Im ersten Kapitel werden zwei der verwendeten Begriffe – Wissen und Wirklichkeit/Realität - definiert und ein Einblick in die Thesen des RK gewährt. Im zweiten Kapitel wird der Schwerpunkt auf der neurologischen Dimension des Wahrnehmens der Realität liegen. Im Dritten Kapitel rückt die soziale und sozialpsychologische Komponente in den Vordergrund. Mir ist dabei bewusst, dass eine scharfe Trennung zwischen neurologischen und sozialen Wahrnehmungsprozessen der zu behandelnden Thematik nicht unbedingt angemessen ist. Folglich werde ich im letzten Kapitel versuchen eine kohärente Zusammenfassung dieser Bereiche zu erarbeiten. Mir ist viel daran gelegen eine verständliche Übersicht der Thematik darzulegen; aus diesem Grund werde ich komplexere Phänomene auf ein – meiner Meinung nach - begreifbares Maß reduzieren und sprachlich allgemeinverständlich bleiben.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1 Thematische Einführung
1.1 Wissen
1.2 Wirklichkeit und Realität
2 Neurobiologische Dimension von Wissen
2.1 Die Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane
2.2 Gerichtete Wahrnehmung – Die Informationsverarbeitung im Gehirn
3 Soziale und sozialpsychologische Dimension von Wissen
3.1 Sehen und Wissen
3.2 Sprache und Wissen
3.3 Die kindliche Wahrnehmung der Wirklichkeit
3.4 Die Sinndeutungsnot des Menschen oder von der unabdingbaren
Notwendigkeit der Institutionen
3.5 Selbsterfüllende Prophezeiung
3.6 Kommunikation und Interpretation
4 Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Zeitschriftenartikel
Internetquellen
Vorwort
Bei dem Radikalen Konstruktivismus (RK) handelt es sich nicht um eine einheitliche Theorie, sondern um eine transdisziplinäre Diskussion über die Art und Weise der Wahrnehmung, des Wissenserwerbs und der damit verbundenen Vorstellung von Wirklichkeit. Unterschiedliche Wissenschaftszweige wie z.B. die Psychologie, Philosophie, Sozialwissenschaft, Kybernetik, Neurowissenschaften, Biologie setzen sich mit dieser Thematik auseinander und bilden somit das Fundament des RK.
Die Grundidee geht davon aus, ,,dass alles Wissen, wie immer man es auch definieren mag, nur in den Köpfen von Menschen existiert, und dass das denkende Subjekt sein Wissen nur auf der Grundlage seiner Erfahrung konstruieren kann.“ (Glasersfeld 1997a: 11). Demzufolge ist unser Wissen über die Wirklichkeit lediglich eine Konstruktion und auf keinen Fall ein identisches Abbild ebendieser. Um diese Annahme genauer unter die Lupe zu nehmen, bedarf es der Interpretation verschiedener Texte. Man möge mir bitte verzeihen, wenn ich dafür die Ansichten und Theorien bereits verstorbener sowie noch lebender Autoren als Fundament verwende, obwohl sich diese sicherlich nicht als Radikale Konstruktivisten sehen oder gesehen haben. Ich schließe mich zur Rechtfertigung der Meinung Valéry’s an: ,,Einmal veröffentlicht, ist ein Text wie ein Werkzeug, das jedermann gebrauchen kann, wie er will, und nach seinem eigenen Vermögen: Es ist nicht sicher, dass der Hersteller es besser gebrauchen kann, als sonst irgend jemand“. (Valéry in ebd.: 15)
Im ersten Kapitel werden zwei der verwendeten Begriffe – Wissen und Wirklichkeit/Realität - definiert und ein Einblick in die Thesen des RK gewährt.
Im zweiten Kapitel wird der Schwerpunkt auf der neurologischen Dimension des Wahrnehmens der Realität liegen. Im Dritten Kapitel rückt die soziale und sozialpsychologische Komponente in den Vordergrund. Mir ist dabei bewusst, dass eine scharfe Trennung zwischen neurologischen und sozialen Wahrnehmungsprozessen der zu behandelnden Thematik nicht unbedingt angemessen ist. Folglich werde ich im letzten Kapitel versuchen eine kohärente Zusammenfassung dieser Bereiche zu erarbeiten.
