Nach Ansicht einiger Historiker, unter ihnen der israelische Militärhistoriker Jehuda Wallach, darf der Nahostkonflikt nicht als eine Aneinanderreihung mehrerer unterschiedlicher Kriege angesehen werden, sondern muss als ein einzelner Krieg gelten, der sich über mehrere Jahre hinzieht und sich aus verschiedenen ständig wiederkehrenden Kampfhandlungen um den selben fortdauernden Streitfall zusammensetzt, ähnlich wie das beim Hundertjährigen Krieg im Spätmittelalter zwischen Frankreich und England beurteilt wird.
Trotzdem ist es in der Forschung allgemein üblich, im Nahostkonflikt von mehreren einzelnen Kriegen zu sprechen, da jedem eine an sich grundlegende Bedeutung zugeschrieben wird. So stellte der Yom-Kippur-Krieg 1973, der vierte arabisch-israelische Krieg nach dem Unabhängigkeitskrieg 1947-1949, dem Sinaifeldzug 1954 und dem Sechstagekrieg 1967, darüber besteht in der Forschung weitgehende Übereinstimmung, einen bedeutsamen Wendepunkt dar, der sowohl in regionaler als auch in globaler Hinsicht Auswirkungen verschiedener Art nach sich zog. Chaim Herzog stellt beispielsweise folgende These auf: „The October 1973 Arab-Israeli War (…) was a breaking point and watershed in the history of the Arab-Israeli conflict.” Der Krieg gewinnt, so Herzog an anderer Stelle, “unter historischer Perspek-tive an Bedeutung, je mehr er Geschichte wird. Er markiert den Beginn eines neuen Zeitalters militärischer Auseinandersetzungen.“ Elmar Krautkrämer wählt in seinem Buch „Krieg ohne Ende. Israel und die Palästinenser“ für das Kapitel über den Yom-Kippur-Krieg die Überschrift „Der Yom-Kippur-Krieg als Wende“.
In der vorliegenden Ausarbeitung gilt es herauszuarbeiten, welche Veränderungen durch den Krieg eingetreten sind und inwiefern diese die Einschätzung als Wende im Nahostkonflikt bestätigen können. Ausgehend von den Zielen, die der ägyptische Präsident Anwar El-Sadat mit der Initiierung des Krieges verfolgte, werden aus militärischer und politischer bzw. psychologischer Sicht direkte Ergebnisse und Folgen benannt. Weiterhin wird untersucht, inwiefern das Weltgeschehen etwa durch den Einsatz der Ölwaffe zum Anlass des Krieges oder im Hinblick auf die Rolle der Supermächte von den Ereignissen im Nahen Osten betroffen wurde.
Inhalt
1. Einleitung
2. Ziele
3. Ergebnisse und Folgen des Yom-Kippur-Krieges
3.1 Militärisch
3.2 Politisch und psychologisch
3.2.1 Auswirkungen auf die Wahrnehmung in der Weltöffentlichkeit
3.2.2 Auswirkungen auf die nationale Moral
3.2.3 Der Weg zum Frieden
4. Einsatz der Ölwaffe durch die OAPEC-Staaten
5. Die Rolle der Supermächte
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Nach Ansicht einiger Historiker, unter ihnen der israelische Militärhistoriker Jehuda Wallach, darf der Nahostkonflikt nicht als eine Aneinanderreihung unterschiedlicher Kriege angesehen werden, sondern muss als ein einzelner Krieg gelten, der sich über viele Jahre hinzieht und sich aus verschiedenen ständig wiederkehrenden Kampfhandlungen um den selben fortdauernden Streitfall zusammensetzt, ähnlich wie das beim Hundertjährigen Krieg im Spätmittelalter zwischen Frankreich und England beurteilt wird.[1]
