Welche Vor- und Nachteile sich durch offenen Sportunterricht in (inklusiven) Klassen ergeben, wird in dieser Arbeit am Beispiel des Hochspringens erörtert. Dazu folgt zunächst die Beschreibung einer Möglichkeit, eine Unterrichtseinheit zum Hochsprung offen zu gestalten. In dem anschließenden Kapitel zu Grenzen und Chancen des offenen Sportunterrichts wird auf diese Möglichkeit zurückgegriffen.
Ein zentrales Prinzip inklusiven Sportunterrichts ist, dass dieser "diversitätssensibel" ist. Eine Möglichkeit, den Sportunterricht "diversitätssensibel" zu gestalten, ist die Anwendung offener Lehrwege. In Abgrenzung zum geschlossenen beziehungsweise strukturierten Lehrweg, der sowohl ein vorbestimmtes Ziel anstrebt als auch einem vorgegebenen Programm folgt, sind offene Methoden auf eine möglichst selbstständige Auseinandersetzung der Schüler mit dem Stoff ausgerichtet. Dieser Ansatz geht nicht von klar definierten Zielen aus, sondern schafft "open-end-Situationen", bei denen der Weg höher gewertet wird als das Ergebnis.
Inhalt
1. Einleitung
2. Offene Methodenkonzeption zum Hochsprung
3. Grenzen und Chancen offener Lehrwege im Sportunterricht
3.1 Grenzen des offenen Sportunterrichts
3.2 Chancen des offenen Sportunterrichts
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ein zentrales Prinzip inklusiven Sportunterrichts ist, dass dieser ,diversitätssensibel‘ ist“ (Tiemann 2015, S. 57).
Eine Möglichkeit, den Sportunterricht „diversitätssensibel“ zu gestalten, ist die Anwendung offener Lehrwege. In Abgrenzung zum geschlossenen beziehungsweise strukturierten Lehrweg, der „sowohl ein vorbestimmtes Ziel anstrebt als auch einem vorgegebenen Programm folgt“ (Söll 2011, S. 200), sind offene Methoden „auf eine möglichst selbstständige und selbsttätige Auseinandersetzung der Schüler mit dem Stoff ausgerichtet“ (ebd.). Dieser Ansatz geht nicht von klar definierten Zielen aus, sondern schafft „open-end-Situationen“, bei denen der Weg höher gewertet wird als das Ergebnis (vgl. Größing 2007, S. 223). Welche Vor- und Nachteile sich durch offenen Sportunterricht in (inklusiven) Klassen ergeben, wird in dieser Arbeit am Beispiel des Hochspringens erörtert.
Dazu folgt zunächst die Beschreibung einer Möglichkeit, eine Unterrichtseinheit zum Hochsprung offen zu gestalten. In dem anschließenden Kapitel zu Grenzen und Chancen des offenen Sportunterrichts wird auf diese Möglichkeit zurückgegriffen. Im Fazit werden abschließend die Ergebnisse zusammengefasst.
2. Offene Methodenkonzeption zum Hochsprung
Die Disziplin „Hochspringen“ ist im Kerncurriculum des Landes Niedersachsen für die Schulformen des Sekundarbereichs I Fach Sport aufgeführt (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2007, S. 27). Bis zum achten Jahrgang wird von den Schülerinnen und Schülern erwartet, dass sie in der Lage sind, „die individuell adäquate Hochsprungtechnik“ (ebd.) anzuwenden. Da es sich dabei um eine sehr offen gehaltene Anforderung handelt, bietet dieses Erfahrungsfeld deutlich mehr Möglichkeiten als nur den Hochsprung mit der genormten Floptechnik (vgl. Belz & Frey 2009, S. 90). Belz und Frey (ebd. S. 20) plädieren dafür, den Leichtathletikunterricht eher an den Kindern als an der Wettkampf-Leichtathletik auszurichten:
„Die ,richtige‘ Disziplin kann sich nicht an der Fernsehleichtathletik orientieren. Sie muss aus körperlicher, motorischer und im Schulsport auch motivational-emotionaler Sicht auf den Schüler bezogen sein“.
Als mögliches Thema für eine Doppelstunde zum Hochsprung nennen sie die Leitfrage: „Mit welcher Technik kann man am höchsten Springen?“ (vgl. ebd. S. 90). In einem so organisierten Unterricht könnten verschiedene Stationen zum Hochsprung (z.B. Weichbodenmatten hinter einem auf Seitenpfosten aufgelegten Band sowie Hochsprungstationen mit niedriger und hoher Latte) aufgebaut werden, an denen sich die Schülerinnen und Schüler selbstständig erproben.
3. Grenzen und Chancen offener Lehrwege im Sportunterricht
Im Folgenden werden anhand der oben beschrieben Methodenkonzeption zum Hochsprung die Grenzen und Chancen des offenen Sportunterrichts geschildert.
