Studien im Allgemeinkrankenhaus haben zusätzlich zu den Grunderkrankungen eine Prävalenz psychischer Erkrankungen von 30-50% festgestellt. Die Sicherheit des betreuenden Personals im Umgang mit diesen Patienten hängt dabei von der subjektiven Toleranzschwelle, der Geduld, dem Fachwissen und den kommunikativen Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters ab. Erfahrungsgemäß konnten im Stationsalltag in diesen Situationen häufiger Unsicherheiten und Überforderungen beobachtet werden. Ziel dieser Arbeit war es, die Sichtweise des betroffenen Personals zur Problematik des psychisch auffälligen Patienten im nichtpsychiatrischen Fachbereich zu untersuchen und den Bedarf an Konsequenzen aus der Problemlage heraus zu erheben. Die Fragestellungen der Studie lauteten: „Wird der Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in nichtpsychiatrischen Fachbereichen als problematisch erlebt?“, und „Welche Konsequenzen wünscht sich das Personal, wenn es sich im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten überfordert fühlt?“. Methoden: Für die Bearbeitung der Forschungsfragen wurde in dieser quantitativen Studie eine Ist-Analyse im Zusammenhang mit einer Bedarfserhebung zur Problematik des psychisch auffälligen Patienten in den Fachbereichen Gynäkologie, Innere Medizin, Chirurgie und Neurologie eines sächsischen Krankenhauses der Maximalversorgung durchgeführt. Als empirische Untersuchungsmethode wurde eine schriftliche Befragung des medizinischen und anderen Personals mit einem Fragebogen gewählt. Insgesamt legte man 240 Fragebögen (60 pro Fachbereich) auf 15 Stationen aus. Die Datenanalyse erfolgte mit einer Berechnung der absoluten und relativen Häufigkeiten. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Bezugsrahmen & Forschungsstand
2.1 Theoretischer Bezugsrahmen
2.2 Forschungsstand
3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen
3.1 Begründung und Zielsetzung
3.2 Fragestellung
3.3 Hypothesen
4 Methodisches Vorgehen
4.1 Forschungsdesign
4.2 Datenrecherche
4.3 Fragebogentwicklung
4.4 Stichprobenbildung
4.5 Datenerfassung
4.6 Datenanalyse
5 Ergebnisse
5.1 Kopfbogen
5.2 Fragenteil
5.2.1 Frage
5.2.2 Frage
5.2.3 Frage
5.2.4 Frage
5.2.5 Frage
6 Diskussion
7 Fazit und Ausblick
Verzeichnisse
A Literatur- und Quellenverzeichnis .. Fehler! Textmarke nicht definiert
B Abkürzungsverzeichnis
B Abbildungsverzeichnis
Anhang
Abstract
Hintergrund:
Studien im Allgemeinkrankenhaus haben zusätzlich zu den Grunderkrankungen eine Prävalenz psychischer Erkrankungen von 30-50% festgestellt. Die Sicherheit des betreuenden Personals im Umgang mit diesen Patienten hängt dabei von der subjektiven Toleranzschwelle, der Geduld, dem Fachwissen und den kommunikativen Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters ab. Erfahrungsgemäß konnten im Stationsalltag in diesen Situationen häufiger Unsicherheiten und Überforderungen beobachtet werden. Ziel dieser Arbeit war es, die Sichtweise des betroffenen Personals zur Problematik des psychisch auffälligen Patienten im nichtpsychiatrischen Fachbereich zu untersuchen und den Bedarf an Konsequenzen aus der Problemlage heraus zu erheben. Die Fragestellungen der Studie lauteten: „Wird der Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in nichtpsychiatrischen Fachbereichen als problematisch erlebt?“, und „Welche Konsequenzen wünscht sich das Personal, wenn es sich im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten überfordert fühlt?“
Methoden:
Für die Bearbeitung der Forschungsfragen wurde in dieser quantitativen Studie eine Ist-Analyse im Zusammenhang mit einer Bedarfserhebung zur Problematik des psychisch auffälligen Patienten in den Fachbereichen Gynäkologie, Innere Medizin, Chirurgie und Neurologie eines sächsischen Krankenhauses der Maximalversorgung durchgeführt. Als empirische Untersuchungsmethode wurde eine schriftliche Befragung des medizinischen und anderen Personals mit einem Fragebogen gewählt. Insgesamt legte man 240 Fragebögen (60 pro Fachbereich) auf 15 Stationen aus. Die Datenanalyse erfolgte mit einer Berechnung der absoluten und relativen Häufigkeiten.
