Von der Institution Schule wird erwartet, dass sie den Schülern nicht nur reinen Lernstoff vermittelt, sondern auch ein Ort ist, an dem Sorgen, Probleme und Ängste aufgefangen werden. Da der Erziehungsauftrag vom eigenen Elternhaus vermehrt vernachlässigt wird, müssen Lehrer zudem zunehmend erzieherisch tätig werden. Deshalb kommt dem Lern- und Lebensort Schule zusätzlich die Aufgabe zu, das soziale Lernen der Kinder zu fördern, um sie auf das Leben in unserer Gesellschaft vorzubereiten. Diese offenbart sich Kindern als Gesellschaft voller unterschiedlicher menschlicher Interessen und sozialer Bedürfnisse. Die Kinder pädagogisch sinnvoll an die Erwartungen und Anforderungen des Lebens heranzuführen, stellt für den Lehrer eine besondere Herausforderung dar. Konflikte spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle, da sie Teil des gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Lebens sind: Konfliktpotential besteht überall dort, wo Menschen aufeinander treffen. Somit gehören sie auch zum Alltag der Grundschule. Sie werden hier meist als unliebsame Störungen wahrgenommen, die es schnell zu beseitigen gilt. Zugunsten des Unterrichts werden sie oftmals übergangen, unterdrückt, vermieden oder einfach autoritär beendet, indem der Lehrer als außenstehende Autoritätsperson übereilt für einzelne Schüler Partei ergreift oder sie rigoros bestraft. Ungelöste Konflikte können aber bei Kindern Gefühle der Feindseligkeit, des Misstrauens, der Unkonzentriertheit oder des Leistungsabfalls auslösen. Dies führt zu einem schlechten Klima im Klassenraum und zur Bildung von Einzelgängern. Ein solcher Umgang lässt Konflikte unweigerlich als ausschließlich negativ erscheinen und behindert zugleich die Entwicklung des Sozialverhaltens: Wollen Kinder sich in unserer Gesellschaft, in der Konflikte zum festen Bestandteil des täglichen Lebens gehören, zurechtfinden, müssen sie lernen, mit Konflikten friedlich umzugehen. Diese Tatsache macht ein konstruktives Konfliktverhalten umso wichtiger. Viele Kinder sind jedoch dazu nicht in der Lage. Im Alltag erleben sie durch Medien und ihr persönliches Umfeld Gewalt oftmals als erfolgreichstes Mittel der Konfliktlösung. [...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
I. Einleitung
II. Basiswissen zum Konfliktbegriff
1. Begriffsbestimmung und Eingrenzung des „sozialen Konfliktes“
1.1 Allgemeine Definition
1.2 Entstehung
1.3 Abgrenzung: Was ist kein sozialer Konflikt?
2. Zu den Ursachen von Konflikten
2.1 Zur Typologie sozialer Konflikte
2.1.1 Der soziale Rahmen
2.1.2 Konfliktarten
2.2 Darstellung von Konfliktursachen: Das Eisbergmodell
2.3 Emotionen und Aggressionen
2.4 Typische Ursachen für Konflikte in der Grundschule
2.4.1 Äußere Bedingungen
2.4.2 Die Gestaltung des Unterrichts
2.4.3 Die Rolle des Lehrers
2.4.4 Die Heterogenität der Schüler
2.5 Typische Konflikte im Klassenzimmer
2.5.1 Konflikte unter Kindern
2.5.2 Konflikte zwischen Lehrern und Kindern
3. Zur Dynamik von Konflikten
3.1 Lernprozesse und Aufbau von Verhaltensmustern
3.2 Seelische Veränderungen im Verlaufe eines Konfliktes
3.3 Effekte des Konfliktverhaltens
4. Zur Eskalation von Konflikten nach Friedrich Glasl
4.1 Basismechanismen der Eskalationsdynamik
4.2 Schwellen der Eskalation
4.3 Das Eskalationsmodell
4.4 Die Stufen der Eskalation
5. Zum Umgang mit Konflikten
5.1 Alltägliche Grundmuster der Konfliktbearbeitung
