Befasst man sich heute genauer mit dem Begriff der Familie, so fällt schnell auf, dass diese seit Beginn des 20. Jahrhunderts und insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten einem stetigen strukturellen Wandel unterliegt. Anders als beispielsweise noch vor vierzig Jahren besteht eine Familie in Deutschland heute nicht mehr zwangsläufig aus einem verheirateten Paar mit Kindern. Vielmehr ist zu beobachten, dass mittlerweile eine Vielzahl neuer familialer Lebensformen (z.B.: Ein-Eltern-Familien, Patchworkfamilien, Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern etc.) zur Normalität geworden ist. Diese Tatsache wird in der Familiensoziologie oft als so genannte Pluralisierung familialer Lebensformen bezeichnet. Man könnte also davon ausgehen, dass Familie und Ehe damit heute nicht mehr untrennbar miteinander verbunden sind.
Welche Bedeutung hat dieser Wandel aber für die soziale Institution der Familie und besonders auch für die der Ehe? Und kann angesichts dieses Wandels sogar von einem Bedeutungsverlust gesprochen werden?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, sollen in der vorliegenden Arbeit zunächst die Begriffe „Familie“ und „Ehe“ geklärt werden, wobei besonders auf die heutigen Merkmale und Funktionen beider sozialer Institutionen eingegangen wird.
Im Anschluss daran sollen, um einen theoretischen Rahmen zu bilden, verschiedene sozialwissenschaftliche Positionen zum institutionellen Wandel von Familie und Ehe erläutert werden (Bedeutungsverlust versus Bedeutungswandel).
Abschließend soll hier noch auf den Phasenablaufprozess von der Partnerfindung bis zur Eheschließung im zeitgeschichtlichen Wandel eingegangen werden, da sich dieser als geeigneter Indikator für den institutionellen Wandel heranziehen lässt.
Inhalt
1. Einleitung: Bedeutungswandel oder Bedeutungsverlust?
2. Familie und Ehe
2.1. Familie
2.2. Ehe
2.3. Familie und Ehe als soziale Institutionen
3. Drei Sichtweisen zum institutionellen Wandel von Familie und Ehe
3.1. umfassende Deinstitutionalisierung
3.2. begrenzte Deinstitutionalisierung
3.3. institutionelle Anpassung
4. Phasenablaufprozesse von der Partnerfindung bis zur Eheschließung
4.1. historischer Rückblick
4.2. der Phasenablaufprozess heute
5. Zusammenfassung und Fazit
Literatur
1. Einleitung: Bedeutungswandel oder Bedeutungsverlust?
Befasst man sich heute genauer mit dem Begriff der Familie, so fällt schnell auf, dass diese seit Beginn des 20. Jahrhunderts und insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten einem stetigen strukturellen Wandel unterliegt. Anders als beispielsweise noch vor vierzig Jahren besteht eine Familie in Deutschland heute nicht mehr zwangsläufig aus einem verheirateten Paar mit Kindern. Vielmehr ist zu beobachten, dass mittlerweile eine Vielzahl neuer familialer Lebensformen (z.B.: Ein-Eltern-Familien, Patchworkfamilien, Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern etc.) zur Normalität geworden ist. Diese Tatsache wird in der Familiensoziologie oft als so genannte Pluralisierung familialer Lebensformen bezeichnet. Man könnte also davon ausgehen, dass Familie und Ehe damit heute nicht mehr untrennbar miteinander verbunden sind.
Welche Bedeutung hat dieser Wandel aber für die soziale Institution der Familie und besonders auch für die der Ehe? Und kann angesichts dieses Wandels sogar von einem Bedeutungsverlust gesprochen werden?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, sollen in der vorliegenden Arbeit zunächst die Begriffe „Familie“ und „Ehe“ geklärt werden, wobei besonders auf die heutigen Merkmale und Funktionen beider sozialer Institutionen eingegangen wird.
Im Anschluss daran sollen, um einen theoretischen Rahmen zu bilden, verschiedene sozialwissenschaftliche Positionen zum institutionellen Wandel von Familie und Ehe erläutert werden (Bedeutungsverlust versus Bedeutungswandel).
Abschließend soll hier noch auf den Phasenablaufprozess von der Partnerfindung bis zur Eheschließung im zeitgeschichtlichen Wandel eingegangen werden, da sich dieser als geeigneter Indikator für den institutionellen Wandel heranziehen lässt.
2. Familie und Ehe
Im folgenden Abschnitt sollen zunächst konstitutive Merkmale und Funktionen von Familie und Ehe aus heutiger Sicht geklärt werden. Weiterhin soll erklärt werden, warum Familie und Ehe als soziale Institutionen aufgefasst werden.
