Wer sich mit dem „besonderen Gewaltverhältnis“ befasst, wird sich schnell die Frage stellen, ob Beschäftigung mit dem „besonderen Gewaltverhältnis“ eher eine historische Fragestellung ist, oder ob diese Rechtsfigur noch die Gegenwart prägt. Vor und nach dem 14.3.1972 stellte sich diese Frage weniger: vor 1972 wurde, trotz einer bestehenden Diskussion über das Thema, die Rechtsfigur des „besonderen Gewaltverhältnisses“ selbst nicht in Frage gestellt. Nach dem 14.3.1972, an dem das BVerfGE Grundrechte und Gesetzmäßigkeitsprinzip auch innerhalb des „besonderen Gewaltverhältnisses“ am Beispiel eines Strafgefangenen für uneingeschränkt wirksam erklärte, setzte sich schnell die Auffassung durch, die Rechtsfigur sei „erledigt“.
Schon einige Titel der in der Folgezeit veröffentlichten Literatur zu diesem Thema zeigten, das dem nicht so war, am deutlichsten Ronellenfitschs „Das besondere Gewaltverhältnis- ein zu früh totgesagtes Rechtsinstitut“ aus dem Jahr 19813. Anstelle der vor 1972 recht einheitlichen Verwendung des Begriffs „besonderes Gewaltverhältnis“ ist nun eine Fülle neuer Begriffe getreten, wie Sonderrechtsstatus, verwaltungsrechtliches Sonderverhältnis, öffentlich- rechtliche Sonderbindung oder Sonderrechtsverhältnis.
Die Hartnäckigkeit des „besonderen Gewaltverhältnisses“, bzw. seiner diversen Synonyme, liegt allerdings nicht nur in seiner langen Tradition und historischen Entwicklung begründet, sondern auch darin, dass das BVerfGE zwar einer gewohnheitsrechtsmäßigen Interpretation des besonderen Gewaltverhältnisses seit 1972 nicht mehr folgen wollte, die Verwaltung für ihr Funktionieren aber auf diese Rechtsfigur oder ähnliche Konstrukte angewiesen ist. Neben Überlegungen und Argumentationen, ob ein besonderes Gewaltverhältnis wünschenswert, oder hinter Grundrechten und Gesetzesmäßigkeitsprinzip zweitrangig ist, muss also auch stets berücksichtigt werden, wie ein sachgerechtes und damit verfassungsgemäßes Funktionieren der Verwaltung, ob nun Leistungs- oder Eingriffsverwaltung, gewährleistet werden kann. Das generelle Problem ist also, wie weit die Grundrechte der innerhalb des besonderen Gewaltverhältnis befindlichen Personen zum Funktionieren der Verwaltung eingeschränkt werden dürfen und sollen, und ob die Existenz eines besondern Gewaltverhältnisses allein zur Begründung der Grundrechtsbeschränkung ausreicht.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Methodisches Vorgehen
- Literatur und Forschungsstand
- Geschichte und Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses
- Das besondere Gewaltverhältnis vor dem 14.03.1972
- Das besondere Gewaltverhältnis nach dem 14.03.1972
- Entwicklungen und Tendenzen
- Schluss
- Zusammenfassung in Thesen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht den Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses von einer verfassungsrechtlichen zu einer verwaltungsrechtlichen Kategorie. Dabei wird die Entwicklung des Konzepts vor und nach dem 14.03.1972 analysiert, an dem das BVerfGE die uneingeschränkte Gültigkeit von Grundrechten und dem Gesetzmäßigkeitsprinzip auch im Strafvollzug feststellte. Die Arbeit beleuchtet die Diskussionen um die Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses im Kontext von Grundrechtsbeschränkungen und der Funktionsweise der Verwaltung.
- Die historische Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses
- Die Auswirkungen des BVerfGE-Urteils von 1972 auf das besondere Gewaltverhältnis
- Die Bedeutung des besonderen Gewaltverhältnisses für die Verwaltung
- Die Grenzen der Grundrechtsbeschränkung im Rahmen des besonderen Gewaltverhältnisses
- Die unterschiedlichen Ausprägungen und Anwendungsbereiche des besonderen Gewaltverhältnisses
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema „besonderes Gewaltverhältnis“ ein und stellt die Relevanz des Themas in Vergangenheit und Gegenwart dar. Kapitel 2 erläutert das methodische Vorgehen der Arbeit und betont die Bedeutung von Geschichte und juristischer Interpretation für die Analyse des besonderen Gewaltverhältnisses. Kapitel 3 bietet einen Überblick über die relevanten Fachliteratur und Kontroversen im Forschungsstand, die für das Verständnis des historischen Wandels des besonderen Gewaltverhältnisses relevant sind. Kapitel 4 untersucht die Geschichte und Entwicklung des besonderen Gewaltverhältnisses vor und nach 1972, beleuchtet die verschiedenen Interpretationen und die Bedeutung des BVerfGE-Urteils von 1972 für die Rechtsfigur. Kapitel 5, welches die Schlussfolgerungen der Arbeit präsentiert, wurde aus Gründen der Spoilervermeidung nicht berücksichtigt.
Schlüsselwörter
Besonderes Gewaltverhältnis, Verwaltung, Grundrechte, Gesetzmäßigkeitsprinzip, Strafvollzug, Rechtsfigur, BVerfGE, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, historische Entwicklung, Forschungsstand, juristische Interpretation, Kontroversen, Diskussionen.
- Quote paper
- M. A. Simon Reimann (Author), 2004, Der Wandel des besonderen Gewaltverhältnisses von verfassungsrechtlicher zu verwaltungsrechtlicher Kategorie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60102