Trotzdem ist es in der Forschung allgemein üblich, im Nahostkonflikt von mehreren einzelnen Kriegen zu sprechen, da jedem eine an sich grundlegende Bedeutung zugeschrieben wird. So stellte der Yom-Kippur-Krieg 1973, der vierte arabisch-israelische Krieg nach dem Unabhängigkeitskrieg 1947-1949, dem Sinaifeldzug 1956 und dem Sechstagekrieg 1967, darüber besteht in der Forschung weitgehende Übereinstimmung, einen bedeutsamen Wendepunkt dar, der sowohl in regionaler als auch in globaler Hinsicht Auswirkungen verschiedener Art nach sich zog. Chaim Herzog stellt beispielsweise folgende These auf: „The October 1973 Arab-Israeli War (…) was a breaking point and watershed in the history of the Arab-Israeli conflict.”[2] Der Krieg gewinne, so Herzog an anderer Stelle, “unter historischer Perspektive an Bedeutung, je mehr er Geschichte wird. Er markiert den Beginn eines neuen Zeitalters militärischer Auseinandersetzungen.“[3] Elmar Krautkrämer wählt in seinem Buch „Krieg ohne Ende. Israel und die Palästinenser“ für das Kapitel über den Yom-Kippur-Krieg die Überschrift „Der Yom-Kippur-Krieg als Wende“.[4]
In der folgenden Ausarbeitung gilt es nun herauszuarbeiten, welche Veränderungen tatsächlich eingetreten sind und inwiefern diese die Einschätzung des Krieges als Wende im Nahostkonflikt bestätigen können. Ausgehend von den Zielen, die der ägyptische Präsident Anwar El-Sadat mit der Initiierung des Krieges verfolgte, werden aus militärischer und politischer bzw. psychologischer Sicht direkte Ergebnisse und Folgen benannt. Weiterhin wird untersucht, in welcher Weise das Weltgeschehen etwa durch den Einsatz der Ölwaffe zum Anlass des Krieges oder im Hinblick auf die Rolle der Supermächte von den Ereignissen im Nahen Osten betroffen wurde.
2. Ziele
Unter Zuhilfenahme verschiedener Aussagen Sadats kann festgehalten werden, dass er mit Hilfe des Krieges anstrebte, eine grundlegende Veränderung in der schwierigen Situation zumindest zwischen Ägypten und Israel herbeizuführen.
Als Nachfolger Nassers hatte Sadat einen schweren Stand. Man erwartete von ihm die Fortführung des Nasserschen arabischen Nationalismus und dessen prosowjetischen Politik.[5] Kaum jemand traute ihm zu, dies selbständig bewerkstelligen zu können, geschweige denn, einen eigenen Kurs in der Führung des arabischen Staates zu fahren. Er wurde gewählt, weil man davon ausging, in ihm einen willensschwachen Mann im Präsidentenamt zu haben, der leicht zu dirigieren sei.[6] Offensichtlich war er jedoch sowohl von seinen Landsleuten als auch von seinen Feinden unterschätzt worden: „Indeed, at the time of his appointment to the top job, there was little to indicate that Sadat would become the leading figure in making war and peace in the Middle East in the 1970s”, so Ahron Bregman.[7]
Die Situation, mit der Sadat bei Antritt seines Amtes konfrontiert war, gestaltete sich aus ägyptischer Sicht als äußerst unbefriedigend. Die schmerzhafte Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 war immer noch allgegenwärtig. Sie hatte zu einem tief sitzenden Gefühl der Demütigung, zum Verlust des ägyptischen Selbstvertrauens sowie zu einer beträchtlichen Furcht vor der israelischen Übermacht geführt.[8] Darüber hinaus hatte die ganze Welt den Eindruck gewinnen können, dass Israel nicht zu besiegen sei, vor allem nicht von einer augenscheinlich unfähigen arabischen Armee. Die aktuelle militärische Lage entsprach vor allem seit dem Waffenstillstand vom August 1970 trotz aller Vermittlungsversuche von amerikanischer Seite[9] einer gefährlichen Pattsituation: Die Positionen waren ungeklärt, ein Frieden nicht absehbar.[10]
Diesen Zustand zu verändern, eine Wende herbeizuführen, war vornehmliches Ziel Sadats. Viele Monate bereitete er deshalb einen Krieg vor, der die erstarrte Situation aufbrechen und völlig neue Positionen schaffen sollte.[11]
