Die Absicht dieser Arbeit ist, die Entfremdung des Individuums in den Romanen von Franz Kafka festzustellen. Die Entfremdung des Individuums ist eine Tatsache, womit der Mensch zeitlebens vertraut war und sich weiter als eine Problematik unserer modernen Gesellschaft darlegen läßt. Deshalb ist dieses Thema auch heute aktuell und untersuchungswert und wird ihre Bedeutung nicht verlieren, solange die Ursachen der Entfremdung nicht analysiert und aufgehoben werden. Daher scheint es notwendig auf dieses Thema einzugehen und ihre Reflexionen auf dem Gebiet der Literatur zu untersuchen. Franz Kafka ist einer der bedeutendsten Literaten in der deutschen Literatur, der die Auswirkungen der Entfremdung auf die Gesellschaft und auf das Individuum in seinen Romanen niederlegt. Dieses kommt erstens daraus hervor, daß Kafka sein Leben lang unter der persönlichen Entfremdung litt, die er auf seine Werke reflektierte. Seine Autobiographie gibt die Hinweise dazu, daß er seine Werke auch unter diesem Einfluß geschrieben und mit diesem “Bewußtheit” die Welt beobachtet und niedergelegt hat. Die Erfahrung der Entfremdung machte Kafka aber nicht nur in seinem persönlichen Leben; der Ursprung der Entfremdung befindet sich schließlich in der Welt und in den erlebten Verhältnissen, die er mit jenen “Mikroskopaugen” wahrgenommen hat, und “durch genaues Hinsehen aus der Fremdheit und Unsicherheit der Beziehungen des Ichs, die Ungewißheit und Gefährdungen in den Beziehungen aller, die Schrecken eines ganzen - unseres - Jahrhunderts erblickte.” (Guntermann 1991, 266) Wenn man die Entfremdung als Entweichung von allen menschlichen Werten zusammenfassen sollte, beobachtet Kafka eine Welt, in der die Individuen, die Möglichkeiten als menschliches Dasein zu leben, verloren haben. Kafka schildert gerade diese Welt, in dem die Entfremdung auf allen Dimensionen des Lebens gedrungen ist. All die Abweichungen von den Werten und die daraus entstehenden Ergebnisse im Bezug auf das Individuum, finden gerade in der Literatur Kafkas Gestalt, in dem die Romanhelden mit dieser Tatsache konfrontiert sind Schließlich ist die Literatur eine Quelle, um den gesellschaftlichen Ursprung der entfremdeten Beziehungen durchblicken zu können, und die Abweichung von ethischen Werten bewerten zu können: “Denn die Kenntnis der Werte, findet ihre direkte Quelle in den erlebten menschlichen Verhältnissen, eine von ihren indirekten Quellen sind die Werke, die von ihnen erzählen.” (Kuçuradi 1999, S.22) [...]
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1.0 DIE DEFINITION DES BEGRIFFS “ENTFREMDUNG”
2.0. DIE ENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS IN DEM ROMAN “DER VERSCHOLLENE”
2.1 Über den Roman
2.2. Machtlosigkeit als Faktum der Entfremdung
2.2.1 Die Herrscher in der Gesellschaft
2.2.2 Die wechselseitigen Herrschaftsverhältnisse
2.2.3 Die moderne Arbeitswelt
2.2.4 Die Gerechtigkeit / Ungerechtigkeit
2.3 DIE ISOLIERUNG UND EINSAMKEIT DES INDIVIDUUMS IN DER GESELLSCHAFT
2.3.1 Die Vereinsamung und Isolation des Individuums in der Arbeitswelt
2.3.2 Karl als Fremder in der Gesellschaft
2.3.3 Die Einsamkeit der Herrscher der Zeit
2.4 Die Selbstentfremdung des INDIVIDUUMS
2.4.1 Die Abhängigkeit Individuums
2.4.2. Gewalt als Ausdruck des Entfremdeten Individuums
2.4.3 Das Individuum als Opfer der Gesellschaft
2.4.4 Die Entfremdeten Geschlechter
3.0 DIE ENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS IN DEM ROMAN “DER PROZESS”
3.1 Über den Roman
3.2 Machtlosigkeit ALS FAKTUM DER ENTFREMDUNG
3.2.1 Die Macht und ihre Bewältigung des Individuums
3.1.1.1. Das Gericht als größtes Machtinstitut gegenüber dem Individuum
3.1.1.2 Die Gerichtsanwesenden als Repräsentanten der Macht gegenüber dem Individuum
3.2.2 Die Unterworfenen gegenüber der Macht / dem Gericht
3.3 DIE SOZIALE ISOLIERUNG UND EINSAMKEIT DES INDIVIDUUMS IN DER GESELLSCHAFT
3.3.1 Isolierung von der Familie
3.3.2 Isolierung von der Gesellschaft
3.3.3 Isolierung von der Arbeit
3.3.4 K. als einsamer Ablehner der gesellschaftlichen Ordnung
3.3.5 Die Einsamkeit des Individuums in der Gesellschaft
3.3.6 Die endgültige Isolierung K.’s - Der Tod
3.4 DIE SELBSTENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS
3.4.1 Das Individuum als Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse
3.4.2 K.’s Selbstentfremdung
3.4.3 Die Selbstentfremdung der Beamten - der Wächter
3.4.4 Die entfremdeten Geschlechter
3.4.5 Die Entfremdete Kunst
4.0 DIE ENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS IN DEM ROMAN “DAS SCHLOSS”
4.1 ÜBER DEN ROMAN
4.2 MACHTLOSIGKEIT ALS FAKTUM DER ENTFREMDUNG
4.2.1 Masse und Macht 4.2.1.1 Das Schloß als größtes Machtinstitut
4.2.1.2 Die Schlossanwesenden
4.2.2 Die Eigenschaften der Macht
4.2.3 Die Machtlosigkeit des Individuums und ihre Auswirkung auf die Entfremdung
4.3 DIE SOZIALE ISOLIERUNG UND EINSAMKEIT DES INDIVIDUUMS IN DER GESELLSCHAFT
4.3.1 K. als Fremder - Die Isolation K.’s von den Dörflern
4.3.2 K. als gefürchteter Retter
4.3.3 Die Isolation K.’s vom Schloß
4.3.4 Die Isolation der Individuen untereinander
4.3.5 Die Einsamkeit der Herrscher
4.4 DIE SELBSTENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS
4.4.1 Das Individuum als Opfer der Gesellschaft
4.4.2 Die Entfremdung K.’s
4.4.3 Die Entfremdung der Dorfleute und der Schloßanwesenden
4.4.4 Die entfremdeten Geschlechter
5.0 SCHLUßFOLGERUNG
6.0 BIBLIOGRAPHIE
EINLEITUNG
Die Absicht dieser Arbeit ist, die Entfremdung des Individuums in den Romanen von Franz Kafka festzustellen. Die Entfremdung des Individuums ist eine Tatsache, womit der Mensch zeitlebens vertraut war und sich weiter als eine Problematik unserer modernen Gesellschaft darlegen läßt. Deshalb ist dieses Thema auch heute aktuell und untersuchungswert und wird ihre Bedeutung nicht verlieren, solange die Ursachen der Entfremdung nicht analysiert und aufgehoben werden. Daher scheint es notwendig auf dieses Thema einzugehen und ihre Reflexionen auf dem Gebiet der Literatur zu untersuchen.
Franz Kafka ist einer der bedeutendsten Literaten in der deutschen Literatur, der die Auswirkungen der Entfremdung auf die Gesellschaft und auf das Individuum in seinen Romanen niederlegt.
Dieses kommt erstens daraus hervor, daß Kafka sein Leben lang unter der persönlichen Entfremdung litt, die er auf seine Werke reflektierte. Seine Autobiographie gibt die Hinweise dazu, daß er seine Werke auch unter diesem Einfluß geschrieben und mit diesem “Bewußtheit” die Welt beobachtet und niedergelegt hat.
Die Erfahrung der Entfremdung machte Kafka aber nicht nur in seinem persönlichen Leben; der Ursprung der Entfremdung befindet sich schließlich in der Welt und in den erlebten Verhältnissen, die er mit jenen “Mikroskopaugen” wahrgenommen hat, und “durch genaues Hinsehen aus der Fremdheit und Unsicherheit der Beziehungen des Ichs, die Ungewißheit und Gefährdungen in den Beziehungen aller, die Schrecken eines ganzen - unseres - Jahrhunderts erblickte.” (Guntermann 1991, 266)
Wenn man die Entfremdung als Entweichung von allen menschlichen Werten zusammenfassen sollte, beobachtet Kafka eine Welt, in der die Individuen, die Möglichkeiten als menschliches Dasein zu leben, verloren haben. Kafka schildert gerade diese Welt, in dem die Entfremdung auf allen Dimensionen des Lebens gedrungen ist. All die Abweichungen von den Werten und die daraus entstehenden Ergebnisse im Bezug auf das Individuum, finden gerade in der Literatur Kafkas Gestalt, in dem die Romanhelden mit dieser Tatsache konfrontiert sind
Schließlich ist die Literatur eine Quelle, um den gesellschaftlichen Ursprung der entfremdeten Beziehungen durchblicken zu können, und die Abweichung von ethischen Werten bewerten zu können:
“Denn die Kenntnis der Werte, findet ihre direkte Quelle in den erlebten menschlichen Verhältnissen, eine von ihren indirekten Quellen sind die Werke, die von ihnen erzählen.” (Kuçuradi 1999, S.22)
Eine andere Bedeutung der literarischen Werke sind, daß sie uns die vollständig nackte Realität zur Schau stellen, vor der wir uns in unserem Alltag entfremdet haben. Denn wer liest, “der erkennt mit Schrecken, daß die verborgenen Wahrheiten, die verborgene Bedeutung oder die verborgene Bedeutungslosigkeit seines Lebens zum Vorschein kommen”, meint Lukacs (1977, 240).
So konfrontiert uns auch Kafka mit unseren eigenen Wahrheiten, von denen wir uns in der Ohnmacht, von dem Bestreben nach anderen materiellen Zielen nicht bewußt werden können. Denn die entfremdete Lebensform ist nicht etwas, was außer uns existiert, es ist keine erfundene Phantasie in den Romanen. Sie ist eine Tatsache unseres Lebens, deren Ursprung sich wieder in uns selbst befindet. Wir erleben die Entfremdung direkt in uns, so daß wir unsere eigene Wirklichkeit nicht mehr wahrnehmen können. Neue Werte und Ziele haben uns unserem eigenen Dasein entfremdet, so daß wir ständig nach Besitz und Macht streben und uns selber zum Objekt machen und verdinglichen.
So läßt uns Kafka mit “Schrecken” unserer eigenen Lebenswirklichkeit ins Auge erblicken. Denn gerade das ist es, was als “kafkaesk” benannt wird, “die einsteht für alles Alptraumhafte, Labyrinthisch - Gespenstische und Absurde nicht nur menschlichen Denkens, Handelns und Träumen, sondern auch moderner Bürokratie, Maschinerie, Apparaturen und Versklavungen.” (Emrich 1975, S.13)
Die Absicht der Arbeit ist daher, die menschlichen Verhältnisse in den Romanen von Kafka zu Untersuchen und in diesen Beziehungen die entfremdeten Lebensformen der Figuren aus dem Roman herauszunehmen, den Ursprung der Entfremdung aus den von Kafka beschriebenen Tatsachen herauszufinden und auf die daraus entstehenden Ergebnisse hinzuweisen. Dabei wird die Parallelität zu den erlebten Wirklichkeiten unseres Jahrhunderts mit der ‘fiktionalen’ Welt Kafkas zum Vorschein kommen.
Obwohl Kafka in all seinen Werken die lebensnahe Realität fiktionaler Weise darstellt, sind seine Romane dabei die wichtigsten Werke, die uns mit der Entfremdung konfrontieren. Deshalb sind für diese Arbeit die Romane von Kafka gewählt worden. Dabei waren die vielseitigen Interpretationen über die Erzählungen und anderen Werke ein weiterer Grund bei der Wahl der Romane. Die Erzählungen von Kafka sind von vielen Interpretern mit verschiedenen Blickwinkeln bereits schon analysiert worden, wobei man seinen Romanen bei den Interpretationen kein großes Interesse schenkte, wie z.B. dem Roman “Der Verschollene”, der mit dem von Max Brod veröffentlichten Titel “Amerika” den Lesern etwas bekannter ist, als mit seinem eigentlichen Titel.
Bei den Untersuchungen der drei Romane, “Der Verschollene”, “Der Proceß” und “Das Schloß” wird die Primärliteratur von den kritischen Ausgaben gewählt, weil es uns wichtig erschien der manuskriptgetreuen Textgestaltung zu folgen, da die editierten Werke von Max Brod großer Kritik unterworfen sind, die uns bei den Untersuchungen der Sekundärliteratur aufgefallen ist. Deshalb befinden sich in den Zitaten von diesen Romanen einige Fehler, die nicht korrigiert worden sind, wie z.B. in dem Roman “Der Verschollene” der Name New York, der in manchen Stellen “Newyork” (V.89), oder als “New-York” (V.89) geschrieben worden ist.
Im folgenden, wird als erstes der Begriff “Entfremdung” anhand verschiedenen Definitionen erklärt, um die Bedeutung und das Thema verständlicher zu machen.
Der zweite Schritt der Arbeit, beinhaltet die Analyse der Fakten der Entfremdung in den Romanen nach ihren Entstehungszeiten. Deshalb werden die Werke in dieser Reihe analysiert: 1. “Der Verschollene”, 2. “Der Proceß”, 3.” Das Schloß, wobei die Inhaltsangaben und nötigen Informationen über diese Romane vorliegen.
Die Analyse der Fakten der Entfremdung wird bei den drei Romanen unter den folgenden Überschriften gemacht, die eine Zusammenfassung der verschiedenen Definitionen des Begriffs “Entfremdung” beinhalten:
1. Machtlosigkeit als Faktum der Entfremdung.
2. Die soziale Isolierung und Einsamkeit des Individuums in der Gesellschaft.
3. Die Selbstentfremdung des Individuums.
Unter diesen drei Überschriften werden die Ursachen der Entfremdung, in den von Kafka beschriebenen Verhältnissen dargelegt und ihr Einfluß auf die Individuen und der Entfremdung geschildert.
1.0 DIE DEFINITION DES BEGRIFFS “ENTFREMDUNG”
Um die Entfremdung des Individuums analysieren zu können, muß man zuerst den Begriff “Entfremdung” verständlich machen. Hierzu möchten wir einige Definitionen des Begriffs angeben:
Der Begriff “Entfremdung” gewann erst viel später einen Namen, obwohl die Entfremdung schon längst ihren Ursprung gefunden hatte. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung, gewann der Ausdruck auch neue Bedeutungen, die folgend angeben werden. Hier die Etymologie des Begriffs:
Entfremdung, mit lateinischer Bedeutung ‘Alienatio’, war bereits von den Kirchvätern, in der Scholastik und Mystik vieldeutig gebraucht. Der Ausdruck beinhaltete eine neutrale aber auch pejorative Bedeutung, und zwar die Trennung und den Abfalls von Gott. Er hatte aber auch eine positive Bedeutung und das war die Abkehr von irdischen Dingen. ‘Alientio mentis’ wurde mehr für die Bezeichnung von Gottesverwirrung gebraucht
Nach J. Schaar ist “der Gedanke der Entfremdung nach einigen Bedeutungen älter als die schriftliche Geschichte” (1961,S.174). In seinem Werk “Escape from Autoritiy”, (Schaar 1961) geht er darauf ein, daß Homer von einem stammlosen, ängstlichen, gesetzlosen Menschen spricht, der von der Kameradschaft ausgewiesen, von dem freundschaftlichen Feuer des Klan und der Verwandtschaft entfernt ist. Das Motiv, des Wandersmanns kommt in der Tradition der Juden nochmals vor prägt sich in der Religion des Westens. Abraham ist ein Prototyp und internationales Motiv des entfremdeten Menschen. Er ist von seiner Familie, von seinem Volk, von seiner Religion entfernt, so daß er ohne Boden, Glaube, und Volk alleine wandert. Er ist ein Wanderer, der die Begriffe wie Liebe und Angehörigkeit nicht kennt. Und weil er nicht lieben kann, gibt er sich einer größeren Macht und setzt statt der Kommune das Gesetz, und statt der Liebe die Folgsamkeit ein. Weil er sich entfremdet hat, reflektiert er alles Gute, was in sich befindet einem anderen absoluten Dasein, das nicht sein absolutes Dasein ist, und verändert seinen Namen als Symbol seiner persönlichen Veränderung. Dies alles geschah schon längst vor der existentiellen Auffassungstheorie meint J. Schaar um darauf hinzuweisen, daß diese Tatsache im Leben des Menschen sich erwies, bevor wir diesen Begriff kannten.