Mir ist viel daran gelegen eine verständliche Übersicht der Thematik darzulegen; aus diesem Grund werde ich komplexere Phänomene auf ein – meiner Meinung nach - begreifbares Maß reduzieren und sprachlich allgemeinverständlich bleiben.
1 Thematische Einführung
1.1 Wissen
Der Begriff „Wissen“ kommt aus dem Altdeutschen „wissan“ was soviel wie „gesehen haben“ bedeutet. Das Wissen bezeichnet die Gesamtheit aller organisierten Informationen und ihrer wechselseitigen Zusammenhänge, auf deren Grundlage ein Mensch fähig ist zu handeln
In dieser Ausarbeitung bezieht sich ,,Wissen“ immer auf das Erfahrungswissen. Erfahrungswissen wird induktiv aufgebaut und setzt sich aus dem figurativen Wissen, das auf Koordination und Abstraktion von sensomotorischen Erfahrungen aufbaut, und dem operativen Wissen, das auf reflexiver Abstraktion basiert, zusammen. Wissen bezieht sich demnach auf begriffliche Strukturen, die sich Individuen innerhalb ihrer gesellschaftliche tradierten Sprach- und Denkmuster aneignen und durch die sie fähig sind, die um sie herum existierenden Phänomene kohärent zu ,,begreifen“ und auf sie ,,sinnvoll“ zu reagieren. Damit ist Wissen eine ,,Landkarte dessen, was die Realität uns zu tun erlaubt“ (vgl. Glasersfeld1997b: 202).
1.2 Wirklichkeit und Realität
Die Begriffe ,,Wirklichkeit“ und „Realität“ werden in dieser Ausarbeitung synonym verwendet. ,,Wirklichkeit“ leitet sich von ,,werkelicheit“ ab; einen Ausdruck, den deutsche Mystiker des 13. Jahrhunderts im Sinne von ,,Werktätigkeit“ verwendeten (Kluge1975: 863). Gegenwärtig versteht man unter Wirklichkeit all das, „was als außerhalb unserer Vorstellungen oder unseres Denkens für sich und unabhängig von uns vorgestellt wird“ (Rehfus2003: 683). Dabei taucht bereits die Schwierigkeit auf, genau festzustellen, wie wir uns etwas vorstellen können, was scheinbar unabhängig von uns existiert.
Während sich der Begriff in früheren Zeiten also auf das aktive Handeln bezog, gilt er heute als Gegensatz zum bloß Gedachten oder Scheinbaren (vgl. Kluge1975: 862/863).
Den Zugang zur Wirklichkeit ermöglichen uns nach der Theorie des RK unsere Sinnesorgane und unser Wissen, dass die Informationen, die wir über die Sinnesorgane selektiv empfangen, zu einen sinnvollen Ganzen zusammenfügt.
1.3. Grundgedanken des Radikalen Konstruktivismus
Anhänger des Radikalen Konstruktivismus vertreten die Ansicht, dass menschliches Wissen nicht als ein Bild der Wirklichkeit verstanden werden darf, sondern nur als ein Schlüssel unter vielen, der uns mögliche Wege erschließt (vgl. Glaserfeld in Watzlawick1985: 17). Es wird nicht bestritten, dass es eine Wirklichkeit an sich gibt. Aber das Abbild der Wirklichkeit, das wir über unterschiedliche Signale durch unsere Sinnesorgane empfangen und durch unser Gehirnaktivität filtern (gerichtete Wahrnehmung), kann niemals identisch sein mit einer ontologischen Realität. Unsere Wahrnehmungsbedingungen machen es unter keinen Umständen möglich, die Welt insgesamt oder teilweise außerhalb der menschlichen physischen und psychischen Grenzen zu erkennen. Wir nehmen nur eine beobachterabhängige, individuelle Realität war.