2.1. Familie
Auf der Suche nach einer geeigneten Definition für den Begriff „Familie“ fällt schnell auf, dass – selbst in der wissenschaftlichen Sprache – ein einheitlicher und allgemein anerkannter Familienbegriff nicht existiert. Vielmehr werden je nach wissenschaftstheoretischem Ansatz unterschiedliche Familienbegriffe verwendet (vgl. NAVE-HERZ, 1992, S.186f; NAVE-HERZ, 1997, S.37).
In der von Parsons geprägten strukturell-funktionalen Theorie zum Beispiel, ist Familie gekennzeichnet durch eine bestimmte Rollenstruktur und eine spezifisch funktionale Binnendifferenzierung. Das heißt Mutter- und Vaterrolle sind mit spezifischen Verhaltensmustern verknüpft, es herrschen eindeutige Aufgabenteilung und spezifische Interaktionsbeziehungen (vgl. NAVE-HERZ, 1992, S.187; NAVE-HERZ, 1997, S.37). Diese Art der Definition mag bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts auch auf die Mehrzahl aller Familien zugetroffen haben. Heute allerdings würde man unter Anwendung dieses Kernfamilienmodells feststellen müssen, dass Familien quantitativ abgenommen haben, da schon allein mit der gestiegenen Berufstätigkeit von Müttern die eindeutig differenzierte Rollenstruktur innerhalb der Familie nicht mehr erfüllt wird (vgl. NAVE-HERZ, 1992, S.187; NAVE-HERZ, 1997, S.37). Mütterliche Erwerbstätigkeit kann jedoch kaum zur Folge haben, dass man nicht mehr von Familie sprechen kann. Wenn ein institutioneller Wandel von Familie beschrieben werden soll, ist die Verwendung eines so eng gefassten Familienbegriffs nicht angemessen, da dadurch andere (neuere) Familienformen neben der Kernfamilie nicht erfasst werden können.
Eine weitere mögliche Definition des Familienbegriffs stammt von König und auch von Neidhardt, die Familie sowohl aus makro-soziologischer, als auch aus mikro-soziologischer Sicht betrachten. Sie beschreiben Familie „als eine Gruppe besonderer Art, die durch ein Gegenüber von Generationen und Geschlecht gekennzeichnet ist, und der von der Gesellschaft ganz bestimmte Funktionen zugewiesen werden“ (vgl. NAVE-HERZ, 1992, S.187). Aufgrund der zugeschriebenen Geschlechtsdifferenzierung (Mann/Frau) innerhalb der Familie ist aber auch diese Definition ebenfalls zu eng gefasst, da so zum Beispiel Ein-Eltern-Familien – als familiale Systeme – nicht erfasst werden.
Nave-Herz (2004, S.30) formuliert deshalb einen – aus rollen- und systemtheoretischer Perspektive – eher weiten Familienbegriff, der es ermöglicht alle Formen familialen Zusammenlebens zu beschreiben:
„Familien sind im Vergleich zu anderen Lebensformen gekennzeichnet:
1. durch ihre „biologisch-soziale Doppelnatur“ […], d.h. durch die Übernahme der Reproduktions- und Sozialisationsfunktion neben anderen gesellschaftlichen Funktionen […],
2. durch die Generationsdifferenzierung (Urgroßeltern / Großeltern / Eltern / Kind(er)) und dadurch dass
3. zwischen ihren Mitgliedern ein spezifisches Kooperations- und Solidaritätsverhältnis besteht, aus dem heraus die Rollendefinitionen festgelegt sind.“
Zu 1.: Familien haben bestimmte, ihnen zugeschriebene Funktionen zu erfüllen. Zu den Funktionen, die der Familie - und auch der Ehe (welche im Abschnitt 2.2. genauer thematisiert wird) - heute zugeschrieben werden, gehören neben der Reproduktions- und der Sozialisationsfunktion, die Platzierungs-, die Freizeit- und die Spannungsausgleichsfunktion.
Die Reproduktionsfunktion umfasst dabei die biologische und die soziale Reproduktion.
Biologisch meint hierbei lediglich, dass Familie bzw. Ehe die Lebensformen sind, in der Kinder gezeugt werden, wodurch sich die Partner „reproduzieren“.