Jedoch ist Entfremdung eine in der Tradition von G.W.F. Hegel verwendeter philosophischer Ausdruck und dargestellter Sachverhalt.
“ Bei Hegel ist eine terminologisierte von einer nicht-terminologierten Fassung der Entfremdung zu unterscheiden. Zunächst (1) ist Entfremdung allgemein (hier tritt der Ausdruck ‘Entfremdung’ nur kursorisch auf) ein Moment der Zuständlichkeit, insofern diese nicht nur affirmativ, sondern als Wahrheit prozessual verstanden ist. Sie ist das dialektische Moment des Selbstverlustes im geistigen Selbsterfahrungsgang. So wird etwa die Entwicklung des ‘Selbstbewußtseins’ in Hegel “Phänomenologie des Geistes” (1807), und hier vor allem das Verhältnis von ‘Herrschaft und Knechtschaft’ (Phänomologie des Geistes, 127-136, Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft), als Durchgang durch Entfremdungen gefaßt. Die Verlorenheit an die Gegenständlichkeit als ‘Bewußtsein’, die Abhängigkeit von ihr als ‘Begierde’, die Unterwerfung des einen Selbstbewußtseins im ursprünglich auf Komplementarität angelegten Anerkennungsgang unter das andere Selbstbewußtseins (Herr und Knecht), in der der Selbstverlust seinen Höhepunkt seinen Höhepunkt erreicht, und die ‘dienende’ Arbeit für den Herrn und deren ‘fremder Sinn sind konstituive Entfremdungsstufen für die Entwicklung des autonomen Selbstbewußtseins emphatisch seinen ‘eigenen Sinn’[. . .]” ( Mittelstraß 1995, S. 550)
“Bei Hegel heißt Entfremdung in der “Phänomenologie des Geistes” der “Verlust der ursprünglichen Freiheit”; Entfremdung ist 1) die unvermittelte Wirklichkeit, die ihrer wahren Bestimmung, aufgehoben zu werden, entäußert, entfremdet ist und 2) des reine Bewußtsein als “andere Form der Entfremdung, welche eben darin besteht, in zweierlei Welten das Bewußtsein zu haben.” Das Bewußtsein kann sich für Hegel der eigenen objektiven Allgemeinheit gegenüberstellen und sich so gegen sie entfremden. Darüber hinaus gehört Entfremdung zum Wesen der Arbeit (und somit zum Wesen des Menschen); das Produkt der Arbeit löst sich vom Arbeitenden ab und stellt sich ihm gegenüber.” ( Ulfig 1997, S.106)
“Das unwesentliche Bewußtsein ist hierin für den Herrn der Gegenstand, welcher die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst ausmacht. Aber es erhellt, daß dieser Gegenstand seinem Begriffe nicht entspricht, sondern daß darin, worin der Herr sich vollbracht hat, ihm vielmehr ganz etwas anderes geworden, als ein selbständiges Bewußtsein. Nicht ein solches ist für ihn, sondern vielmehr ein unselbständiges; er [ist] also nicht d e s F ü r s i c h s e i n, als der Wahrheit gewiß, sondern eine Wahrheit ist vielmehr das unwesentliche Bewußtsein, und das unwesentliche Tun desselben.” (Hegel 1988, S. 135)
Denn die Arbeit selbst beschreibt Hegel folgend:
“Die Arbeit hingegen ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden. Die negative Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben, und zu einem Bleibenden; weil eben dem Arbeitenden der Gegenstand Selbständigkeit hat.” Und nur weil die Arbeit eine Selbständigkeit hat, weil es ja nach der Mühe zu einem Produkt wird also “in das Element des Bleibens tritt”, kann sich der Arbeiter in sich in seinem Produkt wiederfinden; “das arbeitende Bewußtsein kommt also hierdurch zur Anschauung des selbständigen Seins, als s e i n e r s e l b st.” ( Hegel 1988, S. 135)
“ Hegel hat diesen Begriff am Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft erläutert: Der Knecht entfremdet sich von sich selbst, weil er seine Arbeit für den Herrn und nicht zur Herstellung seines eigenen Bewußtseins leistet, und der Herr, weil er die Arbeit des Knechts nur genießt, sich dabei selbst aber nicht schafft. Weder der Herr noch der Knecht gewinnen ihr eigentliches menschliches Wesen. Es ist aber letztlich die Arbeit des Knechts, die die Welt gestaltet.” (Höffe 1997, S.57)
So formuliert es Hegel selbst:
“Der Begierde gelang dies nicht wegen der Selbständigkeit des Dinges; der Herr aber, der den Knecht zwischen es und sich eingeschoben, schließt sich dadurch nur mit der Unselbständigkeit des Dinges zusammen, und genießt es rein; die Seite der Selbständigkeit aber überläßt er dem Knecht, der es bearbeitet.” (Hegel 1988, S.133)
Hegel beschreibt diesen Begriff vor an Machtverhältnissen. Der Knecht ist dem Herrn untergeordnet und steht unter seinem Dienst. Er arbeitet für ihn und nicht für sich selbst. Er kann sich mit seiner Arbeit nicht Verwirklichen sondern muß es unter Notwendigkeit leisten. Der Herr jedoch, der nichts leistet und sich nur mit der Produktivität seines Knechts abfindet befindet sich auch in einer Entfremdung.
“Der Herr ist das für sich seiende Bewußtsein, aber nicht mehr nur der Begriff desselben, sondern für sich seiendes Bewußtsein, welches durch ein anderes Bewußtsein mit sich vermittelt ist, nämlich durch ein solches, zu dessen Wesen es gehört, daß es mit selbständigem Sein oder der Dingheit überhaupt synthesiert.” (Hegel 1988, S. 132)
J.J.Rousseau drückt “Entfremdung” als “Entäußerung” aus. Nach Rousseau liegt der Ursprung der Entfremdung im Gesellschaftsvertrag, der die Entscheidungsfreiheit und somit auch die individuelle Bürgerliche Freiheit des Menschen aufhebt. Die Bourgeoisie entscheidet für den normalen Bürger, und der Bürger wird zum gehorcher.
J.J Rousseau (Contrat social I,6) verwendet ‘aliénation’ in einem vertragstheoretischen Sinne von (Ent)Veräußerung. ‘Aliénation totale’ ist die im normativen Gesellschaftsvertrag vorbehaltlos erfolgende vollständige Entäußerung der natürlichen Freiheit eines einzelnen an die Gemeinschaft in einer Realisierung von Gleichheit und individueller bürgerlicher Freiheit (als citoyen) im Verbund mit dem Allgemeinwillen (volonté généale). In einem anderen (nicht terminologischen) Sinne konstatiert Rousseau den Sachverhalt der Entfremdung von sich selbst (Selbstferne), in der zivilisierte Mensch (als bourgeois) als gesellschaftliches Wesen faktisch lebt. Er erfährt seine Identität nur jeweils im “Spiegel der Meinung der anderen” (Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, 265, vgl.221). Der moderne Mensch lebt im “Widerspruch mit sich selbst” (contadictio acec lui-méme) ) Emil oder über die Erziehung, 13). Rousseau vereinigt in seinen Entwürfen und Zustandsdeutungen bereits alle jene Momente, die für die spätere Diskussion um die Entfremdung bei Hegel und Marx in unterschiedlicher Gewichtung bedeutsam werden. Die Entäußerung der natürlichen Freiheit zum Zwecke der Realisierung der bürgerlichen Freiheit ist dialektisch als Aufhebung abgelegt. Der Verlust der Identität im gesellschaftlichen Leben spiegelt die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem. Auch die Unverzichtbarkeit der Erfahrung des Durchganges durch die Entfremdung in Hinsicht auf die Realisierung einer vollkommeneren (tugenhaften), weil bewußten Daseinsform des einzelnen findet sich bereit angelegt (Emil, 523). Der Entfremdungszustand wird jedoch in einer gewissen Abstraktheit als situierte Größe eingeführt.
Die Auffassung von J.J. Rousseau, die er als totale Entäußerung (aliénation totale) bezeichnet, kann also als totale Entfremdung aufgenommen werden. Als
“[. . .]die Übertragung aller Rechte des einzelnen Bürgers auf die Gesamtheit (Staat) als Bedingung des Gesellschaftsvertrags. Die natürliche Freiheit weicht der Freiheit unter einem von den Gesellschaftsmitgliedern geschaffenen Rechtssystem nach der volonté générale.” ( Reinhold 1997, S. 140-141)
Karl Marx, übernimmt diesen Begriff eigentlich von Hegel. Jedoch fügt er dem Begriff eine materialistische Bedeutung zu und schafft die idealistische Seite weg. Nach Marx ist dieser Begriff eine Folge der kapitalistischen Machtverhältnisse und findet seinen Ursprung mit dem Klassenunterschied.
Marx, der in den “Ökonomisch-philosophischen Manuskripten” (1844) die ausführlichste Entfremdungstheorie formuliert, kritisiert, daß Hegel die Entfremdung nur als eine des reinen Selbstbewußtseins, als nur gedankliche und im philosophischen Gedanken aufzuhebende Entfremdung auffaßt. Er konfrontiert das über den philosophischen Gedanken bei Hegel sich konstituierende Selbstbewußtsein im Anschluß an Ludwig Feuerbachs Anthropologie mit dem ‘wirklichen’, ‘sinnlichen’ und ‘gegenständlichen’, durch Natur bestimmten und sich in der Abarbeitung an der Natur bestimmenden bzw. verlierenden Menschen.” (Mittelstraß 1995, S.551)
Marx beschreibt die Entfremdung vier Stufen:
1) Die Entfremdung vom Produkt der Arbeitstätigkeit: Arbeitsteilung und Eigentumsverhältnisse führen dazu, daß sich der Arbeiter in seiner Tätigkeit entfremdet, weil er nur ein Teilbereich des Erzeugnisses sieht. So verselbständigen sich die produzierten Gegenstände und setzen sich in der Warenwelt gegen den Menschen, so daß die Ware eine selbständige Macht gegenüber dem Arbeiter wird.
“Der Arbeiter legt sein Leben in den Gegenstand, aber nun gehört es nicht mehr ihm, sondern dem Gegenstand. Je größer also diese Tätigkeit, um so gegenstandsloser ist der Arbeiter. Was das Produkt seiner Arbeit ist, ist er nicht. Je größer dieses Produkt, um so weniger ist er selbst. Die Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die Bedeutung nicht nur, daß seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einem äußeren Existenz wird, sondern daß sie außer ihm unabhängig, fremd von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm gegenüber wird [. . .]” (Marx 1981, S.244)
Ein weiterer Ursprung der Entfremdung, liegt in der Arbeitsteilung, denn die Arbeit ist “naturwüchsig geteilt” und “solange die Tätigkeit also nicht freiwillig, sondern naturwüchsig geteilt ist, die eigene Tat des Menschen ihm zu einer fremden gegenübergestellten Macht wird, die ihn unterjocht, statt daß er sie beherrscht”, und “die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat jeder einen bestimmten, ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann[. . .].” (Marx 1996, S.451)
2) Die Entfremdung von der Natur der Arbeit: Der Mensch, als Gattung beinhaltet in seinem Dasein das produzieren und unterscheidet sich von den Tieren damit, daß er seine Tätigkeiten bedenkt ausführt und nicht nur nach den Lebensnotwendigen strebt. So ist seine Tätigkeit nicht nur das bestreben am Leben zu bleiben sondern eine intellektuelle Tätigkeit. Aber indem dem Menschen die Arbeit nicht mehr als freiwillige Tätigkeit sondern als Zwangsarbeit gegenübersteht entfremdet er sich von seiner Tätigkeit. Die Tätigkeit wird äußerlich, geistige und körperliche Kräfte sind nicht erlaubt und daher dient sie nicht mehr der allseitigen Entwicklung der Persönlichkeit. In den “Grundrissen” wird das folgend formuliert:
“Der Arbeiter selbst (ist) absolut gleichgültig gegen die Bestimmtheit seiner Arbeit; sie hat als solche nicht Interesse für ihn, sondern nur insoweit sie überhaupt Arbeit und solche Gebrauchswert für das Kapital ist.” (Marx 1953, S.204)
3) Die Entfremdung des Arbeiters von sich selbst: Die Folge, daß das Individuum seinem Arbeitsprodukt, seiner Arbeitstätigkeit und seinem Gattungswesen entfremdet ist, zeigt eine Entfremdung zu sich selbst. Da das Individuum sich im Arbeitsprozeß nicht wiederfinden kann, und mit seiner Tätigkeit kein instrienische Befriedigung ermöglichen kann, ebtfremdet er sich selbst.
“Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert . . . Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen. Zwangsarbeit[. . .] Sie ist Verlust seiner selbst.” ( Marx 1953; S. 244)
4) Die Entfremdung des Arbeiters von der Gesellschaft: Die entfremdete Arbeit entreißt ihm nun auch sein Gattungsleben, sie entfremdet den Menschen vom Menschen.
In seinem Werk “Die deutsche Ideologie” (1846); tritt der Begriff nochmals vor. Nach Marx befindet sich das Individuum in einem System, wo seine Interesse nicht mit den gemeinschaftlichen Interessen Zusammenfallen und diesen entfremdet ist:
“Eben weil die Individuen nur ihr besonderes, für sie nicht mit ihren gemeinschaftlichen Interessen zusammenfallendes stehen, wird dies als ein ihnen ‘fremdes’ und von ihnen ‘unabhängiges’, als ein selbst wieder besonderes und eigentümliches ‘Allgemein’-Interesse geltend gemacht, oder sie selbst müssen sich in diesem Zwiespalt begegnen wie in der Demokratie.” ( Marx 1996, S.451)
Marx, schildert eigentlich die weite Ausdehnung des Arbeitsprozeßes im kapitalistischen System und daraus folgender Entfremdung auf alle Lebensbereiche, wenn man seine Auffassungen in den Werken “Grundrisse”, “Ökonomisch-philosophischen Manuskripten” (1844), “Deutsche Ideologie” zusammenfaßt. Die Entfremdung im Arbeitsprozeß führt schließlich zu der Entfremdung des Menschen zu sich selbst und zu den anderen Individuen. Diese Entfremdung des Menschen, die nach Marx seinen Grund im kapitalistischen System auftretenden Arbeitsprozeß findet, hat verschiedene Erscheinungen in der Gesellschaft. Damit, daß Marx die Entmenschlichung der Industriearbeit nicht auf die Arbeitsteilung an sich zurückführt, sondern auf ihre spezifische Form im Kapitalismus, machte er diesen Begriff zu einem sozialwissenschaftlichen Konzept, der heute noch von vielen Wissenschaftlern in unserem Jahrhundert aufgenommen wird.