Resultate:
Der Rücklauf der Fragebögen betrug über 50%. Die Auswertung ergab, dass 7 von 10 Befragten angaben, den Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in ihrem Fachbereich als problematisch zu erleben. Jedoch gab nur ein Drittel der Befragten an sich selbst im Umgang „überwiegend unsicher“ zu fühlen. Am häufigsten wurden die Items Verwirrtheit (99x), Halluzinationen (96x) und Wahn (95x) als psychisch auffällig gewertet. Die geringste Bewertung erhielt das Item Unruhe (nur 26x). Klare Favoriten der Bedarfserhebung der Konsequenzen waren die Weiterbildung zum Thema, das psychiatrische Konsil und die Überweisung des Patienten in die Psychiatrie.
Schlussfolgerungen:
Das Personal zeigte reges Interesse am Thema der Studie und insgesamt kann festgestellt werden, dass trotz der Beschränkungen der Aussagekraft der Ergebnisse zweier Fragen durch einen vermutlichen Social Diserability Bias und eine Verzerrung durch selektive Wahrnehmung eine Ist-Analyse gelungen ist, die eine deutliche Betonung der Problematik des psychisch auffälligen Patienten im nichtpsychiatrischen Fachbereich herausstellen konnte. Festzuhalten ist aber, dass die wahre Tragweite der Problemlage mit dieser Studie nur angerissen werden konnte. Nur weiterführende pflegewissenschaftliche Arbeiten könnten die hier dargelegten Ergebnisse weiter untermauern. Um die Problematik im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten auf den nichtpsychiatrischen Stationen zu entaktualisieren, wäre die Konzipierung einer Weiterbildung angebracht, die häufige Leitsymptome psychischer Störungen aufgreift und Strategien zur Bewältigung anbietet.
1 Einleitung
„Die ‚Frau Hallo’ aus Zimmer 8 hat wieder die ganze Nacht gerufen und ist im Zimmer rumgegeistert.“, „Der Patient M… jammert immer nur, wenn ich ins Zimmer komme. Dabei kann der gar keine Schmerzen mehr haben.“ Solche oder ähnliche Beschreibungen von psychisch auffälligen Patienten konnte ich des Öfteren während der Dienstübergabe des Pflegepersonals in Bereichen außerhalb des psychiatrischen Fachbereiches mit anhören, wenn ich als Praxisanleiter dort tätig wurde. Meistens konnte dabei gleichzeitig eine offensichtliche Überforderung und Unsicherheit des Personals im Umgang mit diesen Patienten festgestellt werden. Man kann nun sagen: Das Pflegepersonal braucht sich doch bloß in Fachliteratur zu belesen oder entsprechende Weiterbildungen besuchen. Natürlich gibt es umfangreiche Fachliteratur und auch Weiterbildungen, wenn man sich über psychische Störungen informieren will. Fast ausschließlich sind diese aber auf konkrete Pflege- und Problemsituationen in der Psychiatrie zugeschnitten und helfen z.B. einer Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer chirurgischen Station nur eingeschränkt weiter, weil sie in ihrem Arbeitsumfeld ganz andere Organisations- und Fachstrukturen vorfindet. Des Weiteren ist für das Pflegepersonal auf einer somatisch ausgerichteten Station weniger die Behandlung einer eventuellen psychischen Störung Kern der Problematik, sondern eher die Schwierigkeiten im Umgang mit auftretenden Symptomen. Auch an dieser Stelle ist die Beratung durch Fachliteratur oder Weiterbildungen dünn gesät.
In dieser Projektarbeit soll nun herausgefunden werden, ob sich mein subjektiver Eindruck der Problemsituationen beim Umgang mit psychisch auffälligen/kranken Patienten in nichtpsychiatrischen Fachbereichen auch aus Sicht des betroffenen Personals bestätigt. Und des Weiteren soll ein Bedarf für mögliche Konsequenzen in diesem Problemfeld erhoben werden.
