Schillers bürgerliches Trauerspiel „Kabale und Liebe“ aus dem Jahr 17 hat auch heute nicht an seiner Aktualität verloren. Es eignet sich besonders für die Betrachtung der Beziehungen zwischen Vater und Tochter, Vater und Sohn sowie zwischen Mann und Frau allgemein. Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen sollen genau diese Beziehungsgeflechte stehen, die dem Mann in vielen Fällen mehr Autorität zusprechen als der Frau. Ich werde mich damit auseinander setzen, warum sich die Väter im 18. Jahrhundert zwischen Herrschaft und Zärtlichkeit gegenüber den anderen Familienmitgliedern befanden, und wie sie sich in ihre neue Rolle einzufügen versuchten. Da es sich in „Kabale und Liebe“ nicht nur um die bürgerliche Familie Miller handelt, werde ich auch die Vater-Sohn Beziehung in der adligen Familie von Walter näher durchleuchten. Um einen Hintergrund und eine Basis für die genaue Untersuchung am Werk selbst zu geben, werde ich zuerst allgemein auf die Familie im 18. und 19. Jahrhundert eingehen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Familie im 18. und 19. Jahrhundert
3. Autorität in der bürgerlichen und in der adligen Familie
3.1 Die bürgerliche Familie Miller
3.2 Die adlige Familie von Walter
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Schillers bürgerliches Trauerspiel „Kabale und Liebe“ aus dem Jahr 17 hat auch heute nicht an seiner Aktualität verloren. Es eignet sich besonders für die Betrachtung der Beziehungen zwischen Vater und Tochter, Vater und Sohn sowie zwischen Mann und Frau allgemein.
Im Mittelpunkt meiner Betrachtungen sollen genau diese Beziehungsgeflechte stehen, die dem Mann in vielen Fällen mehr Autorität zusprechen als der Frau. Ich werde mich damit auseinander setzen, warum sich die Väter im 18. Jahrhundert zwischen Herrschaft und Zärtlichkeit gegenüber den anderen Familienmitgliedern befanden, und wie sie sich in ihre neue Rolle einzufügen versuchten. Da es sich in „Kabale und Liebe“ nicht nur um die bürgerliche Familie Miller handelt, werde ich auch die Vater-Sohn Beziehung in der adligen Familie von Walter näher durchleuchten.
Um einen Hintergrund und eine Basis für die genaue Untersuchung am Werk selbst zu geben, werde ich zuerst allgemein auf die Familie im 18. und 19. Jahrhundert eingehen.
2. Familie im 18. und 19. Jahrhundert
Anders als in den Jahrhunderten zuvor, erhält der Begriff Familie im 18. Jahrhundert eine Aufwertung. Waren ehemals Hausangestellte mit zur Familie gezählt worden, so zählten im 18. Jahrhundert nur noch die Familienmitglieder direkt zur Familie. Bis zur Industriellen Revolution sprach man auch von einer Produktionsfamilie, also einer Wirtschaftsgemeinschaft.[1] Der Familienbegriff hat sich dann von einer ökonomischen Zweckgemeinschaft hin zu einer Liebesgemeinschaft gewandelt. Die Familie war nun nicht mehr nur „durch patriarchalische Herrschaftsverhältnisse“ gekennzeichnet, „sondern ebenso durch persönliche, gefühlvolle Beziehungen“.[2]
Aufgabe der Familie sollte es sein, Ruhe, Glück, Zufriedenheit und Liebe zu sichern, alles, was außerhalb der Familie nur schwer zu finden war. Allerdings war es oft nur eine Idealvorstellung, dass innerhalb der Familie keine Spannungen auftreten. Die Spannungsverhältnisse in den Familien entstanden häufig durch Autoritätsprobleme und durch Auftreten eines vermeintlichen Konkurrenten für den Hausvater, wenn seine Tochter beispielsweise in eine neue Familie einheiraten sollte. So waren auch beim Bürgertum Gebote zu finden, auf deren Einhaltung streng geachtet wurde. Zum Beispiel durfte eine Tochter nicht in einen anderen Stand einheiraten, da die Standesgrenzen für das Bürgertum unumstößlich waren.