Psychoanalytiker uns Sozialphilosoph Erich Fromm erwähnt in seinem Werk “Die Furcht vor der Freiheit” (1980) von diesem Begriff. Er deutet darauf hin, daß mit der Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft neue “psychische Bedürfnisse” hervortraten, die mit den “Hauptlehren des Protantismus” von Luther und Calvin bedeckt worden sind. “Durch die Lehren des Protestantismus war der Mensch psychologisch auf die Rolle vorbereitet, die er unter dem modernen Industriesystem zu spielen hatte”, meint er dazu. Diese Lehren dienten dazu, daß sich die Menschen in der neuen gesellschaftlichen Struktur freier fühlten als im Mittelalter. Jedoch war diese Freiheit nur scheinbar. Denn “es diente der Weiterentwicklung des Individuums - und machte es hilfloser; es gab ihm größere Freiheit - und erzeugte Abhängigkeiten neuer Art.” Die mittelalterliche gesellschaftliche Struktur, welche ihre Mächte konkret vor den Menschen stellte wie der König oder die Kirche wechselte der Kapitalismus in neue Feinde um. Diesmal waren es “- Feinde, bei denen es sich im wesentlichen nicht um äußere Beschränkungen handelt, sondern um innere Faktoren, welche die volle Verwirklichung der Freiheit der Persönlichkeit blockieren.” (Fromm 1980, S.80)
Die neuen Lebenserscheinungen wie die scheinbare neue Freiheit machte den Menschen im Kapitalismus blind. Er gab ihm neue Rechte und Freiheiten (wie die freie Meinungsäußerung) gegen “alte Zwänge” jedoch “vergessen wir”, daß der moderne Mensch sich aber in der Lage befindet, wo vieles, was “er” denkt oder sagt, genau dasselbe ist, was auch alle anderen denken oder sagen; daß er sich nicht die Fähigkeit erworben hat, auf originelle Weise (das heißt selbständig) zu denken - was allein seinem Anspruch einen Sinn gibt, daß niemand des Recht hat, ihm die Äußerung seiner Meinung zu verbieten.” Diese Entpersönlichung der Menschen, die dazu führt, daß sie keine Individuellen Meinungen leisten können ist eine Ursache des kapitalistischen Apparates, welche ihre Regeln der Struktur nicht durch direkte Zwänge sondern durch Mitteln an Menschen ausübt, die nicht direkt wahrgenommen werden können:
“Wir sind von der Zunahme unserer Freiheit von Mächten außerhalb unserer selbst begeistert und sind blind für die inneren Zwänge und Ängste, die die Bedeutung der Siege, welche die Freiheit gegen ihre traditionellen Feinde gewonnen hat, zu unterminieren drohen.” (Fromm 1980, S. 81)
Gegenüber den “traditionellen Feinden” hatte der Mensch nun neue Feinde erworben die mit der neuen gesellschaftliche Struktur auch neue Dimensionen gewonnen hatte. Die ökonomischen und politischen Entwicklungen brachten neue Erscheinungen der Macht, die diese Entwicklungen gegen den Menschen selbst anwandten.
“Was der Protestantismus auf spirituellem Gebiet zur Befreiung des Menschen begann, hat der Kapitalismus auf geistig - seelischem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet fortgeführt.[. . .] Der Höhepunkt der Entwicklung der Freiheit im politischen Bereich war der moderne demokratische Staat, der sich auf den Grundsatz der Gleichheit aller Menschen und des gleichen Rechts aller gründet, sich durch Repräsentanten seiner eigenen Wahl an der Regierung zu beteiligen.” (Fromm 1980, S.82-83)
Die Veränderung der Freiheit auf dem geistig-seelisch Bereich trug “zur wachsenden Vereinsamung und Isolation des einzelnen bei und erfüllte ihn mit dem Gefühl seiner Bedeutungslosigkeit und Ohnmacht” (Fromm 1980, S.83). Die “individuellen Initiativen” , die mit diesem neuen System eine große Bedeutung gewann und als wichtiger Faktor des Systems dargestellt wurde und als “Prinzip die ‘Freiheit von’ ” vergrößerte, trug es andererseits dazu bei, sämtliche Bindungen der Menschen untereinander zu durchtrennen, wodurch es den einzelnen von seinen Mitmenschen isolierte.” (Fromm 1980, S.83) Wie zum Beispiel die Beziehung mit Gott und dem Menschen im Mittelalter. Sie beruhte auf die Kirche, die das “Bindeglied” zwischen dem Menschen und Gott darstellte. Diese Funktion der Kirche verringerte die persönliche Anschauung auf Menschen, jedoch fühlten sich die Menschen als eine Gruppe, die einer Macht zusammen wirkten. Die lutherische Auffassung, die diese Bindung, also die Kirche aufhob brachte den Menschen alleine Gottes Macht gegenüber und gab ihm das Gefühl “sein Heil in der völligen Unterwerfung” zu suchen. Dieser “spiritueller Individualismus” verlief mit dem “ökonomischen Individualismus” gleich und hatte die gleichen psychologischen Auswirkungen auf den Menschen:
“In beiden Fällen ist der einzelne völlig auf sich gestellt und steht in dieser Isolation einer überlegenen Macht gegenüber, ob es sich dabei um Gott, um seine Konkurrenten oder um unpersönliche Wirtschaftliche Mächte handelt.” (Fromm 1980, S.84)
Der Kapitalismus, dessen neue Werte dank Luther und Calvin geschaffen wurde, trug auch dazu bei, daß dem Menschen “das Gefühl für seine Würde und seinen Stolz nahmen und ihn lehrten, er habe mit seiner Tätigkeit Zwecken zu dienen, die außerhalb seiner selbst liegen”, weil ja “ein Hauptpunkt Luthers Lehre die Betonung der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur und der Vergeblichkeit allen guten Willens und allen Bemühens” war. Die Rolle des Menschen wurde somit geschaffen: “sich selbst als völlig unbedeutend zu empfinden und bereit zu sein, sein Leben ausschließlich Zwecken unterzuordnen, die nicht seine eigenen waren.” (Fromm 1980, S.85)
Was sind diese Zwecke die nicht seine eigenen waren und wie werden sie dem Menschen emposiert ? Nach Fromm bestimmt “in einer Gesellschaft der Geist, der in den mächtigsten Gruppen dieser Gesellschaft herrscht, den Gesamtgeist. Das kommt zum Teil daher, daß diese Gruppen das gesamte Bildungssystem unter Kontrolle haben [. . .]wodurch sie die ganze Bevölkerung mit ihren eigenen Ideen durchtränken” und diese Ideen der Gesellschaft emposieren als ob sie ihre eigenen wären, denn “die mächtigen Gruppen” haben ja ein solches “Ansehen” in der Gesellschaft, “daß die unteren Schichten nur allzu bereit sind, ihre Wertbegriffe zu übernehmen, sie nachzuahmen und sich mit ihnen psychologisch zu identifizieren.” (Fromm 1980, S.87) Diese Identifikation mit den anderen, ihm fremden Werten schafft “das ‘Selbst’, in dessen Interessen der moderne Mensch handelt”, ein gesellschaftliches Selbst, ein Selbst”, “das sich im wesentlichen mit der Rolle deckt, die der Betreffende nach dem, was die anderen von ihm erwarten, zu spielen hat und die in Wirklichkeit nur eine subjektive Tarnung seiner objektiven Funktionen in der Gesellschaft ist.” (Fromm 1980, S.90)
Fromm geht auch darauf ein, daß “der Mensch in bemerkenswertem Ausmaß gelernt hat, die Natur zu beherrschen” aber, daß jedoch “die Gesellschaft doch die von ihr ins Leben gerufenen Kräfte nicht unter Kontrolle” hat. Der Mensch, der sich im Produktionsablauf befindet schafft neue Produkte, pflügt die Felder und erntet, “aber er ist den Erzeugnissen seiner Hände entfremdet und er beherrscht die Welt nicht mehr, die er gebaut hat.” (Fromm 1980, S.90) “Diese vom Menschen geschaffene Welt” ist “zu seinem Herren geworden, dem er sich beugt, den er zu besänftigen und so gut er kann zu manipulieren versucht.” Denn er hat sich nun mit seinen eigenen zu einem “Werkzeug” gemacht und dient zu einem “Zweck jenes Apparates”, “den er selbst geschaffen hat” und befindet sich jetzt in “Bedeutungslosigkeit, Ohnmacht und Isolation” und “entfremdet” sich auch seiner Umwelt, und so “sind die Beziehungen der Menschen untereinander” eben “genauso entfremdet” (Fromm 1980, S.90)
Die Entfremdung zu den Machtapparaten, zu seinen menschlichen Beziehungen wirkt natürlich auch auf den Menschen selbst, der sich “zu seinem Selbst” entfremdet. Was ist nun anderes zu erwarten als daß, der “einzelne Mensch noch einsamer, noch isolierter”, und “zum Werkzeug in den Händen überwältigender starker Kräfte außerhalb seiner selbst wurde.” Dieses “unsichere Individuum” mußte sich in anderen Werten wiederfinden und schaffte sich neue, dem neuen System passende materielle Werte, die zu seinem selbst wurden:
“Seine Kleidungen oder sein Haus waren genauso Bestandteile seines Selbst wie der eigene Körper. Je weniger er das Gefühl hatte, jemand zu sein, um so dringender braute er Besitz.” (Fromm 1980, S.92)
Besitz trat in der Gesellschaft an die Stelle der menschlichen Werte, so daß es dem Menschen ankam mit dem Besitz auch an “Prestige und Macht” heranzukommen. Denn “die Bewunderung durch andere und die Macht über sie gaben dem Besitz, dem unsicheren individuellen Selbst eine gewisse Sicherheit” (Fromm 1980, S.92). Denn “das Gefühl der Ohnmacht und Vereinsamung hat beim einzelnen zugenommen”, und “fühlt sich von gigantischen Mächten bedroht.” Der Kampf gegen diese Macht, “eine ungeheure, wenn auch geheime Macht, wird über die Gesellschaft von einer kleinen Gruppe ausgeübt, von deren Entscheidung das Schicksal eines großen Teils unserer Gesellschaft abhängt” war eigentlich erfolglos. Diese Erfolglosigkeit gegen die Macht, die ihn neue Fesseln angebracht hatte, führte den Menschen zu einem neuen “Gefühl der Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit.” (Fromm 1980, S.94)
Die Mächte, haben heute keinen “konkreten Charakter” mehr, denn wenn man schon die Wahlen bedenkt, “sieht sich der Wähler Mammutparteien gegenüber, die ihm genauso fernstehen und ihn genauso einschüchtern wie die Mamutorganisationen der Wirtschaft.” (Fromm 1980, S.98) Nicht ist heutzutage so schnell wahrnehmbar, denn alles ist komplizierter und verläuft nicht mehr direkt vor Augen:
“Die wirtschaftliche und politische Szene ist komplizierter und umfangreicher geworden, als sie früher war, der einzelne ist daher weniger in der Lage, die Dinge zu durchschauen.” (Fromm 1980, S.99)
Auch der Lebensstil der Menschen entspricht den oben angegebenen neuen Anerkennungen:
“Die großen Städte, in denen der einzelne verlorengeht, die Häuser so hoch wie Berge, das ständige akustische Bombardement durch Radio, [. . .],der aufpeitschende Rhythmus des Jazz - all das und noch vieles andere ist Ausdruck einer Konstellation, die der einzelne nicht mehr unter Kontrolle hat und die derartige Dimensionen angenommen hat, daß er selbst im Vergleich dazu nur ein Staubkörnchen ist.” (Fromm 1980, S.100)
All das, was wir oben von Erich Fromm erwähnten, ergibt uns ein großes Bild von dem Menschen in der kapitalistischen gesellschaftlichen Ordnung, welches ihm nichts weiter als eine Welt der Entfremdung leistet und uns mit diesem Begriff vertraut macht.
Erich Fromm bestätigt auch unsere These, indem er auf Kafka zurückkommt:
“Franz Kafka hat das Thema der Machtlosigkeit des Menschen in seinem Werk auf höchst präzise Weise zum Ausdruck gebracht. In seinem Roman ‘Das Schloß’ schildert er einen Mann, der mit den geheimnisvollen Bewohnern eines Schlosses Verbindung aufnehmen will, die ihm sagen sollen, was er zu tun hat, und die ihm seinen Platz in der Welt zeigen sollen. Sein ganzes Leben erschöpft er sich in dem leidenschaftlichen Bemühen, mit ihnen in Berührung zu kommen, aber es gelingt ihm nie, und erbleibt allein mit seinem Gefühl äußerster Sinnlosigkeit und tiefster Hilflosigkeit.” (Fromm 1980, S.101)
“Aber dieses Gefühl der Isolierung und Ohnmacht des einzelnen, wie es diese Autoren [Franz Kafka, Julian Green] zum Ausdruck bringen und wie viele sogenannte Neurotiker spüren, wird vom normalen Durchschnittsmenschen nicht bewußt wahrgenommen. Dazu ist es zu anstrengend. Er überdeckt es mit der Routine seiner Alltagstätigkeit, mit der Bestätigung und Anerkennung, die er in seinen privaten gesellschaftlichen Beziehungen findet, mit seinem geschäftlichen Erfolg, mit allen möglichen Zerstreuungen, damit, daß er sich amüsiert, daß er Bekanntschaften schließt und ‘ausgeht’. Aber des Pfeifen im Dunklen macht noch nicht hell. Einsamkeit, Angst und innere Unruhe bleiben, und die kann der Mensch auf Dauer nicht ertragen. Er kann die Last der ‘Freiheit von ’ nicht immer weitertragen. Er muß versuchen, der Freiheit ganz zu entfliehen, wenn es ihm nicht gelingt, von der negativen zur positiven Freiheit zu gelangen.” (Fromm 1980, S.101)
Nach Martin Heidegger befindet sich der Mensch im “Mitsein” zwischen den anderen Menschen. Er bestrebt sich danach sein “eigenes Dasein” mit “den Anderen” zu vergleichen. Das Individuum will in der Gesellschaft einen Unterschied zwischen “den Anderen” haben. Er ist “im Besorge dessen, was man mit, für und gegen die Anderen ergriffen hat, ruht ständig die Sorge um einen Unterschied gegen die Anderen[. . .]”, denn er möchte kein Durchschnittsmensch sein (Heidegger 1980, S.126). “Existenzial ausgedrückt, es hat den Charakter der Abständigkeit” (Heidegger 1980, S. 126). Der Mensch möchte also einen bestimmten, ihm persönlichen individuellen Charakter besitzen, obwohl dies eigentlich nicht möglich ist denn, “nicht er selbst ist, die Anderen haben ihm das Sein abgenommen. Das Belieben der Anderen verfügt über die alltäglichen Seinsmöglichkeiten des Daseins. Diese Anderen sind dabei nicht bestimmte Andere. Im Gegenteil, jeder Andere kann sie vertreten.” (Heidegger 1980, S. 126). Also hat der Mensch als Persönlichkeit keinen Wert, denn jeder kann also diesen Menschen vertreten, weil er ja keinen Unterschied zwischen den Anderen hat, denn es befindet sich schon eine “übernommene Herrschaft der Anderen.” Obwohl man einen Unterschied zu der Masse haben möchte, ist man ja unter ihnen und nicht wo anders:
“Man selbst gehört zu den Anderen und verfestigt ihre Macht. ‘Die Anderen’, die man so nennt, um die eigene wesenhafte Zugehörigkeit zu ihnen zu verdecken, sind die, die im alltäglichen Miteinandersein zunächst und zumeist ‘ da sind’. Das Wer ist nicht dieser und jener, nicht man selbst und einige und nicht die Summe Aller. Das ‘Wer’ ist das Neutrum, das Man” (Heidegger 1980, S. 126).
Der Mensch hat also keinen “Subjektcharakter”, denn “dieses Miteinandersein löst das eigene Dasein völlig in die Seinsart ‘der Anderen’ auf, und zwar, daß die Anderen in ihrer Unterschiedlichkeit und Ausdrücklichkeit noch mehr verschwinden.” (Heidegger 1980, S. 126). Alle sind also jedermann. Man handelt nach den Anderen, obwohl man einen anderen Handlungscharakter haben möchte, denn “in dieser Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigene Diktatur. Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom großen Haufen” zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden “empörend”, was man empörend findet. Das Man, das kein bestimmtes ist das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor.” (Heidegger 1980, S. 126),
Mit dieser Abständigkeit, befindet sich das Dasein in einer durchschnittlichen Leben. Alle Handlungen, die er vollbringt sind die Handlungen jenes Menschen, der mit den Anderen im Durchschnitt ist.
“Die genannte Tendenz des Mitseins, die wir die Abständigkeit nannten, gründet darin, daß das Miteinandersein als solches die Durchschnittlichkeit besorgt.” (Heidegger 1980, S. 127)
Also ist jede Tendenz des Menschen, sei es auch das Bestreben danach nicht im Durchschnitt zu sein, sich als Anderer zu verhalten, als dies “was gewagt werden kann und darf, wacht über jede sich vordrängende Ausnahme.” (Heidegger 1980, S.127)
“Die Sorge der Durchschnittlichkeit enthüllt wieder eine wesenhafte Tendenz des Daseins, die wie die Einebnung aller Seinsmöglichkeiten nennen.” (Heidegger 1980, S. 127)
Als dies, was oben genannt wird, umkreist Heidegger mit einem Begriff: Die Öffentlichkeit und erklärt es folgend: “Abständigkeit, Duchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweise des Man das, was wir als ‘die Öffentlichkeit’ nennen.” (Heidegger 1980, S. 127). Die Öffentlichkeit ist ein Begriff der alle Handlungen in sich einschließt und eine Erklärung für sie ist. “Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt das so Verdeckte als das Bekannte und jedem Zugängliche aus”, meint Heidegger und möchte damit erklären, wie fremd es eigentlich dem Dasein manches ist, was ihm so erklärbar erscheint (Heidegger 1980, S. 127). Die Öffentlichkeit bietet dem menschlichen Dasein eine Welt, in der er sich mit allem vertraut macht, was um ihn geschieht. Er verhält sich nach dem Durchschnitt und fühlt sich in Obhut.
