Die Überlegung, ob es sich bei der Christianisierung der Sachsen durch Karl den Großen um das Ergebnis eines Wegbereiters für das heutige Abendland oder eher um die blutigen Taten eines Tyrannen handelt, ist Thema dieser Arbeit.
Karl der Große, obwohl seine Regentschaft über 1200 Jahre zurückliegt, gilt heute, nicht zuletzt durch seine Missionserfolge, als Einiger Europas. Immer wieder rückt die Frage der Ambivalenz zwischen Glaube und Gewalt, die das Leben dieser Persönlichkeit prägen, in den Fokus.
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kirchengeschichtliches Institut
Moses oder Metzler?
Die Rolle Karls des Großen bei der Mission im frühen Mittelalter
Karl der Große, obwohl seine Regentschaft über 1200 Jahre zurückliegt, gilt heute, nicht zuletzt durch seine vielen Missionserfolge, als Einiger Europas. Immer wieder rückt die Frage der Ambivalenz zwischen Glaube und Gewalt, die das Leben dieser Persönlichkeit prägen, in den Fokus.
Eine um 845 in Tours entstandene Miniatur stellt Karl im Kreis seiner Höflinge als Moses dar1, Zeitzeugen bezeichnen ihn als Prediger „mit eiserner Zunge“2. Die Überlegung, ob es sich bei der Christianisierung der Sachsen durch Karl den Großen um das Ergebnis eines Wegbereiters für das heutige Abendland, oder eher um die blutigen Taten eines Tyrannen handelt, ist Thema dieser Arbeit. Da die Missionierung dieses Volkes sich in einem 33 Jahre dauernden Krieg vollzog, kann sie gleichsam als lebensbegleitend und dementsprechend bedeutend für Kaiser Karls Werk gesehen werden. Dieses Essay stellt ob seiner Knappheit weniger eine umfassende Problemklärung, als vielmehr einen Anriss des behandelten Gegenstands dar.
Es herrscht Einigkeit darüber, dass Karls machtpolitisches Konzept auf der Vereinheitlichung geistiger, geistlicher und kultureller Ordnungen in seinem Vielvölkerstaat fußte3. Carolus Magnus war Eroberer und auf die Erhaltung seiner Macht im eigenen Reich konzentriert. Die Unterwerfung anderer Völker war eine territoriale Notwendigkeit, die damit einhergehende Christianisierung war eher ein Zufallsprodukt, wenn man bedenkt, dass die Vorraussetzung, „daß alle Angehörigen des Frankenreichs Christen sein müßten“4, einer Maxime entsprach, welche Karl aus älteren Zeiten übernommen hat.
Nur ein Jahr nachdem er Alleinherrscher geworden war, brach Karl 772 zu seinem ersten Feldzug gegen die Sachsen auf, jedoch ohne deren Bekehrung anzustreben5. Die Sachsen sollten in erster Linie seine Untertanen werden und die Grenzen seines Reiches sollten sich nach Norden ausdehnen. „Es war der langwierigste, grausamste und anstrengendste [Krieg], den das Frankenvolk je geführt hat.“6, so berichtet Karls Biograph Einhard in der »Vita Karoli Magni« und beschreibt, wie die Gegner, immer wieder unterlegen, bereit waren, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden, jedoch stets nach kürzester Zeit wieder ihrer Teufelsverehrung fröhnten. Was hier etwas banalisiert als Flatterhaftigkeit der Sachsen beschrieben wird7, ist wohl eher als Kampf eines Volkes um die Erhaltung seiner religiösen Identität zu sehen. Denn ebenso wie das Christentum den Franken, diente den Paganen ihre Religion dazu, die öffentliche Ordnung zu stabilisieren. Somit verteidigten sie durch die Bewahrung ihres Glaubens gleichzeitig ihre politische Selbständigkeit8.
