sind rechtlich insofern problematisch, als sich darunter Gold befand, das von den deutschen Behörden völkerrechtswidrig entzogen wurde. So enthielt das gelieferte Gold insbesondere Raubgold. Diese Maßnahmen stellten einen groben Verstoß gegen den in der Haager Landkriegsordnung garantierten Schutz des Privateigentums dar.
„Währungs- und stabilitätspolitisch gesehen, konnten sich die Währungshüter mit der von ihnen verfolgten Goldpolitik zufrieden erklären. Sie hatte dazu beigetragen, dass die Grundlagen schweizerischer Währungspolitik den Krieg unbeschadet überstanden. Die Stabilität des Frankens blieb gewährleistet, das Vertrauen in die schweizerische Valuta hatte zugenommen, die Inflation konnte in Grenzen gehalten werden...“[48]
Doch zu welchem Preis? Passte das Wissen um die Herkunft des Goldes, zumindest in den späteren Kriegsjahren, zu dem Neutralitätsbestreben der Schweiz? Rückblickend lässt sich sagen, dass die Schweiz sicher nicht das einzige neutrale Land mit Wirtschafts- bzw. Goldtransferbeziehungen zu Deutschland war, aber sicher doch eines der intensivsten, vor allem was den Goldhandel angeht. Innerhalb des schweizerischen Außenhandels nahm das Dritte Reich eine Spitzenposition ein.
Die UEK beschreibt die Möglichkeit der SNB nach dem Schweizer Zivilgesetzbuch, Gold anzukaufen, wenn sie nachweisen kann, dass sie gutgläubig gehandelt hat und nichts über die Herkunft wusste. Aber auch die UEK kommt zu der Erkenntnis, dass diese Argumentation spätestens seit dem Jahre 1943 nicht mehr geltend gemacht werden kann.[49] Außerdem vernachlässigt die UEK bei ihrer ausführlichen Erklärung für die Schweiz die anderen neutralen Länder.
Dennoch war das Argument der Neutralität das Wichtigste, mit dem sich die Schweiz rechtfertigte. Die SNB betonte die neutrale Haltung bei den Goldtransaktionen. „Die sich daraus notwendigerweise ergebende Gleichbehandlung der beiden Kriegsparteien ließ ihr schlechterdings gar keine andere Wahl, als das offerierte Gold [...] von beiden Kriegsparteien anzunehmen. Es wäre undenkbar gewesen, von alliierter Seite Gold, ja sogar gesperrtes Gold, anzunehmen, Deutschland gegenüber aber die Übernahme von Gold, das der Nationalbank zugestellt wurde und über das sie daher frei verfügen konnte, abzulehnen.“[50]
Doch Schweizer Eliten selbst, gestehen, dass es nicht notwendig sei, Gold von beiden Seiten anzunehmen, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass das Gold nicht rechtmäßig erworben wurde. Und das dies ab einem gewissen Zeitraum gewusst wurde lässt sich nicht bestreiten. Wenn es ein festes Neutralitätsprinzip gibt, dann sicher jenes, der Nichtbeteiligung an einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten. Selbst wenn man die Neutralität auf den wirtschaftlichen Bereich ausdehnt, dann jedoch nur bis zu dem Punkt, wo man nicht sicher was über die Unrechtmäßigkeit des Goldes weiß. Sobald jedoch die Schweiz davon wusste, hätte sie das Gold nicht mehr ankaufen dürfen. Somit verliert der Neutralitätsbegriff für diese Transaktionen seine Grundlage.
6. Die Bedeutung der Schutzmachtstellung der neutralen Schweiz
Doch es gab nicht nur negative Aspekte einer neutralen Schweiz während des Zweiten Weltkrieges, wie die Wirtschaftsbeziehungen oder das Verhalten bei der Flüchtlingsthematik, sondern auch durchaus positive, wie zum Beispiel die Schutzmachtstellung der Schweiz oder die Aktivitäten des Roten Kreuzes.