5.2 Einflüsse der Altersstufe auf das Verhalten in Konfliktsituationen
5.2.1 Die Stufentheorie von Lawrence Kohlberg
5.2.2 Das Modell der sozialen Perspektivübernahme nach Robert Selman
5.2.3 Untersuchung der Konzepte von Streit von Renate Valtin
5.3 Möglichkeiten des Umgangs mit Konflikten in der Grundschule
5.3.1 Herkömmliche Methoden der Konfliktaustragung
5.3.2 Zum konstruktiven Umgang mit Konflikten
5.3.3 Merkmale einer konstruktiven Bearbeitung von Konflikten
5.3.3.1 Die präventive Konfliktbehandlung
5.3.3.2 Die interventive Konfliktbehandlung
5.3.3.3 Die kurative Konfliktbehandlung
III. Mediation als Medium der konstruktiven Konfliktlösung
1. Grundlagen des Mediationskonzeptes
1.1 Allgemeine Begriffsdefinition
1.2 Historische Wurzeln von Mediation
2. Das Verfahren
2.1 Der Mediator
2.1.1 Aufgaben und Voraussetzungen
2.1.2 Techniken der Gesprächsführung
2.1.3 Kommunikationsrichtungen während des Mediationsgesprächs
2.2 Das Setting
2.3 Die Regeln der Mediation
2.4 Das Gespräch
2.4.1 Die wichtigsten Schritte des Mediationsverfahrens
2.4.1.1 Vorphase
2.4.1.2 Das Mediationsgespräch
2.4.1.3 Umsetzungsphase
IV. Mediation und Schule
1. Grundsätzliche Bedingungen
1.1 Einsatz von Mediation in der Schule
1.2 Rahmenbedingungen
2. Kritische Auseinandersetzung
2.1 Chancen und Vorteile von Mediation gegenüber anderen Verfahren der Konfliktlösung
2.2 Grenzen von Mediation
3. Zum Einsatz von Mediation in der Grundschule
3.1 Gewaltfreie Konfliktaustragung in der Grundschule nach Jamie Walker
3.1.1 Kennen lernen und Auflockern
3.1.2 Förderung des Selbstwertgefühls
3.1.3 Kommunikation
3.1.3.1 Beobachten und wahrnehmen
3.1.3.2 Sich verbal und nonverbal ausdrücken
3.1.3.3 Zuhören und sich mitteilen
3.1.3.4 Gefühle wahrnehmen, mit Gefühlen umgehen
3.1.3.5 Ergänzung: Giraffen- und Wolfssprache – den Wechsel von Perspektiven üben
3.1.4 Kooperation
3.1.5 Geschlechtsbezogene Interaktion
3.1.6 Gewaltfreie Konfliktaustragung
3.2 Das Streitschlichterprogramm nach Karin Jefferys-Duden
3.2.1 Unterrichtseinheit 1: Einführung in die Schlichtung
3.2.2 Unterrichtseinheit 2: Konfliktlösungen
3.2.3 Unterrichtseinheit 3: Schlichterkenntnisse und –fähigkeiten
3.2.4 Unterrichtseinheit 4: Gefühle erkennen, benennen, vergleichen
3.2.5 Unterrichtseinheit 5: Schlichtungsablauf
3.2.6 Unterrichtseinheit 6: Erfolgskontrolle
V. Resümee
VI. Literaturverzeichnis
VII. Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Definitionselemente eines sozialen Konfliktes
Abb. 2: Das Eisbergmodell
Abb. 3: Vereinfachtes Modell der Zusammenhänge zwischen Ereigniswahrnehmung, interner Verarbeitung und Verhalten
Abb. 4: Die Stufen der Eskalation
Abb. 5: Das klassische Dreieck
I. Einleitung
Von der Institution Schule wird erwartet, dass sie den Schülern[1] nicht nur reinen Lernstoff vermittelt, sondern auch ein Ort ist, an dem Sorgen, Probleme und Ängste aufgefangen werden. Da der Erziehungsauftrag vom eigenen Elternhaus vermehrt vernachlässigt wird, müssen Lehrer zudem zunehmend erzieherisch tätig werden. Deshalb kommt dem Lern- und Lebensort Schule zusätzlich die Aufgabe zu, das soziale Lernen der Kinder zu fördern, um sie auf das Leben in unserer Gesellschaft vorzubereiten. Diese offenbart sich Kindern als Gesellschaft voller unterschiedlicher menschlicher Interessen und sozialer Bedürfnisse.
Die Kinder pädagogisch sinnvoll an die Erwartungen und Anforderungen des Lebens heranzuführen, stellt für den Lehrer eine besondere Herausforderung dar.
