Bisweilen erweckt die äußere Beobachtung der politischen Leitlinien des belarussischen Präsidenten Alexander Lukašėnka für „sein“ Weißrussland wechselnde Eindrücke zwischen beängstigendem Streben nach Macht und Kontrolle sowie infantiler Unstetigkeit. Das einige Jahre hindurch sehr intensive Betreiben einer russisch-weißrussische Union wich beispielsweise teils recht undiplomatischer Kritik und betonter Distanzierung jüngerer Jahre (Timmermann, 2004 / Bugajski, 2004: 51-73). Auch spezieller, in der Wirtschaftspolitik vermag man auf den ersten Blick nur schwer den Sprüngen des belarussischen Staatsoberhauptes zu folgen. 1994 gelangte Lukašėnka schließlich durch den Korruptionsausschuss der 1990er Jahre als Vorkämpfer gegen Vettern- und Misswirtschaft an die Macht, heute besetzt er hingegen sogar die Leiter weißrussischer Kaufhäuser nach seiner persönlichen Präferenz.
Seine volkssprachliche Bezeichnung als Bac’ka Lukašėnka (Marples, 2004: 24), mit gemischt liebevoller und ehrfürchtiger Bedeutung als das Haupt einer Familie, ist dabei vor dem Hintergrund der stagnierenden Lebenssituation vieler Belarussen ähnlich verwirrend. Der Stagnation und den zahlreichen anderen wirtschaftsstrukturellen Problemen des Landes versucht der Westen empfehlend mit mal makro-, mal mikroökonomischen Konzepten zu entgegnen und fordert einen zweiten Transitionsschub. Dabei ist in westlichen Arbeiten der weißrussischen Wirtschaftspolitik Irritation zu spüren, dass nicht einmal die Logik einer Planwirtschaft zu greifen scheint - eine Planwirtschaft ohne Planung? Vorliegender Aufsatz untersucht daher die Frage, ob diese Planung tatsächlich nicht existent ist, oder ob es einen Plan für die weißrussische Wirtschaft gibt, der jenseits einer vom Westen suggerierten Wirtschaftsoptimierung zu suchen ist. Die Beantwortung scheint insbesondere daher wichtig, weil sich Reformempfehlungen mit einer solchen Leitlinie zu arrangieren hätten, solange sie - zumindest bis zu einem Systemwechselpolitische Realität darstellen würde. Zur Suche nach diesem Plan bietet sich die Theorie von der Charismatischen Herrschaft und ihrer Legitimation an, die von Max Weber begründet wurde. [...]
Inhaltsverzeichnis
I. Bac’kas Plan
II. Wirtschaftstheorie: Zwei Transitionsmodelle für Belarus
(1) Makroökonomischer Ansatz: Institutionen
(2) Mikroökonomischer Ansatz: SME/KMU
III. Charismatische Herrschaft und der Plan
(1) Die Suche nach dem Plan
(2) Max Weber und die Charismatische Herrschaft
IV. Westlichster Vorposten Zentralasiens
V. Literatur
I. Bac’kas Plan
Bisweilen erweckt die äußere Beobachtung der politischen Leitlinien des belarussischen Präsidenten Alexander Lukašėnka für „sein“ Weißrussland wechselnde Eindrücke zwischen beängstigendem Streben nach Macht und Kontrolle sowie infantiler Unstetigkeit. Das einige Jahre hindurch sehr intensive Betreiben einer russisch-weißrussische Union wich beispielsweise teils recht undiplomatischer Kritik und betonter Distanzierung jüngerer Jahre (Timmermann, 2004 / Bugajski, 2004: 51-73). Auch spezieller, in der Wirtschaftspolitik vermag man auf den ersten Blick nur schwer den Sprüngen des belarussischen Staatsoberhauptes zu folgen. 1994 gelangte Lukašėnka schließlich durch den Korruptionsausschuss der 1990er Jahre als Vorkämpfer gegen Vettern- und Misswirtschaft an die Macht, heute besetzt er hingegen sogar die Leiter weißrussischer Kaufhäuser nach seiner persönlichen Präferenz.