Der RK sieht in dem von uns konstruierten Abbild der Wirklichkeit zudem eine Anpassung an die Umwelt im funktionalen Sinne (vgl. ebd.: 19). Hierbei spielt die Viabilität[1] eine entscheidende Rolle. Viabilität beschreibt die Fähigkeit eines Organismus oder eines Gegenstandes zu ,,passen“. Ein Schlüssel „passt“, wenn er das Schloss aufschließen kann. Allerdings beschreibt das ,,passen“ hierbei die Fähigkeit des Schlüssels und gibt uns keine Auskunft über die Eigenschaften des Schlosses. Schon Darwin hatte in der oft missbrauchten und einseitig übersetzten Kernaussage seiner Theorie ,,survival of the fittest“ betont, dass ein Organismus entweder in seine Umwelt ,,passt“ und überlebt oder nicht „passt“ und ausstirbt[2].
,,Wie die Umwelt den Lebewesen (organischen Strukturen) Schranken setzt und Varianten vernichtet, die den so umgrenzten Raum der Lebensmöglichkeiten überschreiten, so bildet die Erlebenswelt, sei es im Alltag oder im Laboratorium, den Prüfstein für unsere Ideen (kognitive Strukturen). Das gilt für die ersten Regelmäßigkeiten, die der Säugling in seiner noch kaum differenzierten Erfahrung etabliert, es gilt für die Regeln, mit deren Hilfe Erwachsene das tägliche Leben zu meistern trachten, und es gilt für die Hypothesen, Theorien und die sogenannten ,,Naturgesetze“, die der Wissenschaftler formuliert in seinen Bemühen, der weitest möglichen Erfahrungswelt dauerhafte Stabilität und Ordnung abzugewinnen. (ebd.: 21)
Organische Strukturen überleben folglich, wenn sie durch zufällige Mutationen passen. Die Umwelt hat keinen direkten Einfluss auf das Überleben einer Art, wohl aber auf das Aussterben. Sie offenbart sich dem Beobachter durch negative Auswirkungen, die keine Rückschlüsse auf ihre objektive Beschaffenheit zulassen[3].
Für kognitive Strukturen gilt gleiches. Diejenigen kognitiven Strukturen (Ideen, Theorien, Ideologien etc.), die bis heute standgehalten haben, zeigen, dass wir einen gangbaren Weg zu einem Ziel wissen, welchen wir unter von uns bestimmten Umständen in unserer Erlebenswelt gewählt haben (vgl. ebd.: 22). Die Funktion der Kognition ist somit adaptiv und dient der Organisation der Erfahrungswelt, nicht der Entdeckung einer ontologischen Realität .
,,Wissen wird vom lebenden Organismus aufgebaut, um den an und für sich formlosen Fluss des Erlebens so weit wie möglich in wiederholbare Erlebnisse und relativ verlässliche Beziehungen zwischen diesen zu ordnen. Das heißt, dass die ,,wirklich“ Welt sich ausschließlich dort offenbart, wo unsere Konstruktionen scheitern. Da wir das Scheitern aber immer nur in eben jenen Begriffen beschreiben und erklären können, die wir zum Bau der scheiternden Strukturen verwendet haben, kann es uns niemals ein Bild der Welt vermitteln, die wir für das Scheitern verantwortlich machen könnten.“ (Glaserfeld1997a: 72/73)
Die Frage nach der Objektivität[4] stellt sich dem RK nicht. Er ist als ein begriffliches Werkzeug zu verstehen, mit dem die Probleme des Wissens und Erkennens ,,bearbeitet“ werden können und dessen Wert sich nur nach seinem Erfolg im Gebrauch bemisst. (vgl. ebd.: 55). Somit schließt sich der Radikale Konstruktivismus in seine eigene Theorie mit ein: jedwedes Wissen auch das, über die Theorie des RK’s hat lediglich funktionalen Wert und keinen ontologischen. (vgl. ebd.: 259). Die Kritik am RK, dass er selber zur Beweisführung neurobiologische Theorien verwendet, die doch – nach dem RK - lediglich Konstrukte sind, und durch die man somit nicht in der Lage ist objektiv über die Wirklichkeit zu urteilen, ist damit hinfällig und beruht wahrscheinlich auf der Meinung einiger unaufmerksamer Leser.