Konflikte spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle, da sie Teil des gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Lebens sind: Konfliktpotential besteht überall dort, wo Menschen aufeinander treffen. Somit gehören sie auch zum Alltag der Grundschule. Sie werden hier meist als unliebsame Störungen wahrgenommen, die es schnell zu beseitigen gilt. Zugunsten des Unterrichts werden sie oftmals übergangen, unterdrückt, vermieden oder einfach autoritär beendet, indem der Lehrer als außenstehende Autoritätsperson übereilt für einzelne Schüler Partei ergreift oder sie rigoros bestraft. Ungelöste Konflikte können aber bei Kindern Gefühle der Feindseligkeit, des Misstrauens, der Unkonzentriertheit oder des Leistungsabfalls auslösen.[2] Dies führt zu einem schlechten Klima im Klassenraum und zur Bildung von Einzelgängern.
Ein solcher Umgang lässt Konflikte unweigerlich als ausschließlich negativ erscheinen und behindert zugleich die Entwicklung des Sozialverhaltens: Wollen Kinder sich in unserer Gesellschaft, in der Konflikte zum festen Bestandteil des täglichen Lebens gehören, zurechtfinden, müssen sie lernen, mit Konflikten friedlich umzugehen. Diese Tatsache macht ein konstruktives Konfliktverhalten umso wichtiger. Viele Kinder sind jedoch dazu nicht in der Lage. Im Alltag erleben sie durch Medien und ihr persönliches Umfeld Gewalt oftmals als erfolgreichstes Mittel der Konfliktlösung.
Ein adäquater Umgang mit Konflikten bietet die Chance, diese in etwas Positives zu verwandeln, da ein konstruktiver Umgang mit Konflikten das soziale Miteinander und die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen fördert. Hier setzt ein im schulischen Bereich noch relativ unbekanntes Konfliktlöseritual an: die Mediation.
In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, welche Möglichkeiten dieses Verfahren im konstruktiven Umgang mit Konflikten der Schule eröffnet und inwieweit Mediation positiv auf das Sozialverhalten der Kinder einwirken kann.
Hierzu muss vorab ein Grundstock zum Basiswissen von Konflikten geschaffen werden. In Kapitel II dieser Arbeit wird daher zunächst der Konfliktbegriff genauer definiert. Dabei beschränke ich mich auf die Betrachtung sozialer Konflikte im interpersonellen Bereich. Nicht behandelt werden intrapsychische sowie interkulturelle Konflikte, Konflikte zwischen größeren gesellschaftlichen Gruppen und internationale Konflikte.
Darüber hinaus wird den Ursachen von Konflikten auf den Grund gegangen, ihre Dynamik erläutert sowie ihr Eskalationsverlauf beschrieben. Abschließend wird ausführlich auf den Umgang mit Konflikten eingegangen. Dabei werden auch zwei Beispiele aus dem Unterricht hinzugezogen.
Kapitel III beschäftigt sich mit Mediation als Möglichkeit der konstruktiven Konfliktlösung. Das Verfahren wird zunächst ausführlich vorgestellt. Darin inbegriffen sind Grundlagen des Mediationskonzeptes, der Ablauf einer Mediationssitzung und die Rolle des Mediators. Ergänzend befinden sich im Anhang ein Fallbeispiel, ein Mediationsprotokoll und konkrete Anregungen für den Ablauf einer Sitzung mit wörtlichen Impulsen.
In Kapitel IV wird aufbauend auf dem Basiswissen zu Konflikten untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Mediation für die Grundschule eignet, welche Vorteile sie gegenüber anderen Strategien bietet und wie sie praktisch in den Schulalltag integriert werden kann.
Abschließend wird in Kapitel V reflektiert, ob Mediation eine anzustrebende Alternative gegenüber herkömmlichen Konfliktlösungsmethoden ist und eine geeignete und sinnvolle Form der Beilegung von Konfliktsituationen in der Grundschule darstellen kann.
II. Basiswissen zum Konfliktbegriff
1. Begriffsbestimmung und Eingrenzung des „sozialen Konfliktes“
Konflikte sind Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie Pädagogik, Psychologie oder Soziologie. Eine einheitliche Definition gestaltet sich daher als schwierig.
