„Die einen möchten das in Trümmer gegangene Haus dem alten Plan gemäß wiedererrichten, die anderen suchen nach einem neuen Entwurf.“
Diese Erkenntnis von Wolf Graf von Baudissin veranschaulicht eine Kontroverse, die sich durch die Geschichte der Gründungsphase der Bundeswehr, und auch noch darüber hinaus, vollzieht. Zwei grundlegend verschieden ausgerichtete Lager stritten in dieser Zeit um den künftigen Charakter der neuen Streitkräfte. Will man diese Auseinandersetzung anhand von Schlagwörtern definieren, so steht auf der einen Seite die ‚Reform’ und auf der anderen die ‚Tradition’. Während die Vertreter der ‚Reform’ die Chance eines Neuanfangs, eines Abstreifens überholter und unzeitgemäßer Wert und Ansichten zu nutzen und für die Streitkräfte umzusetzen versuchten, hatten sich die ‚Traditionalisten’ den vergangenen Werten der deutschen Militärgeschichte verschrieben und versuchten daran anzuknüpfen.
Diese beiden konträren Auffassungen, die die Gründungsphase der Bundeswehr prägten, sollen am Beispiel der Planung und Umsetzung des reformerischen Konzepts der ‚Innere Führung’ und dem aus ihr resultierenden Leitbild eines ‚Staatsbürgers in Uniform’ untersucht werden. Der ‚Staatsbürger in Uniform’, so das Bild des künftigen Soldaten, sollte auch in der Armee freie Bürger einer demokratischen Republik bleiben. Der Soldatenberuf sollte ein Beruf wie alle anderen sein, der weder geringeren noch höheren Wert hat. Er nahm also seine Würde nicht aus sich selbst, sondern erhielt sie durch die Art, wie er sich innerlich ethisch und politisch an die freiheitliche Gemeinschaft gebunden fühlte, der er als ‚Staatsbürger in Uniform’ dienen sollte. Konnte dieses Bild des Staatsbürgers in Uniform, in einer Zeit, in der man auf die alten Eliten des NS-Regimes angewiesen war, umgesetzt werden?
Zum einen wird der zentralen Frage nachgegangen, wie es zur Umsetzung des Konzeptes ‚Innere Führung’ im Widerstreit der Parteiungen innerhalb der neuen Streitkräfte, aber auch im Gefüge der parlamentarischen, bzw. „zivilen“ Vorarbeiten, Gespräche und Auseinandersetzungen gekommen ist. Darüber hinaus wird versucht, die Einarbeitung des Programms ‚Innere Führung’ in den Alltag der Streitkräfte zu dokumentieren. Dies geschieht anhand ausgewählter Literatur zum Thema entlang der Schnittlinie zwischen den Positionen der ‚Traditionalisten’ einerseits und den ‚Reformern’ auf der anderen Seite.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Entwicklung von der Entmilitarisierung zum westdeutschen Verteidigungsbeitrag
- Die Entmilitarisierung Westdeutschlands
- Die erste Diskussion um einen Verteidigungsbeitrag im Zuge des Ost-West-Konflikts
- Der Koreakrieg als Katalysator
- Die Auseinandersetzung mit dem Verteidigungsbeitrag in der westdeutschen Gesellschaft
- Von der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zum NATO-Beitritt
- Die Planungsphase der Bundeswehr
- Der Planungsbeginn
- Die ,,Himmeroder Denkschrift“
- Inhalte der Denkschrift
- Gerhard Graf von Schwerins Reaktion auf die Denkschrift
- Das Amt Blank
- Die Unterabteilung Innere Führung im Amt Blank
- Das Konzept, Innere Führung'
- Die historischen Bezüge
- Der, Staatsbürger in Uniform’
- Die Ausarbeitung des Konzepts für den Alltag der Bundeswehr
- Bedeutung und Stellenwert des Konzepts in der Öffentlichkeit und im Amt Blank'
- Konflikte und Probleme der Planungsabteilung,Innere Führung'
- Die Unterabteilung Innere Führung im Amt Blank
- Die,Siegburger Tagung' und die Frage, Was zu tradieren ist’