Karl verfolgte zunehmend eine Verknüpfung von Militär- und Religionspolitik und veranlasste die Taufen vieler Adliger aus den besiegten königslosen Sachsenstämmen. Der saxonische Adel sah seine Macht über die naturreligiösen Bauern durch die Übertragung der fränkischen Sozialstrukturen auf das eigene Volk vergrößert und signalisierte mit dem Vorgang der Taufe seine Kooperationsbereitschaft9. Man kann hier von einer mehr oder weniger freiwilligen Christianisierung sprechen, wie Lutz E. von Padberg es benennt10. Jedoch wird schon von Zeitgenossen kritisiert, dass bei den vollzogenen Massentaufen die „hinlängliche Glaubensunterweisung“ fehlte11. Mag das Christentum dem als fromm beschriebenen Kaiser, der sich selbst mit König David vergleichen ließ12, auch sehr am Herzen gelegen haben, das in den Taufen ausgedrückte Bekenntnis zu Jesus war mehr „ein Erfordernis politischer Zweckmäßigkeit [...]. Mit Glaube und Christentum hatte das nur nebenbei zu tun.“13 Die hohle Annahme der christlichen Religion ohne inneren Zugriff und eigentliche Religiösität wird mit dafür verantwortlich sein, dass sich die dezentral organisierten Sachsenstämme schwer bändigen ließen. Die Franken sahen diese als „viehisch und unkultiviert“14 an und Karl - im Kontext seiner Zeit gefangen - deutete ihre Aufstände als Apostasie vom Christenglauben15, welchen sie verständig anzunehmen gar keine Chance gehabt hatten. Die Sachsen wendeten sich nicht vom Christentum ab, sie gehörten dieser Religion noch gar nicht an.
Dennoch fühlte sich König Karl, nach zehn Jahren der Unruhen an den sächsischen Grenzen der Aufstände müde, in seiner „Hochherzigkeit und Unwandelbarkeit der Sinne“16 verpflichtet, die Rebellionen als rechtlich todeswürdig zu deuten. Seine Heereszüge wurden zu Religionskriegen17 und es kam zum sog. Blutbad von Verden, in welchem 782 laut Aussage der fränkischen Reichsanalen 4500 Aufständler mit dem Tode bestraft wurden18. Auch wenn es sich nach Annahme führender Historiker um eine geringere Anzahl an Hingerichteten handelt, verdankt Karl diesem Massenmord heute noch den Namen „Sachsenschlächter“19. Er selbst sowie Zeitzeugen waren der Ansicht, dass der König ein Werkzeug Gottes sei20. Charlemagne beruft sich bei der Unterjochung anderer Völker auf Empfehlungen von Kirchenleuten, die sich für die Taufe als Zwangsmaßnahme und „Bekehrung [...] durch [...] Schrecken“21 aussprachen. Spätestens ab jetzt beging Karl seine Anstürme „in dem Bewußtsein, daß er das ‚Christliche Volk‘ gegen ‚die Feinde seines heiligen Namens‘ führe“22. Padberg trifft es genau, wenn er von Karls Imperialmission als Kombination aus Herrschafts- und Glaubensausbreitung spricht23. Dieser brutale missionspolitische Kurs wurde durch den Erlass von ungnädigen Gesetzen24, welche bei Abweichungen vom christlichen Glauben und paganen Kulthandlungen blutige Bestrafungen vorschrieben, unterstrichen. Auf den Punkt gebracht ließen diese Gesetze den Sachsen nur die „Alternative Tod oder Taufe“25.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass man bei Karls Vorgehen gegen die Sachsen von einer Schwertmission sprechen kann. „Die Tiefe eines Lebens vor 1200 Jahren ist heute nicht mehr auszuloten“26, dieser Aussage des Biographen Johannes Fried ist zuzustimmen. Dennoch war Karl der Große nicht nur aus heutiger Sicht, sondern schon zeitlebens ein skrupelloser Realpolitiker. Daher stellt sich die Frage, ob seine Rolle als Wegbereiter Europas diesen Fakt soweit ausgleichen kann, als dass es gerechtfertigt wäre, Schulen, Strassen und andere öffentliche Plätze nach diesem frühmittelalterlichem Gewalthaber zu benennen. Um dies zu untersuchen, obschon lohnenswert, ist an dieser Stelle leider nicht der Raum.