3.1 Grenzen des offenen Sportunterrichts
An erster Stelle erweisen sich offene Lehrwege im Sportunterricht als nahezu unbrauchbar, um genormte sportmotorische Tätigkeiten zu vermitteln (vgl. Laging 2006, S. 63). Bekannte Hochsprungtechniken wie der „Flop“ können also nicht in ihrer einwandfreien Ausführung von den Schülerinnen und Schülern gelernt werden. Der eigentliche Fachinhalt – das Erlernen der Hochsprungtechnik mit Blick auf die Leistungssteigerung – wird vernachlässigt (vgl. Döhring 2004, S. 122). Kruber (1983, S. 151; zit. n. ebd. S. 122f) hält den geringen Stellenwert von Leistungsnormen im offenen Sportunterricht für problematisch und kritisiert die ausschließliche Orientierung an Spaß und Spiel:
„Wir halten daher den Trend zur Leistungsnegation, … zur Ablehnung von Leistungsnormen, wie es sich derzeit in der Didaktik des Schulsports durchzusetzen scheint, für eine außerordentlich problematische Tendenz (…) Daher kann und darf die Sportdidaktik nicht ausschließlich auf Spaß und Lust, auf Freiheit und Kreativität als zentralen Werten aufgebaut werden. Auch Arbeit und Anstrengung gehören zum Sportunterricht, wenn die gesamte Bandbreite seiner pädagogischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden soll“.
Die gestellte Bewegungsaufgabe fordert die Schülerinnen und Schüler zwar in ihrer Kreativität, bringt sie einer sinnvollen Technik jedoch nur bedingt näher. Die sowieso schon sehr knappe Unterrichtszeit im Fach Sport wird dabei nicht effizient genutzt (vgl. ebd. S. 123f). Nach Größing (vgl. 2007, S. 220) ist hier ein strukturiertes Vorgehen, das eher an den Trainingsmethoden der Sportvereine orientiert ist, geeigneter, um schnell und effektiv Leistungserfolge zu erzielen.
Ein weiterer Aspekt, der am offenen Sportunterricht kritisiert wird, ist die Überforderung von Schülerinnen und Schülern in unstrukturierten Bewegungssituationen (vgl. Döhring 2004, S. 138). Gerade wenn jüngeren Kindern die Aufgabe gegeben wird, sich selbst eine für sie sinnvolle Technik zu überlegen, hoch zu springen, wird möglicherweise ignoriert oder nicht bedacht, „dass der Eigenentscheidung des Lernenden die Grenzen durch die fehlende Einsicht … in den Aufbau einer Bewegungsfertigkeit gesetzt sind“ (Größing 2007, S. 211). Nach Größing (vgl. ebd.) eignen sich geschlossene Methoden besser, um den Schülerinnen und Schülern durch gesicherte Lehrwege ein verfügbares Handlungsrepertoire an Bewegungsfertigkeiten zu vermitteln und Erfolgserlebnisse hervorzurufen.
Auras (vgl. 2004, S. 155) thematisiert darüber hinaus die Gefahr, dass sich die Schülerinnen und Schüler einseitig mit Bewegungsformen auseinandersetzen. Während im geschlossenen Unterricht verschiedene Hochsprungtechniken besprochen und erprobt werden können, ist es im offenen Sportunterricht durchaus möglich, dass sich Schülerinnen und Schüler eine Technik überlegen (z.B. eine Vorwärtsrolle auf die Matten) und diese anschließend weiter ausführen, ohne sich mit anderen Möglichkeiten beschäftigt zu haben. Damit einher geht die Gefahr, „dass nun statt des Lehrers einige dominante Schüler das Geschehen bestimmen und alle anderen dennoch fremdbestimmt sind mit dem zusätzlichen Nachteil, dass die Qualität schlechter ist, als wenn der Lehrer als Fachmann das Geschehen bestimmt“ (Heymann & Leue 2008, S. 190).
Als weiterer Kritikpunkt an der hohen Eigeninitiative der Schülerinnen und Schüler wird die Illusion der kinderfreundlichen Selbständigkeit der Lernenden genannt. Döhring (vgl. 2004, S. 132) weist darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler gar nicht unbedingt daran interessiert sind, immer selbstständig den Sportunterricht zu gestalten, sondern vielmehr Herausforderungen von den Lehrkräften erwarten. In einer offenen Unterrichtseinheit zum Hochsprung werden die Kinder vermutlich ihnen bekannte Bewegungen ausführen wie einen einfachen Sprung mit angezogenen Beinen über die Stange oder die Rolle vorwärts. Da es sich beispielsweise bei der normierten Technik „Flop“ um eine Bewegung handelt, die nicht alltäglich ist, kommen die Schülerinnen und Schüler eventuell gar nicht auf die Idee, diese auszuprobieren. Diese neue Herausforderung bleibt ihnen somit verwehrt. Auch Größing (2007, S. 211) betont, dass „ein lehrerzentrierter Unterricht und eine straffe Führung des Lernprozesses durchaus kindlichen Erwartungen entsprechen können“.