Auch in Kriegszeiten ist jeder Staat in seinem Verhalten gegenüber Angehörigen von Kriegsparteien auf seinem Land an Grundsätze des Völkerrechts gebunden. Da der Heimatstaat diese Rechte nicht direkt geltend machen kann, kann dies ein dritter, neutraler Staat übernehmen. Die beauftragte Schutzmacht handelt somit nicht aus eigenem Antrieb, sondern als eine Art Stellvertreterin des Auftraggebers.[51]
Aufgabe der Schutzmacht ist es dafür zu sorgen, dass Kriegsgefangene und andere internierte Personengruppen gemäß den internationalen Bestimmungen behandelt werden, sie organisiert gegebenenfalls mit Hilfe des Roten Kreuzes einen Austausch und sorgt dafür, dass Personen, die von dem Kriegsausbruch im Ausland überrascht und sonst interniert werden, in das Heimatland reisen können.
Da die Schweiz auf eine lange Tradition der Neutralität zurückblicken konnte und ihr vom Ausland aufgrund der Stabilität des außenpolitischen Prinzips und der Annahme, die Schweiz werde seine Neutralität bis zum Ende des Krieges aufrecht erhalten, wurde ihr Vertrauen entgegengebracht. Sie wurde zur bevorzugten Schutzmacht, auch infolge ihrer geopolitischen Lage und ihrer Verbundenheit mit verschiedenen Sprachen und Kulturen. Während des Zweiten Weltkrieges betreute die Schweiz auf diese Weise 43 Staaten, wobei sich diese Unterstützung nicht immer nur auf Menschen bezogen hat, sondern auch auf Lebensmittel, Kleider und andere Dinge.[52]
Auch der Juden in Deutschland und in den von ihnen besetzten Gebieten nahm sich die schweizerische Schutzmacht an, sofern dies möglich war. Dadurch wurden Hunderte von deutschen, polnischen und balkanischen Juden gegen Deutsche aus Palästina ausgetauscht werden. Und als 1944 die Juden in Ungarn durch die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie bedroht waren, konnte die Schweiz Zehntausende durch die Vermittlung von Pässen nach Palästina und die USA retten. Im ganzen sind etwa 35.000 Zivilisten ausgetauscht, Zehntausende von Schwerverwundeten nach Hause befördert und unzählige vom Krieg Misshandelte unterstützt worden.[53]
7. Fazit
Doch können solche durchaus positiven Aspekte der Schweiz nicht den verheerenden Gesamteindruck des Verhaltens gegenüber dem Nationalsozialismus beschönigen.
Jetzt nach dem Ende des Kalten Krieges sind auch die Archive der ehemaligen Sowjetunion zugänglich, zumal in den nächsten Jahren, über 60 Jahre nach Kriegsende, einige Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, da die Geheimhaltungsfrist schon abgelaufen. So gesehen steht einer Aufarbeitung der Vergangenheit in der Schweiz nichts oder nur wenig im Wege.
Das Verhalten der Schweiz während des Krieges war gefärbt von ihrer historischen Entwicklung und politischer Kultur. Neutralität war ein wichtiger Bestandteil der historischen Schweizer Identität.
Es stellt sich die Frage, warum die Schweiz als Schutzmacht solch hervorragenden Leistungen vorzuweisen hatte, bei der Asylpolitik im eigenen Land allerdings eher unzureichende Erfolge vorweisen kann. Vielleicht spielt es eine Rolle, dass sich die Tätigkeiten der Schutzmachtfunktion hauptsächlich außerhalb des eigenen Staates abspielte und sich damit die Gefahr vor Überfremdung, wirtschaftlichen Problemen und Ernährungsproblemen nicht ergab. Dies zu beurteilen ist nicht möglich, denn dazu gibt es keine Dokumentationen. Es ist lediglich ein Gedanke, den es bei Bedarf weiterzuverfolgen gilt.