Militärisch waren die ägyptischen Ziele nicht hoch gesteckt.[12] Sadat erklärte in seiner Autobiographie: „Ich hatte Nasser oft und oft gesagt, dass sich die gesamte Situation ändern würde, in Ost und West und überall, wenn es uns nur gelang, zehn Zentimeter des Sinaigebietes zurückzuerobern (…) und uns dort so festzukrallen, dass uns keine Macht der Erde wieder vertreiben konnte.“[13] Um dies zu erreichen, musste es gelingen, die erfolgreiche israelische Luftwaffe auszuschalten, die Israelis in einen Zweifrontenkrieg[14] zu verwickeln und ihnen möglichst hohe Verluste zuzufügen.[15]
Sehr viel wichtiger war jedoch für die ägyptische Seite das Erreichen verschiedener politischer und psychologischer Ziele. In einer Rede, die Sadat am 16.10.1973 vor dem Parlament in Kairo hielt, wurden die militärischen Erfolge als eine Frage der Ehre deklariert, die es für die „verwundete Nation“[16] wieder herzustellen galt. Durch die Rückgewinnung der 1967 verlorenen Gebiete sollte die Erinnerung an die bittere Niederlage im Sechstagekrieg ausgemerzt werden.[17] Es würde sowohl für das eigene Selbstbewusstsein als auch für das öffentliche Ansehen von großer Bedeutung sein, die Verletzlichkeit der israelischen Truppen durch Zufügung hoher Verluste aufzuzeigen und deren nationale Moral zu erschüttern.
Nicht zuletzt sollte der Krieg das Interesse der Weltöffentlichkeit auf die Entwicklungen im Nahen Osten lenken und sie für die arabischen Interessen gewinnen. Vor allem eine Intervention der Supermächte war von Sadat von vorneherein vorgesehen und „geradezu beabsichtigt“ gewesen.[18] Laut Chaim Herzog rechnete die ägyptische Seite im Falle eines Fehlschlags der militärischen Aktion mit dem Eingreifen der Sowjetunion, die den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einschalten würde, um einen Waffenstillstand zu erreichen.[19] Auch dass die Vereinigten Staaten sich im Interesse Sadats einschalten sollten, war Teil der Überlegungen. Mit der Ausweisung der sowjetischen Militärberater 1972[20] war das deutliche Signal gegeben worden, dass Nassers konsequenter prosowjetischer Kurs von Sadat nicht fortgeführt werden sollte und dass Sadat ein besseres Verhältnis mit den USA anstrebte.[21]
Die verbesserten Beziehungen zu den USA sollten schließlich nach der angestrebten Rückgewinnung der ägyptischen Gebiete Friedensverhandlungen begünstigen, die Sadat kurz- oder langfristig im Blick hatte, um geklärte und gesicherte Positionen in der Gebietsfrage zwischen Ägypten und Israel zu erreichen.[22] Denn, so formulieren Friedrich Schreiber und Michael Wolffsohn, „Sadat erkannte (…), dass der Schlüssel einer ägyptisch-israelischen Vereinbarung in der amerikanischen, nicht der sowjetischen Hauptstadt zu finden war.“[23] Es würde also des amerikanischen Einflusses bedürfen, um Israel an den Verhandlungstisch zu zwingen. Bereits am 04.02.1971 erklärte Sadat vor dem ägyptischen Parlament: „If Israel withdrew her forces in Sinai to the [Mitla and Giddi] Passes, I would be willing to reopen the Suez Canal; to have my forces cross to the East Bank [of the Suez Canal] … to make a solemn, official declaration of a cease-fire by six, rather than three, months; to restore diplomatic relations with the United States; and sign a peace agreement with Israel.”[24] Das Ziel, diesen Einfluss für sich zu nutzen, hatte er sich also schon früh gesetzt.
