In diesem Essay beschäftige ich mich mit der von Hans Jonas formulierten Frage danach, inwiefern Systeme Bedingung des Lebens darstellen und inwiefern dieser Begriff überhaupt auf Lebewesen anwendbar ist. Zunächst nimmt Jonas eine historische Einordnung bzw. Weiterentwicklung des Systembegriffes vor, welche ich kurz zusammenfassen werde. Diese theoretische Annäherung an die Betrachtung der Systeme ist Voraussetzung für Jonas' Argumentation.
Die Beschreibung und Abgrenzung des Lebenden sowie die Untersuchung, welche Grenzen und Besonderheiten dieses aufweist, beleuchtet Hans Jonas in seinem Buch "Das Prinzip Leben". In seinen 12 Kapiteln gelangt er nach Definition und Untersuchung von Organischem und Geistigem, tierischen und kosmischen Eigenschaften sowie Systemen und Denkweisen auch zum Menschen und dessen Abgrenzung und Einordnung in eine philosophische Umwelt. Er führt Gedanken des Monismus, Existentialismus und Nihilismus aus und nimmt Bezug auf zahlreiche prominente philosophische Vertreter wie Nietzsche, Darwin, Plato, Descartes oder Thomas von Aquin.
1st System Bedingung des Lebens oder es selbst?
Die Beschreibung und Abgrenzung des Lebenden sowie die Untersuchung, welche Grenzen und Besonderheiten dieses aufweist, beleuchtet Hans Jonas in seinem Buch „Das Prinzip Leben“. In seinen 12 Kapiteln gelangt er nach Definition und Untersuchung von Organischem und Geistigem, tierischen und kosmischen Eigenschaften sowie Systemen und Denkweisen auch zum Menschen und dessen Abgrenzung und Einordnung in eine philosophische Umwelt. Er führt Gedanken des Monismus, Existentialismus und Nihilismus aus und nimmt Bezug auf zahlreiche prominente philosophische Vertreter wie Nietzsche, Darwin, Plato, Descartes oder Thomas von Aquin.
In diesem Essay beschaftige ich mich mit der von Hans Jonas formulierten Frage danach, inwiefern Systeme Bedingung des Lebens darstellen und inwiefern dieser Begriff überhaupt auf Lebewesen anwendbar ist. Zunachst nimmt Jonas eine historische Einordnung bzw. Weiterentwicklung des Systembegriffes vor, welche ich kurz zusammenfassen werde. Diese theoretische Annaherung an die Betrachtung der Systeme ist Voraussetzung für Jonas Argumentation.
Da die wissenschaftliche Verwendung des Begriffes „System“ lange nur für Bereiche des Denkens stattfand, ermöglicht dieser in einem solchen Zusammenhang eine Verfahrens- oder ergebnisorientierte Theoriebildung. Die Beziehung zwischen Gesetz der Methode und Gegenstand kann hierbei verbindlich sein, wie Jonas am Beispiel der Euklidischen Geometrie und der Deduktion erlautert. So folgt beim System der Deduktion bzw. bei der Hegelschen Dialektik ein Schritt logisch dem vorherigen und eine Erkenntnis muss sich bereits am Anfang der Überlegung abzeichnen.1 2 Bei der Induktion ist dieses Verfahren nicht an eine bereits implizierte Lösung gebunden, setzt allerdings das Vorhandensein von GesetzmaBigkeiten und Regelhaftigkeit voraus, welche dann untersucht werden können. Ist diese Beziehung unverbindlich, können lediglich auf Ahnlichkeit beruhende Merkmale gesammelt und gruppiert werden. Auch wenn hierbei nach einem System vorgegangen wird, kann dem Bezeichneten damit kein eigenes, ihm innewohnendes System verschafft werden, da die Auswahl der Ahnlichkeits-Kriterien willkürlich ist. Insofern ergibt sich ein Gegenpol von Einteilungs- und Ordnungssystemen sowie Ableitungs- und Erklarungssystemen. Erstgenannte bieten lediglich einen Einblick bzw. eine Übersicht über die Mannigfaltigkeit der Prinzipien, wahrend letztere „die Verknüpfung der Dinge durch Gründe nachzeichnen und daher Erkenntnis bieten“.3
Dieser Gedanke führt zu der Annahme, dass Systeme als Kreation des Geistes etwas über diesen aussagen, aber auch zu Aussagen über „das Sein“ fahig sind, da offenbar wiederkehrende ahnelnde Eigenschaften existieren und beschrieben werden können. Diese Aussagen sind- im Gegensatz zu den willkürlich gewahlten Beschreibungskategorien - entweder wahr oder falsch, da sie das tatsachlich Seiende „treffen“ können oder nicht.4 Insofern basiert alles (wahre) Wissen auf Dingsystemen, welche wiederum mit anderen Systemen verknüpft sind und somit gröBere Systeme bilden. Jonas folgert weiter, dass ein Gesamtsystem des Wissens oder ein systematisches Wissen des Ganzen folglich die Wirklichkeit als ein System voraussetzt. Hier könnte man sich allerdings fragen, weshalb ein Gesamtsystem des Wissens ein tatsachliches System voraussetzen muss, wenn auch unsystematische Inhalte mit Einteilungs-und Ordnungssystemen beschrieben werden können. Zwar erfolgt dadurch kein „Wissen“ im Sinne von Erkenntnis, aber eine Aussage über die Zusammensetzung der Welt lieBe sich hier schon treffen (zum Beispiel in Form von Statistiken). Dies hangt aber mit der Definition von Wissen zusammen, welche hier nicht im nötigen Umfang neu definiert werden kann, weshalb Jonas Annahme im Folgenden zugestimmt wird.