“Das Man ist überall dabei, doch so, daß es sich schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab.” (Heidegger 1980, S. 127)
In diesem Vertrauen in der Öffentlichkeit, verliert der Mensch sein Entscheidungsvermögen, was ihm eigentlich schon lange aus den Händen genommen war aber immer noch in dieser Täuschung ist das zu besitzen. Eigentlich fürchtet er sich ja eine Verantwortung für etwas zu haben. “Das Man entlastet so das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit” und in diesem “Leichtmachen” , “verfestigt es seine hartnäckige Herrschaft.” (Heidegger 1980, S.128)
Der Mensch ist ein “Dasein” , es ist ein Gattungswesen zwischen den anderen Gattungen. Auf die Frage “wer” gibt es also nur eine Antwort nach Heidegger: “Das Man.” Das Man entpersönlicht den Menschen, weil es keine individuellen Eigenschaften besitzt. Der Mensch verliert seine Bedeutung, weil man auf die Frage “wer” keine Antwort finden kann:
“Jeder ist der Andere und Keiner er selbst. Das Man, mit dem sich die Frage nach den Wer des alltäglichen Daseins beantwortet, ist das Niemand, dem Dasein im Untereinandersein sich je schon ausgeliefert hat.” (Heidegger 1980, S. 128)
Zu den oben erwähnten Tendenzen tritt noch ein anderes dazu, die “Ständigkeit”:
“Diese Ständigkeit betrifft nicht das fortwährende Vorhandensein von etwas, sondern die Seinsart des Daseins als Mitsein. In den genannten Mit seiend hat das Selbst des eigenen Daseins und das Selbst des Anderen sich noch nicht gefunden bzw. verloren. Man ist in der Weise der Unselbständigkeit und Uneigentlichkeit.” (Heidegger 1980, S. 128)
Wenn man das noch mal zusammenfassen sollte, läßt sich die Auffassung von Heidegger folgend erklären: Der Mensch ist ein Dasein, so daß man auf die Frage ‘wer’ keine Antwort findet als das Man. Das Man befindet sich in Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung, Öffentlichkeit, Entgegenkommen und Ständigkeit. All diese Fakten kommen deshalb zustande, weil sich “das Dasein” im alltäglichen “Untereinandersein” befindet. Das “Miteinandersein” mit Anderen ist die Ursache das der Mensch - “ das Sein” in der Welt “verloren” geht, aber natürlich ist es auch nicht vorstellbar dieses nicht zu tun.
Seeman, der dem Begriff Entfremdung eine neue Dimension leistet definiert es folgend:
“Diese “Säkularisierung” (Seeman) des Entfremdungbegriffs setzt an einer sozialpsychologischen Formulierung verschiedener Varianten der Entfremdung aus der Sicht des Handelnden an, die als individuelle Einstellungen gegenüber verschiedenen Merkmalen der Arbeits- und Lebenssituation untersucht wird Die sozialpsychologische Grundthematik wird dadurch formuliert, daß eine Diskrepanz zwischen möglicher und tatsächlicher sozialer Praxis den Alltag des Menschen bestimmt, die in mangelnden Kontrollmöglichkeiten über wirtschaftliche und politische Prozesse zum Ausdruck kommt.” (Heinz 1992, S.135)
Seeman (1972) hat das globale Entfremdungskonzept in sechs Varianten oder Dimensionen differenziert, um eine möglichst umfassende empirische Erhebung von Entfremdung als sozialer Einstellung zu ermöglichen:
1. Machtlosigkeit oder das Gefühl geringer Kontrollmöglichkeiten gegenüber Ereignissen und Institutionen;
2. Sinnlosigkeit oder das Gefühl der Undurchschaubarkeit persönlicher und sozialer Zusammenhänge;
3. Normenlosigkeit oder die Erwartung, gesellschaftlich akzeptierte Ziele nur mit illegitimen Mitteln erreichen zu können;
4. kulturelle Zurückweisung oder Ablehnung allgemein anerkannter Werte der Gesellschaft bzw. verschiedener Gruppen;
5. Selbstentfremdung oder Eingebundenheit in Aktivitäten, die nicht in sich, d.h. keine intrinsische Befriedigung ermöglichen;
6. Soziale Isolierung oder das Gefühl, sozial ausgeschlossen bzw. zurückgewiesen zu werden. (Heinz 1992, S.135)
Die Gegenüberstellung von “Gemeinschaft” und “Gesellschaft” bei Tönis, die Kategorie des “Kollektivbewußseins” bei Durkheim, die Konsequenzen “sozialer Differenzierung” bei Simmel, die Tendenzen zur “Bürokratisierung” nach Max Weber, das Problem des Außenlenkung bei D. Rieman, die “Rollentheorie” R. Dahrendorf, “das Unbehagen in der Kultur” bei Freud, die gesellschaftlichen Analysen von Herbert Marcuse enthalten Reflexionen über negative Einwirkung sozialer Strukturbedingungen auf die Individualität und Identität des Menschen, die wir hier nicht einzeln aufnehmen konnten. All diese Auffassungen und Analysen geben uns eine Tatsache die uns zu der Entfremdung zurückführen.
Die von Seeman entwikelte Definition des Begriffs, ist eine Auffassung, die all die Entfremdungserfahrungen auf dem Gebiet der Philosophie, der Politik, der Arbeitswelt und der Menschenpsychologie umfaßt. So werde ich die Entfremdungsdimensionen der Charaktere im Roman nach einigen von diesen Überschriften zu systematisieren versuchen, um die verschieden Erscheinungen der Entfremdung, eine Übersicht gewinnen zu lassen. Daneben werde ich, die oben erwähnten verschiedenen Entfremungsauffassungen aufnehmen und im betreffenden Fall ihre Parallelität mit dem Roman zeigen.
2.0 DIE ANALYSE DER ENTFREMDUNG DES INDIVIDUUMS IN DEM ROMAN “DER VERSCHOLLENE”
2.1 ÜBER DEN ROMAN “Der Verschollene” (1912)
Der unvollendete Roman “Der Verschollenen” handelt von dem siebzehnjährigen Karl Roßmann, der von seinen Eltern nach Amerika geschickt wird, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hat. Schon auf dem Schiff konfrontiert er sich mit der Tatsache der ungerechten Behandlung und dem erfolglosen Versuch, Recht zu bekommen. Mit der Heizer-Episode beginnt der Roman und das Thema der Ungerechtigkeit, welches den ganzen Roman durchzieht. Er wird von seinem Onkel, der ein Senator ist, aufgenommen und nach kurzer Zeit wieder ausgewiesen. Karl kann dieser Verstoßung keinen Sinn geben, jedoch bleibt es ihm nichts mehr übrig , als sich auf dem neuen Kontinent alleine zurechtzufinden. Auf dem Weg ins Unbewußte, trifft er Robinson und Delemarche, die wie Karl arbeitslos sind und aus der Fremde kommen. Jedoch bereiten sie ihm nichts weiter als Probleme und Unbehagen, so daß er durch ihre Anwesenheit von seiner Stelle als Liftjunge in dem “Hotel Occidental”, wieder auf ungerechte Weise entlassen wird. Auch später, als Karl sich in einer totalen Ausweglosigkeit befindet, nehmen sie ihn unter den Dienst Bruneldas auf, wo er unter ihrer Gefangenschaft leiden muß.
Karl Roßmann bleibt dem neuen Kontinent bis zum Ende des Romans fremd, wird von der neuen Welt nicht eingenommen, kann keine Freundschaften aufbauen und macht nur negative Erfahrungen, die ihn zur Hoffnungslosigkeit führen. Jeder, den er trifft, behandelt ihn feindlich und keiner erlaubt, daß Karl sich in Amerika einlebt. Er bleibt “verschollen”, bis er dem “Naturtheater von Oklahama” begegnet. Diese utopische Welt gibt Karl all die Möglichkeiten, die er in Amerika nicht finden konnte. So gelingt es Karl schließlich in einer utopischen Welt ein zu Hause zu finden, welches ihm in der realen Welt nicht möglich wurde.
2.2 Machtlosigkeit als Faktum der Entfremdung
2.2.1 Die Herrscher in der Gesellschaft
In dem Roman “Der Verschollene” beschreibt Kafka die moderne Arbeitswelt und ihre Einflüsse auf das Individuum. Wenn man einige Einzelheiten nicht beachtet, kann man denken, daß der Roman unser Jahrhundert beschreibt. Wie in unserem Jahrhundert der Fall ist, ist das Individuum mit einer Welt konfrontiert, in der sich zwischen den vielen Machtinstitutionen nicht mehr zurechtfinden kann. Wie Karl Roßmann hat nun jeder das Gefühl verschollen zu sein.
Die gesellschaftliche Entwicklung hat nämlich ganz andere Dimensionen gewonnen, die sich in ganz anderen Organisationen und Institutionen gegen das Individuum stellen. Die sichtbaren und mächtigen Könige der Monarchie oder die feudalen Herren gibt es nun nicht mehr. Keine konkrete Macht befindet sich mehr, so daß man durch die Erscheinung diese konkreten Existenzen wahrnehmen könnte.
Die Machtinhaber der modernen Gesellschaft, kennzeichnen sich durch ihren Reichtum und Besitz, welche sie durch die Arbeit anderer leisten. Für wen diese großen Massen arbeiten, wen sie bereichern und ermächtigen bleibt ihnen fremd. Somit organisierten sich nun diese Mächte zu Kartellen und anderen Supermächten, die genauso wie in den Romanen “Der Prozeß” und “Das Schloß” geheim und unerreichbar existieren und jeden Tag mehr an Macht gewinnen. “Der geheime ökonomische und psychologische Mechanismus dieser Gesellschaft und seine satanischen Konsequenzen werden hier schonungslos bloßgelegt”, meint Wilhelm Emrich zum Roman “Der Verschollene.” (Emrich 1975, S.227)
Einer von den Repräsentanten dieses geheimen ökonomischen und psychologischen Mechanismus in dem Roman, ist der Onkel von Karl Roßmann, der durch seine politische und wirtschaftliche Macht große Anteilnahme an diesem System hat.
Der Onkel Edward Jakob, ist nicht nur eine Autorität für Karl sondern für ganz Amerika. “Er ist der Staatsrat” (Kafka 1983,S.27)[1] und zugleich Geschäftsmann, der sich mit einer “Art Kommissions - und Speditionsgeschäftes, wie sie, soweit sich Karl erinnern konnte, in Europa vielleicht gar nicht zu finden war” (V. 47) beschäftigt und “seine Hände” überall “im Spiel” hat (V.87).
“Das Geschäft bestand nämlich in einem Zwischenhandel, der aber die Waren nicht etwa von den Produzenten zu den Konsumenten oder vielleicht zu den Händlern vermittelte, sondern welcher die Vermittlung aller Waren und Urprodukte für die großen Fabrikskartelle und zwischen ihnen besorgte. Es war daher ein Geschäft, welches in einem Käufe, Lagerungen, Transporte und Verkäufe riesenhaften Umfangs umfaßte und ganz genaue unaufhörliche telephonische und telegraphische Verbindungen mit den Klienten unterhalten mußte.” (V.47)
Das Geschäft mit welchem sich der Onkel beschäftigt ist also keine Arbeit, die mit einer direkten Produktion oder Mühe zu tun hat:
“Es geht in dieser verselbständigen Arbeitswelt primär nicht mehr um Produktion und Konsumtion, sondern um die Vermittlung und einträgliche Verschiebung der Waren, die ungleich mehr einbringen als direkte Warenherstellung und direkter Verkauf an Verbraucher.” (Emrich 1975, S.229)
Der Reichtum dieser neuen wirtschaftlichen Supermächte kommt nicht durch die direkte Produktion zustande, sondern durch eine neue wirtschaftliche Leistung, die sich mit der Industrialisierung entwickelte und viel mehr Gewinn leistet, als die direkte Produktion von Waren. Der leichte Gewinn durch die Leistung anderer ist ein Kennzeichen der modernen Industriegesellschaft, in dem der Produzent, der Ärmste; der Vermittler oder Verkäufer der Reichste in der Gesellschaft ist
Auch das “Hotel Occidental” beruht nicht auf Produktionsleistung, sondern Dienstleistung, welches sich im Prozeß des Romans ständig vergrößert. Zuerst hat es mindestens 536 Zimmer, später wird die Zimmernummer 536 genannt und schließlich wird es ein riesiges Gebäude mit fünftausend Gästen. Das System verkörpert sich in dem Hotel, das größer und größer wird und am Ende dessen Höhe man gar nicht mehr beimessen kann.
Ein anderer von den Anteilhabern an diesem großen Reichtum, den Karl antrifft ist ein gewisser Mak, den der Onkel besonders zu achten scheint. Denn auch er ist ein Herrscher des Systems, wie sein Vater Mack, der der “größte Bauunternehmer von New-York” ist (V.103):
“Der allererste Bekannte, dem Karl eines Vormittags vorgestellt wurde, war ein schlanker, junger, unglaublich biegsamer Mann, den der Onkel mit besonderen Komplimenten in Karls Zimmer führte. Es war offenbar einer jener vielen vom Standpunkt der Eltern aus gesehen mißratenen Millionärssöhne, dessen Leben so verlief, daß ein gewöhnlicher Mensch auch nur einen beliebigen Tag im Leben dieses jungen Mannes nicht ohne Schmerz verfolgen konnte. Und als wisse oder ahnte er dies, und als begegne er dem, soweit es in seiner Macht stand, war um seine Lippen und Augen ein unaufhörliches Lächeln des Glückes, das ihm selbst, seinem Gegenüber und der ganzen Welt zu gelten schien.” (V.45)
Die anderen Figuren in dem Roman, die sich durch leichten Gewinn auf die höchsten Stufen der Gesellschaft eingeordnet haben, sind die Freunde von dem Onkel, Herr Pollunder der “Bankier” (V.50) und Herr Green; sie “sind die eigentlichen Herrscher der Zeit.” (Emrich 1975, S.237)
Kafka stellt diese Personen mit ihrem ganzen Reichtum dar. Die Armut Karls, die schon im ersten Absatz des Romans angedeutet wird, wird hier dem Reichtum dieser Menschen nackt gegenübergestellt. Der Klassenunterschied in der Gesellschaft wird mit Karl und seinem Onkel und Freunden angedeutet. Karl war “von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden” um von dem “Dienstmädchen” loszukommen, der ihn “verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte” zugleich auch um sein Schicksal auf dem Boden der Hoffnungen und des Reichtums zu verändern. Die Armut der Eltern ist die Armut vieler Massen auf der Welt, die genauso wie der Vater Karls nur von dem Leben der Reichen träumen kann. Der Vater kann nur von dem Schreibtisch des Onkels träumen aber nie besitzen. Mit dem “Schreibtisch bester Sorte, wie sich” Karls “Vater seit Jahren gewünscht” es ihm aber “bei seinen kleinen Mitteln jemals gelungen wäre” (V.41) eines zu besitzen, oder mit dem “hoch aufgebaute (n) Automobil” (V.45) werden hier die Schichten der Gesellschaft gegenübergestellt.