Seine volkssprachliche Bezeichnung als Bac’ka Lukašėnka (Marples, 2004: 24), mit gemischt liebevoller und ehrfürchtiger Bedeutung als das Haupt einer Familie, ist dabei vor dem Hintergrund der stagnierenden Lebenssituation vieler Belarussen ähnlich verwirrend. Der Stagnation und den zahlreichen anderen wirtschaftsstrukturellen Problemen des Landes versucht der Westen empfehlend mit mal makro-, mal mikroökonomischen Konzepten zu entgegnen und fordert einen zweiten Transitionsschub. Dabei ist in westlichen Arbeiten der weißrussischen Wirtschaftspolitik Irritation zu spüren, dass nicht einmal die Logik einer Planwirtschaft zu greifen scheint – eine Planwirtschaft ohne Planung?
Vorliegender Aufsatz untersucht daher die Frage, ob diese Planung tatsächlich nicht existent ist, oder ob es einen Plan für die weißrussische Wirtschaft gibt, der jenseits einer vom Westen suggerierten Wirtschaftsoptimierung zu suchen ist. Die Beantwortung scheint insbesondere daher wichtig, weil sich Reformempfehlungen mit einer solchen Leitlinie zu arrangieren hätten, solange sie – zumindest bis zu einem Systemwechsel – politische Realität darstellen würde. Zur Suche nach diesem Plan bietet sich die Theorie von der Charismatischen Herrschaft und ihrer Legitimation an, die von Max Weber begründet wurde. Als Grundlage werden zunächst makro- wie auch mikroökonomische Denkmodelle vorgestellt. Danach soll die belarussische Wirtschaftspraxis untersucht werden, so dass aufgrund dieser Beobachtungen das Modell von Max Weber einbezogen werden kann.
II. Wirtschaftstheorie: Zwei Transitionsmodelle für Belarus
(1) Makroökonomischer Ansatz: Institutionen
Wie bereits oben angedeutet, existieren in den westlichen Wirtschaftswissenschaften zwei unterschiedliche Herangehensweisen an eine mögliche Wirtschaftstransformation Weißrusslands. Zunächst sollen ein makroökonomischer Ansatz vorgestellt werden, wobei grundsätzlich die Schocktherapie als Gegensatz zu gradualistischer Transition für Weißrussland abgelehnt wird (Haiduk et al., 2004: 6).
Dabei hat die schleichend Durchführung gradualistischer Transformation seit 1991 noch immer wesentliche Probleme des ökonomischen Systems wie die geringe Produktivität im erheblichen Staatssektor, eine mangelhafte Spezialisierung und die seit 1985 verschleppte Modernisierung der rohstoff- und energieineffizienten Produktionsprozesse nicht abgewendet (Brunat, 2004: 4). Auch wenn Belarus heute die höchste Energieeffizienz in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) aufweisen kann, werden diese Erfolge jedoch nicht durch Modernität der Fertigung sondern durch staatsdirigistische Maßnahmen erlangt (Šyrokaŭ, 2004: 84). So fällt das Land in Forschung und Entwicklung weiter zurück. Darüber hinaus werden staatliche Kredite zur Produktionsausweitung verwendet und insgesamt scheint Belarus kaum bereit für internationalen Wettbewerb zu sein.
Zur Lösung dieser Probleme setzten eher makroökonomische Ansätze auf den normativen Impetus der Institutionentransformation eines Landes nach westlichem Vorbild, insbesondere unter Beachtung des Finanzsektors (Haiduk et al., 2004: 7). Der Finanzsektor erfordert besondere Beachtung, weil beispielsweise das Bankensystem für das wirtschaftliche Wachstum relevant ist und ferner sehr eigentümlich und ineffizient, gleichzeitig differenziert und monopolistisch organisiert ist (Daneyko/Kruk, 2005: 89/90).