2 Theoretischer Bezugsrahmen & Forschungsstand
2.1 Theoretischer Bezugsrahmen
Zu Beginn dieser Arbeit sollen einige Begrifflichkeiten, die häufiger im Text verwendet werden, näher erläutert bzw. definiert werden.
Einer dieser Begriffe ist die „psychische Störung“, die sinnentsprechend auch unter der Bezeichnung „psychische Erkrankung/Krankheit“, „seelische Erkrankungen/Krankheit/Störung“ oder „psychiatrische Erkrankung/Krankheit/ Störung“ hier genannt werden wird. Unter psychischen Störungen mit Krankheitswert verstehen die Fachdisziplinen Psychiatrie, Klinische Psychologie und Psychotherapie ein sehr weites Spektrum von über 500 einzelnen Diagnosebezeichnungen. In der Internetenzyklopädie Wikipedia findet man unter dem Schlagwort „Psychische Störung“ (Stand 02.06.06) folgende, sehr treffende, Erläuterung:
„Als „psychische Störungen“ werden erhebliche Abweichungen vom Erleben oder Verhalten psychisch (seelisch) gesunder Menschen bezeichnet. Das Denken, das Fühlen und das Verhalten können beeinträchtigt sein. Als weiteres Kriterium für eine Diagnose psychischer Störungen wird heute neben der Abweichung von der Norm häufig auch psychisches Leid auf Seiten der Betroffenen gefordert. Die Wissenschaften welche sich primär mit Störungen der Psyche beschäftigen sind die klinische Psychologie und die Psychiatrie.“
In den Klassifikations- und Diagnosehandbüchern Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) und der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD10, 2006: Kapitel F) sind alle psychischen und Verhaltensstörungen so beschrieben, dass jeder Arzt mit den vorgegebenen Kriterien eine möglichst genaue Diagnosestellung vornehmen kann.
Von der eben erläuterten Begrifflichkeit der „psychischen Störung“ ist die Bezeichnung „psychisch auffällig“ abzugrenzen. Für diese im allgemeinen Sprachgebrauch häufig gebrauchte Wendung ist aber keine genaue Definition eruierbar. Unter dem Wort „psychisch“ wird immer „seelisch (im Gegensatz zu körperlich= somatisch), die Psyche betreffend“ (Lexikon Medizin, 2003: S. 1364) verstanden. „Auffällig“ wird etwas, wenn es nicht der allgemein gültigen sozialen oder einer anderen Norm entspricht. In dieser Arbeit wird der Begriff „psychisch auffällig“ bei Patienten im Zusammenhang mit dem Auftreten von Symptomen einer m ö glichen „psychischen Störung“ verwendet. Ebenso kann der in dieser Arbeit gehandhabte Begriff des „Problempatienten“ nicht genauer definiert werden, auch wenn ihn der Sprachgebrauch im Krankenhaus durchaus kennt. Im Kontext dieser Forschungsarbeit werden darunter Patienten verstanden, die das betreuende Personal im Rahmen der Versorgung mit konfliktbehafteten und/oder verunsichernden Situationen verbindet, und damit für sie die Routine des normalen Stationsalltags durchbrochen wird.
2.2 Forschungsstand
Schlagzeilen wie „Psychische Erkrankungen steigen dramatisch!“ waren in den letzten Jahren immer wieder in den Medien zu lesen bzw. zu hören und die Diskussionen über mögliche Ursachen und Konsequenzen wurden nicht nur in medizinischen Fachkreisen geführt.
Die epidemiologische Forschung konnte in europäischen Ländern eine hohe Prävalenz an psychischen Störungen in der Bevölkerung feststellen. So wiesen Hans-Ullrich Wittchen und Frank Jacobi (2005) in einem Review von 27 europäischen Studien nach, dass 27% der erwachsenen EU-Population im Alter zwischen 18 und 65 Jahren in den letzten 12 Monaten an einer psychischen Störung litten. Im deutschen Raum hat das Bundes- Gesundheitssurvey 1998/99 (Zusatzsurvey „Psychische Störungen“) im Jahr der Erhebung einen Anteil von 32% an der Bevölkerung, als von einer psychischen Störung betroffen, nachgewiesen. Das Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ zeigt im Querschnittsbefund, dass neben somatoformen Störungen (11%) die phobischen Störungen (7,6%), die rezidivierenden schweren Depressionen (8,3%) und die alkoholbedingten Störungen (6,2%) die häufigsten Einzeldiagnosen der psychischen Störungen sind. (vgl. Wittchen/Jacobi 2002)
Auch die Krankenkassen Deutschlands meldeten in ihren letzten Gesundheitsreporten vergleichbare Entwicklungen in den Krankheits- häufigkeiten und vor allem den Krankheitstagen. Diese Entwicklung der Häufigkeitenzunahme psychischer Erkrankungen wird dabei im Gegensatz zu der allgemein rückläufigen Tendenz der Krankheitstage bei somatischen Erkrankungen gesehen.