- Die Rolle des Sicherheitsausschuss bei der Konzeption
- Der Personalgutachterausschuss
- Berücksichtigung des Konzepts ,Innere Führung' bei der Auswahl der Bewerber
- Die SPD und das Reformkonzept
- Die Aufstellungsphase der Bundeswehr: Zwischen Reform und Tradition
- Die gesetzliche Verankerung der Bundeswehr
- Institutionen zur Verwirklichung und Unterstützung des Konzepts, Innere Führung’
- Die,,Schule für Innere Führung“
- Das,,Handbuch Innere Führung“
- Der Wehrbeauftragte
- Der,,Beirat für Innere Führung“
- Die,,Schule für Innere Führung“
- Verteidigungsminister Strauß und der Vormarsch der, Traditionalisten'
- Traditionsübernahmen in die Bundeswehr
- ,Ein Haus gemäß dem alten Plan’
- Der,,Traditionserlass“ von 1965
- Die ersten Entwürfe des „Traditionserlasses“
- Die Vollendung des „Traditionserlasses“
- Inhalte des Erlasses
- Erste Reaktionen nach der Veröffentlichung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die wissenschaftliche Hausarbeit befasst sich mit der Gründungsphase der Bundeswehr (1950-1965) und analysiert die Spannungsfelder zwischen Reform und Tradition, die in dieser Zeit prägend waren. Die Arbeit untersucht, wie die neuen Streitkräfte im Kontext der deutschen Vergangenheit und im Spannungsfeld des Kalten Krieges gestaltet wurden und welche Konzepte und Ziele dabei verfolgt wurden.
- Die Entwicklung der Bundeswehr im Kontext der Entmilitarisierung Westdeutschlands und des Kalten Krieges
- Das Reformkonzept der ‚Inneren Führung’ als Gegenentwurf zu traditionellen Wehrstrukturen
- Das Leitbild des ‚Staatsbürgers in Uniform’ und seine Bedeutung für die neue Bundeswehr
- Der Einfluss von ‚Traditionalisten’ auf die Ausgestaltung der Bundeswehr
- Der ‚Traditionserlass’ von 1965 als Ausdruck der Kontroverse zwischen Reform und Tradition
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die die Kontroverse zwischen Reform und Tradition im Kontext der Bundeswehrgründung aufzeigt und das Leitbild des ‚Staatsbürgers in Uniform’ als zentrale Forschungsfrage präsentiert.
Das zweite Kapitel beleuchtet die Entwicklung von der Entmilitarisierung Westdeutschlands zum westdeutschen Verteidigungsbeitrag. Es analysiert die Diskussionen und politischen Prozesse, die zur Gründung der Bundeswehr führten, und beleuchtet die Rolle des Koreakrieges als Katalysator.
Kapitel 3 widmet sich der Planungsphase der Bundeswehr und untersucht die Entstehung des Reformkonzepts der ‚Inneren Führung’ im Kontext des Amtes Blank. Das Kapitel analysiert die Inhalte, die Ziele und die Auswirkungen des Konzepts und beleuchtet die Rolle des ‚Staatsbürgers in Uniform’ im neuen Bundeswehr-Leitbild.
Kapitel 4 betrachtet die Aufstellungsphase der Bundeswehr und zeigt die Spannungen zwischen Reform und Tradition auf. Es beleuchtet die Institutionalisierung der ‚Inneren Führung’ und den wachsenden Einfluss ‚Traditionalisten’ auf die Ausgestaltung der neuen Streitkräfte. Das Kapitel analysiert schließlich den ‚Traditionserlass’ von 1965 als Ausdruck der Kontroverse.
Schlüsselwörter
Bundeswehrgründung, Reform, Tradition, Innere Führung, Staatsbürger in Uniform, Kalter Krieg, Entmilitarisierung, Westdeutschland, Amt Blank, Traditionserlass, NATO, Kontrollratsgesetz.
- Quote paper
- Sebastian Gottschalch (Author), 2005, Von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Tradition und Reform in der Gründungsphase der Bundeswehr (1950 - 1965), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59005