Das im Zweiten Weltkrieg geltende Neutralitätsrecht verpflichtete die neutralen Staaten grundsätzlich nicht dazu, ihre Wirtschaftsbeziehungen mit den kriegführenden Staaten abzubrechen. Eine allgemeine Pflicht zur wirtschaftlichen Neutralität bestand nach herrschender Lehre und Praxis nicht. Dass die Schweiz sich handelspolitisch in einem harten und mühseligen Ringen mit den Achsenmächten behauptet hat, habe ich oben verdeutlicht. Der militärische Konflikt blieb der Schweiz erspart, nicht jedoch das Kämpfen um das ökonomische Überleben. In den Verhandlungen mit den Kriegsparteien mussten sie Zugeständnisse machen, die auch die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralität in Mitleidenschaft zogen. Doch die Wirtschaftsverhandlungen mussten in erster Linie dafür Sorge tragen, dass die wirtschaftliche Lebensfähigkeit und Unabhängigkeit der Schweiz gewahrt blieb. Dies ist der Schweizer Regierung gelungen. Klaus Urner beurteilt die wirtschaftlichen Aktivitäten der Schweiz wie folgt: „Selbst eine kritische Beurteilung wird die immense im Rahmen der Außenhandelspolitik erbrachte Leistung anerkennen, trotz der doppelten Blockade das wirtschaftliche Überleben gesichert und auch langfristig die militärische Verteidigungsbereitschaft gestärkt zu haben, die in erster Linie für die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralität einzustehen hatte.[54]
Wie sind die zahlreichen Goldtransaktionen zwischen der SNB und der deutschen Reichsbank hinsichtlich dieser Erkenntnis zu beurteilen? Generell widersprachen sie nicht dem geltenden Neutralitätsrecht. Andererseits rechtfertigte die Neutralität der Schweiz keineswegs den Erwerb von völkerrechtswidrig entzogenem Gold.
Maßgeblich bei der Beurteilung dieser Goldkäufe sind vielmehr der in der Haager Landkriegsordnung festgelegte Eigentumsschutz sowie andere völkerrechtliche Prinzipien. Diese Arbeit hat herausgestellt, dass die Goldtransaktionen bis zu einem gewissen Umfang Teil der wirtschaftspolitischen Strategie des Überlebens der Schweiz war und demzufolge akzeptiert werden können. Dennoch hat die Schweiz sich nicht rühmlich verhalten, wenn trotz der Kenntnisse über Verfolgungen und Massenvernichtungen und damit dem Bewusstsein, dass ein Teil des Goldes Raubgold war, den Handel weiter aufrecht erhielt.
In der Zusammenfassung der Grenzpolitik, der Gelegenheiten zum Handel und den finanziellen Transaktionen stellt das Schließen der Grenzen möglicherweise das größte Problem dar, mit dem die Aufarbeitung des Schweizer Verhalten während des Zweiten Weltkrieges zu kämpfen hat.
Erstaunlicherweise zeichnet die UEK, im Gegensatz zu denen in der Arbeit angegebenen Zahlen von Hässler, nur 50.793 Flüchtlinge auf, die während des Krieges aufgenommen wurden. Es finden sich in verschiedenen Literaturen verschiedene Angaben. Wie ist dieser Unterschied zu erklären und vor allem, wie entsteht eine solch große Diskrepanz zwischen den Werten?
Diese Frage konnte auch die vorliegende Arbeit nicht erklären, doch sei zu beachten, dass die UEK neben ihren wesentlich geringeren Zahlen an aufgenommenen Flüchtlingen in ihren Werken das Bild einer inhumanen Schweiz zeigt und in ihrem Schlussbericht gar zu der Ansicht gelangt ist, dass durch die schweizerische Flüchtlingspolitik die Ziele des Nationalsozialismus erreicht werden konnten. Das Bild eines Landes, das gegen Flüchtlinge hermetisch abgeschlossen blieb ist das Bild, dass die UEK herausgearbeitet hat. Diese doch etwas vereinfachte Sicht der Darstellung lässt auch Zweifel über die Angaben der richtigen Flüchtlingszahlen, vor allem, wenn sie so enorm auseinander klaffen. Die Arbeit kann nur Denkansätze bieten, warum Entscheidungen so getroffen wurden. Mir erscheint es zum Teil durchaus als angebracht, die Argumentation der Schweizer Behörden bezüglich der Ernährungsfrage von Flüchtlingen zu akzeptieren, bedenkt man, dass von der verschärften britischen Blockadepolitik seit dem 1. September 1941 in erster Linie Baumwolle, Wolle, Kautschuk, technische Fette und Öle sowie ab 1943 gar Brotgetreide, Fettstoffe, Zucker, Kakao, Kaffee, Tee, Malz und Tabak betroffen waren.[55] Die Aufnahme der Flüchtlinge in ein Land ist die eine Sache, sie dort zu versorgen eine andere. Wie jedoch auch herausgearbeitet wurde, war das nicht der einzige Aspekt für die Beurteilung der restriktiven Asylpolitik der Schweizer Behörden. Aber es trägt zum Verständnis bei.