Wahrend die Antike Vorstellung davon ausgeht, dass es sich bei der Welt um ein harmonisches System handelt, entwickelt Jonas in Bezug auf die neuzeitliche Wissenschaft eine etwas andere Vorstellung. Ein System besteht in der herkömmlichen Sichtweise als Zusammenhang von Satzen oder Dingen und ist ein Zusammenspiel mehrerer Komponenten, welche zueinander in Beziehung stehen. Jonas Systeme sind mannigfaltig und verfolgen nach einem wirksamen Prinzip kein Ziel (wie in der antiken Vorstellung), sondern sind das Auftreten von Ereignissen. Den Begriff des Werdens ersetzt er durch den des Prozesses an Sich. Auch den Begriff des Seins konkretisiert er als fortgesetzte Energieumwandlung, die zur Erhaltung des Systems durch Veranderung beitragt. Die Systeme sind ungeschichtlich, sofern dies nicht zufallig oder künstlich (z.B. durch Mangel5 ) hervorgerufen wird. Lediglich das Entstehen oder Enden von Systemen ist geschichtlich. Dies würde wiederum bedeuten, dass das Leben, sofern es als ein System verstanden wird, solange ungeschichtlich ist, wie es nicht durch Geburt, Mangel oder Tod Besonderheit hervorruft. Dies entspricht wohl auch Jonas Argumentation, da er der Natur (auch nicht ihren Teilbereichen wie z.B. einer Art) keine Geschichtlichkeit zuschreibt.6 Dies schlieBt den Menschen - soweit er als Teil der Natur verstanden werden kann - zunachst mit ein.
Die Besonderheit der Natur als System in diesem Sinne besteht darin, dass diese nicht durch eine zentrale Lenkung (zum Beispiel in Form einer Gottesvorstellung) oder ein pragnantes Ereignis, sondern Möglichkeit und Gelegenheit entsteht. Dies führt aber zunehmend zu einer GesetzmaBigkeit von Kriterien, um in dieser Harmonie zu bestehen. Hierdurch werden die Veranderungen durch Selektion immer geringer, bis nur noch eine Möglichkeit immer wiederholt wird (Selbstwiederholung). „Zufall und Indeterminitat“7 nehmen damit ab. Übertragen auf das Leben hieBe das, dass solange Anpassungen vorgenommen werden, bis nur noch eine Art zu leben erfolgreich ist, die sich dann immer wiederholt. Dies mag auf Abfolgen wie „Keim, Wachstum, Blüte und Frucht“ und „Kindheit, Jugend, Mitte und Alter“8 zutreffen, aber die Variationen dieser sind zahlreich. Leben alle Menschen irgendwann dieselbe Kindheit? Dieser Begriff ist interpretativ, da es sich hier um willkürliche Einteilungen handelt. Zwar durchlebt jeder Mensch diese Stadien, allerdings ist gar nicht klar, wo welches Stadium beginnt oder endet, da die Übergange flieBend sind. Hinzu kommen auch Sonderfalle von Menschen, die im Kindesalter sterben. Ist dieses Leben demnach kein System? Wo endet der Begriff? Auf diese Falle geht Jonas nicht konkret ein und scheint ihnen auch keine Prioritat einzuraumen.