Die DAK meldete in ihrem Gesundheitsreport 2005, der (wie schon 2002) den Schwerpunkt „Angst und Depressionen“ beinhaltete, dass die Tage der Arbeitsunfähigkeit ihrer Mitglieder auf Grund psychischer Störungen von 1997 bis 2004 um 68,7% gestiegen wären. Auch im Jahr 2005 nahm der Anteil der psychischen Erkrankungen am Krankenstand weiter zu (DAK Gesundheitsreport 2006).
Gleiches vermeldete die BKK in ihrem Gesundheitsreport von 2005. Auch hier lag der Themenschwerpunkt auf den psychischen Erkrankungen. Die Auswertung der Prozentanteile der Arbeitsunfähigkeit für psychische Störungen lag bei einer Steigerung von 1,7% der Krankheitsfälle und bei 4,5% der Krankheitstage - und das nur im Vergleich zum Vorjahr! Im 2006er Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt sich die Diagnose „Depressive Episode“ auf Rang 2 der „Top 100“ der häufigsten Einzeldiagnosen. Auch bei den Mitgliedern der TK ist in Abbildung 1 die über 20%ige Zunahme der Arbeitsunfähigkeitstage bei den psychischen und Verhaltensstörungen in den letzten Jahren gut ersichtlich.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Relative Veränderungen der Fehlzeiten (Gesundheitsreport 2006 der TK)
Ähnliche Zahlen melden die Gesundheitsreporte der Barmer (2005) und der GEK (2004). Interessant ist auch der Befund der GEK, dass die Diagnose „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“ den zweithäufigsten Anlass für eine Behandlung ihrer Mitglieder darstellt und die Diagnosengruppe der psychischen und Verhaltensstörungen an 3. Stelle der erhobenen Nebendiagnosen steht.
Nun sind diese Zahlen auf den ersten Blick recht eindrucksvoll. Eine objektive Einschätzung der Entwicklung der Häufigkeitenzunahme bei psychischen Störungen ist jedoch sehr schwierig. Bereits 1985 nahm Häfner eine kritische Betrachtung der vermeintlichen Veränderungen vor. Er stellte fest, dass in den letzten Jahren sowohl die Ärzte, die Gesellschaft und auch die Patienten Veränderungen unterworfen worden sind, die einen Teil der Häufigkeitenzunahme erklären könnten. So ist die diagnostische Wahrnehmung der Ärzte durch die zunehmende Enttabuisierung von psychischen Störungen in der Gesellschaft sensibilisiert. Ihnen stehen außerdem bessere und einfacher anzuwendende diagnostische Tests zur Verfügung und damit werden psychische Krankheiten öfter als solche erkannt. Auch die Patienten zeigen eine veränderte Sichtweise auf psychiatrische Symptome (z.B. eine größere Bereitschaft, eine psychiatrische Diagnose zu akzeptieren) und bekennen sich eher zu einer Problemlage. Das verändert ihr Hilfesuchverhalten und führt damit zu einer vermehrten Diagnosestellung. Aber es gibt nachgewiesenermaßen auch tatsächliche Häufigkeitenveränderungen, zum Beispiel auf Grund der veränderten gesellschaftlichen Alterszusammensetzung und steigender Lebenserwartung. Außerdem wird ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Gesellschaften der modernen Industrienationen (d.h. einer Veränderung der Verhaltens- und Umweltfaktoren) und der Zunahme von seelischen Erkrankungen diskutiert (vgl. Häfner 1985). Die aktuell hohen Arbeitslosenzahlen und die steigende Arbeitsplatzunsicherheit in Deutschland stellen ferner eine weitere große Quelle der psychischen Fehlbelastungen dar (vgl. BKK Gesundheitsreport 2005: S.64). Wenn man die allgemeinen Zahlen der Prävalenz psychischer Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung betrachtet, verwundert es nicht, dass Untersuchungen zu psychischen Störungen bei körperlich Kranken ähnlich alarmierende Ergebnisse liefern. Arolt et al. (1995) hat in einer Studie bei internistischen und chirurgischen Krankenhauspatienten eine Prävalenz der psychischen Störungen von 30-50% festgestellt. Auch in der Lübecker Allgemeinkrankenhausstudie (Arolt/Driessen/Dilling 1997) wurden bei 33,0 bis 46,8% der untersuchten Patienten eine psychische Störung festgestellt. Wobei hier drei Störungsgruppen deutlich überrepräsentiert sind: psychoorganische Störungen, Alkoholabhängigkeit und depressive Reaktionen. Nur werden diese Nebendiagnosen in nichtpsychiatrischen Fachbereichen viel zu oft nicht gestellt. Hierzu bemerken Arolt und Rothermundt:
