Gender gap ist nur eine von vielen Formulierungen, die es im Laufe der vergangenen Jahre durch die anhaltende Diskussion und Bemühung um geschlechtersensible Aufklärung in den erweiterten Sprachgebrauch geschafft haben. In der Tat ist der Themenkomplex Gender interdisziplinär unerlässlich und so gegenwärtig geworden, dass sich eine Befassung mit der zugrundeliegenden These nicht nur anhand der zuvor dargestellten Probleme in der Gleichberechtigungsmission herleiten lässt. Im Folgenden soll demnach ergründet werden, inwiefern Gender ein ideales Thema zur Förderung von Politikkompetenz [ist] und auch an beruflichen Schulen zum Grandkanon jedes Politikunterrichts gehören [sollte].
Im Jahre 1999 suchte man Frauen noch vergleichsweise vergebens in politischen wie wirtschaftlichen Führungspositionen und erst einige Jahre später würden gesetzliche Rahmenbedingung geschaffen werden, die den Anteil von Männern, die Erziehungszeiten in Anspruch nehmen, kontinuierlich steigen lassen. Auch heute noch, zu diesem Ergebnis gelangen alle der zum Zwecke dieses Essays gewählten, einschlägigen Texte, ist das langersehnte Ziel der Geschlechtergerechtigkeit vor allem in der politischen Bildung ein utopisch anmutendes Prinzip.
Vor mehr als zwanzig Jahren postulierte der damalige Präsident der Bundezentrale für politi-sche Bildung, Günther Reichert, im Rahmen eines Berliner Kongresses zum Thema Demokra-tische Geschlechterverhältnisse im 21. Jahrhundert die selbstbewusste Hypothese „Politische Bildung ist geschlechtsneutral.“ (Hoecker 2013: 151) Ordnet man seine Aussage zeitlich ein, so erscheint sein Lob auf die Gleichberechtigung zwar überzeugt, jedoch wenig überzeugend: Im Jahre 1999 suchte man Frauen noch vergleichsweise vergebens in politischen wie wirt-schaftlichen Führungspositionen und erst einige Jahre später würden gesetzliche Rahmenbe-dingung geschaffen werden, die den Anteil von Männern, die Erziehungszeiten in Anspruch nehmen, kontinuierlich steigen lassen. Auch heute noch, zu diesem Ergebnis gelangen alle der zum Zwecke dieses Essays gewählten, einschlägigen Texte, ist das langersehnte Ziel der Ge-schlechtergerechtigkeit vor allem in der politischen Bildung ein utopisch anmutendes Prinzip. Ein Blick auf die Bundespolitik erlaubt sicherlich das Zugeständnis von Fortschritt: Deutsch-land wird seit nunmehr 15 Jahren von einer Bundeskanzlerin regiert und sogar die nicht selten als Männerdomäne bezeichnete Position an der Spitze des Verteidungsministeriums wurde zeit-weise von einer Frau bekleidet. (Vgl. Rudolph 2015: 7) Und dennoch hat sich dieser Wandel in anderen Sektoren nicht vollkommen vollzogen: In den Chefetagen größerer Unternehmen und anderen wirtschaftlichen Führungspositionen sucht man Frauen nach wie vor vergebens und die gender pay gap bleibt eine unumstrittene Tatsache: Das Bruttoeinkommen einer Frau liegt einem EU-Vergleichswert von 2019 zufolge im Schnitt 21 Prozent unter dem eines Mannes – bei exakt gleichen Qualifikationen und Konditionen (vgl. tagesschau 2019). Gender gap ist nur eine von vielen Formulierungen, die es im Laufe der vergangenen Jahre durch die anhaltende Diskussion und Bemühung um geschlechtersensible Aufklärung in den erweiterten Sprachgebrauch geschafft haben. In der Tat ist der Themenkomplex Gender inter-disziplinär unerlässlich und so gegenwärtig geworden, dass sich eine Befassung mit der zu-grundeliegenden These nicht nur anhand der zuvor dargestellten Probleme in der Gleichberech-tigungsmission herleiten lässt. Im Folgenden soll demnach ergründet werden, inwiefern Gender ein ideales Thema zur Förderung von Politikkompetenz [ist] und auch an beruflichen Schulen zum Grandkanon jedes Politikunterrichts gehören [sollte].