Der Schweizer Autor Bonjour beschreibt die Flüchtlingspolitik insgesamt als unzureichend, hebt jedoch statt ausschließlicher Kritik die einzigartige Stellung der Schweiz als Schutzmacht hervor. So wie sein Werk sind viele Veröffentlichungen davon geprägt, nicht ausschließlich zu kritisieren, sondern zu versuchen, entweder die zeitlichen Umstände zu berücksichtigen oder andere Erklärungsansätze für das damalige Verhalten anzubringen.
Aus der heutigen Perspektive kann die Schweiz als Nation gesehen werden, die ein graues Feld einnahm zwischen dem schwarzen Feld der Zusammenarbeit mit dem Dritten Reich und dem weißen Feld des Widerstands gegen das Naziregime.[56]
Der Nationalrat Dr. Christoph Blocher hält bei einer Rede 1997 sehr eindrucksvoll fest, dass es auf das Ganze ankommt, denn „wem käme es in den Sinn, den Engländern in erster Linie die Politik Chamberlains, den Amerikanern das zu späte Eingreifen in den Krieg, der Sowjetunion in erster Linie den Nichtangriffspakt mit Hitler vorzuwerfen?“[57]
Die Beurteilung des Fehlverhaltens der Schweizer Behörden in manchen Punkten können nicht über den Verdienst der Schweiz hinwegsteigen. Dem damaligen Verständnis von Neutralität in Übereinstimmung mit den regeln des Völkerrechts kam die Schweiz im Großen und Ganzen nach. Die Regierung schöpfte nicht alle Möglichkeiten aus, trug aber dennoch dazu bei, eine nicht unerhebliche Zahl von Menschenleben zu retten. Das entbindet die Schweiz aber nicht von ihrer Mitverantwortung.
Literatur:
Albrecht, Kurt: Neutralität und Presse. Die publizistische Haltung der schweiz während des Kriegsjahres 1939/40 und ihre völkerrechtliche Beurteilung, Dresden 1942
Angst, Kenneth (Hrsg.): Der zweite Weltkrieg und die Schweiz, Zürich 1997
Bonjour, Edgar: Geschichte der schweizerischen Neutralität, Basel 1978
Häsler, Alfred: Das Boot ist voll. Die Schweiz und die Flüchtlinge 1933-1945, Zürich 1992
Heiniger, Markus: 13 Gründe. Warum die Schweiz im 2. Weltkrieg nicht erobert wurde, Zürich 1989
Hoerschelmann, Claudia: Exilland Schweiz. Lebensbedingungen und Schicksale österreichischer Flüchtlinge 1938-1945, Wien 1997
Neville Wylie: European Neutrals and Non-Belligerents During the Second World War, Cambridge, 2001
Petropoulos, Jonathan: Co-Opting Nazi Germany: Neutrality in Europe During World War II, blackboard
Piekalkiewicz, Janusz: Schweiz 1939-45. Krieg in einem neutralem Land, München/Berlin 1997
Pro Libertate: Das Ende der J-Stempel-Saga. Fallbeispiel von Geschichtsprägung durch Medienmacht, Nr. 11, Februar 1999
Rings, Werner: Schweiz im Krieg 1939-45, Zürich 1997
Rings, Werner: Raubgold aus Deutschland. Die ,,Golddrehscheibe Schweiz im Zweiten Weltkrieg, München 1996
Schäfer, Stefan: Hitler und die Schweiz. Deutsche militärische Planungen 1939-1943 und die „Raubgold“-Frage, Berlin 1998
Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Hg.): Die Schweiz und die Goldtransaktionen im Zweiten Weltkrieg, Band 16, Zürich 2002
Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Hg.): Die Schweiz und die Flüchtlinge des Nationalsozialismus, Band 17, Zürich 2001
Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg (Hg.): Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. 18: Band 1, Öffentliches Recht, Zürich 2001 http://www.uek.ch/de/schlussbericht/Publikationen/Zusammenfassungenpdf/16d.pdf
[...]