Um dennoch eine umfassende Begriffsbestimmung vornehmen zu können, werde ich zunächst eine allgemeine Definition anführen, die ich der Vollständigkeit halber um den Abschnitt der Entstehung von Konflikten und den der Abgrenzung zu einfachen Differenzen und Störungen erweitere.
1.1 Allgemeine Definition
Der Begriff „Konflikt“ stammt aus dem Lateinischen. Er leitet sich ab von dem Verb confligere, was so viel bedeutet wie „zusammenschlagen, auseinander schlagen, zusammenstoßen, zusammenprallen“[3].
Je intensiver die Beschäftigung im Feld der Konfliktforschung ist, desto umfassender ist auch ihre Begriffsbestimmung.
Der Soziologe Ralf Dahrendorf beispielsweise deutet Konflikte sehr allgemein. Demnach sind bereits alle gegensätzlichen Positionen innerhalb einer Beziehung als Konflikt zu definieren.[4]
Der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel grenzt ihn dagegen etwas mehr ein: „Ein interindividueller – so genannter sozialer Konflikt liegt dann vor, wenn zwischen Konfliktparteien, die jeweils aus zumindest einer Person bestehen, unvereinbare Handlungstendenzen beobachtet werden.“[5] Bei beiden Positionen scheint ohne Einschränkung bereits die bloße Existenz einer Meinungsverschiedenheit auszureichen, um in eine Konfliktsituation zu geraten. Ähnlich sieht die Definition des Erziehungspsychologen Morton Deutsch aus. Er spricht von Konflikten „…wenn eine Partei Verhaltenstendenzen verfolgt, die mit den Verhaltenstendenzen einer anderen Partei nicht zu vereinbaren sind oder mindestens einer Partei nicht zu vereinbaren zu sein scheinen.“[6]
Eine deutlichere Eingrenzung des Konflikts nimmt der Psychologe Hans Werbik vor und hebt dabei besonders die Gegensätzlichkeiten hervor: Es liegt dann ein Konflikt vor, „…wenn zwei Parteien (Personen, Gruppen, Institutionen) unvereinbare Ziele verfolgen, so dass eine Partei nur dann ihr Ziel erreichen kann, wenn die andere Partei ihr Ziel nicht erreicht.“[7] Deutlich wird bei Werbiks Definition, wie sich durch den Konflikt eine Abhängigkeit beider Parteien bildet. Die Ziele und ihre Erreichungen bedingen einander.
Die Umschreibung der Psychologin Anatol Pikas wird noch ausführlicher. Für sie handelt es sich um einen Konflikt, sobald sich die Konfliktparteien negativ zueinander verhalten, sich gegenseitig angreifen oder einander mehr oder weniger bewusst Schaden zufügen wollen, wobei es gleichgültig ist, ob sich die Parteien nur mit Worten oder auch mit anderen Mitteln angreifen. Auch feindseliges Schweigen oder demonstrative Passivität zählen nach Pikas zu einem solchen negativen Verhalten.[8]
Eine klare Unterscheidung zu Situationen, die nicht als Konflikte gedeutet werden, enthält die Definition von Bruno Rüttinger: „Soziale Konflikte sind Spannungssituationen, in denen zwei oder mehrere Parteien, die voneinander abhängig sind, mit Nachdruck versuchen, scheinbare oder tatsächlich unvereinbare Handlungspläne zu verwirklichen und sich dabei ihrer Gegnerschaft bewusst sind.“[9] Hierbei ist jedoch zu kritisieren, dass Rüttinger davon ausgeht, dass beide Parteien die Situation bewusst als Situation der Gegnerschaft wahrnehmen.[10]
Walter Neubauer konkretisiert Konflikte noch strikter. Er geht davon aus, dass zwei gegensätzliche Gruppen oder Einzelpersonen unterschiedliche inhaltliche Standpunkte vertreten. Ähnlich der Definition von Werbik äußert Neubauer, dass sich das Verhalten der einen Seite auf das der anderen auswirkt. Er spricht von Konflikten, wenn mindestens zwei Konfliktparteien existieren, deren Handlungstendenzen miteinander unvereinbar sind wie auch ihr jeweiliges Verhalten miteinander unvereinbar ist.