„Als besonders hinderlich für die sachgerechte Diagnostik und Therapie depressiver Störungen muss die Vorstellung angesehen werden, einem körperlich Kranken, insbesondere einem Schwerkranken, solle angesichts der gegebenen Lebensumstände und -erwartungen ärztlicherseits eine Depression als normale Reaktion zugestanden werden. Dieser Standpunkt impliziert die Verwischung des Unterschieds zwischen Trauer und Depression und führt letztlich zu therapeutischer Untätigkeit mit allen Konsequenzen in einer Situation, in der Patienten durchaus noch an Lebensqualität gewinnen könnten.“ (Arolt/Rothermundt 2003: S.1034)
Zur Lösung dieser Problemsituation muss es zu einer Verbesserung der Erfassung psychischer Störungen im klinischen Alltag kommen. Ein spezieller Ansatz dafür wäre die Kooperation von psychiatrischem Fachpersonal und anderen Fachdisziplinen. Entsprechende Projekte laufen unter dem Namen Liaisonpsychiatrie schon seit längerer Zeit in den USA und seit kurzer Zeit mit Erfolg auch in einigen Kliniken Deutschlands. (vgl. Forschungsbericht des BMGS vom 09.02.2005 und Diefenbacher 2002)
Trotz des reichlichen Datenmaterials über epidemiologische Daten und ärztliche Forschungsprojekte zum Thema psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung und bei körperlich Kranken konnten nur wenig relevante Daten zur Betrachtung der Problemthematik aus dem Blickwinkel der Pflege und des Personals auf Station gefunden werden. Auch die bekanntesten Pflegefachbücher „Pflege heute“ (2004) und „Thiemes
Pflege“(2004) gehen zwar ausführlich auf die Pflege von psychisch kranken Patienten in der Psychiatrie ein, aber es erfolgen nur wenige, zum Teil sehr „verstreut“ liegende Hinweise zum Umgang mit psychisch auffälligen oder gar kranken Patienten im nichtpsychiatrischen Fachbereich. Einzig der Klinikleitfaden Pflege geht kurz auf Pflegeprobleme mit Patienten ein.
„Wenn Patienten ein so genanntes Problemverhalten zeigen, dann ist das ein Verhalten, mit dem wir Probleme haben. Nicht organische Erkrankungen, sondern Schwierigkeiten auf psychosozialer und kommunikativer Ebene stehen im Vordergrund. Sie erschweren die Interaktion und führen schließlich zum Konflikt.“ (Klinikleitfaden Pflege 2003: S.36, Hervorhebung wie im Original)
Aber auch an dieser Stelle wird bis auf den alkoholabhängigen und aggressiven Patienten nicht weiter auf Problemsituationen eingegangen, die aufgrund von Symptomen einer psychischen Störung entstehen können. Auffällig ist ebenfalls, dass das Wort „Problempatient“ in der somatischen Medizin ein häufig gebrauchter Begriff ist (Google-Suche am 19.04.06: 374 Treffer). Es wird vom „kardiologischen“, „respiratorischen“, „diabetischen“ usw. Problempatienten gesprochen und auch noch vom „Problempatient in der Psychiatrie“, aber die Bezeichnung eines psychisch auffälligen oder kranken Patienten im Allgemeinkrankenhaus als Problempatient scheint ein Tabu zu sein. Hier stellt sich die Frage, ob es „sozial unerwünscht“ ist, als Pflegender und Behandelnder im Umgang mit einem psychisch auffälligen oder gar kranken Patienten ein Problem zu haben.
