Unter dieses Motto könnte man die Jahre 1814/15 für den 65-jährigen Johann Wolfgang von Goethe stellen. Denn Goethe machte sich in seine Heimat auf. Doch dass ihm diese Reise in die Vergangenheit „noch einmal das Erlebnis einer neuen Jugend“ bringen würde, hat er wahrscheinlich nicht erwartet. Am 25.Juli 1814 begab sich Goethe zusammen mit seinem Diener Stadelmann auf seine erste Rhein-Main Reise. Ab 29.Juli hielt er sich in Wiesbaden und Mainz auf. Am 4.August 1814 sollte ein Besuch des Frankfurter Bankiers Johann Jakob von Willemers eine schicksalshafte Begegnung herbeiführen. Es kam in Wiesbaden zum ersten Aufeinandertreffen Goethes mit Marianne Jung, später von ihrem Begleiter von Willemer zur Frau genommen. Diese Marianne von Willemer sollte die von Goethe aufgenommene Arbeit am West-östlichen Divan beeinflussen und mitprägen. Goethe hatte im Mai 1814 Hafis´ Divan erhalten und nach dessen Lektüre und weiteren Orientstudien bereits in der zweiten Jahreshälfte etwa 50 Gedichte fertiggestellt. Doch erst Marianne vervollständigte das Bild im west-östlichen Divan. Im Oktober 1814 folgten noch einige Treffen mit dem Ehepaar Willemer in Frankfurt. Durch Mariannes „schwärmerische, von ihm bald erwiderte Neigung“ wurde Goethes „fast verstummte Fähigkeit, in Gedichten aus vollem Herzen sprechen zu können, neu geweckt und gesteigert.
Und auch bei der Entstehungsgeschichte von „Gingo biloba“ spielt Goethes „Jungbrunnen“ Marianne von Willemer eine wichtige, wenn nicht gar entscheidende Rolle.
Inhaltsverzeichnis:
1. „Sommerhauch und Liebesbrand“
2. Textdeskription zu „Gingo biloba“
2.1 Kommentar
2.2 Formanalyse
2.3 Inhaltsangabe
3. Textinterpretation
4. Textrezeption zur Interpretation von Detlef Kremer
5. Ende einer Liebesbeziehung1
6. Literaturverzeichnis
1. „Sommerhauch und Liebesbrand“
Unter dieses Motto[1] könnte man die Jahre 1814/15 für den 65-jährigen Johann Wolfgang von Goethe stellen. Denn Goethe machte sich in seine Heimat auf. Doch dass ihm diese Reise in die Vergangenheit „noch einmal das Erlebnis einer neuen Jugend“[2] bringen würde, hat er wahrscheinlich nicht erwartet. Am 25.Juli 1814 begab sich Goethe zusammen mit seinem Diener Stadelmann auf seine erste Rhein-Main Reise. Ab 29.Juli hielt er sich in Wiesbaden und Mainz auf.[3] Am 4.August 1814 sollte ein Besuch des Frankfurter Bankiers Johann Jakob von Willemers eine schicksalshafte Begegnung herbeiführen. Es kam in Wiesbaden zum ersten Aufeinandertreffen Goethes mit Marianne Jung, später von ihrem Begleiter von Willemer zur Frau genommen.[4] Diese Marianne von Willemer sollte die von Goethe aufgenommene Arbeit am West-östlichen Divan beeinflussen und mitprägen. Goethe hatte im Mai 1814 Hafis´ Divan erhalten und nach dessen Lektüre und weiteren Orientstudien bereits in der zweiten Jahreshälfte etwa 50 Gedichte fertiggestellt.[5] Doch erst Marianne vervollständigte das Bild im west-östlichen Divan. Im Oktober 1814 folgten noch einige Treffen mit dem Ehepaar Willemer in Frankfurt.[6] Durch Mariannes „schwärmerische, von ihm bald erwiderte Neigung“ wurde Goethes „fast verstummte Fähigkeit, in Gedichten aus vollem Herzen sprechen zu können, neu geweckt und gesteigert.[7]
Und auch bei der Entstehungsgeschichte von „Gingo biloba“ spielt Goethes „Jungbrunnen“ Marianne von Willemer eine wichtige, wenn nicht gar entscheidende Rolle.