Der Aufstieg des Bürgertums, der sich im 18. Jahrhundert vollzog, führte zur Suche nach einer neuen Identität. Das Vertrauen auf die eigene Leistungsfähigkeit wird zur Grundlage des neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins. Dieses bürgerliche Selbstbewusstsein nährt sich dann in der Familie, die sich durch Konzentration auf die ‚inneren’ Werte von der Verschwendungssucht der Adligen und deren „starren oberflächlichen Konventionen“ abzusetzen versuchte.[3] Besonders an Bedeutung gewonnen hat in diesem Zusammenhang „die veränderte Auffassung von Liebe und Ehe“, die nun auch „persönliches Glück“ versprechen sollte. Dennoch war die häufigste Art der Eheschließung die Konvenienzehe, da wirtschaftliche Faktoren bei der Heirat eine große Rolle spielten.[4]
Für die Familie standen im 18. Jahrhundert die Begriffe „Liebe“, „Empfindung“ und „Zärtlichkeit“ im Mittelpunkt.[5] Die Familie galt als eine zentrale soziale Einheit, die einen ungewöhnlich hohen Stellenwert besaß. Der neue Familiendiskurs, in dem die Familie ein harmonisches Idealbild abgeben soll, legt besonders Wert auf das Eltern–Kind–Verhältnis. In Familienzeitschriften, wie in „Die Gartenlaube“, wurde dieses Beziehungsverhältnis viel häufiger thematisiert als zuvor. Im 19. Jahrhundert haben Begriffe wie „Treue“ und „Gehorsam“ an Bedeutung gewonnen.[6] Alte Werte wurden zunehmend durch neue Werte verdrängt, was an der sich verändernden Gesellschaftsstruktur lag. Das neue Bürgertum definierte sich über die neue bürgerliche Ehre, Zucht, Ordnung und Pflicht. Gefühlswerte hatten es dabei schwer, sich neben diesen neuen Werten zu behaupten. Das alte Familienmodell des 18. Jahrhunderts mit seinen relativ klaren Strukturen der Familie konnte sich nicht mehr durchsetzen.[7] Trotzdem wurden einige alte Rollenmuster beibehalten. So zum Beispiel die Bedeutung des Vaters als Hausvater. Der Mann im Hause forderte absolute Autorität und Unterordnung der anderen Familienmitglieder unter seine Person. Innerhalb der bürgerlichen Familien kam es zu bedeutenden Autoritätsproblemen, bei denen sich der Hausvater in einer Situation zwischen Herrschaft und Zärtlichkeit befindet, mit der er erst lernen muss, umzugehen.
In der Musterfamilie des 18. Jahrhunderts waren die Familienmitglieder noch auf „Herrschaft und Zärtlichkeit“ ausgerichtet worden.[8] Im 19. Jahrhundert kam es dann zu einer Verstärkung des Machtaspekts und somit des Patriarchalismus. Der Gefühlsaspekt, der nicht vollständig verloren ging, wurde vor allem dazu benutzt, die angeblich ‚natürlichen’ Autoritätsstrukturen zu legitimieren. So war man der Meinung, dass aus der „Liebe“ das „Verhältnis der Autorität“ hervor wachse. Alle durch die Autoritätsstrukturen auftretenden Konflikte sollten harmonisch gelöst werden. Die Familie wurde zu einer unpolitischen und nur auf die Gefühle konzentrierten Gemeinschaft idealisiert, in der sich jedes Familienmitglied eng an die Familie gebunden sieht und in der die Autorität des Vaters bedingungslos akzeptiert wird.[9]
Während der Mann dem Erwerbsleben nachgeht und den Unterhalt der Familie sichert, widmet sich die Frau dem Familienleben, dass „für sie zum zentralen Inhalt ihres Daseins“ wird.[10] „Die Frau hat ganz für die Familie zu leben. Neben der Verrichtung der häuslichen Arbeit und der Versorgung der Kinder steht sie außerdem für Repräsentationszwecke zur Verfügung.“[11] Für die häuslichen Arbeiten war die Frau geeignet genug, nicht aber für das permanente Auftreten in der Öffentlichkeit.