Auch bei Pollunder wird der Reichtum und die Macht dieser Gruppen deutlich. Er trägt eine “dunkle Weste” wie die Richter in dem Roman “Der Prozeß”, und eine “goldene Kette” (V.52) und verschenkt eine Zigarre, “die von jener Dicke war, von der der Vater zuhause hie und da als von einer Tatsache zu erzählen pflegte, die er wahrscheinlich selbst mit eigenen Augen niemals gesehen hatte. . .” (V.60). Er bewohnt ein Haus, welches mehr “eine Festung keine Villa” ist und mit seiner Größe Karl bewundert: “Das Automobil stand vor einem Landhaus, das, nach Art von Landhäusern reicher Leute in der Umgebung Newyork, umfangreicher und höher war, als es sonst für ein Landhaus nötig ist, das bloß einer Familie dienen soll. Da nur der untere Teil des Hauses beleuchtet war, konnte man gar nicht beimessen, wie weit es in die Höhe reichte.” (V.54)
Der Reichtum, die diese Menschen verfügen sind mehr als insgesamt ein New Yorker Quartier verfügt. Die eine Gruppe, zu der Pollunder gehört, besitzt Festungen in dem viele Familien Obdach finden könnten. Aber viele Räumlichkeiten dieser Festungen werden gar nicht benutzt und stehen frei, wobei auf der anderen Seite viele Menschen in sehr schlechten Bedingungen “in kleinen Zimmern” zu leben versuchen:
“Es war eine Raumverschwendung sondergleichen und Karl dachte an die östlichen Newyorker Quartiere, die ihm der Onkel zu zeigen versprochen hatte, wo angeblich in einem kleinen Zimmer mehrere Familien wohnten und das Heim einer Familie in einem Zimmerwinkel bestand, in dem sich die Kinder um ihre Eltern scharten. Und hier standen so viele Zimmer leer und waren nur dazu da, um hohl zu klingen, wenn man an die Türe schlug.” (V.69).
Der Besitz dieser Menschen ist schon weit voraus von den normalen Bedürfnissen der Menschen. Es ist Gier, was die Menschen an Macht und Reichtum bestreben läßt, also ein Wert, welches sich mit der enormen Entwicklung der Gesellschaft geprägt hat. Ihr Reichtum und Besitz ist eigentlich der Besitz von vielen anderen in der Gesellschaft, welche sie bewältigt haben.
Auch Green und Pollunder sind einander Konkurrenten, die mit der Vernichtung des anderen Gewinn erzielen. Die Gier Greens wird schon am Eßtisch deutlich. Er ergreift “mit einem Schwung die Speise”, so daß es Karl “fast übel” (V.58) wird und vom Tisch aufsteht. Green nimmt so eine “lächerlichen Größe” an, daß Karl befürchtet, Green habe “nicht etwa den guten Pollunder aufgefressen.” (V.85) Auch in Pollunders Gesicht erscheint die “Kraft des Gesättigten” (V.59)
Sie sind Personen, deren “Einfluß auch in Winkel und Nischen” verbreitet sind, die Karl “persönlich niemals betreten würde” (V.60). Ihre Mächtigkeit ist auch äußerlich erkennbar. Sie sind riesig wie das System in dem sie ihre Herrschaft genießen: “Vor der riesigen Gestalt Greens - an Pollunders Größe hatte sich Karl eben schon gewöhnt [. . .]” (V.56) Vor ihm fühlt sich Karl klein und unterdrückt. Sie repräsentieren mit ihrem Dasein das riesige, undurchschaubare große System, vor dem Karl winzig klein erscheint. Die Größe dieser Menschen zeigt, die Größe des Mechanismus, in dem der Mensch sich unterdrückt und machtlos empfindet, wobei auch die Furcht standgehalten wird.
Auch die Religion dient den Machtgruppen, wie im Roman “der Prozeß”, wo der Geistliche meinte, daß er “zum Gericht” gehöre (Kafka 1990, S.205). Das Verhältnis der Religion mit den Machtapparaten wird auch deutlich, wenn man an die Kapelle denkt, die sich in der Nähe von Pollunders Haus befindet: “ ‘Die Brüstung, an der man in diesem Gang vorbeikommt geht also in eine Kapelle hinaus ?” (V.84), fragt Karl erstaunt. Noch dazu hört man die Glocken, die einen drohenden Geräusch ausgeben, als würden sie für die Dörfler läuten, um sie von der herrschenden Irdigkeit abzuschrecken und eine Gehorsamkeit wie vor Gottesmacht zu bezwecken:
“In diesem Augenblick erklangen zwölf Glockenschläge, rasch hintereinander, einer in den Lärm des andern dreinschlagend, Karl fühlte das Wehen der großen Bewegung dieser Glocken an den Wangen. Was war das für ein Dorf, das solche Glocken hatte !” (V.84)
Auch die politischen Führer und wie die Richtern werden auf den Schultern getragen:
“Auf den Schultern eines riesenhaften Mannes saß ein Herr, von dem man [. . .]nichts anders sah, als eine matt schimmernden Glatze, über der er seinen Zylinderhut ständig grüßend erhoben hielt.” (V.224)
Wie in dem Roman “Der Prozeß” stellt sich heraus, das die Justiz doch auch nicht mit verschlossenen Augen handelt, sondern für die eigenen oder bestimmten Interessengruppen dient.
Dabei spielt das Verhältnis der Politik und Wirtschaft in diesem Roman eine wichtige Rolle und zeigt die wechselseitige Beziehung zwischen ihnen. Als Beispiel kann man den Onkel Karls geben, der Senator und zugleich auch ein reicher Geschäftsmann ist. Nach der Erzählung des Onkels fing er mit einem kleinen Geschäft an und vergrößerte es mit der Zeit. Der Reichtum des Onkels führte also dazu, daß er in der Politik so weit die Treppen hinaufstieg, bis er Senator wurde. Daran ist zu erkennen, daß die politische Macht aus der wirtschaftlichen zu erreichen ist und daß es eigentlich für die andere arme Bevölkerung geradezu unmöglich ist, in der politischen Welt Teilnahme zu haben. So bleibt wie die Teilnahme der Massen an der Regierung, also an der Bestimmung ihres eigenen Schicksals unmöglich und bleibt in den Händen bestimmter Gruppen, die über viele Massen Entscheidungen treffen. Somit wird wie für den Einzelnen, als auch für die Masse das Leben von anderen bestimmt, die weder einen Einblick in den ganze Verlauf haben, noch die Macht besitzen für sich zu bestimmen. Wie auch in den anderen Romanen steht das Individuum in einer totalen Machtlosigkeit gegenüber dem Staatsapparat, der ihm alle Wege der Entscheidungsmöglichkeit entnommen und ihn dadurch entfremdet hat.
Karl kommt dieser Macht schon im Schiff entgegen. Auch im Schiff befindet sich eine bestimmte Hierarchie, die mit dem Kapitän beginnt und anderen Personen sich vervollständigt. Bei dem Prozeß des Heizers trifft er schon den “Feind frei und frisch im Festanzug” (V.23) Die Macht verkörpert sich in Schubal:
“Draußen stand in einem Kaiserrock ein Mann von mittlern Proportionen, seinem Aussehn nach nicht eigentlich zur Arbeit der Maschinen geeignet und war doch - Schubal.” (S.23)
Wie von dem Heizer, von dem man erwartet, jegliche Ungerechtigkeit annehmen zu müssen, so erwartet man es eigentlich von der ganzen Gesellschaft, die hier der Heizer vertretet. Der Oberkassier sagt schließlich zu dem Heizer: “Wie oft hat man Ihnen im Guten gesagt, daß Schubal Ihr unmittelbarer Vorgesetzter ist, mit dem allein Sie sich als ein Untergebener abzufinden haben !” (V.19) Die Entscheidung wird gegen den Heizer schnell getroffen. Der Heizer hat dabei keine Entscheidungsfreiheit und kann sich gar nicht mal über die getroffene Entscheidung wehren. Als Untergebener muß er sich mit den Verhältnissen abfinden und hat kein Recht etwas dagegen zu sagen. Er wird an seine Rolle erinnert und gleich resigniert.
Die Rangordnung in der Gesellschaft, die Hierarchie in allen Verhältnissen dient wie all die anderen Mitteln sich mit der bewältigen Macht abzufinden und sich vor diesem System “als ein Untergebener” zu fühlen, vor allen Institutionen, die das System dem Individuum gegenüberstellt. Die Hierarchie in der Gesellschaft läßt sich auch im Hotel sehen. Wie in dem Roman “der Prozeß” oder “Das Schloß”, in denen die Macht durch Zuständige bewahrt wird, kommen auch in dem Roman ein “Oberkellner”, eine “Oberköchin” und ein “Oberporiter” vor, die schon durch ihre Namen ihre Stellungen verdeutlichen.
So stehen wir auch in dem Roman “Der Verschollene” einer Macht gegenüber, die sich in allen Organen sei es im Wirtschaftlichen Bereich, in der Politik oder Justiz gegen den Bürger der modernen Gesellschaft stellt. Schon in den Bildern stellt sich das heraus:
“Dieses Bild stellte die Loge des Präsidenten der Vereinigten Staaten dar. Beim ersten Anblick konnte man denken, es sei nicht eine Loge, sondern die Bühne, so weit geschwungen ragte die Brüstung in den freien Raum. Diese Brüstung war ganz aus Gold in allen ihren Teilen. Zwischen den wie mit der feinsten Scheere ausgeschnitten Säulchen waren nebeneinander Medaillons früherer Präsidenten angebracht, einer hatte eine auffallend gerade Nase, aufgeworfene Lippen und unter gewölbten Lidern starr gesenkten Augen.. . .Man konnte sich in dieser Loge kaum Menschen vorstellen, so selbstherrlich sah dieser aus.” (V.288)
Wie das Hotel, dessen Größe durch sein Anwachsen nicht mehr zu sehen ist, so groß ist, ist auch der Aufstieg des wirtschaftlichen Apparates, so daß man keinen Einblick mehr bekommen kann. Auch im politischen Bereich, befindet man sich vor einer undurchschauberem Mechanismus, der seine Macht ständig vergrößert und unbesiegbar wird. So wie Karl den Präsidenten nur auf dem Bild sehen kann, also weit von der regieren Macht ist, und sie ihm unerreichbar erscheint, so bekommt keiner in der Gesellschaft zu dem ganzen Verlauf des Alltags eigentlich keinen Einblick.
Auch der Onkel von Karl möchte nicht, daß Karl einen Einblick in sein Geschäft bekommt:
“Verhältnismäßig lange dauerte es, ehe sich der Onkel entschloß, Karl auch nur einen kleinen Einblick in sein Geschäft zu erlauben, trotzdem Karl öfters darum ersucht hatte. (V.47)
Die Macht befindet sich in einer kleinen Gruppe der Gesellschaft und möchte sich nicht ausbreiten, denn je mehr sich die Macht ausbreiten würde, desto mehr würde sie ihre Eigenschaft und Existenz verlieren und sich mit der Zeit auflösen. Das System besteht nämlich davon, daß eine kleine Gruppe wie auch die wirtschaftliche so auch die politische Macht verfügt, die anderen großen Massen zu beherrschen und sie mit kleinen Gaunereien zu betrügen wie bei der Richterwahl, bei denen kostenlos etwas zu trinken ausgegeben wird, so daß durch diese kleinen Bestechungen die Gehorsamkeit standgehalten wird:
“Die Straßen war nun wenigstens auf der Seite, wo sich das Gasthaus befand, weithin mit Menschen angefüllt[ . . .]von unten, von der Brücke her liefen sie herauf, und selbst die Leute in den Häusern hatten der Verlockung nicht widerstehen können, in diese Angelegenheit mit eigenen Händen einzugreifen, auf den Balkonen und in den Fenstern waren fast nur Frauen und Kinder zurückgeblieben, wahrend die Männer unten aus den Haustoren drängten.” (V230-231)
Dieses riesige politische und wirtschaftliche System mit seiner Machtauserlegung, Rangordnung, Hierarchie bewahrt seine Struktur mittels anderer, die in diese Struktur eingeordnet werden und von oben nach unten wieder durch sich selbst regiert werden.
Die Befugnis der Macht, kommt direkt zur Erscheinung, wenn sich jemand befindet auf dem man das auszuüben bekommt. Auch Karl ist einer von denen, so stellt sich der Oberportier direkt gegen Karl, der von ihm erwartet bei jedem Antriff begrüßt und als Oberportier benannt zu werden, um seine Rang bei jeder Minute spüren und genießen zu können:
“Du bist der einzige Junge, welcher mich grundsätzlich nicht grüßt. Was bildest Du Dir eigentlich ein ! Jeder der an der Portierloge vorübergeht muß mich grüßen. mit den übrigen Portiers kannst Du es halten, wie Du willst, ich aber verlange gegrüßt zu werden.” (V.158) ‘Du hast mich jedesmal zu grüßen, jedesmal ohne Ausnahme, Du hast die ganze Zeit, während Du mit mir sprichst die Kappe in der Hand zu halten, Du hast mich immer mit Oberportier anzureden und nicht mit Sie. Und alles das jedesmal und jedesmal.” (V.159)
Die Erwartung des Oberportiers ist weit von der Akzeptanz des menschlichen Verstands. So deutet es Karl aus:
“Ich habe Sie jeden Tag einigemal gegrüßt. Aber natürlich nicht jedesmal wenn ich Sie gesehen habe, da ich doch täglich hundert an Ihnen vorüberkomme’” (V.159) Er kann dabei aber auch seine Rachsucht verstehen und sagt: “Und wenn ich Sie wirklich nicht gegrüßt haben sollte, wie kann denn ein erwachsener Mensch wegen eines unterlassenen Grußes so rachsüchtig werden !” (V.184)
Es erweckt “Genuß” bei dem Herrschenden, für die Unterdrückung der anderen zu sorgen. “Aber da Du nun einmal hier bist, will ich Dich genießen” , meint der Oberportier. (V.183)
Die Macht nimmt besonders in denen Händen, die indirekt dafür dienen eine teuflische Gestalt auf. Sie wird durch die Hierarchie der Unterdrückung stufenweise vermehrt, so daß sie auf die Unteren als totale Versklavung wirkt, die mit einer totalen Hingabe der bewältigenden Mächtigen ans Ziel gelangt.
Die Macht des Oberportiers besteht auch darin, daß er die Türen bewacht, also den Eintritt aller bestimmen kann. So sagt er: “Im übrigen bin ich in gewissem Sinne als Oberportier über alle gesetzt, denn mit unterstehn doch alle Toren des Hotels.” Emrich vergleicht den Oberportier mit dem Türhüter, der in dem Roman “Der Prozeß” vorkommt und schildert diese Macht folgend:
“Die scheinbar bedeutungsloseste, niedrigste Figur eines öffentlichen Gebäudes, der Portier, wird zur beherrschenden Gestalt, weil alles auf Vermittlung eingestellt ist, niemand mehr unmittelbar einzutreten und sich frei zu behaupten wagt.” [. . .] “Kafkas Türhüter und ins Riesige wachsende Vermittlungsinstanzen sind das Bild einer Zeit, deren Apparaturen sich unaufhörlich automatisch vergrößern [. . .].” (Emrich 1975, S.238)
Die Macht in dem Roman “der Verschollene” kennzeichnet sich also mehr als eine wirtschaftlich-politische Macht, die ihre Existenz auf der Arbeit und Beherrschung größerer Massen verwirklicht und diese Existenz durch die Entfremdung der Massen standhält.
2.2.2 Die wechselseitigen Herrschaftsverhältnisse
Als Gustav Janouch Kafka eine Zeichnung von Georg Grosz zeigte, auf der das Kapital in Gestalt eines dicken Mannes dargestellt wird, der auf dem Geld der Armen sitzt, sagte Kafka, das Bild sei nicht ganz vollständig sei und der Wahrheit nicht ganz entspreche:
“Der dicke Mann im Zylinderhut sitzt dem Armen im Nacken. Das ist richtig. Der dicke Mann ist aber der Kapitalismus, und das ist nicht mehr ganz richtig. Der dicke Mann beherrscht den armen Mann im Rahmen eines bestimmten Systems. Er ist aber nicht das System selbst. Er ist nicht einmal Beherrscher. Im Gegenteil: Der dicke Mann trägt auch Fesseln, die in dem Bild nicht dargestellt sind. Das Bild ist nicht vollständig. Darum ist es nicht gut. Der Kapitalismus ist ein System von Abhängigkeiten, die von innen auch außen, von außen nach innen, von oben nach unten und von unten nach oben gehen. Alles ist abhängig, alles ist gefesselt. Kapitalismus ist ein zustand der Welt und der Seele” (Janouch 1994, S.101)
Auch die Herrscher, die in diesem System als die Mächtigsten erscheinen leiden unter dem System, welches sie schufen. So steht der Onkel seinen eigenen “Prinzipien” gegenüber. Er nennt sich als “ein Mann von Prinzipien” (V.85), die nicht nur seiner Umgebung sondern sich selbst unangenehm erscheinen. Jedoch muß er sich seiner Macht halber gegen “allgemeinen Angriffen” währen, zu denen er auch seinen Neffen zählt. Diese strenge Disziplin und Ordnungsliebe führt dazu, daß sich der Onkel von seinem Neffen trennen muß. Da er von seinen Prinzipien nicht preisgeben kann, bevorzugt er seinen Neffen zurückzuweisen, um seinen Platz in diesem System nicht zu verlieren. Das System erfordert nämlich auch von denen, die “die Hände im Spiel” haben nach seinen Regeln zu spielen. Auch er “trägt Fesseln” ist von anderen abhängig, wird wie auch körperlich, so auch seelisch beherrscht. Denn die Regeln des Systems dulden keine menschliche Schwächen, wie Liebe oder Zuneigung zu anderen Personen, sonder erwarten den Verlust aller menschlichen Gefühle und Bedürfnisse und gestaltet jeden zu einem gefühllosen menschlichen Wesen, das von den Prinzipien des Systems, die man für seine eigenen hält beherrscht wird. So wird auch der Herrscher von diesem System beherrscht, da er seine persönliche Existenzwünsche nicht vollbringen kann.