2. Textdeskription zu „Gingo biloba“
„...es entstand die geheimnisvolle Zwiesprache des Buches Suleika, in der
Marianne ihm (d.h. Goethe; d.Verf.) als die Geliebte seines persischen Vorbildes
Hafis-Hatem erschien.“[8]
Inwieweit dieses Wechselspiel auch das Gedicht „Gingo biloba“ beeinflusst hat und welche Erkenntnisse sich zudem aus dem Zusammenhang ergeben, soll in der
folgenden Textdeskription erläutert werden. Als Grundlage für die Interpretation und Formanalyse wird die Fassung der Frankfurter Ausgabe I 3.1, S. 78f verwendet.[9]
2.1 Kommentar
Das Gedicht „Gingo biloba“ ist in Form einer Reinschrift erhalten, die lange Zeit als verschollen galt.[10] Dieses „Reinschriftblatt in G.(oethe)s eigener Handschrift“[11] hat er mit dem Datum 15.S(eptember) 1815 versehen. Zudem legte Goethe zwei gekreuzte Blätter des Gingko-Baumes bei. Somit scheinen sowohl das Entstehungsdatum als auch der Entstehungsort -Goethe hielt sich an diesem Tag in Frankfurt auf- als gesichert. Doch aufgrund langjähriger Nachforschungen widersprechen Forscher wie Ernst Beutler inzwischen diesem „besonders hohen Grad an Authentizität“.[12] Auch andere Quellen verweisen auf Heidelberg und Frankfurt als mögliche Entstehungsorte des Gedichts.[13]
Um diese These zu begründen, bedarf es eines Blickes in den biographischen Kontext Goethes zu dieser Zeit. Am 24.Mai 1815 macht sich Goethe zu einer zweiten, ausgedehnten Reise ins Rhein-Main-Gebiet auf. Nach einem Kuraufenthalt ist ab dem 2.August der Kunstsammler Sulpiz Boisserée bis zum Ende der Reise ständiger Begleiter Goethes. Durch seine genauen Tagebuchaufzeichnungen über Gespräche und Schaffen Goethes lässt sich unter anderem auch die Entstehung des Gingo-Gedichts nachskizzieren. Zusammen mit Goethe ist Boisserée vom 12.August bis 18.September zu Gast bei den Willemers in Frankfurt. Zunächst wohnt Goethe mit auf der Gerbermühle, doch vom 8. bis 15.9. zieht er in das Stadthaus der Willemers.[14] Von diesem 15.September stammt auch die erste Erwähnung des Gingo-Gedichts. Sulpiz Boisserée machte in seinem Tagebucheintrag auf ein Blatt aufmerksam, das Goethe „der Willemer(...)als Sinnbild der Freundschaft geschickt“[15] hatte. Boisserée nimmt zudem bereits
Stellung zum genauen Inhalt der zweiten Strophe, die sich mit der Form des Gingo-Blattes auseinandersetzt.[16] Weitere Strophen erwähnt er nicht, was als Beweis dafür gesehen werden kann, dass Goethe nur diese Strophe an Marianne sendet, während die Anfangs- und Endstrophe erst beim Aufenthalt in Heidelberg entstehen.[17] Denn am 18.September machten sich Goethe und sein Begleiter Boisserée auf in Richtung Heidelberg. Ohne Goethes Wissen folgten ihnen auf „Veranlassung von Boisserée (...) die Willemers [und Rosine Städel] am 23. September nach“[18]. Hier verbringen Marianne und Goethe „auf dem Schloß“[19] in Heidelberg noch einmal glückliche Stunden. Doch es waren ihre letzten gemeinsamen Augenblicke, denn am 26.9. reisten die Willemers ab und die Beiden sahen sich nie wieder. Im Angesicht dieser Trennung und angeregt durch Gespräche mit Marianne, Rosine Städel und dem Altertumswissenschaftler[20] Georg Friedrich Creuzer über den Gingo-biloba-Baum, verfasst Goethe vermutlich am 27.September die erste und dritte Strophe des Gedichts. Er schickt das fertige Gedicht mit einem kurzen Gruß an Hofrat Creuzer[21] und an Rosine Städel beziehungsweise durch diese an Marianne.[22]
„Sein geheimer Sinn mochte wohl `den Wissenden` erbauen, d.h. Creuzer, (...)