[11] Das heißt nach Neubauer, dass Konflikte sich durch Handlungsvorhaben kennzeichnen, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen oder sich sogar gegenseitig ausschließen. Der eigene Standpunkt wird als richtig, der des Gegners als falsch bewertet.[12] Unvereinbar können Wünsche, Interessen, Meinungen, Werte, Sympathieempfindungen etc. sein. Es genügt, dass nur eine Seite die Verhaltenstendenzen als inkompatibel auffasst. Hinzu kommt, dass die Unvereinbarkeit subjektiv wahrgenommen wird. Außenstehende erkennen diese oftmals gar nicht als Problem.[13] Des Weiteren sind Meinungsverschiedenheiten allein noch kein Konflikt, wenn sie sich nicht in einem entsprechenden Interaktionsverhalten ausdrücken. Erst wenn das beabsichtigte Verhalten einer Partei das Verhalten der anderen behindert, stört, blockiert oder wirkungslos macht, ist ein Konflikt gegeben.[14]
Die aktuellste und umfassendste Definition sozialer Konflikte bietet der österreichische Ökonom Friedrich Glasl, der versucht, die zahlreich nebeneinander existierenden Konfliktdefinitionen miteinander zu verknüpfen: „Sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Aktor eine Differenz bzw. Unvereinbarkeiten im Wahrnehmen und im Denken bzw. Vorstellen und im Fühlen und im Wollen mit dem anderen Aktor (den anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass beim Verwirklichen dessen, was der Aktor denkt, fühlt oder will eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolge.“[15] Laut Glasl genügt es, wenn nur einer der Handelnden die Unvereinbarkeit als solche erlebt und subjektiv dementsprechend handelt. Wenn sich bloß bestimmte Denk- und Vorstellungsinhalte widersprechen, ohne dass es zu irgendwelchen Aktionen kommt, besteht kein sozialer Konflikt.[16] Um von einem Konflikt sprechen zu können, muss die Inkompatibilität überdies auch im Gefühls- und Willensleben gegeben sein. Mindestens eine Partei erlebt die Interaktion so, dass sie die Schuld für das nicht mögliche Ausführen der eigenen Gedanken und Intentionen bei der Gegenpartei sieht. Dabei spielt keine Rolle, ob die Behinderung bewusst oder unbewusst, willentlich oder unabsichtlich so geschieht. Ohne das Wahrnehmen einer Beeinträchtigung wie zum Beispiel Behinderung, Widerstand, Abwehr oder Angriff kann nach Glasl von keinem sozialen Konflikt gesprochen werden.[17]
1.2 Entstehung
Bei einem Konflikt gibt es demnach stets zwei oder mehrere Parteien, die inhaltlich verschiedene Standpunkte einnehmen, wobei das Verhalten der einen Partei Konsequenzen für das Verhalten der anderen Partei auslöst. Die subjektiven Interessen der einzelnen Personen oder Gruppen sind meist verschieden, ebenso die an sich und das Umfeld gestellten Erwartungen und Einstellungen. Meist geht es bei einem Konflikt um Sachverhalte, die sich gegenseitig mehr oder weniger ausschließen. Jeder der Konfliktteilnehmer sieht nur den eigenen Sachverhalt als richtig an, während der des Gegners als irrelevant betrachtet wird.[18]
Das Aufeinandertreffen dieser entgegengesetzten Interessen, Intentionen und Motivationen führt zu Konflikten[19], die meist verbal, oder gerade in der Grundschule, verstärkt unter physischem Einsatz ausgetragen werden.
Je enger Menschen miteinander umgehen müssen, desto konfliktanfälliger ist die Beziehung zwischen ihnen. In einer Grundschulklasse werden Kinder mit verschiedenen Interessen und Intentionen zusammengefasst. Sie haben kaum Möglichkeiten sich auf dem begrenzten schulischen Raum aus dem Weg zu gehen. Fast unausweichlich stoßen hier verschiedenen Konfliktursachen aufeinander.
1.3 Abgrenzung: Was ist kein sozialer Konflikt?
Um die Definition eines Konfliktes noch stärker herauszuarbeiten, wird im Folgenden versucht, eine Abgrenzung zum sozialen Konflikt dazulegen.