So sind auch die beiden Freunde von dem Onkel, Green und Pollunder eigentlich auch Betroffene des Systems:
“Übrigens hatte man, wenn er so neben Green stand, den deutlichen Eindruck, daß es bei Herrn Pollunder keine gesunde Dicke war, der Rücken war in seiner ganzen Masse etwas gekrümmt, der Bauch sah weich und unhaltbar aus, eine wahre Last, und das Gesicht erschien bleich und geplagt. Dagegen stand hier Herr Green, vielleicht noch etwas dicker als Herr Pollunder, aber es war eine zusammenhängende, einander gegenseitig tragende Dicke, die Füße waren soldatisch zusammengeklappt, den Kopf trug er aufrecht und schaukelnd, er schien ein großer Turner, ein Vorturner, zu sein.” (V.79)
Sie sitzen auf den obersten Stufen des Systems dank der Massen, die sie auf den Schultern hinauf getragen haben aber sind gleichermaßen betroffen, wie die, die sich hinaufgetragen haben. Denn Pollunder und Green tragen die “Last” des Systems, das die Menschen zu Stufen einer Treppe gemacht hat, die den Aufstiegs dieser Herren gewährleisten. Deshalb ist die “Dicke” Pollunders auch keine “gesunde”, wobei Greens eine schon weit schlimmere ist, weil er einem “Vorturner” gleicht, der alle Hindernisse mit seinen “soldatisch zusammengeklappten” “Füßen” zertreten und vernichtet und seine Menschlichkeit schon längst verloren hat (V.79)
So auch der Oberportier, der andere Menschen beherrscht aber auch selbst irgendwo unten in der Hierarchie ist, wobei man nicht weiß, wer ganz oben sitzt. So trägt auch er, die Psychologie des Untergeordnetseins und möchte dieses Gefühl aufheben, indem er andere Untergeordnete gleichfalls unterdrückt, wie er von anderen unterdrückt wird. “Die Qual aber schlägt auf den Quälenden zurück. . . Auch der grausam sadistische Oberportier ist selbst in Wahrheit ein Gequälter.” (Emrich 1975, S.240)
Auch äußerlich seine Unterdrückung zu erkennen:
“Es war dies ein großer Mann, den seine üppige reichgeschmückte Uniform - noch auf den Achseln und die Arme hinunter schlängelten sich goldene Ketten und Bänder - noch breitschultriger machte, als er von Natur aus war. . .Im übrigen konnte sich der Mann infolge seiner Kleiderlast überhaupt nur schwer bewegen und stellte sich nicht anders, als mit seitwärts eingestemmten Beinen auf, um sein Gewicht richtig zu verteilen.” (V.154)
Die Last, die er auf sich trägt, hindert ihn sich frei zu Bewegen. Denn er trägt die gleiche Last wie Pollunder und Green, die seine freie Bewegungsfreiheit verhindert
Auch in seinem Familienleben scheint dieser Mann zu leiden, welches die Oberköchin Karl erklärt:
“Er ist zwar ein aufgeregter Mann, was bei seinem Dienst kein Wunder ist, aber er hat auch Frau und Kinder und weiß, daß man einen Jungen, der nur auf sich angewiesen ist, nicht unnötig plagen muß, sondern daß das schon die übrige Welt genügend besorgt” (V.166)
Verstrickt sind alle ins Arbeitssystem. Im Grunde wird jeder von jedem gequält. Die Unterschiede der jeweiligen gesellschaftlichen “Stellung” sind nur scheinbar.” (Emrich 1975, S.240)
Auch die Politiker sind in diesem Apparat nur Mittel der Interessegruppen, die sie für eigene Zwecke wie Marionetten spielen lassen. Sie werden auf die Bühne gebracht, wenn man sie braucht und wieder weggezogen, wenn das Bedürfnis an ihnen zu Ende ist. Und die Massen, die von unbestimmten Händen dirigiert werden, bilden sich selbst zu selbständigen Mächten gegen diese vorgeführten politischen Gestalten, die wie bei der Richterwahl plötzlich, für den Menschen, der auf den Schultern getragen wird, zu einer Gefahr werden. Emrich schildert diese wechselseitige Bedrohung des Systems auf das Individuum folgend:
“In solcher besinnlosen Jagd purer Vermittlungsarbeiten gibt es keine unmittelbar und selbständig einwirkende Person mehr, und dementsprechend auch keine unmittelbar eingreifende höchste gesetzgebende Instanz. Die Vermittlungsorgane verselbständigen sich zu anonymen, alles beherrschenden Mächten, die grenzlos sich vermehren und das Leben der Menschen bestimmen, die zugleich damit selbst zu anonymen Massen herabsinken, die blind dirigiert werden nach Gesetzen, die den Vollzugsorgan selbst unbekannt, selbst unüberschaubar sind, ja sogar über die Vollzugsorgane hinweggehen, diese Organe dirigieren und beherrschen. Die Herrschenden werden zu Beherrschten.” (Emrich, 1975, S.230)
Schließlich wird der Redner und seine Partei von der Masse verhindert zu reden, und er zum “gänzlichen Verstummen” gebracht. Von den Menschen auf den Balkonen erhebt “sich ein starker Gegengesang”, welches auch keine “einheitliche Wirkung hatte, da es sich um die Anhänger verschiedener Kandidaten handelte.” Auch unter der Masse ist keine Einheit, auch unter ihnen herrschen viele Oppositionen zueinander. Es kommt sogar soweit, das “unkenntliche Gegenstände” “in der Richtung ihrer Gegner geschleudert” werden. Die Masse kennt keine Grenzen mehr, kann diesen Kandidaten der Herrschaft nicht mehr dulden, umkreist ihn so, daß selbst der “starke Mann” keinen “Schritt nach seinem Willen mehr machen” kann. (V.227) “Die Menge flutete ohne Plan, einer lag am andern, keiner stand mehr aufrecht, die Gegner schienen sich durchs Publikum vermehrt zu haben.” (V.231) Die Menge bedroht nun den Redner, er ruft “um Hilfe” (V.231). So ist sogar am Ende zu erkennen, daß sich “ein Gegenkandidat”, “oder gar mehrere” einfinden.
“Damit hat Kafka die Struktur der modernen Massen- Industriegesellschaft scharf charakterisiert: Die sinn - und planlose Masse wird autonom und beherrscht noch den Richter, den sie über sich setzt, wie auch umgekehrt die scheinbar herrschende Führerschaft von der Masse, die sie organisiert, gesetzlos dirigiert wird.” (Emrich 1975, S.232)
Alle hängen voneinander ab. Sie sind nur die Figuren unsichtbarer Supermächte, die in ihren Interessen dienen. Obwohl der erste Kandidat “nicht die geringste Aussicht” hat “gewählt zu werden” (V.243) spielt er nach den Regeln der Mächte, wird aber auch zugleich von anderen Massen bedroht. Es wird ihm die “Bewegungsfreiheit” entnommen, wie dem Oberportier, so daß “ Führer und Geführte in gleicher Weise in eine regelrechte Gefangenschaft hineingezwingt oder spurlos vernichtet” werden. (Emrich, 1975, S.232)
2.2.3 Die moderne Arbeitswelt
Amerika war schon seit dem 15. Jahrhundert eine neue Welt, wo die Träume der Massen verborgen war. Der Traum um den sozialen Aufstieg und Reichtum verkörperte sich in diesem Kontinent. Menschen, die in ihrer Heimat arbeitslos, politisch unterdrückt oder keine Möglichkeiten fanden sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen strömten nach Amerika in der Sehnsucht nach Freiheit, Gleichberechtigung und Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensgrundlagen. Vieler dieser Träume scheiterte für viele, nur eine Minderheit fand ihren Platz in der modernen Industriewert oder wurde sogar einer, der in den Augen anderer ein Wunder schuf.
Auch der Onkel Karl gehört zu dieser Minderheit. Er hatte “damals im Hafenviertel ein kleines Geschäft” und ging “aufgeblasen nachhause”, als “im Tag fünf Kisten abgeladen waren.” Heute besitzt er “die drittgrößten Lagerhäuser im Hafen und jener Laden ist das Eßzimmer und die Gerätekammer der fünfundsechzigsten Gruppe” seiner “Packträger” (V.48)
So ist der Onkel für Karl ein Beispiel, der sich vom Nichts auf einen hohen Rang in der Gesellschaft aufgeschafft hat. Der Onkel besitzt nämlich nicht nur Geld, sondern auch die Freiheit, sein Leben nach seiner Lust zu gestalten. Denn all die anderen, die Karl antrifft leiden unter der Abhängigkeit der Menschen, die in der Rangordnung einen hohen Platz haben.
“Mit anderen Worten: Freiheit und Macht sind für ihn identische Größen. Nur der absolute Mächtige gilt ihm als der absolut Freie. Das wiederum bedeutet: frei kann immer nur einer sein, und die Freiheit dieses einen setzt die sklavische Abhängigkeit aller anderen voraus.” (Kobs, S.520)
“Alle Entwicklungen gehn hier so schnell vor sich” (V.40) , sagt der Onkel zu seinem raschen Aufstieg. Jedoch ergeht es den Massen nicht wie dem Onkel. Viele leiden unter Hunger und Not können, wie Delemarche und Robinson:
“Sie waren beide sehr junge Leute, aber schwere Arbeit oder Not hatten ihnen vorzeitig die Knochen aus den Gesichtern vorgetrieben, unordentliche Bärte hiengen ihnen ums Kinn, ihr schon lange nicht geschnittenes Haar lag ihnen zerfahren auf dem Kopf und ihre tiefliegenden Augen rieben und drückten sie nun vor Verschlafenheit mit den Fingerknöcheln.” (V.93)
Sie sind “zwei Maschinenschlosser” und haben “in Newyork schon lange Zeit keine Arbeit” bekommen können“ und waren “infolgedessen ziemlich heruntergekommen.” (V.96)
Sie wollen nach Butterford gehen “wo angeblich Arbeitsstellen frei waren” (V.96), was sich später jedoch herausstellt, daß dieses auch nicht sicher ist. Während auf der einen Seite der Onkel und seine Freunde in Luxus schwimmen, sitzen “Arbeiter in kalkbespritzten Blusen” (V.103), die über den Streik der Bauarbeiter sprechen.
Obwohl viele Menschen nach Amerika strömen, um eine Arbeit zu bekommen, ist die Arbeitslosigkeit in diesem Kontinent ein so großes Problem, daß es leichter ist, “ein Bezirksrichter zu werden, als Türöffner” (V.243) bei einem Geschäft, meint der Student.
Auch Karl ergeht es nicht besser als viele anderen, die auf der Suche nach ihren Träumen nach Amerika kamen und nichts weiter als Enttäuschungen fanden. Nach der Zurückweisung von dem Onkel wird Karl in dem Hotel Occidental als Liftjunge aufgenommen und gleich nach zwei Monaten wieder entlassen. Später kommt es so weit, daß Karl sich vor einer totalen Unterwerfung der “Lumpen” Delemarche und Robinson befindet. Seine Träume gehen alle verloren:
“Ebenso gut hätte er damals schwören können, daß er nach zwei Monaten amerikanischen Aufenthalts General der amerikanischen Miliz sein werde, während er tatsächlich in einer Dachkammer mit zwei Lumpen beisammen war, in einem Wirtshaus vor Newyork und außerdem zugeben mußte, daß er hier wirklich an seinem Platze war.” (V.95)
Selbst Karl findet sich mit den Verhältnissen der neuen Welt schließlich ab.
Denen, die etwas glücklicher sind und eine Arbeit bekommen, geht es auch nicht besser, denn überall wo Karl auch ist sieht er “demonstrierende Metallarbeiter, die im Streik standen” (V52) oder hört von streikenden “Bauarbeitern (V.71). Schon diese Bilder sind der Beweis der Unmöglichkeit, daß man sich mit Fleiß hinaufbringen könnte, jedoch auf die Kosten anderer:
“Kafka deckt aber schon in diesem Kapitel auf, daß man sich in Amerika, ebenso wie in Europa, wirtschaftliche Prosperität nur auf Kosten anderer verschaffen kann, daß die amerikanische Gesellschaft ebenso in Unterdrücker und Unterdrückte zerfällt wie die europäische.” ( Müller 1983, S.308)
Jedoch wird in der Gesellschaft die Einbildung bewahrt, daß man sich durch Mühe hinaufschaffen könnte. So meint auch die Oberköchin zu Karl, als er als Liftjunge aufgenommen wird: “Sie bekämen eben vorläufig nur eine ganz kleine Anstellung und müßten dann zusehn, durch Fleiß und Aufmerksamkeit sich hinaufzubringen.” (V.120)
Auch Karl befindet sich in der gleichen Überzeugung wie die Oberköchin denn, “immer schwebte ihm der Gedanke daran vor Augen, es könne schließlich mit ihm, wenn er nicht fleißig sei, soweit kommen wie mit Delemarche und Robinson.” (V.129)
Jedoch gelingt dies Karl nicht, obwohl er sich viel mehr Mühe gibt, als die anderen Liftjungen, denn auch “als Liftjunge” hatte er “genug gelitten”, und alles war “vergebens, denn nun war dieser Liftjungendienst nicht wie er gehofft hatte, eine Vorstufe zu besserer Anstellung gewesen, vielmehr war er jetzt noch tiefer herabgedrückt worden und sogar sehr nahe an das Gefängnis geraten.” (V.184)
Denn der Erfolg beruht unter diesen Verhältnissen nicht auf Erfolg und Mühe, sondern ohne Rücksicht auf die anderen sich hinaufzuschaffen:
“Denn auf Mitleid dufte man hier nicht hoffen und es war ganz richtig, was Karl in dieser Hinsicht über Amerika gelesen hatte; nur die Glücklichen schienen hier ihr Glück zwischen den unbekümmerten Gesichtern ihrer Umgebung wahrhaft zu genießen.” (V.39)
Die moderne Arbeitswelt ist zwar eine Welt der Hoffnungen, hat jedoch eine ganz andere Dimension, wie es auch Karl Marx andeutet. Denn es besteht Zwangsarbeit, keiner kann von seiner Leistung glücklich werden, ist ein gequälter Lohnarbeiter und wird niemals menschenwürdig behandelt. Deshalb befinden sich die Arbeiter unter Streik und machen Demonstrationen auf den Straßen um ihr Leben menschenwürdiger zu gestalten und um ihre Rechte im Leben durchzusetzen wie die Liftjungen, die “die Abschaffung der früher üblichen allgemeine Inspektion” “schon vor Jahren durchgesetzt” hatten. (V.152)
Die Anforderungen der modernen Industrie sind so hoch, daß die Menschen bis zum Ende ihrer Kraft schuften müssen, und statt Belohnung ständig mehreren Anforderungen unterworfen werden. Die Kellner, Küchenmädchen und die Liftjungen im Hotel bilden dazu Beispiele, die sich in einer pausenlosen Arbeit befinden. Schon bei dem Antritt ins Hotel um etwas Essen zu bekommen kann Karl keinen Kellner zum Halten bringen, um etwas von ihnen zu verlangen. Es “liefen unaufhörlich viele Kellner mit weißen Schürzen vor der Brust und konnten doch die ungeduldigen Gäste nicht zufriedenstellen, denn immer wieder hörte man an den verschiedensten Stellen Flüche und Fäuste die auf die Tische schlugen” (V.107) Die Kellner befinden sich nicht nur unter einer menschenmordenden Arbeit, sondern werden bei dem Tempo, das nie zu aufhören scheint auch ständig erniedrigt und beschämt: “Keiner war zu halten, sie liefen und liefen nur” (V.108)
Auch den Küchenmädchen ergeht es nicht leichter. Therese, die Sekretärin der Oberköchin erzählt Karl:
“Ich war früher Küchenmädchen hier im Hotel und schon in großer Gefahr entlassen zu werden, denn ich konnte die schwere Arbeit nicht leisten. Man stellt hier sehr große Ansprüche. Vor einem Monat ist ein Küchenmädchen nur vor Überanstrengung ohnmächtig geworden und vierzehn Tage im Krankenhaus gelegen.” (V.126)
In der gleichen Lage befinden sich “fünfzig solcher Mädchen” (V.126) und auch die Liftjungen. So erzählt die Oberwirtin:
“Sie giengen dann durch eine der Eingangstüre entgegengesetzte Tür auf einen Gang hinaus, wo an dem Geländer eines Aufzugs ein kleiner Liftjunge schlafend lehnte. ‘Eine Arbeitszeit von zehn bis zwölf Stunden ist eben ein wenig zu viel für einen solchen Jungen’, sagte sie dann während sie aufwärts führen. ‘Aber es ist eigentümlich in Amerika. Da ist dieser kleine Junge z.B., er ist auch erst vor einem halben Jahr mit seinen Eltern hier angekommen, er ist ein Italiener. Jetzt sieht es aus, als könne er die Arbeit unmöglich aushalten, hat schon kein Fleisch im Gesicht, schläft im Dienst ein, trotzdem er von Natur sehr bereitwillig ist - aber er muß nur noch ein halbes Jahr hier oder irgendwo anders in Amerika dienen und hält alles mit Leichtigkeit auf und in fünf Jahren wird er ein starker Mann sein.” (V.122)
Und obwohl diese Anforderungen die Individuen bis an ihr Ende, und ihre Entfremdung bis an den Gipfel bringen, lehrt das System ihnen neue Begriffe wie Konkurrenz, so daß sie sich von jedem anderen bedroht fühlen, wie der Liftjunge Giacomo, der “verärgert” ist, “weil er den Liftdienst offenbar Karls halber verlassen mußte und den Zimmermädchen zur Hilfeleistung zugeeilt war, was ihm nach bestimmten Erfahrungen, die er aber verschwieg, entehrend vorkam” (V.130)
Das System entfremdet das Individuum nicht nur persönlich, sondern sorgt auch dafür, daß die Individuen sich zueinander entfremden, indem sie sie gegenüberstellt, und ihnen dabei ihr Denkvermögen entnimmt, so daß sie das System nicht durchschauen können, welches sie zum Spiel bringt und sie zu Feinden macht. Obwohl die Arbeiter als Produzenten, oder Fortführer des System die größte Macht befugen, sind sie sich das gar nicht bewußt.