mehr aber die wahrhaft Wissende, Marianne“[23]
Wie bereits eingangs erwähnt, ist Gingo biloba im Buch „Suleika“ im Gedichtzyklus des west-östlichen Divan enthalten. Goethe meldete seinem Verleger Cotta am 11.08.1819 die Fertigstellung des Gedichtbandes und noch im selben Jahr erschien der Divan im Erstdruck.[24] (Erstausgabe: West-oestlicher Divan. Stuttgard, in der Cottaischen Buchhandlung 1819[25]) Im Titel unterschied sich der Erstdruck mit der Schreibung „Gingo“ von der Reinschrift, bei der „Gingko“ steht. Außerdem bestehen „geringe Interpunktionsvarianten gegenüber der Reinschrift“[26] und anderen Gedichtfassungen. Einer Worterläuterung bedarf zudem „Gingo biloba“. Dieser aus Ostasien stammende Baum der „silbernen Aprikose“ (so lautet die Übersetzung des chinesischen Wortes „ginkyo“) wurde um 1800 auch in den botanischen Gärten Europas angepflanzt. Der Zusatz „biloba“ steht für „zweilappig“ und spielt bereits auf die charakteristische Blattform an.[27] Als einziger Vertreter seiner Gattung ist er seit Urzeiten vorhanden und erwies sich als extrem widerstandsfähig.[28]
2.2 Formanalyse
Von der äußeren Form her ist das Gedicht zunächst in die Überschrift „Gingo biloba“ und drei Strophen aufgeteilt. Jede Strophe besteht aus vier Versen beziehungsweise Quartetten. Das Reimschema (abab cdcd efef) ist in allen Strophen ein gleichmäßiger Kreuzreim. Beim Metrum handelt es sich um einen vierhebigen Trochäus, wobei lediglich der erste Vers durch die Ellipse bei „Baum´s“ eine Verletzung des Metrums herbeiführt. Dieser vierhebige Trochäus ist durchaus charakteristisch für die Gedichte des west-östlichen Divan und etwa 42 Prozent der Divan-Gedichte folgen diesem Versmaß.[29] Goethe empfindet „das trochäische Silbenmaß überdies als sanghaft-musikalisches, typisch romanisches Formelement“. Gelegentlich wird es sogar als „typischer Divan-Ton“[30] bezeichnet.
[...]
[1] Vgl. Lohner 1971, S. 339
[2] Boerner 1964, S. 113
[3] Vgl. Unterberger 2002, S. 325f
[4] Vgl. Beutler 1941, S. 270
[5] Vgl. Witte 1999, S. 114
[6] Vgl. Unterberger 2002, S. 328
[7] Boerner 1964, S.114
[8] Boerner 1964, S.114
[9] Siehe auch: Kremer 1998, S. 217
[10] Vgl. Otto 1996, S. 406
[11] Otto, 1996, S. 404
[12] Otto 1996, S. 406
[13] Vgl. Weitz 1974, S.318
[14] Vgl. Unterberger 2002, S. 336
[15] Beutler 1941, S. 268
[16] Vgl. Otto 1996, S. 406
[17] Vgl. Beutler 1941, S. 275
[18] Otto 1996, S. 407
[19] Beutler 1941, S. 272
[20] Vgl. Beutler 1941, S. 272f
[21] Vgl. Beutler 1941, S. 273f
[22] Vgl. Otto 1996, S. 407
[23] Lohner 1971, S. 339
[24] Vgl. Witte 1999, S. 124
[25] Vgl. Otto 1996, S. 407
[26] Otto 1996, S. 407
[27] Vgl. Otto 1996, S. 406
[28] Vgl. http://www.xsall.nl/~kwanten/germname.htm. <<04.09.2002>>
[29] Vgl. Otto 1996, S.315
[30] Otto 1996, S. 394
- Arbeit zitieren
- Diplom-Germanist / -Journalist Martin Siegordner (Autor:in), 2002, Analyse und Interpretation von Goethes "Gingo Biloba", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59520
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