Diese Überlegungen werfen die Frage auf, wo die Grenzen derartiger Systeme verlaufen. Diesbezüglich auBert Jonas: „Über eine gewisse Zahl von Teilen hinaus oder eine gewisse Ungleichheit von Kraften hinaus oder über gewisse Variationen der Anordnung hinaus wird eine Kombination [...] unstabil und kann nicht dauern, oder mit diesen Gegebenheiten gar nicht erst zustande kommen.“.9 Wenn man diese Aussage auf die Anfangsfrage beziehen möchte, kame man zu der Annahme, dass das Leben unter gewissen Umstanden nicht mehr als solches zu bezeichnen ware. Zwar argumentiert Jonas zunachst dahingehend, dass das Leben als System verstanden werden kann, da es sich aus „den Momenten zusammensetzt, in denen es gelebt wird“10, welche stets etwas Neues hinzufügen und in einer einmaligen, unumkehrbaren Folge verlaufen. Das Leben erfahrt erst im Nachhinein seine Ganzheit und erhalt seine Identitat durch die Mannigfaltigkeit seiner Glieder. Diese Vorstellung revidiert er allerdings zum Teil bzw. grenzt sie dahingehend ein, dass „die Angemessenheit des Systembegriffs für das Verstandnis des Lebendigen genau so weit wie die des Erhaltungsbegriffs reicht und die Grenzen mit ihm teilt.“11 Insofern ist die Bezeichnung von Lebendigem durch System oder Erhaltungsbegriffe möglich, aber nicht unproblematisch. Der von Descartes unternommene Versuch, Tiere als Lebewesen mit dem Systembegriff zu beschreiben, findet hier Beachtung: Tiere werden als natürliche Automaten verstanden, dessen Beziehung zur Umwelt durch Reflexe stattfindet. Diese Systeme sind ohne Seele lediglich zum Zweck der Selbsterhaltung konstruiert.12
Zu argumentieren ist nun allerdings, inwiefern Lebewesen überhaupt in ihrer bestehenden Form erhalten werden. Kann man wirklich von Erhaltung sprechen, wenn durch das Absterben und Neubilden von Zellen, die Aufnahme, Verarbeitung und Ausscheidung von Stoffen der Körper in standigen Umbau und Neustrukturierung begriffen ist? Jonas findet die Antwort für dieses Problem in der biologischen Theorie des „offenen Systems“ von L. von Bertalanffys, welches nicht eine konkrete Anordnung in Form einer Struktur erhalt, sondern einen Prozess als dynamisches Verhalten. Dies wird der variablen Anordnung der Körper im Kontext von Wachstum, Regeneration, Selbstregulierung und Anpassung gerecht, wodurch das System in einem Gleichgewicht gehalten wird. Dieses Gleichgewicht ist allerdings nicht wie im Modell der klassischen Mechanik statisch, sondern eine Art „FlieBgleichgewicht“.13 Dies ist durch Mangel und Veranderung nicht dadurch gekennzeichnet, dass ein Zustand gehalten wird, sondern dass dieses Gleichgewicht standig wiederhergestellt werden muss. Dieser Begriff wird den dynamischen Umweltbedingungen der Lebewesen somit bereits besser gerecht, als die Theorie von Descartes.
Dieses Gleichgewicht kann also eine Art Ziel bzw. Prozess darstellen. In diesem Zusammenhang sollte auch die von Descartes postulierte These, die Automaten würden nur auf Basis ihrer Reflexe auf die Umwelt reagieren, infolge wissenschaftlicher Erkenntnisse neu begutachtet werden. Jonas nimmt hier eine Erganzung durch das kybernetische Modell von N. Wieners vor, die eine Offenheit in der Informationsverarbeitung besagt. Ein Zusammenspiel von Meldungs- und Leistungsapparat in Form von Feedback führt dazu, dass eine irrtumsausgleichende Steuerung mit der Verfolgung eines Handlungsziels stattfindet.14 Insofern ist ein intendiertes, nicht nur reaktives Abgleichen der Handlungen mit deren Zielführung möglich. Ein Bewusstsein dessen ist allerdings dadurch nicht zwangslaufig gegeben.
[...]
1 Anmerkung: Alle Literaturangaben beziehen sich auf: Hans Jonas: Das Prinzip Leben. Ansatze zu einer philosophischen Biologie. 2. Auflage. Norderstedt, 2011. S.109-126.
2 Vgl. S.111.
3 Zitiert nach S.112.
4 Vgl. S. 113.
5 Vgl. S. 117.
6 Vgl. S. 117.
7 Zitiert nach S.116.
8 Zitiert nach S.119.
9 Zitiert nach S. 115.
10 Zitiert nach S. 119.
11 Zitiert nach S.121.
12 Vgl. S.122.
13 Zitiert nach S.123.
14 Vgl. S. 124.
- Quote paper
- Sven Beth (Author), 2019, Anwendung der Systemtheorie auf Lebendiges nach Hans Jonas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/591919
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