Abstract
Thema: Frauenbild und Sexualästhetik in Günter Grass´ „Die
Blechtrommel“ und Gabriel García Márquez´ „Cién años de
soledad“.
Ausgehend von der feministischen Literaturwissenschaft wird untersucht, welche Frauenbilder und Weiblichkeitsentwürfe in den Werken „Cien años de soledad“ und „Die Blechtrommel“ erkennbar sind, und wie sich diese unter Einbeziehung des historisch soziokulturellen Hintergrundes in der ästhetischen Darstellung der sexuellen Beziehungen widerspiegeln.
Inhalt
I. Einleitung
II. Weiblichkeitsentwürfe
1. Archetypische Mutterrolle
Ùrsula Iguarán
Anna Bronski
2. “Mischformen” der Mutterrolle
Pilar Ternera
Santa Sofia de la Piedad
Fernada di Carpio
3. “Säkularisierte” Mutterrolle
Meme Babilonia
Amaranta Ursula
4. “Hurenhafte” Mutterrollen
Pilar Ternera
Petra Cotes
Nigromanta
5. Mutter, Geliebte und „Hure“
Agnes Bronski
Maria Truczinski
III. Sexualästhetische Darstellung
1. Initiation
« Die Blechtrommel »
« Cien años de soledad“
2. La mujer metáfora Latinoamericana
IV. Sexualideologie und Welthaltung
Frauenrollen und Sexualästhetik in Günter Grass´ „ Die Blechtrommel und Gabriel García Márquez´ „Cién años de soledad“.
Die Untersuchung von Frauenbildern in der Literatur gehört zu den frühesten Interpretationsansätzen innerhalb der feministischen Literaturwissenschaft. Hier versuchen Kritikerinnen die männliche Sichtweisen in literarischen Werken von Autoren aufzuzeigen , indem sie diese Texte auf die darin enthaltenen Weiblichkeitsentwürfe untersuchen Die feministischen Literaturtheorie hat als die am häufigsten erscheinenden Typen der männlichen Betrachtungsweise Mutter und Heilige, Prostituierte und Femme Fatal herausgearbeitet.
Die Ursachen für diese stereotypen Frauenbilder liegt in der auch heute noch , wenn auch in Auflösung begriffenen patriarchalischen Struktur unserer Gesellschaft. Dies manifestiert sich auch deutlich in der postkolonialen lateinamerikanischen Literatur. Dass patriarchalische Strukturen auch in unserer Gesellschaft noch den Ton angeben, zeigt die Feminismusbewegung. Nicht ohne Grund thematisiert auch Günter Grass vor allem in seinem Spätwerk die Probleme bei der gesellschaftlichen Veränderung der Geschlechterrollen1.
II. Weiblichkeitsentwürfe
In der folgenden Darstellung soll nun untersucht werden, welche Weiblichkeitsentwürfe in den Werken „Cien años de soledad“ und „Die Blechtrommel“ erkennbar sind, und welche Sexualideologie sich hinter beiden aus verschiedenen Kulturkreisen stammenden Werken „versteckt“ und wie sich diese unter Einbeziehung des historisch soziokulturellen Hintergrundes in der ästhetischen Darstellung der sexuellen Beziehung widerspiegelt.
1.Archetypische Mutterrolle
Bei beiden Romanciers spielt die archetypische Muttergestalt eine signifikante Rolle. Ùrsula Iguarán begründet nicht nur als Ur-Mutter das Geschlecht der Buendías, sondern überlebt auch mehrere Generationen und behält bis zu ihrem Tod einen mythischen Überblick über die Geschehnisse.
Oskars Großmutter in der „Blechtrommel“ verkörpert ebenso das positive in sich ruhende Mutterprinzip. Sie ist eine mythisch-naturverbundene Gestalt, ausgedrückt im ungewöhnlichen Zeugungsvorgang in der Umgebung der Grundelemente von Erde, Wasser, Feuer und Luft (Vgl.S.21).2
Der Zeugungsvorgang bei Ùrsula findet ebenfalls unter außergewöhnlichen Umständen statt. Sie verweigert sich zunächst aus Angst vor den Folgen eines Inzests hartnäckig ihrem Mann, um nicht ein Kind mit einem Schweineschwänzchen zu bekommen, wie es bei einer inzestuösen Verbindung in ihrer Familie bereits vorkam. Nach der Infragestellung der Männlichkeit ihres Mannes durch einen Dorfbewohner und der Tötung des Beleidigers wird sie mit Gewalt genommen und José Arcadio Buendía, der Gründer des Geschlechts, beweist seine Männlichkeit mit der Geburt zweier Söhne und einer Tochter.