Es soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, die Thesen der RK zu untermauern.
2 Neurobiologische Dimension von Wissen
2.1 Die Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane
Unsere Sinnesorgane können nur einen kleinen Ausschnitt aller möglichen Informationen aus unserer Umwelt verarbeiten. ,,Unsere Augen sind empfindlich für elektromagnetische Strahlung in einem gewissen Bereich von Wellenlängen[5]. Dieser Bereich wird auch als Licht bezeichnet. Unsere Ohren sind empfindlich für Luftdruckänderungen in einem gewissen Frequenzbereich. Diese akustischen Reize werden als Schall bezeichnet. Unsere Haut ist empfindlich für Berührungen (Druck), Temperatur und Schmerz. Unser Mund ist empfindlich für verschiedene chemische Moleküle, die als Geschmack wahrgenommen werden. Unsere Nase ist empfindlich für chemische Moleküle, die als Geruch wahrgenommen werden“ (Gegenfurthner2005: 27/28).
Alle diese physikalisch-chemischen Reize werden durch spezielle Rezeptoren aufgenommen und durch die spezielle Nervenzellen unserer Sinnesorgane in elektrische Impulse verwandelt (Aktionspotentiale) und an das Gehirn in quantitativer Größe (Erregungsmuster) weitergegeben.
,,In den Erregungszuständen einer Nervenzelle ist nicht die physikalische Natur der Erregungsursache codiert. Codiert wird lediglich die Intensität dieser Erregungsursache, also ein >wieviel<, aber nicht ein >was<“ (Foerster in Watzlawick1995: 43).
So gesehen gibt es ,,da draußen“ sicherlich weder Farben noch Licht oder Musik, weder kalt noch warm und gewiss keinen Schmerz.
[...]
[1],,Viabiliät“ ist ein spezifischer Begriff des Radikalen Konstruktivismus. Er bedeutet gangbar, passend, brauchbar, funktional oder lebensfähig. Der Begriff ,,viable“ existiert in der englischen sowie der französischen Sprache. Die „Viabilität“ ist demzufolge die Fähigkeit, einen gangbaren Weg zu einem Ziel zu weisen. Handlungen, Begriffe, Vorstellungen, Ideen, Wissen oder Erkenntnisse können als viabel bezeichnet werden. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Viabel)
[2] fit(engl.) = passen
[3] Wobei anzumerken ist, dass es immer bestimmte Umweltbedingungen geben muss, um Leben überhaupt erst zu ermöglichen und dass diese Bedingungen uns relativ bekannt sind. Auch Mutationen, durch die Evolution erst möglich wird, sind auf Umwelteinwirkungen zurückzuführen. Ich glaube von daher, dass die Aussage von Glasersfeld hier der Korrektur bedarf.
[4],,Objektivität ist die Wahnvorstellung, Beobachtungen könnten ohne Beobachter gemacht werden“ (Heinz von Foerster )
[5] Licht bewegt sich in einem Wellenbereich zwischen 400 und 700 nm; die Wellenbereich die darüber oder darunter liegen, sind unserem Auge nicht möglich zu verarbeiten. Der Frequenzbereich, der für unsere Ohren hörbar ist liegt zwischen 100Hz und 12kHz. (vgl. Gegenfurtner2005: 3/31)
Die Sinnesorgane anderer Lebewesen sind für andere Wellen- und Frequenzbereiche ausgelegt, daher können wir davon ausgehen, dass diese Tiere ihre Umwelt auch anders wahrnehmen.
- Quote paper
- Christoph Egen (Author), 2006, Wissen und Realität - Begründungen des Radikalen Konstruktivismus aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59820
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