Unser soziales Leben ist geprägt von Widersprüchen. In der Natur sind sie sogar die Voraussetzung für das Leben als solches, betrachtet man zum Beispiel die Gegensätze Mann und Frau, Jung und Alt, Leben und Tod, die sich sogar in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander befinden, da das eine nicht ohne das andere existieren kann.[20]
Im täglichen Zusammenleben kommt es im zwischenmenschlichen Bereich gehäuft zu Differenzen. Ursache dafür ist die individuelle Wahrnehmung des Umfeldes bei Personen unterschiedlich ist und Begriffe, Vorstellungen und Gedanken voneinander grundverschieden sind. Dies zeigt sich unter anderem bei der Einschätzung von Situationen, der Bewertung von Aussagen oder dem Verstehen von Sachverhalten. Des Weiteren sind Gefühle und Emotionen bei jedem Menschen anders und die persönlichen Absichten gehen oftmals in völlig unterschiedliche Richtungen. Nach Glasl finden Differenzen auf drei Ebenen statt:
1. Differenzen im Wahrnehmen, Denken und Vorstellen
2. Differenzen im Fühlen
3. Differenzen im Wollen.[21]
Bei Differenzen im kognitiven Bereich werden Situationen, Gegenstände, Personen etc. unterschiedlich definiert beziehungsweise wahrgenommen. Die Beteiligten sind sich dabei der bestehenden Ungleichheiten zwar bewusst, nehmen diese aber nicht als Beeinträchtigung war. Im Falle des Bewusstseins solcher kognitiver Unvereinbarkeiten spricht Glasl von logischen Widersprüchen, semantischen Unterschieden oder Perzeptionsdifferenzen (Unterschiede in der Wahrnehmung).[22]
Unvereinbarkeiten im Fühlen können als emotionale Gegensätze oder Ambivalenz empfunden werden. Sind sich die Betroffenen dieser bewusst und erschaffen zusätzlich nicht kompatible Vorstellungen, wird von Spannungen gesprochen.[23]
Einzeln betrachtet sind Unvereinbarkeiten im Wollen ohne entsprechendes Handeln noch kein Konflikt. Kommen zu diesen jedoch Gefühlsgegensätze und gegensätzliche Vorstellungen hinzu, entsteht eine Krise, die kurzfristig zu feindseligem Verhalten führen kann.[24]
Existiert nun eine Differenz, befindet man sich aber nicht automatisch in einer Konfliktsituation, da ihr Bestehen allein noch kein Problem darstellt. Meinungsverschiedenheiten führen nicht zwangsläufig zu einem Konflikt. Entscheidend ist, wie mit ihnen umgegangen wird und wie diese erlebt werden.[25] Handelt es sich beispielsweise nur um ein Missverständnis, genügt ein einfaches Aufklären der beiderseitigen Wahrnehmung, um die Gegensätze aufzulösen. Falls es sich um einen Inzident (Vorfall) handelt , genügt oftmals , die ursprünglichen Absichten zu erklären. „Dies macht das Wesentliche einer „Entschuldigung“ aus, d.h., wir bestätigen zwar den Zusammenstoß auf der Verhaltensebene, machen jedoch begreiflich, dass dies ohne Absicht geschehen ist und nichts mit negativen Gefühlen zu tun hat.“[26]
Damit sich gegebene Widersprüche zu einem handfesten Konflikt ausweiten, müssen weitere Faktoren zu der bestehenden Differenz hinzukommen. Glasl veranschaulicht die Definitionselemente eines sozialen Konfliktes wie folgt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Definitionselemente eines sozialen Konfliktes[27]
In der Schule wird meist allgemein zwischen Konflikt und Störung unterschieden. Als Störung werden in der Pädagogik „Normverletzungen“ bezeichnet, die oft unbewusst stattfinden, wie zum Beispiel lautes „Schwätzen“ während des Unterrichts oder aber auch extreme Zurückhaltung.
Laut der Psychologin Ruth Cohn hat eine Störung Vorrang, die zum Unterrichtsthema wird, sobald sie so stark in den Mittelpunkt des Geschehens getreten ist, dass ohne ihre Aufarbeitung die sachliche Arbeit behindert wird.[28]
2. Zu den Ursachen von Konflikten
Um Konflikten vorbeugen zu können, ist es wichtig, ihre Ursachen zu begreifen. Möglicherweise können so Konfliktsituationen verhindert oder abgeschwächt werden, wenn Faktoren, aus denen Konflikte entstehen können, abgeschafft werden. Vor allem äußere Einflüsse haben dabei eine große Bedeutung.