Bereits hier stehen am Beginn des Liebesaktes, typisch für das postkoloniale Verhältnis von Mann und Frau, Gewalttätigkeiten, zunächst ein Totschlag, der indirekt durch die Frau verschuldet ist, und eine Vergewaltigung in der Ehe. Trotz dieser ungewöhnliche Vorgänge bei der Entstehung der Sippe verkörpert Ùrsula das positive Bild einer mythisch-archetypischen Ur-Mutter, die in der traditionellen Frauenrolle sich vor allem um die Belange der Familie kümmert.
Eine ähnlich positive und die Familie zusammenhaltende Rolle nimmt bei Günter Grass Oskars Großmutter Anna ein, deren Namen bewusst eine Anspielung auf die Mutter der Jungfrau Maria ist. In ihrer Eigenschaft als Oberhaupt der Sippe Bronski-Koljaiczek-Matzerath wird sie ebenso wie Ùrsula Iguarán in Macondo zur moralischen Instanz. Sie duldet zunächst verständnisvoll die ehebrecherische und inzestuöse Beziehung ihrer Tochter Anna zu dem Vetter Jan, aber scheut auch nicht davor zurück, das laszive Treiben bei einer Sauforgie mit „Sodom“ und „Gomorra“ zu vergleichen „und das alles eine Sauerei“ (S.82) zu nennen. Nach dem Selbstmord ihrer Tochter durch unmäßiges Verschlingen von Fischen zeigt sie auch Verständnis für Matzeraths Lage und führt ihm die jugendliche Maria Truczinski zu.
Auf der geschlechtlich-sexuellen Ebene fungieren beide Frauengestalten als biologische Stammmutter ihrer jeweiligen Sippe. Sie sorgen für den Familienzusammenhalt , verändern sich kaum im Laufe ihres langen Lebens, stehen in allen Wirren der Zeit gleichsam festgewurzelt über den Dingen.
2. „Mischformen“ der Mutterrolle
Neben den beiden archetypischen Mutterrollen verkörpern Pilar Ternara , Santa Sofia und Fernanda di Carpio jeweils eine andere Seite des Mütterlichen.
Pilar Ternera, als illegitime „Fortpflanzerin“ des Geschlechts , überlebt ebenso wie Ùrsula mehrere Generationen und bleibt immer in mütterlicher Fürsorge mit den Buendías verbunden.
Santa Sofia de la Piedad , die Stammhalterin der zweiten Buendía Generation, ist der Prototyp der unterdrückten Frau in der postkolonialen , unterentwickelten Gesellschaft in Lateinamerika. Sie kommt aus marginalsten Verhältnissen und wird als Jungfrau4 von Pilar ihren Eltern „abgekauft“, um sie ihren Sohn als Beischläferin zuzuführen, als dieser sie, da er seine Abkunft nicht kennt, sexuell begehrt. Santa Sofia de la Piedad fügt sich fraglos und klaglos in ihr Schicksal , übernimmt die Rolle der Familienmutter und Dienerin und verschwindet nach erfüllter „Mission“ spurlos.
„Para Santa Sofia de la Piedad la reducción de los habitantes de la casa debia haber sido el descanso a que tenia derecho después de medio siglo de trabajo. Nunca se le había oido un lamento a aquella mujer sigilosa [….], que consagró toda una vida de soledad y silencio a la crianza de unos niños que apenas se recordaban que eran sus hijos y sus nietos,“(p.432) „Jamás se volvió a saber de ella“(p.434)5
Fernanda di Carpio, ebenso ein sprechender Name wie Santa Sofia de la Piedad, ist die Ausnahme in den insgesamt positiv dargestellten Frauengestalten in C.A.S, auch wenn sie als Prostituierte oder Konkubinen fungieren.
Fernanda entstammt einer Familie der kreolischen Oberschicht. Aus dem kalten Hochland um Bogotá wird sie in eine ursprüngliche, tropische Umgebung verpflanzt. Bei ihr ist nichts echt, alles nur „Lack“, sie ist eine „cachaca“, „Lackäffin“, die nur nachahmen kann, was ihr durch ihre anachronistische, realitätsfremde katholisch-patriarchalische Erziehung von ihrem Elternhaus vermittelt wurde.