Sie stehen unter der Gefangenschaft des Systems, welches diese emanzipatorische Macht viel mehr befürchtet als sie sich selbst zumuten können. Denn das System beherrscht auch ihre Seelen. Die Stufe der Entfremdung gewinnt demnach völlig andere Dimensionen, als in den anderen zwei Romanen. Die moderne gesellschaftliche Struktur kennzeichnet sich nicht nur in der Bürokratie sondern wie auch oben erwähnt in der Arbeitswelt, die dem Individuum in seiner Produktivität keine persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten gibt, noch dazu ihre Seelen beherrscht, indem sie sie mit unrealisierbaren Hoffnungen festnimmt. Es entnimmt ihm auch alle Möglichkeiten des eigenen Bewußtseins, so daß nur noch kleine Gruppen in der Gesellschaft noch ihre Rechte zu verteidigen wahren, wobei die anderen sich davon total zurückziehen. Wie bei der Demonstration, wo “kleine Trupps Neugierig” “weit entfernt von den wirklichen Demonstranten” standen und “ihre Plätze” nicht verlassen “trotzdem sie über die eigentlichen Ereignisse im Unklaren blieben” (V.53)
Das Problem besteht in der Resignation der Massen, die von den “eigentlichen Ereignissen im Unklaren” bleiben und nichts durchschauen können. Denn außerhalb des Klaren zu bleiben, wird durch die “Polizisten” bewahrt, die dafür sorgen, daß die Furcht standgehalten wird, ständig Gehorsam zu leisten. Auch sind die Arbeiter sich das bewußt, die “nichts mit den Behörden” halten. (V.197)
Das System wird durch die Behörden und Polizisten standgehalten, denn die Durchdringung könnte die Massen in eine schnellere Bewegung setzen. Sie haben ja schließlich angefangen sich “in winzigen Schritten” zu bewegen, so ist auch “deren Gesang einheitlicher” “als einer einzigen Menschenstimme”(V.53). Es ist eine Tatsache, daß die Behörden neben den Mächtigen stehen und sich die Macht vor der Masse fürchtet, so daß sie sich mit “Hunden” bewachen und “Mauern” sichern muß. Schon bei der Fahrt zu Pollunder, durch die Straßen, auf denen die Demonstranten von Polizisten bewacht werden, bildet sich die Meinung bei Karl, “daß er bald in einem beleuchteten, von Mauern umgebenen, von Hunden bewachten Landhaus” ankommen werde. (V.53)
Der Polizist, der Karl auf der Straße nach seinen Legimitationspapieren fragt, hat die gleiche Verachtung zu Karl, wie alle anderen Machtbesitzer, die Karl nicht dulden konnten. Aber Karl macht sich nicht viele Sorgen darum. So meint er: “Verachtung der Polizei war besser als ihre Aufmerksamkeit.” Obwohl Karl schon bestimmte Gedanken, über den Verlauf befugt, bemerkt auch dabei, daß er “nichts von Politik verstehe”, wobei der Student sagt, daß “das ein Fehler” (V.243)sei. Zwar deutet der Student darauf hin, daß die Unkenntnis von Politik ein Fehler sei, aber ratet Karl auch unter der Unterwürfigkeit Bruneldas zu bleiben. Ein Student, jene Person, der “die hiesigen Verhältnisse genau kannte und überdies ein gebildeter Mann war” (V.244) ratet Karl sich mit seinem Schicksal abzufinden und die Versklavung bei Brunelda zu dulden. Auch die intellektuelle Schicht der Gesellschaft ist den Verhältnissen genauso fremd, wie die anderen; sogar mehr als Karl, der ja wirklich ein Fremder auf diesem Kontinent ist.
“Ein Nachbar, von dem vielleicht so etwas wie Rettung zu erhoffen wäre, zeigt sich völlig desinteressiert am Schicksal Karls: der Student findet “kein Wort der Aufmunterung” (V.243) für ihn, “der Gedanke, daß Karl bei seiner Postenbewerbung behilflich sein könnte, kam ihm gar nicht.” Er zeichnet ein düsteres Bild von den politischen und sozialen Verhältnissen in Amerika: er bezeichnet sich selbst als Opfer eines ausbeuterischen Chefs und verneint für sich selbst - und für Karl - die Möglichkeit, jemals aus einem solchen Zustand der Abhängigkeit herauszukommen. [. . .] Es gibt keine Zukunftsaussichten, das ist die Grundaussage dieses Kapitels [. . .].” ( Müller 1983, S.314-315)
Der Roman zeichnet das Bild der Arbeiterbewegung in Amerika, die mit der Industrialisierung der Gesellschaft begann. Amerika ist dabei ein wichtiges Beispiel auf der Welt, wo die Arbeiterbewegung in den sozialen und politischen Verhältnissen eine wichtige Rolle besaß.
Diesen wichtigen Ereignisse in Amerika, erfährt Karl erst nachdem er seinen Onkel verläßt. So hatte ihm der Onkel während der zwei Monate, wo er beim Onkel blieb eigentlich nicht gesehen. Diese Erklärung macht Karl Delemarche und Robinson, die darüber staunten:
“ Sie konnten es nicht begreifen, daß Karl über zwei Monate in New York gewesen war und kaum etwas anderes von der Stadt gesehen hatte, als eine Straße.” (V.101)
Denn der Onkel möchte ihn, wie das ganze System die Individuen blind machen möchte, von der Welt ausschließen. So sagt er: “Man dürfe sich nicht in Unordnung bringen lassen. [. . .] Er selbst habe Neuankömmlinge gekannt, die z.B. statt nach diesen guten Grundsätzen sich zu verhalten, tagelang auf ihrem Balkon gestanden und wie verlorene Schafe auf die Straße heruntergesehen hätten.” (V.40).
Es ist auch eine Tatsache, daß die moderne Industrie mit den Händen dieser “Schafe” geschaffen wurde. Die neue Welt, ist durch die pausenlose Mühe der Arbeiter zu einem Punkt gelangt, wo sie sich nun wieder gegen die Menschen gestellt hat. So haben die Arbeiter die moderne Welt so weit gebracht, daß man die Arbeiter sogar gar nicht mehr braucht. Diese Tatsache ist nun eins der größten Probleme in unserem Jahrhundert. Schon Kafka hat auf dieses Tatsache angewiesen. Die Renovierung des Hauses von Pollunders zeigt schon die technologische Entwicklung, es wird “elektrisches Licht” eingeführt” (V.70) Der “Umbau” hat begonnen, die Diener mit “Armleuchter” die man “alle zwanzig Schritte” sehen kann, werden bald keine Arbeit mehr haben, denn “hätte man ein paar solcher Lampen gehabt, hätte man die Diener schlafen schicken können.” (V.63)
Der “Umbau” des Systems hat natürlich nicht nur die Arbeitslosigkeit mit sich gebracht. Die neue Arbeitswelt hat auch andere neue negative Auswirkungen auf die Individuen, wie die Arbeitsteilung, in dem das Individuum sich, wie von seiner Arbeit, als auch von seinem Produkt entfremdet, in dem es nur von einem Teil der Produktion, in dem es sich befindet mitbekommt, während es das Erzeugnis seiner Mühe nicht sehen kann. Jeder beherrscht somit nur einen Teilbereich, kann auf das Ganze, was er leistet keinen Überblick gewinnen. Nicht nur auf dem Arbeitsplatz wird das Individuum auf einen bestimmten Teil einbeschränkt, sondern auch in seinem ganzen Leben. Über den politischen und wirtschaftlichen Verlauf hat es keine Ahnung, da ihm das Vermögen das Ganze zu überblicken entnommen wird. Der Verlust, die Welt als ein ganzes System wahrzunehmen, beschränkt das Individuum nicht nur gedankenhaft sondern auch seelisch, weil es mit der Zeit seine Existenz auf einem ganz geringen Lebensumfang aufbaut.
So ergeht es eigentlich auch den Liftjungen, die sich jahrelang in der Betreibung des Aufzugs befinden, aber von der Maschinerie, von der eigentlichen Funktion keine Ahnung haben:
“Enttäuscht war Karl vor allem dadurch, daß ein Liftjunge mit der Maschinerie des Aufzuge nur insofern etwas zu tun hatte, als er ihn durch einen einfachen Druck auf den Knopf in Bewegung setzte, während für Reparaturen am Triebwerk derartig ausschließlich die Maschinisten des Hotel verwendet wurden, daß z.B. Giacomo trotz halbjährigen Dienstes beim Lift weder das Triebwerk im Keller, noch die Maschinerie im Innern des Aufzugs mit eigenen Augen gesehen hatte. . .” (V.130)
Dabei hat auch keiner die Chance, eigene persönliche Entscheidungen bei der geleisteten Arbeit zu geben. Jeder wird von jedem überwacht und seine Arbeit kontrolliert. So auch bei den Geschäften des Onkels. Es befinden sich mehrere im Verlauf des Arbeitsprozesses, die sich gegenseitig überprüfen. Sie verlieren ihre Menschlichkeit werden zu Hörapparaten, zu Bleistiften oder sonstiges materielles Element im Verlauf:
“Im Saal der Telephone giengen wohin man schaute die Türen der Telephonzellen auf und zu und das Läuten war sinnesverwirrend. Der Onkel öffnete die nächste dieser Türen und man sah dort im sprühenden elektrischen Licht einen Angestellten gleichgültig gegen jedes Geräusch der Türe, den Kopf eingespannt in ein Stahlband, das ihm die Hörmuschel an die Ohren drückte. Der rechte Arm lag auf einem Tischchen, als wäre er besonders schwer und nur die Finger, welche den Bleistift hielten, zuckten unmenschlich gleichmäßig und rasch. denn die gleichen Meldungen, wie sie dieser Mann aufnahm, wurden noch von zwei andern Angestellten gleichzeitig aufgenommen und dann verglichen, so daß kein Irrtum möglichst ausgeschlossen waren.” (V.48)
Dabei ist auch die Arbeit so monoton und eintönig, daß es das Individuum zu einem Teil der Maschine macht, in dem er arbeitet und so harte Anforderungen stellt, daß man es nicht aushalten kann:
“Überhaupt war es ein einförmiger Dienst und wegen der zwölfstündigen Arbeitszeit, abwechselnd bei Tag und Nacht, so anstrengend, daß er nach Giacomos Angaben überhaupt nicht auszuhalten war, wenn man nicht minutenweise im Stehen schlafen konnte. Karl sagte hierzu nichts, aber er begriff wohl, daß gerade diese Kunst Giacomo die Stelle gekostet hatte.” (V.130)
Die Monotonität schaltet die persönliche Entwicklung des Individuums aus und beschränkt es in einen Lebenskreis, in dem keine Veränderungen möglich werden und damit auch jegliche Lebenslust verloren geht.
Dabei kostet irgend eine kleine Schwäche die Arbeit, wie bei Giacomo, denn jeder ist durch jeden ersetzbar: “So tritt hier immer jeder für den andern ein” (V.182). Kein Individuum hat eigentlich eine Bedeutung. Keiner wird nämlich als Persönlichkeit anerkannt. Sie sind nur Teile des Apparates, wo jeder seine Aufgabe erfüllen muß und nichts weiter als Arbeitskraft angesehen wird.