Im Folgenden soll nun dargelegt werden, welche Ziele, Fragen und Hypothesen diese Projektarbeit bearbeiten möchte.
3 Zielsetzung, Fragestellung und Hypothesen
3.1 Begründung und Zielsetzung
Die Arbeit des Personals im psychiatrischen Fachbereich ist geprägt vom alltäglichen Umgang mit psychisch auffälligen bzw. kranken Patienten. Dadurch kann es Sicherheit gewinnen, die Betreuung stets flexibel an die Befindlichkeiten des Patienten anzupassen. Die Begriffe „Normalität/ Abnormalität“ werden mit dem Wissenshintergrund einer erfahrenen psychiatrischen Fachkraft gewertet.
Wird aber ein psychisch auffälliger oder gar kranker Mensch wegen einer körperlichen Grunderkrankung in einem somatischen Fachbereich behandelt, ist die Erfahrungslage des Personals natürlich eher auf die Pflege und Behandlung der körperlichen Störung ausgerichtet. Die Sicherheit im Umgang mit psychisch auffälligem Verhalten ist nicht zwingend gegeben und hängt von der subjektiven Toleranzschwelle, der Geduld, dem Fachwissen und den kommunikativen Fähigkeiten des einzelnen Mitarbeiters ab. Erfahrungsgemäß ist demnach anzunehmen, dass psychische Auffälligkeiten eines Patienten häufiger Problemsituationen im Stationsalltag hervorrufen. Dem entgegenstehend ist jedoch auch zu vermuten, dass viele psychiatrische Symptome wie Unruhe, Überängstlichkeit, Bedrücktheit und Weinerlichkeit vom Personal als normale Reaktion auf die körperliche Erkrankung wahrgenommen werden und nicht z.B. als Symptome einer depressiven Erkrankung. (vgl. Arolt/Rothermundt 2003: S.1034)
Ziel dieser Arbeit ist es nun, diese subjektiven, erfahrungsgeprägten Eindrücke zu hinterfragen und mit empirischen Daten zu belegen oder zu widerlegen. Falls das nichtpsychiatrische Personal die Problematik im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in ihrem Fachbereich in dieser Untersuchung bestätigen sollte, wäre eine weitere Zielsetzung, den Bedarf zu erheben, welche Konsequenzen sich das Stationspersonal aus den Schwierigkeiten beim Meistern dieser Krisensituationen wünscht.
3.2 Fragestellung
Um Situationen mit psychisch auffälligen Patienten im Stationsalltag näher zu beleuchten und eine Ist-Analyse dieser zu erheben, ergab sich folgende Hauptfragestellung für diese Arbeit:
„Wird der Umgang mit psychisch auffälligen Patienten in nichtpsychiatrischen Fachbereichen vom Personal als problematisch erlebt?“
Als schlüssige Nebenfrage zur Bedarfserhebung ergab sich weiter:
„Welche Konsequenzen wünscht sich das Personal, wenn es sich im Umgang mit psychisch auffälligen Patienten überfordert fühlt?“
3.3 Hypothesen
Im Hintergrund dieser Fragestellungen werden zwei Hypothesen vertreten:
1. ●„Wenn sich psychisch auffällige Patienten in
nichtpsychiatrischen Fachbereichen befinden, dann wird der Umgang mit ihnen überwiegend als problematisch erlebt.“
2. ●„Wenn ein Patient unruhig, überängstlich, weinerlich oder bedrückt ist, dann werden diese Symptome nur von einem geringeren Teil des Personals als psychisch auffällig interpretiert.“
Im Folgenden soll nun dargelegt werden, wie diese Hypothesen bearbeitet werden sollen und damit eine Beantwortung der Fragestellung ermöglicht wird.
[...]
- Arbeit zitieren
- Karen Zürner (Autor:in), 2006, Der psychisch auffällige Patient im nichtpsychiatrischen Fachbereich - ein Problempatient?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59389
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