3.2 Chancen des offenen Sportunterrichts
„Die Vielfalt von Menschen und das Spektrum ihrer Besonderheiten implizieren, dass es kein Lehrbuch geben kann, welches für alle Menschen dieselben sinnvollen Lösungsvorschläge für gestellte Bewegungsaufgaben bereithält“ (Tiemann 2015, S. 63).
Für das Erlernen des Hochspringens bedeutet diese Aussage, dass erprobte strukturierte Lehrwege, wie eine methodische Übungsreihe1 zum Flop, nicht unbedingt für jedes Kind sinnvoll sind. So ist es möglich, dass die Lehrkraft den Kindern als Vorübung zu dieser Hochsprungtechnik zunächst die Aufgabe gibt, sich aus dem Anlauf rückwärts auf eine Weichbodenmatte zu setzen (vgl. Mandl o.J., S. 38). Aufgrund des geringen Schwierigkeitsgrades wird die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in der Lage sein, die Übung auszuführen. Die Lehrkraft muss jedoch eventuell mit Lustlosigkeit bei den Kindern rechnen, die schon Kontakt mit der Leichtathletikdisziplin hatten und sich auf den Hochsprung gefreut haben. Der Sinn dieser Methode ist den Kindern nicht einsichtig und bringt sie dem Ziel nicht näher. Volkamer (2008, S. 149) kritisiert eine zu starke Methodisierung (im Sinne der geschlossenen Methode) des Schulsports und sieht es als hohe Priorität an, dass die Schülerinnen und Schüler die Sinnhaftigkeit der Methoden nachvollziehen können:
„In einer strengen Methodisierung des Unterrichts durch den Lehrer, ohne Rücksicht darauf, ob der Schüler die Methode als sinnvollen Weg zu seinem Ziel erlebt, wird der Unterrichtsgegenstand aus seiner Unmittelbarkeit herausgelöst, verfremdet: … die Schüler werden möglicherweise auf ein Ziel hin manipuliert, mit dem sie sich nicht identifizieren“.
Die offene Methode geht dagegen von dem Grundsatz aus, die Schülerinnen und Schüler auf ihre Art lernen zu lassen (vgl. Söll 2011, S. 201). Da dieses Vorgehen verschiedene Lösungen und dadurch Differenzierungsmaßnahmen zulässt, ist es heterogenitätssensibler als der geschlossene Lehrweg (vgl. Heymen & Leue 2008, S. 189). Motorisch schwächere Kinder können beispielsweise mit einem einfachen Sprung oder einem Abrollen auf die Matte beginnen, während sportlichere und erfahrenere Schülerinnen und Schüler sich in normierten Techniken erproben und selbstständig Möglichkeiten finden können, die Latte beim Hochsprung zu überwinden. Diese Form des „erprobenden und suchenden Lernens im Feld der Bewegungskultur, das Anforderungen an die Bewegungsfantasie des Schülers stellt“ (Laging 2006, S. 61), fördert beziehungsweise fordert die Fähigkeiten der Kinder im Bereich des „kreativen motorischen Gestaltens und der kognitiven Durchdringung des Bewegungshandelns“ (ebd.). Da der Unterricht stark an den Interessen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet ist, sind sie eher intrinsisch motiviert, Sport zu treiben (vgl. Döhring 2004, S. 138). Gleichzeitig wird durch die vielen Mitentscheidungsmöglichkeiten der Kinder ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gestärkt (vgl. Größing 2007, S. 222). Heymen und Leue (vgl. 2008, S. 189) fassen diese Fertigkeiten unter dem übergeordneten Ziel „Handlungsfähigkeit im Sport“ zusammen. Dazu zählt neben dem eigenständigen Bewerten, Organisieren und Erfinden von Sportarrangements auch soziales Verhalten (vgl. ebd. S. 188). So müssen die Schülerinnen und Schüler bei einer höheren Mitentscheidungsfreiheit lernen, sich untereinander zu einigen und als Gruppe zu interagieren. Bei selbstgewählten Methoden des Hochspringens ist es notwendig, Rücksicht auf andere zu nehmen und sich gegebenenfalls gegenseitig zu unterstützen.
[...]
1 "Methodische Übungsreihen … sind nach methodischen Grundsätzen geordnete Übungsfolgen, die zur Erlernung einer bestimmten motorischen Fertigkeit (Zielübung) führen sollen“ (Fetz 1988, S. 152)
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- Tabea Taulien (Author), 2019, Grenzen und Chancen offener Lehrwege im inklusiven Sport- und Hochsprungunterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/593681
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