Nach Wilhelm Heinrich Riehl „sollte der Rückzug auf das kleine private Glück offensichtlich als eine Art Kompensation für den Verzicht auf das politische Mitspracherecht fungieren“.[12] Auf zwei Wegen sollte dieses Familienglück durchgesetzt werden. Zum einen wird die Familie weiterhin auf einen Patriarchalismus verpflichtet, der mit klaren Rechts- und Gewaltstrukturen verbunden wird, also mit „Autorität und Pietät“. Zum anderen findet im 18. Jahrhundert eine sehr starke Emotionalisierung der Familie statt, wobei „Häuslichkeit“ und „Gemütlichkeit“ zu Leitbegriffen werden.[13]
Nach Ablehnung des adligen Lebensstils und dessen Verschwendungssucht zu Beginn des 18. Jahrhunderts, war das Bürgertum im 19. Jahrhundert darum bemüht, „den adligen Lebensstil – so gut man es eben versteht – zu imitieren“.[14] Doch „durch tiefgreifende Veränderungen auf allen Gebieten, wird es für die Familie immer schwieriger, die von ihr hochgehaltenen Leitbilder noch zu leben bzw. diese an die nächste Generation glaubhaft weiterzuvermitteln.“[15] Im Zeitalter der immer schneller auftretenden Entwicklungen und Neuentdeckungen sehnt sich die Familie nach Überschaubarkeit und Abwechslung „durch zwischenmenschliche Beziehungen, die als gesichert gelten und nicht ständig erkämpft werden müssen.“[16] Die zwischenmenschlichen Beziehungen stellten sich aber als immer problematischer dar. Die Autoritätsverhältnisse in den Familien sind unverändert und basieren immer noch auf Befehl und Gehorsam dem Vater gegenüber.[17] „Das Verhältnis des Kindes zum Vater ist deshalb in erster Linie geprägt von Respekt und oftmals von Furcht.“[18] Der Vater entfremdet sich von der Familie „durch seine außerhäusliche Tätigkeit“, sodass die Mutter oft die einzige Ansprechpartnerin für ihre Kinder bleibt.[19]
So lassen sich, trotz angestrebter Veränderungen in den Familien, „immer noch die alten Abhängigkeits- und Autoritätsstrukturen beobachten“ wie zuvor.[20] Es trifft damit die Töchter, die „den höchsten Preis in der Familie zahlen müssen“ und sich entscheiden müssen, ob sie „zur alten Herkunftsfamilie“ halten wollen oder „sich für die neue Zielfamilie […] entscheiden“.[21]
Um die Jahrhundertwende, wird die Familie zum Spiegelbild der Probleme, die in der bürgerlichen Gesellschaft auftreten. Besonders für die jüngere Generation wird die Familie zu einer Zwangssituation. Mit aller Macht verteidigt die Familie „jene bürgerliche Gesellschaft, deren Risse und Brüche immer offensichtlicher werden“. Auch in der Familie können Widersprüche und Probleme der Zeit nicht mehr verdeckt werden.[22]
Schillers bürgerliches Trauerspiel „Kabale und Liebe“ ordnet „sich in die chronologische Entwicklung von der Familie als Zweckgemeinschaft zur Familie als Gefühlsgemeinschaft“ ein und steht für eine „intensive Vater – Tochter Beziehung“.[23]
3. Autorität in der bürgerlichen und in der adligen Familie
Wie schon zuvor beschrieben, war die Familie im 18. und 19. Jahrhundert eine wichtige Instanz, zu der auch Regeln und Gebote gehörten. Natürlich waren diese in den bürgerlichen und adligen Familien verschieden. In beiden Familienarten sind demzufolge auch Unterschiede in der Familienstruktur sowie der Familienkultur vorzufinden. Ich möchte nun, am Beispiel von Schillers „Kabale und Liebe“, auf die Beziehungsgeflechte der bürgerlichen Familie des Stadtmusikanten Miller sowie der adligen Familie von Walter eingehen. Es wird sich zeigen, dass beide Familien ganz unterschiedlich funktionieren und durch ganz verschiedene Maximen ihr Handeln begründen. Außerdem wird ersichtlich, dass Autorität in der bürgerlichen Familie nicht dasselbe bedeutet wie in der adligen Familie.