Gleichzeitig verlangt dieser Ansatz nach der Einbettung in Strukturen suprastaatlicher Organisationen. Für Weißrussland stehen insbesondere drei Optionen zur Verfügung (Brunat, 2005: 5): zum einen ist der bereits in Planung befindliche, gemeinsame Wirtschaftsraum mit Kasachstan, Russland und der Ukraine im Rahmen der GUS eine Möglichkeit wie auch die Annäherung an die Europäische Union und die normative Kraft einer WTO-Mitgliedschaft, die seit 1993 beantragt ist. Natürlich könnten diese äußeren Einbindungen nicht nur einzeln sondern auch in Kombination Anwendung finden. Wobei die Frage zu stellen ist, ob angesichts der gescheiterten ökonomischen Integration zwischen Belarus und Russland (Deyermond, 2004: 1197-98) ersterer Weg überhaupt noch in dem geplanten Ausmaß gangbar ist, auch wenn natürlich die faktische Abhängigkeit der weißrussischen Wirtschaft von der Russländischen Föderation als Fakt sowohl national (Vashanov, 2005: 9), als auch interregional bestehen bleibt (Bogdanovich, 2005: 69-73). Eine Annährung an die Europäische Union könnte andererseits aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen bezüglich der übrigen bisherigen Exportpartner zwingend sein (Shimonov, 2005: 18-21).
Maßnahmen, die im Einklang mit diesen Organisationen koordiniert werden könnten, orientieren sich beispielsweise an der Preisstabilität (Haiduk et al., 2004: 7). Belastbare Preise sind vor allem für die Stabilisierung der Lohnentwicklung und verlässlicher Wechselkurse zu den Leitwährungen von Bedeutung, insbesondere in einem durch den Dollar als Ersatzwährung deutlich beeinflussten ökonomischen System. Allzu leicht würde eine Flucht in den Dollar die Inflation unbeherrschbar machen. Auf kurze Sicht, allerdings frühestens nach 1-2 Jahren realisierbar, müsse ein politischer Kurswechsel also in jedem Fall die Preisstabilität berücksichtigen (Haiduk et al., 2004: 17), begleitet von einem Aufbau von Institutionen, Strukturreformen und einer Verbesserung der wirtschaftlichen Umstände. Mittel- und Langfristig müsse das Bankensystem reformiert und stabilisiert werden, erst danach sei an ein durchschnittliches Realwachstum zu denken. Der Institutionenaufbau ist insofern besonders delikat, weil er ausdrücklich demokratische Institutionen und Prozesse mit einbezieht. Eine umfassende und weitreichende Reformvorstellung im makroökonomischen Kontext wurde 2003 in Polen für Belarus aufgestellt (Vainiene et al., 2003).
Insgesamt setzt ein solcher institutionenlastiger Kurs einen nachhaltigen Eigenantrieb des weißrussischen Präsidenten und seiner Administration bei der Durchsetzung in den Wirtschaftsstrukturen voraus – und vor allem den Willen vom Ausland angeleitet zu werden. Gerade der Punkt des Institutionenaufbaus auf demokratischer Entscheidungsbasis (vgl. Haiduk et al., 2004: 14/15) jedoch ist in einem Land fortwährend autokratischer Herrschaft zu naiv gedacht.
(2) Mikroökonomischer Ansatz: SME/KMU
Während mikroökonomische Anstöße im obigen Fall nur eine unter vielen Maßnahmen sind, vertreten andere eher die Auffassung, wesentliche wirtschaftliche Transitionen könnten tragend durch Small and Medium Enterprises/Kleine und Mittlere Unternehmen (SME/KMU) angetrieben werden. Dies geschähe, indem sie den Dirigismus weißrussischer Wirtschaftspolitik mit einer liberalisierten Unwucht versähen.
So lässt sich bereits eine erhebliche, wenn auch 1996 kurzzeitig unterbrochene Anteilssteigerung der SME/KMU am GDP, dem gesamtstaatlichen Arbeitsplatzquote sowie dem Steueraufkommen erkennen (Istomina, 2005: 45). Freilich ist die Bedeutung der Privatwirtschaft am gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögen verhältnismäßig gering. So kommen auf 1000 Einwohner in den USA 74 Kleinunternehmen, in Russland 6 und in Weißrussland allerdings nur 2.8. Dafür zeichnen vor allem die administrativen Beschränkungen des freien Unternehmertums verantwortlich (Istomina, 2005: 48), da Unternehmen geschäftsschädigende Auflagen für Registration und Liquidation gemacht werden.
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- Arbeit zitieren
- Nico Nolden (Autor:in), 2006, Der Fall Weißrussland: Planwirtschaft ohne Planung? Lukaschenkos Weißrussland zwischen Charismatischer Herrschaft und Wirtschaftsplanung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59385
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