In seiner Rede vor dem Parlament am 16.10.1973 gab Sadat an, dass der Krieg mit Blick auf einen gewünschten Frieden geführt werde: „Wir kämpfen für die Sache des Friedens – des einzigen Friedens, der den Namen verdient, d. h. Frieden, der sich auf Gerechtigkeit stützt.“[25] Die Voraussetzung für den Frieden war für Sadat also die Herstellung gerechter Verhältnisse, die sich aus seiner Sicht erst nach der Rückgewinnung der 1967 von Israel besetzten Gebiete durch militärische Aktionen einstellen konnten. Mit dieser Argumentation lehnte er auch jeden Vorwurf ab, der ihm die Rolle des Aggressors zuschrieb.[26] Aus seiner Sicht stellte der Kampf im Gegenteil eine Maßnahme gegen die Aggression dar.[27]
[...]
[1] Wallach, S. 45.
[2] Herzog (1998), S. xi.
[3] Herzog (1984), S. 382.
[4] Krautkrämer, S. 68.
[5] Bregman, S. 66.
[6] Ebd., S. 66.
[7] Ebd., S. 66; vgl. Blumberg, S. 120.
[8] Sadat (1979), S. 287.
[9] Vgl. Quandt, S. 55-96.
[10] Herzog (1984), S. 373.
[11] Sadat (1979), S. 283.
[12] Hottinger, S. 88.
[13] Sadat (1979), S. 287.
[14] Syrische Truppen sollten im Norden eine zweite Front auf den Golan-Höhen eröffnen, vgl. Sadat (1979), S. 284; Bregman, S. 72; Herzog (1984), S. 373 f.
[15] Herzog (1984), S. 372.
[16] Sadat (1974), D 306 f.
[17] Ebd., D 306 f.
[18] Schmid, S. 48; vgl. Herzog (1984), S. 374.
[19] Herzog (1984), S. 266.
[20] Sadat (1979), S. 275; Schreiber – Wolffsohn, S. 229.
[21] Weber, S. 109. Allerdings gehörte die Ausweisung der Sowjetexperten zu Sadats brillantem Täuschungsmanöver, dessen Gelingen einen großen Anteil an den anfänglichen Kriegserfolgen der Ägypter hatte, vgl. Schreiber – Wolffsohn, S. 229.
[22] Eine aktive Friedenspolitik konnte Sadat aber auch nützen, um das Vertrauen der westlichen Mächte wieder für sich zu gewinnen, vgl. Abbas, S. 19.
[23] Schreiber – Wolffsohn, S. 228.
[24] Zitiert nach Bregman, S. 67.
[25] Sadat (1974), D 306.
[26] Diesen Vorwurf erhob auch die israelische Ministerpräsidentin Golda Meier am 16.10.1973 in einer Rede vor dem Parlament in Jerusalem: „Wer könnte es bestreiten, dass es Ägypten und Syrien waren, die den verbrecherischen Angriff gegen Israel eröffneten? Wird es jemand wagen, auch dieses Mal wieder die Wahrheit abzuleugnen, dass die Verantwortung für den furchtbaren Krieg, in dem wir jetzt stehen, auf die Regierungen von Ägypten und Syrien fällt? (…) Die Regierungen Ägyptens und Syriens werden nicht losgesprochen werden von dem Stigma dieser Verantwortung und ihrer Konsequenzen.“ Meir, D 310.
[27] Sadat (1974), D 307.
- Arbeit zitieren
- Ella Plett (Autor:in), 2006, Der Yom-Kippur-Krieg: Wende im Nahen Osten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60062
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