Sie ist für ein erfülltes Sexualleben mit ihrem Ehemann, Aureliano Segundo, außer zum lustlosen Empfangen und Gebären von Nachkommen, nicht vorbereitet. Aufgrund der dualistischen leibfeindlichen Einstellung eines patriarchalischen Katholizismus ist sie von einer körperlichen Liebe genauso weit entfernt, wie von richtig verstandener christlicher Nächstenliebe. Sie ist eine sterile Frau, „perdida para el mundo“ (p.313). Hartherzigkeit und das Festhalten an absurd erscheinenden gesellschaftlichen Konventionen manifestieren sich im Umgang mit ihrer Tochter Meme. Sie erhebt sich selbstgerecht zum Richter über Leben und Tod, lässt den Liebhaber ihrer Tochter erschießen, da diese mit ihrer sexuellen Beziehung zu einem Arbeiter moralische und gesellschaftliche Normen gebrochen hat, und verdammt sie für immer hinter Klostermauern. Fernandas unmenschliche Wertvorstellungen sind geprägt von einer typischen, postkolonialen Doppelmoral.
3. “Säkularisierte“ Mutterrollen
Meme Babilonia ist das totale Gegenbild zu ihrer Mutter. Sie ist gebildet und bejaht voll ihre Gefühle für den gesellschaftlich niedriger gestellten Arbeiter Mauricio Babilonia. Hier ist bereits ein Ansatz von Selbstbestimmung und eine Auflehnung gegen überholte gesellschaftliche Normen zu erkennen und damit wird ein wichtiger Schritt zur Überwindung der traditionell festgelegten Frauenrollen getan („una mujer que se le entregaba por rebeldía“(p.492). Sie scheitert aber grausam an den von ihrer unmenschlichen Mutter Fernanda di Carpio verkörperten gesellschaftlichen Verhältnissen und Moralvorstellungen.
In der letzten Muttergestalt der Buendía Generation, Amaranta Ursula ,vollzieht sich ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Befreiung der Frau aus den gesellschaftlichen Zwängen. Wie Meme Babilonia ist sie gebildet, wird außerhalb von Macondo erzogen , heiratet einen Ausländer und bringt ihn selbstbewussst „amarrado por el cuello con un cordel de seda“(p.450) nach Macondo. Sie ist „activa, menuda, indomable, como Ùrsula, y casi tan bella y provocativa como Remedios”(p.451). Sie vereinigt die Aktivität der Ur-Mutter Ùsula Iguarán, die sexuell-fatale Anziehungskraft von Remedios la bella, Bildung und Selbstbewusstsein in einer Person.
In der Begegnung mit Aureliano, dem von Fernanda heimlich und widerwillig aufgezogenen Sohn von Meme, ihren vermeintlichen Bruder, überschreitet sie alle persönlichen und gesellschaftlichen Grenzen. Weder die gesetzliche Ehe mit Goston, dem flämischen Ehemann, noch das Tabu des Inzests halten sie davon ab, ihre Liebe und Leidenschaft auszuleben. Sie ist die einzige Frau in C.A.S., die ihr Leben in dieser postkolonialen Gesellschaftsstruktur selbstbestimmt und sich in der lediglich durch ihr biologisches Geschlecht begrenzten Rolle verwirklicht. Tragischerweise oder ironischerweise vollzieht sich der schicksalhafte Untergang des Geschlechts an ihr und führt mit der Geburt des Kindes mit dem Schweineschwänzchen zu ihrem Tod.
[...]
1 Mayer-Iswandy Claudia. Vom Glück der Zwitter: Geschlechterrolle und Geschlechterverhältnis bei Günter Grass, Frankfurt, 1991
2 Zitiert wird nach der dtv- Ausgabe, 11821: Günter Grass, Die Blechtrommel, München 1993
4 Die Prostituierte ist ebenfalls dem patriarchalischen Machismus und Virginitätskomplex verfallen!
5 Zitiert wird nach: G.G. Márquez,Cien años de soledad, Letras Hispanicas, Madrid, 1984
- Quote paper
- Manfred Hagl (Author), 2006, Frauenbild und Sexualästhetik in Günter Grass' "Die Blechtrommel" und Gabriel García Márquez' "Cien años de soledad", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59540
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