Zunächst gilt es im Hauptteil einige grundlegende Begrifflichkeiten zu klären, um eine unmiss-verständliche Argumentation und Stellungnahme zu der Problematik zu gewährleisten. Darauf-hin sollen, bezugnehmend auf den vorgegebenen Basistext von Dagmar Richter sowie eigens gewählten Zusatztexten die wichtigsten Argumente aufgeführt werden, die die Unerlässlichkeit des Gender-Sujets für die politische Bildung und der Konstitution der Politikkompetenz untermauern. Hierbei lieferten in erster Linie Mechthild Oechles Text Geschlecht und Ge-schlechterverh ältnis – keine Kategorien der politischen Bildung? sowie Karin Derichs-Kunst-manns Konsequenzen von Gender Mainstreaming für die politische Bildung entscheidende Impulse zur Vertiefung der Thematik. Im letzten Teil soll dann ein Fazit aus der erfolgten Prob-lembetrachtung gezogen werden, um die eingangs gestellte Hypothese noch einmal abschlie-ßend einzuordnen.
Eine tiefgreifende Konfrontation mit den Ideen der Geschlechterforschung und die entspre-chende Untersuchung der Forschungsthese setzen voraus, dass man sich sowohl als Verfasser als auch als Leser mit der grundlegenden Terminologie der Gender Studies auseinandergesetzt hat. Zumindest über die in der deutschen Übersetzung homonymen und doch semantisch un-terschiedlichen Begrifflichkeiten gender und sex sollte im Vorfeld der weiteren Argumentation Klarheit herrschen. Auch wenn der aktuelle Forschungsstand genügend alternative oder weitaus differenziertere Definitionsmöglichkeiten bietet, werden im Rahmen dieses Essays die geläu-figsten Begriffsdefinitionen, die auch bei Richter Anwendung finden, gewählt. Dementspre-chend legt die Benutzung des Begriffs sex eine Bezugnahme des biologisch zugeschriebenen Geschlechts nahe, während gender ein soziales, kulturell geprägtes Konstrukt zur Geschlech-terdifferenzierung referiert. (Vgl. Richter 2007: 113) Wie bereits aus dem Wortlaut der For-schungsthese hervorgeht, wird für die Belange dieser Ausführungen vor allem die letztgenannte Begrifflichkeit von Relevanz sein.
Darüber hinaus verlangt auch der Begriff der Politikkompetenz eine gewisse Vorentlastung, um den Argumentationslinien Richters, Oechsles oder Derichs-Kunstmanns folgen zu können. Distanziert man sich zunächst von dem für die Didaktik unerlässlich gewordenen Kompetenz-begriff und nähert sich dem Gegenstand ganz wortbedeutungsorientiert, dann ist ein politik-kompetenter Mensch jemand, der in der Lage dazu ist, politisch bedingten Anforderungssitua-tionen geeignet gerecht zu werden und diese mit Erfolg zu bewältigen (vgl. Detjen et al. 2012, 7). Transferiert man dieses Verständnis auf die aus der Kognitionspsychologie stammenden fachdidaktischen Kompetenzbegriffe, erschließt sich für Detjen et al. die Bedeutung von Poli-tikkompetenz: Es geht um die Relation zwischen und die Verbindung von der Vermittlung des Fachwissens, der Feststellung und Förderung der Motivation/Einstellung der Lernenden sowie der Schulung fachbezogenen, praktischen Könnens. (Vgl. ebd.: 7ff.) Kurzum: Politikkompe-tenz beschreibt das fachdidaktische Ziel, die Lernenden zu politisch mündigen und handlungs-fähigen Individuen zu erziehen und fördert somit unmittelbar die bereits im Beutelsbacher Kon-sens geforderte politische Partizipation.
Bezogen auf die Forschungsthese ergibt sich daraus die zu beantwortende Frage: Inwiefern fördert politikunterrichtliche eine Auseinandersetzung mit Beispielen aus dem Themenkom-plex Gender die Handlungsfähigkeit und politische Mündigkeit der Lernenden?