Literaturverzeichnis
I. Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungen von Monographiereihen erfolgen nach dem Abkürzungsverzeichnis von Schwertner, Siegfried M., IATG3, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Boston3 2014.
ferner:
BEW = Die große Bertelsmann Enzyklopädie des Wissens (Bildquelle)
II. Quelle
Von Schwerin, Claudius, Capitulatio de partibus Saxoniae, in: Leges Saxonum und Lex Thuringorum (MGH., Fontes iuris 4), Hannover 1918.
(Übersetzung im Anhang / S.5)
III. Hilfsmittel
Baumgarten, Hans, Ianua Nova Neubearbeitung. Begleitgrammatik, Göttingen 1987.
Stowasser, J. M. / Petschenig, M. / Skutsch, F., Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, München, 2003.
IV. Sekundärliteratur
Fried, Johannes, Karl der Große. Gewalt und Glaube, Eine Biographie, München4 2014.
Haendler, Gert, Die lateinische Kirche im Zeitalter der Karolinger (EKG I/7), Leipzig 1992.
Hartmann, Karl, Zwanzig Jahrhunderte Kirchengeschichte. Vom Anfang bis zur Gegenwart erzählt, Lahr 1992.
Hauschild, Wolf-Dieter, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte. Alte Kirche und Mittelalter (Band 1), Gütersloh3 2007.
Marchand, Pierre, Kreuz und Halbmond. Von Byzanz bis zu Karl dem Großen (BEW) Gütersloh 1993.
Obermann, Heiko Augustinus et al. (Hgg.), Mittelalter (KTGQ II), Neukirchen-Vluyn5 2001.
Von Padberg, Lutz E., Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt 2006.
[...]
1 Vgl. Marchand, Pierre, Kreuz und Halbmond. Von Byzanz bis zu Karl dem Großen (BEW), Gütersloh 1993, S. 59.
2 Von Padberg, Lutz E., Christianisierung im Mittelalter, Darmstadt 2006, S. 79.
3 Vgl. Hartmann, Karl, Zwanzig Jahrhunderte Kirchengeschichte. Vom Anfang bis zur Gegenwart erzählt, Lahr 1992, S. 94.
4 Hauschild, Wolf-Dieter, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte. Alte Kirche und Mittelalter (Band 1), Gütersloh3 2007, S. 383.
5 Vgl Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 76.
6 Obermann, Heiko Augustinus et al. (Hgg.), Mittelalter (KTGQ II), Neukirchen-Vluyn5 2001, S. 49.
7 Vgl. Obermann, Mittelalter, S. 49.
8 Vgl. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte, S. 383.
9 Vgl. ebd., S. 384.
10 Vgl. Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 72.
11 Vgl. ebd., S. 80.
12 Vgl. ebd., S. 94.
13 Hartmann, Karl, Zwanzig Jahrhunderte Kirchengeschichte. Vom Anfang bis zur Gegenwart erzählt, Lahr 1992, S. 93.
14 Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 73.
15 Vgl. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte, S. 383.
16 Obermann, Mittelalter, S. 49.
17 Vgl. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte, S. 383f.
18 Vgl. Obermann, Mittelalter, S. 50.
19 Hauschild, Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte, S. 384.
20 Vgl. Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 76.
21 Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 79.
22 Haendler, Gert, Die lateinische Kirche im Zeitalter der Karolinger (EKG I/7), Leipzig 1992, S. 72.
23 Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 79.
24 Vgl. Von Schwerin, Claudius, Capitulatio de partibus Saxoniae, in: Leges Saxonum und Lex Thuringorum (MGH. Fontes iuris 4), Hannover 1918, S. 37ff, (Übersetzung im Anhang / S.5).
25 Von Padberg, Christianisierung im Mittelalter, S. 79.
26 Fried, Johannes, Karl der Große. Gewalt und Glaube, Eine Biographie, München4 2014, Vorwort, S. 1.
- Quote paper
- Anonymous,, 2016, Die Rolle Karls des Großen bei der Mission im frühen Mittelalter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/591926