[1] Häsler, A., 1989, im Vorwort
[2] Albrecht, K., 1942, S. 11
[3] UEK, Bd. 18, S. 2
[4] Bonjour, E., 1978, S. 84
[5] Piekalkiewicz, J., 1997, S. 10f
[6] UEK, Bd. 17, 2001, S. 73ff
[7] UEK, Bd. 17, 2001, S. 32f
[8] UEK, Bd. 17, 2001, S. 98f
[9] Pro Libertate, 1999
[10] Pro Libertate, 1999, S. 47
[11] UEK, Bd. 17, 2001, S. 109
[12] Häsler, A., 1992, S.88f, Bonjour, E., 1978, S. 169
[13] Rings, W., 1997, S.336
[14] Häsler, A., 1992, S.88ff
[15] Bonjour, E., 1978, S. 170
[16] Häsler, A., 1992, S.290f
[17] Häsler, A., 1992, S. 122
[18] Bonjour, E., 1978, S. 170
[19] UEK, Bd. 17, S. 403ff
[20] Bonjour, E., 1978, S. 170
[21] UEK, Bd. 17, 2001, S. 114
[22] Bonjour, E., 1978, S. 171
[23] Häsler, A., 1992, S.338
[24] Urner, Klaus, in: Angst, K., 1997, S. 47
[25] Heiniger, M., 1989 , S.66ff
[26] Rings, W., 1997, S.135
[27] Wylie, N., 2001, S. 342
[28] Rings, W., 1997, S. 167ff
[29] Rings, W., 1997, S. 221
[30] UEK, Bd. 18, S. 2
[31] Urner, Klaus, in: Angst, K., 1997, S. 79f
[32] Wylie, N., 2001, S. 342
[33] UEK, Bd. 16, S. 38
[34] UEK, Bd. 16, S. 42f
[35] UEK, Bd. 16, S. 43
[36] Heiniger, M., 1989 , S. 105ff
[37] Rings, W., 1997, S. 17f
[38] UEK, 1997, S. 8
[39] Rings, W., 1997, S. 30f
[40] Rings, W., 1997, S. 69f
[41] http://www.uek.ch/de/schlussbericht/Publikationen/Zusammenfassungenpdf/16d.pdf, S. 1
[42] UEK, Bd. 16, S. 67
[43] UEK, Bd. 16, S. 99
[44] Rings, W., 1997, S. 71ff
[45] UEK, Bd. 16, S. 103f
[46] Wylie, N., 2001, S. 343
[47] UEK, Bd. 16, S. 99f
[48] UEK, Bd. 16, S. 105
[49] UEK, Bd. 18, S. 3
[50] UEK, Bd. 16, S. 194f
[51] Bonjour, E., 1978, S. 177
[52] Bonjour, E., 1978, S. 177
[53] Bonjour, E., 1978, S. 179
[54] Urner, Klaus, in : Angst, K., 1997, S. 80
[55] Bonjour, E., 1978, S. 191
[56] Petropoulos, J., S. 1
[57] Pro Libertate, 1999, S. 17
- Quote paper
- Anja Engel (Author), 2006, Die Schweiz und ihr Neutralitätsstatus während des Zweiten Weltkrieges. Ihre Diskrepanz zwischen monetären und sozialen Interessen., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60389
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