Das vielleicht offensichtlichste und einschlägigste Argument findet sich beinahe ausnahmslos in sämtlichen zum Zweck dieses Essays verwendeten Texten wieder, nämlich der Umstand, dass die Politikwissenschaft und mit ihr die politische Bildung feministische Sujets auch heute noch marginalisiert. Während Oechsle an dieser Stelle die mangelnde Implementierung von Fachtexten zur Geschlechterforschung sowie die zögerliche Verwendung geschlechtsneutraler Sprache in den Kanonwerken der Politikdidaktik kritisiert (vgl. Oechsle 2013: 54ff), spricht Richter diesbezüglich von der „Diskriminierung […] oder Verschleierung“ (Richter 2007: 120) tatsächlich existierender Fachrichtungen und Theorieströmungen des wissenschaftlich-politi-schen Diskurses, welche im Politikunterricht der Schulen keine adäquate, zufriedenstellende Berücksichtigung fänden. Aus dieser Unterrepräsentation erfolgt für die Lernenden vielleicht der Schluss, dass die Auseinandersetzung mit Belangen der Geschlechterdemokratie wenig dringend oder relevant sind. Die Marginalisierung des Themas im Unterricht führt also unwei-gerlich dazu, dass feministische Thematiken auch abseits der Schule wieder an den Rand der Gesellschaft gerückt würden. Richter erwähnt an dieser Stelle auch, dass der Politikunterricht so Gefahr laufe, seine im Beutelsbacher Konsens verankerten Pflichten zu ignorieren (vgl. Richter 2007: 120). Ein Aspekt, der durch den selbsterklärten Bildungsauftrag des Grundgeset-zes nur untermauert wird. (vgl. Derichs-Kunstmann 2004: 244ff.) Durch die im Jahre 1994 vorgenommene Novellierung des Artikel 3, wird unter Absatz 2 nun Folgendes verlautbart: Es sei demnach eine nunmehr gesetzlich festgehaltene Verpflichtung unserer Demokratie „die tat-sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken.“ (GG 2017: 13) Gekoppelt mit den Vor-sehungen des Beutelsbacher Konsens begründen diese Worte die wohl unumgängliche Imple-mentierung des Themas Gender in den Politikunterricht. Der Beutelsbacher Konsens mit seiner deklarierten Zielsetzung, mündige demokratiestärkende Persönlichkeiten mittels kontroverser und partizipationsfördernder politischen Bildung hervorzubringen, kann sich einer intensiven, didaktischen Auseinandersetzung mit Ungleichheiten aller Art nicht entziehen, ohne sich gleichzeitig zu verleumden. Derichs-Kunstmann konkretisiert diesen Gedanken durch den Ge-brauch der Begrifflichkeit Genderkompetenz und stellt zeitgleich den ersten Bezug zur Politik-kompetenz her. Folglich bedarf die politische Bildung über die bloße Vermittlung geschlech-terrelevanter Inhalte hinaus die Förderung eines gendersensiblen Bewusstseins: Durch die Konfrontation mit der eigenen Geschlechterrolle sollen die Lernenden für verschiedene Ge-schlechterperspektiven sensibilisiert werden. In letzter Instanz verbinden die Schülerinnen und Schüler das vermittelte politische Wissen im Bereich der Genderproblematik mit diesem neu-erworbenen Bewusstsein und sollen dadurch befähigt werden, gendersensibel zu handeln und somit selbstständig neue Konzepte entwickeln, um die Belange der Geschlechtergerechtigkeits-bewegung weiter voranzutreiben. (Vgl. Derichs-Kunstmann 2004: 245) Das zuvor festgestellte Ziel der Politikkompetenz, die Lernenden zu politisch handlungsfähigen Persönlichkeiten zu entwickeln, ist folglich kongruent dazu auch ein bedeutendes Anliegen der geschlechterdemo-kratischen Bewegung und die daraus resultierende Relevanz des Themas Gender für den Poli-tikunterricht erscheint beinahe banal.
Auch der anfänglich gewagte Blick auf die aktuelle politische Situation abseits des Unterrichts unterstützt die zugrundeliegende These. Denn abgesehen von dem Amt der Bundeskanzlerin und Verteidungsministerin wird das politische Geschehen immer noch großteilig von Männern bestimmt. Richter spricht diesbezüglich von „malestream“ (Richter 2007: 113) und verkündet „Demokratie ist noch immer eine Androkratie.“ (ebd.: 118) Hoecker fasst diese politische Be-standsaufnahme treffend zusammen und äußert Kritik an der aus diversen Studien hervorge-gangenen mangelnden Förderung der politischen Teilnahme und Teilhabe der Frau und ihre daraus resultierende andauernde defizitäre Integration und Unterrepräsentation im politischen Geschehen (vgl. Hoecker 2013: 160f.). Zurückzuführen ist dies unter anderem auch auf das mehrfach empirisch untersuchte und belegte geschlechtsspezifische Politikinteresse und -ver-ständnis von weiblichen und männlichen Lernenden. Demnach habe, wie Richter berichtet, bei-spielsweise die IEA-Studie zur Civic Education zweifelsfrei bewiesen, dass Mädchen andere Formen politischer Partizipation präferieren als männliche Studienteilnehmer gleichen Alters (vgl. Richter 2007: 114). Und hierin liegt das nächste Argument begründet, welches eine poli-tikunterrichtliche Befassung mit Gender unbedingt unterstützt. Wenn es nicht von der Hand zu weisen ist, dass Mädchen auch heute noch ein anderes und vergleichsweise unterentwickeltes Interesse an Politik haben, gefördert durch ihre internalisierte Geschlechterrolle, ist es die un-abdingbare Aufgabe der politischen Bildung, diese Blockaden durch die direkte Konfrontation mit der Thematik zu dekonstruieren und die Mädchen zur politischen Teilnahme und -habe zu ermutigen.
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- Arbeit zitieren
- Alexander Rosarius (Autor:in), 2020, Gender fördert die Politikkompetenz. Warum Gender zum Grundkanon jedes Politikunterrichts an beruflichen Schulen gehören sollte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/590775
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