Die soziale Reproduktionsfunktion umfasst die psychische und physische Regeneration der Familienmitglieder. Das heißt, die Familie hat zum Beispiel einen Einfluss auf die Gesundheits- und Gefühlszustände ihrer Mitglieder; hier kann der Einzelne Liebe und emotionale Geborgenheit erfahren (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.79ff.; NAVE-HERZ/ONNEN-ISEMANN, 2003, S.291). Darüber hinaus ist die Familie zuständig für Schutz und Fürsorge gegenüber Säuglingen und Kleinkindern, aber auch gegenüber kranken und pflegebedürftigen Mitgliedern.
Auch die Spannungsausgleichsfunktion von Familie und Ehe kann zu der sozialen Reproduktionsfunktion hinzu gezählt werden, da innerhalb der Familie oder Ehe Spannungen, die durch den Beruf oder durch andere Verpflichtungen entstehen, aufgefangen werden können, was wiederum einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Mitglieder hat (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.99ff.).
Die Sozialisationsfunktion der Familie deutet auf die Erziehung von Kindern zu „bewussten sozialen Persönlichkeiten“ hin (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.88ff.).
Unter der sozialen Platzierungsfunktion wird die Zuweisung von Familienmitgliedern zu einer bestimmten gesellschaftlichen Position verstanden. Herkunftsfamilie und Ehepartner, aber auch eigene Leistungen (durch Ausbildung und Beruf) sind für den gesellschaftlichen Status entscheidend. Platzierungs- und Sozialisationsfunktion sind eng miteinander verbunden, da mit der Sozialisation die Platzierung in der Gesellschaft unterstütz werden kann (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.91ff.).
Die Freizeitfunktion von Familie und Ehe beinhaltet das gemeinsame Verbringen der Freizeit (neben beruflichen und anderen Verpflichtungen) unter ihren Mitgliedern (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.95ff.).
Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass diese Funktionen sowohl auf die Familie, als auch auf die im nachfolgenden erläuterte Ehe zutreffen. Was wiederum schon als erster Hinweis darauf, dass Familie und Ehe noch immer in einem Zusammenhang stehen, dient.
Zu 2.: Familie muss immer eine Generationsdifferenzierung aufweisen, die sich entweder auf die Eltern-Kind-Einheit (Zwei-Generationen- oder Kernfamilie) oder auch auf die Differenzierung zu Groß- und Urgroßeltern (Mehr-Generationen-Familie) bezieht. In dieser Arbeit wird der Begriff „Familie“ jedoch nur auf die Zwei-Generationen-Familie angewandt, da ausschließlich diese Gegenstand oben genannter Fragestellung sein soll.
Zu 3.: Familie zeichnet sich durch eine spezifische Rollenstruktur mit klaren Rollendefinitionen aus (z.B. Mutter, Vater, Tochter, Sohn etc.), welche die Beziehungen untereinander – im Sinne von Verbundenheit und Unterstützung – festlegen (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.32f).
Wie schon bereits erwähnt, sollen mit dieser eben beschriebenen Definition alle möglichen Formen familialen Zusammenlebens erklärt werden können. Denn neben der traditionellen Kernfamilie, welche sich aus einem Ehepaar mit leiblichen Kindern zusammensetzt und die bis in die 1970er Jahre noch äußerst weit verbreitet war, sind im heutigen Alltag viele weitere Familienformen möglich. Wichtig bei der Unterscheidung von Familien und „Nicht-Familien“ – so die Einteilung der Gesellschaft in einen Familien- und einen Nichtfamiliensektor, durch die Polarisierungsthese (vgl. HÖHN/DOBRITZ, 1995, S.159) – ist, dass man die oben genannten Merkmale berücksichtigt. Das heißt, alle Lebensformen, die diese konstitutiven Merkmale aufweisen, können zum Familiensektor gezählt werden. Damit können zunächst folgende Lebensformen als Familien angesehen werden:
- Ehepaare mit Kind(ern),
- Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kind(ern) – darunter auch gleichgeschlechtliche Paare möglich,
- Ein-Eltern-Familien (Mutter- bzw. Vaterfamilie),
- Adoptionsfamilien,
- Stief- oder Fortsetzungsfamilien,
- Patchworkfamilien,
- Pflegefamilien.
Mit Sicherheit sind noch weitere familiale Lebensformen zu extrahieren (vgl. NAVE-HERZ, 2004, S.33f). Jedoch sind diese für die oben genannte Fragestellung nicht von Bedeutung und sollen deshalb auch nicht weiter thematisiert werden.
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- Quote paper
- Melanie Schönberg (Author), 2006, Institutioneller Wandel von Familie und Ehe in Deutschland - Bedeutungswandel oder Bedeutungsverlust?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60026
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