3.1 Die bürgerliche Familie Miller
Das bürgerliche Trauerspiel „Kabale und Liebe“ beginnt im Hause des Stadtmusikanten Miller. Schon zu Beginn wird deutlich, dass Miller ein anständiger Bürger ist, der durch das Verhältnis seiner Tochter Luise mit dem adligen Sohn des Präsidenten nicht in Verruf geraten will. Er sagt zu seiner Frau, die im gesamten Drama immer nur als ‚Frau’ bezeichnet wird und keinen eigenen Namen bekommen hat, „Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen.“[24] Miller möchte keinesfalls gegen die ständischen Regeln verstoßen, und deshalb eine Verbindung zwischen Luise und dem adligen Sohn des Präsidenten von Walter, Ferdinand, verhindern. Er ist noch im altständischen Denken verwurzelt, denn er bezeichnet sich als „Herr im Haus“ und spricht von seinem „Haus“ im Sinne einer Zweckgemeinschaft. (I/1, S. 5) Das bedeutet in diesem Zusammenhang aber nicht nur, dass er derjenige ist, dem die anderen Familienmitglieder Gehorsam zu leisten haben, sondern, dass Miller als „Herr im Haus“ auch die Aufgabe hat, die Vaterrolle auszuüben, und dies bei Luise anscheinend vernachlässigte. Andernfalls wäre sie wohl kaum eine Verbindung mit dem Major von Walter eingegangen. Miller weist sich hier also ein Stück der Schuld an dieser Verbindung selbst zu. Er meint, er hätte Luise „mehr koram nehmen sollen“, das heißt ihr Vorhaltungen machen sollen. (I/1, S. 5)
Exemplarisch für die „sich auflösende[n] gesellschaftliche[n] Schranken ist die erste Szene auch deshalb, weil Miller zuerst an den Ruf seines Hauses bzw. seinen eigenen Ruf denkt, wohingegen seine Frau „sofort […] eventuelle ökonomische Vorteile“ auf sich zukommen sieht, wenn Luise eine dauerhafte Verbindung mit einem „Aristokraten“ eingeht.[25] Die Millerin, die von ihrem Mann als „infame Kupplerin“ bezeichnet wird, bringt durch ihre eigensinnigen Bestrebungen „die hausväterliche Autorität und die Familienordnung ins Wanken“.[26] Sie lässt sich von Ferdinand „durch kleine Geschenke gewinnen und vom trügerischen Glanz der adligen Gesellschaft blenden.“[27] Das Verhältnis zwischen Miller und seiner Frau ist ein sehr unterkühltes Verhältnis, ohne Respekt voreinander. Miller beschimpft seine Frau nicht nur als „infame Kupplerin“ und „alberne Gans“, sondern er verbietet ihr sogar den Mund („Willst du dein Maul halten?“ (I/2, S. 9)). Außer der Verwaltung des Haushaltes und der Erziehung von Luise hat sie nichts zu sagen.
[...]
[1] Vgl. Ulrike Horstenkamp-Strake, „Daß die Zärtlichkeit noch barbarischer zwingt, als Tyrannenwut!“ Autorität und Familie im deutschen Drama. Frankfurt/M. 1995, S. 15.
[2] Ebd., S. 10.
[3] Vgl. ebd., S. 16f.
[4] Vgl. Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 17.
[5] Vgl. Helmut Scheuer, Väter und Töchter. Konfliktmodelle im Familiendrama des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Der Deutschunterricht 46 (1994), S. 28.
[6] Vgl. ebd., S. 28.
[7] Vgl. ebd., S. 29.
[8] Vgl. Helmut Scheuer, Autorität und Pietät – Wilhelm Heinrich Riehl und der Patriarchalismus in der Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Claudia Brinker-von der Heyde, Helmut Scheuer, Familienmuster – Musterfamilien. Zur Konstruktion von Familie in der Literatur. Frankfurt/M. 2004, S. 140.
[9] Vgl. Helmut Scheuer, Autorität und Pietät, a.a.O., S. 140-146.
[10] Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 20.
[11] Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 20.
[12] Scheuer, Autorität und Pietät, a.a.O., S. 139.
[13] Vgl. Helmut Scheuer, Autorität und Pietät, a.a.O., S. 139f.
[14] Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 30.
[15] Ebd., S. 39.
[16] Ebd., S. 39.
[17] Vgl. hierzu ebd., S. 39.
[18] Heidi Rosenbaum, Formen der Familie, Frankfurt/M. 1982, S. 356-361; zit. n.: Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 39.
[19] Ebd., S. 39.
[20] Scheuer, Väter und Töchter, a.a.O. S. 31.
[21] Vgl. ebd., S. 31.
[22] Vgl. Horstenkamp-Strake, a.a.O., S. 45.
[23] Kwang Woo Park, Die Enstehung und die Stufen des Wandels des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland. Aachen 1998, S. 81.
[24] Friedrich Schiller: Kabale und Liebe, I/1, S. 5; im Folgenden werden die Primärzitate direkt im laufenden Text vermerkt.
[25] Götz-Lothar Darsow, Friedrich Schiller. Stuttgart 2000, S. 47.
[26] Rachid Jai Mansouri, Die Darstellung der Frau in Schillers Dramen. Frankfurt/M. 1988, S. 127.
[27] Ebd., S. 127.
- Quote paper
- Stefanie Schinzel (Author), 2004, Autorität und Familie in Friedrich Schillers 'Kabale und Liebe', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60322
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