So wird Giacomo entlassen und Karl eine Liftjungenuniform übergeben, die noch “unter den Achseln” “kalt, hart und dabei unaustrockbar naß von Schweiß der Liftjungen, die es vor ihm getragen hatten” (V.129). Gleich wird Giacomo durch Karl ersetzt, noch bevor der Schweiß der Uniform getrocknet ist. Auch Karl wird schließlich entlassen und an seine Stelle sofort ein anderer angestellt. Dabei vergißt Kafka auch nicht darauf zu deuten, daß sich diese menschenmordenden Arbeitsverhältnisse nicht nur in Amerika befinden, sondern auf der ganzen Welt das Individuum eigentlich überhaupt keinen Wert hat. :
“ [. . .] denn der Oberkellner hatte es bereits ausgesprochen, der Oberportier als fertige Tatsache wiederholt und wegen eines Liftjungen dürfte wohl die Bestätigung der Entlassung seitens der Hoteldirektion nicht nötig sein. Es war allerdings schneller gegangen, als er gedacht hatte, denn schließlich hatte er doch zwei Monate gedient so gut er konnte und gewiß besser als mancher andere Junge. Aber auf solche Dinge wird eben im entscheidenden Augenblick offenbar in keinem Weltteil, weder Europa noch in Amerika Rücksicht genommen, sondern es wird so entschieden, wie einem in der ersten Wut das Urteil aus dem Munde fährt.” (V.159)
Von Mitleid für den anderen ist hier keine Rede mehr, nirgendwo:
Hier wird es Fazit ausgesprochen: die Willkür und die Grausamkeit der Mächtigen regierenden jeden “Weltteil”, in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Europa und Amerika.” ( Müller 1983, S.311)
Denn überall auf der Erde sind die gleichen Regeln gültig. Auf der ganzen Welt herrscht das gleiche System in dem die Beherrschten durch die Herrschenden unterdrückt werden und ihre Entschlüsse und Urteile beliebig aus dem Munde fahren, die über das Schicksal großer Massen entscheiden:
So stellt auch Guntermann zu dieser Tatsache des Romans fest:
“Im permanenten Fremdsein der Figuren innerhalb ihrer Umgebung liegt die Wahrheit ihrer Beschreibung [. . .] über das Befremdete, auch Kritik des Wahrgenommenen und Dargestellten transportiert werden, kann etwas zur Aufklärung der “Klassenverhältnisse” beigetragen werden, jener ‘Klassenverhältnisse’, in denen der Einzelne ‘verschollen’ zu gehen droht.” (Guntermann, 1991, S.252)
In diesen beschriebenen Bildern liegt die direkte Wirklichkeit unseres Jahrhunderts verborgen, man braucht nur genau hinzusehen. Denn Kafka beschreibt nicht eine fiktionale Welt, er schildert uns unsere Wirklichkeit mit seiner eigenen:
“Ja, man könnte sagen, daß die Texte Kafkas über weitere Strecken hinweg überhaupt ihren Impuls durch die Verweigerung von Beschreibung erhalten. Sicher kein anderer Autor deutschsprachigen Literatur um 1910 verfügt aus der Anschauung eigener (beruflicher) Tätigkeit über ein detailliertes Bild von der Wirklichkeit des industriellen Lebens als einer der bewegenden Kräfte der Zeit [. . .].” (Guntermann 1991, S.253)
2.2.4 Die Gerechtigkeit / Ungerechtigkeit
Schon der erste Anblick in Amerika fällt auf die Freiheitsgöttin, Karl erblickt “die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.” (V.7)
Die Freiheitsstatue hat keine Fackel in der Hand sondern ein Schwert, der auf den sechzehnjährigen Karl viel unerreichbarer erscheint als sonst auf jenen anderen. Sie ist für ihn schon im ersten Anblick unerreichbar und weit entfernt, so daß sie ihm zu erklären scheint, daß die Gerechtigkeit für Karl genauso entfernt und unmöglich sei wie für die anderen. “ ‘So hoch’, sagte er sich” (V.7) Der Schwert ist nun nicht mehr das mythologische Symbol der Gerechtigkeit, sondern eine Waffe, die jedem den Kopf schlagen würde, der dieser mächtigen Gewalt entgegen zu kommen wage.
“ Die Statue begrüßt den Einwanderer nicht mit der Fackel der Freiheit, sondern mit der Waffe des Krieges oder dem Instrument des Scharfrichters - ein bedenkliches Omen für Karl Roßmann. [. . .] Vielleicht sollte es gleich am Anfang des Verschollenen ein Hinweis darauf geben werden, daß sich für den jugendlichen Protagonisten trotz der räumlichen Distanz, die er zwischen sich und seine Heimatstadt gelegt hat, im wesentlichen nichts ändert, daß er weiterhin unter einer bedrohlichen Autorität stehen wird.” ( Müller 1983, S.307)
“Und der ganze Roman “Der Verschollene” ist ja im Grunde eine einzige Auseinandersetzung mit dem Problem der Gerechtigkeit, nach der der Held Karl Roßmann vergebens unausgesetzt sucht, nicht anders wie der “Prozeß” - Roman um das Problem der Gerechtigkeit und eines höchstens zuständigen Gerichtes kreist.” (Emrich 1975, S. 231)
Karl, der in seinem jungen Alter nach Amerika kommt bringt seine unschuldige Naivität aus Europa mit. Schon im Schiff setzt sich Karl für die Gerechtigkeit ein. Denn er ist sich diesem Bewußt: wo keine Gerechtigkeit herrscht, dort ist das menschliche Dasein ausgeschlossen. Deshalb ermahnt er den Heizer: “Du mußt Dich zur Wehr setzen, ja und nein sagen, sonst haben doch die Leute keine Ahnung von der Wahrheit.” (V.36)
“[. . .]denn Karl Roßmann ist kein anderer von “Mitleid” beseelt und von einem natürlichen, unverfälschten Gerechtigkeitsgefühl. Beides treibt ihn schon im Einleitungskapitel dazu, sich zum Anwalt des Heizers zu machen.” ( Müller 1983, S.309)
Das “ja” und “nein” sagen, ist die einzige Möglichkeit des Individuums sich selbst wahrzunehmen zu können, um seine Entscheidungen freiwillig geben und freiwillig handeln zu können. In dem Punkt, wo dem Individuum diese Möglichkeiten entnommen werden, wird ihm auch seine menschliche Existenz entnommen.
Der Kampf Karls ist nun nicht nur der Kampf für die Interessen des Heizers, sondern für jeden auf dem Kontinent, der mit dem Schwert der Freiheitsgöttin bedroht wird. In diesem Symbol ist auch die Wirklichkeit versteckt, daß die Gerechtigkeit eigentlich in den Händen jener Gruppen ist, die diese Gerechtigkeit nur für sich dienen lassen. Nur Karls Überzeugung, daß “dem Herrn Heizer Unrecht geschehen ist” (V.17), ist die Hochmut eines Menschen, der von diesem Verlauf als Fremder noch keine Erfahrung hat, obwohl der Heizer als Erfahrener sich schon längst mit den Verhältnissen abgefunden hat. So fragt Karl: “Warum sagst du denn nichts ?”, “Warum läßt Du dir alles gefallen ?.” Aber der Heizer hat seine Antworten schon längst gefunden: “Ja, das sind so die Verhältnisse, es entscheidet nicht immer, ob es einem gefällt oder nicht” (V10), meint er schon im voraus.
Karl Überzeugung, daß “dem Heizer Unrecht geschehen ist” (V17) bringt ihn aber nicht weiter, da der Heizer nichts zu sagen wagt. Karl begreift schon in diesem Moment, daß er den Kampf verloren hat und ihm “mit vielem Grund” “gar nicht mehr helfen” kann. (V.36)
“Dieser Versuch eines reinen unschuldigen Kindes, Gerechtigkeit zu schaffen, wird schließlich durch den Onkel zunichte gemacht, als dieser sich zu erkennen gibt und sich selbst als Stellvertreter des Vaters einsetzt.” ( Müller 1983, S.309)
“Disziplinieren geht im Gegensatz zu der Auffassung des Rechts und des Gesetzes von einer auf Autorität begründeten Ordnung aus, wo Macht das Recht ersetzt, wo der Machtwille sich die Gerechtigkeit zu Diensten macht, wo das Machtwort regiert, [. . .].” ( Beiken 1995, S.153)
Die letzte Entscheidungsinstanz ist nämlich die der Überordneten, der Autoritäten, die über die Rechte anderer beurteilen. So steht die Beurteilung schon längst fest: “ ‘Dem Heizer wird geschehn, was er verdient’, sagte der Senator, “und was der Kapitän erachtet.” (V.34)
Die Gerechtigkeit hört nämlich in dem Punkt, wo die Disziplin anfängt auf. “Das Amtliche geht im Bewußtsein dieser Menschen über alles Private” (Emrich, S.235) So erklärt der Onkel Karl: “ ‘Mißverstehe die Sachlage nicht’, sagte der Senator zu Karl, ‘es handelt sich vielleicht um eine Sache der Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um eine Sache der Disciplin. Beides und ganz besonders das letztere unterliegt hier der Beurteilung des Herrn Kapitäns.” (V.35) Denn: “niemand bleibt bewahrt vor dem Automatismus vorgezeichneter, amtlicher schematischer Regelungen, auch nicht der Heizer.” (Emrich 1975, S.234)
Die Tatsache, daß die Gerechtigkeit vor der Ungerechtigkeit verliert, bringt Karl schließlich zum “heftigen weinen” (V.38). Während er das Schiff verläßt, kann sich Karl von dem Gedanken nicht befreien, daß das Schwert auch den Heizer niedergeschlagen hat. Denn “es war wirklich als gebe es keinen Heizer mehr.” (V.38)
Karl wird auch später die Erfahrung machen, daß nirgendwo eigentlich gerechte Beurteilungen gemacht werden. Auch er selbst wird in dem Hotel Occidental verhört und wechselt plötzlich mit dem Heizer den Platz, als er wirklich nichts mehr zu sagen hat, denn er wird sich bewußt, daß “es unmöglich “ ist, “sich zu verteidigen, wenn nicht guter Wille da ist” (V.171) So sehen wir jetzt an der Stelle Karls, Therese, “die weinte” (V. 172). Jedoch sind die Tränen, nicht jenes Menschen, der der Wirklichkeit ins Auge sieht, daß einem Mitmenschen Unrecht geschehen ist. Vielmehr ist sie traurig, daß Karl seine Stelle verloren hat. Denn gleich auf die Worte der Oberköchin, daß sie für Karl eine andere Stelle besorgen könnte, verändert sich Therese im Nu:
“Aus Thereses Augen strahlte die Freude, als sei es ihr ganz gleichgültig, ob Karl etwas verbrochen hatte oder nicht, ob er gerecht beurteilt worden war oder nicht, wenn man ihn nur gerade entwischen ließ, in Schande oder in Ehren.” (V175)
Weder “Schande” noch “Ehre” kann der Mensch auf dieser Welt bewahren. “Wer es merkte und verstand, lächelte befremdet.” (V.35)
Auch vor dem Polizisten ist sich Karl bewußt, daß er sich nicht vor einer gerechten Instanz befindet, die ihm helfen könnte, und schließlich hatte ja keiner von dem er Gerechtigkeit erhofft hatte, gerecht handeln können:
“Die ganze Geschichte konnte er hier nicht erzählen und wenn es auch möglich gewesen wäre, so schien es doch ganz aussichtslos ein drohendes Unrecht durch Erzählungen eines erlittenen Unrechtes abzuwehren. Und wenn er sein Recht nicht von der Güte der Oberköchin und von der Einsicht des Oberkellners erhalten hatte, von der Gesellschaft hier auf der Straße hatte er gewiß nicht erwartet.” (V.193)
Das Unrecht ist in den Köpfen der Menschen schon längst eingeprägt worden. Niemand hat nun mehr die Absicht, die Gerechtigkeit zu gewähren auch nicht in den Beziehungen seines alltäglichen Lebens. Schon bei der Verteilung der Wurst, die Karl in seinem Koffer trägt handelt Delemarche ungerecht, obwohl sie alle Hunger haben: “Robinson bekam nur hie und da eine Schnitte, Karl dagegen, . . ., bekam nichts, als hätte er seinen Anteil schon im Voraus sich genommen.” (V.99) Die schweren Lebensbedingungen und die neuen Werte haben den Menschen gelehrt, nur an seine eigenen Interessen zu denken. Die Ungerechtigkeit ist den Köpfen eingedrungen und nun ist es schwer sie wieder aufzuheben.
Die Menschheit hat die Gerechtigkeit schon längst aufgegeben, die Welt ist zu einem Dschungel der Ungerechtigkeit geworden, welche sie selber bedroht.
2.3 DIE SOZIALE ISOLIERUNG UND EINSAMKEIT DES INDIVIDUUMS IN DER GESELLSCHAFT
2.3.1 Die Vereinsamung und Isolierung des Individuums in der Arbeitswelt
Die moderne Industriewelt, zwingt den Menschen in eine pausenlose Arbeit, um den Aufstieg der Industrie rapide zu leisten. Die Hektik der Gesellschaft wird im Roman in vielen Stellen deutlich: “eine Bewegung ohne Ende, eine Unruhe, übertragen von dem unruhigen Element auf die hilflosen Menschen und ihre Werke !” (V. 20)
Es sind “die Werke” der Menschheit selbst, die sich ein Leben in totaler Vereinsamung zum Schicksal machten:
“So eilig es dort draußen die Leute zu haben schienen, denn mit ausgestrecktem Arm, mit gesenktem Kopf, mit spähenden Augen, mit hochgehaltenen Gepäckstücken suchten sie ihren Weg [. . .].” (V.177)
Jeder rennt einander vorüber, keiner sieht sich ins Gesicht. Niemand hat eine wirkliche Beziehung zueinander. Die Arbeitswelt hat keine Zeit um sich einander wahrzunehmen, sich sehen zu können. “Der Zwang pausenloser Arbeit schaltet alles Menschliche aus”, bemerkt auch Wilhelm Emrich (S.228).
In dem “Gedränge der großen Straßen” (V.16) sind die Menschen verloren, sie leben nur noch in einem großen Kreislauf, “das man nicht an und für sich anhalten konnte, ohne alle Kräfte zu kennen, die der Runde wirkten” (V.43) Auch sie sind sich nicht mehr bewußt, welche “Kräfte” sie zu diesem Kreislauf bildet. Jeder ist in der Ohnmacht, des immer Laufens:
“[. . .] alle Augenblicke die Richtung wechselnd wie in einem Wirbelwind, der Lärm jagte, nicht wie von Menschen verursacht sondern wie ein fremdes Element [ . . .].” (V.52)
Keiner hat Zeit “sich auch nur auf das geringste Gespräch einzulassen” (V.129), keiner hat Zeit sich zu grüßen, die strenge der Arbeit schaltet alle menschlichen Verhaltensweisen und Kontakte miteinander aus, besonders beim Geschäft des Onkels:
“Mitten durch den Saal war ein beständiger Verkehr von hin und her gejagten Leuten. Keiner grüßte, das Grüßen war abgeschafft, jeder schloß sich den Schritten des ihm vorhergehenden an und sah auf den Boden auf dem möglichst rasch vorkommen wollte oder fieng mit den Blicken wohl nur einzelnen Worte oder Zahlen von Papieren ab, die er in der Hand hielt und die bei seinem Laufschritt flatterten.” (V.48)
Die Konkurrenz der Arbeitswelt erlaubt keine Pause, die Gier an der Macht zu bleiben, von dem Reichtum nichts zu verlieren führt dazu, daß der Onkel seine Beamten in eine unaufhörliche, ständige Arbeit hineinschließt, so daß sie nur noch als Roboter erscheinen, die dauernd umherjagen. So ist es auch bei dem Reitlehrer Karls Mak, der in der Arbeitswelt auch eine angesehene Stelle hat. So ist auch Mak, immer “in großer Eile”, hat keine sich von Karl zu verabschieden, kann gar nicht mal “vor großer Eile mit Karl auch nur gemeinsam durch die Tür herausgehen” (V.46).
Auch im Hotel rasen die Leute am Schalter hin und her. Bei Schichtwechsel ist die Hektik noch deutlicher zu erkennen:
“Zur Ablösungszeit ertönte nun eine Glocke und gleichzeitig traten aus einer Seitentüre die zwei Unterportiere, die jetzt an die Reihe kommen sollten, jeder von seinem Laufjungen gefolgt. Das ganze gieng so rasch, daß es oft die Leute draußen überraschte und sie aus Schrecken über das so plötzlich vor ihnen auftauchende neue Gesicht fast zurückwichen.” (V.179)
“Der Zwang zu einer möglichst glatten und raschen Abwicklung von Geschäften im Kapitänszimmer tritt, leicht verirrt, wieder zutage im Verkehr des Hafens, im Verkehr der Straßen New Yorks, im Telefonsaal des Onkels, im Speiseraum, im Liftbetrieb und in der Portierloge des Hotels Occidental. Alle hier Beschäftigten sind nur funktional verwandte Teile im System und gezwungen, diese Funktion ohne jede Unterbrechung immerfort auszuüben. Wer das nicht tut, wird rücksichtslos herausgedrängt. Auch das wird schon im ersten Kapitel deutlich: so geht es dem Heizer, der sich mit seinen Erinnerungen an alte Segelschiffe nicht in den genormten Betrieb auf einem Dampfer fügen kann. So geht es der Mutter Therese, die, einmal krank geworden, nirgends mehr Arbeit übernehmen kann, verhungert und erfriert, ohne daß sich jemand um sie kümmert.” (Hillmann 1973, S.184)
Mit diesem schnellen Verkehr wird verhindert, daß sich die Menschen als menschliche Existenzen begreifen. In diesem rapiden Verlauf, nehmen sich die Menschen nun noch als Mittel wahr, womit sie ihre Arbeit erledigen, können kein Mitleid mehr zueinander haben und werden zu erbarmungslosen Wesen.
[...]
[1] Im Weiteren wird der Roman “Der Verschollene” mit der Abkürzung “V” angegeben
- Arbeit zitieren
- - Senay Özdemir (Autor:in), 2001, Die Entfremdung des Individuums in Franz Kafkas Romanen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60314
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