Zu den drei Hauptursachen von sozialen Konflikten können in der Regel gezählt werden:
- Konkrete, rein materielle Interessen beziehungsweise Knappheit der zur Verfügung stehenden Mittel wie Zeit oder bestimmte Arbeitsmaterialien,
- unterschiedliche Glaubens- oder Lebenseinstellungen, Wertesysteme oder grundsätzliche Weltanschauungen,
- persönliche Interessen oder unerfüllte Grundbedürfnisse, wie Sicherheit, Zugehörigkeitsgefühl und Akzeptanz, Macht und Anerkennung sowie das Bedürfnis Recht haben zu wollen.[29]
Weitere Faktoren können unangemessene Kommunikation, mangelnde Aufmerksamkeit, räumliche Enge in der Schule, Bewegungsmangel, Leistungsdruck etc. sein.[30]
Ein letzter, nicht zu unterschätzender Punkt ist die Solidarität unter Freunden. Konflikte können sich nach David Augsburger durch soziale Bindungen leicht ausweiten und andere, eigentlich unbeteiligte Personen mit in das Geschehen hineinziehen: „Der Freund meines Freundes ist mein Freund. Der Feind meines Freundes ist mein Feind. Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“[31]
2.1 Zur Typologie sozialer Konflikte
Aufgrund divergierender Interessen bei der Konfliktbehandlung werden Konflikte auf unterschiedliche Weise typologisiert. Nimmt man eine solche Typologie vor, muss sich die Frage gestellt werden, warum eine Bestimmung des Konflikttyps wichtig beziehungsweise überhaupt notwendig ist.
2.1.1 Der soziale Rahmen
Bei der Einordnung sozialer Konflikte bietet sich zunächst eine Unterscheidung des entsprechenden sozialen Rahmens an, bevor die verschiedenen Konfliktarten bestimmt werden. Unter einem sozialen Rahmen versteht man die Handelnden und ihr Umfeld, in dem sich der Konflikt bewegt.
- Konflikte im mikro-sozialen Rahmen
Konflikte im mikro-sozialen Rahmen sind Konflikte zwischen zwei oder mehreren Einzelpersonen oder kleineren Gruppen, in denen jeder jeden kennt und es zu direkten und persönlichen „Face-to-face-Interaktionen“ kommt.[32]
- Konflikte im meso-sozialen Rahmen
Diese Konflikte ereignen sich in sozialen Gebilden mittlerer Größenordnung wie beispielsweise Schulen, Behörden oder Fabriken, die sich auf mikro-sozialen Strukturen aufbauen. Kommuniziert wird hier meist über Mittelpersonen, da direkte Beziehungen zwischen den Konfliktparteien oft nicht möglich sind.[33]
- Konflikte im makro-sozialen Bereich
Konflikte im makro-sozialen Bereich zeichnen sich durch eine wesentlich höhere Komplexität aus, was eine Analyse der Beziehungsverknüpfungen erschwert. Sie finden beispielsweise innerhalb von beziehungsweise zwischen Bevölkerungsgruppen oder sozialen Kategorien, Interessengruppen mit gesamtgesellschaftlichem Status etc. statt. Einzelpersonen, die als Vertreter der Interessen des Gesamtkollektivs handeln, sind durch ihre große Verantwortlichkeit erheblichen Spannungen ausgesetzt.[34]
Erscheinungsformen aller Kategorien sind hierbei zum einen formlose beziehungsweise formgebundene Konflikte[35] und zum anderen heiße oder kalte Konflikte. Bei heißen Konflikten existiert unter anderem eine Atmosphäre, die geprägt ist von Überaktivität und Überempfindlichkeit. Die Parteien versuchen sich gegenseitig engagiert von ihrer Meinung zu überzeugen, wobei sie sich bereitwillig in eine offene Auseinandersetzung stürzen. Bei kalten Konflikten dagegen wird eher im Verborgenen agiert. Frustrationen werden unterdrückt; so wirken die Konflikte bei den Beteiligten destruktiv weiter.[36] Allgemein werden außerdem latente und manifeste Konflikte unterschieden, je nachdem, ob sich aus konträren Ansichten feindselige Handlungen entwickeln oder nicht.[37]
Differenziert werden kann auch zwischen dem Zwei-Parteien- oder dem Mehr-Parteien-Konflikt[38] sowie zwischen „symmetrischen“ (Machtgleichgewicht zwischen den Parteien) und „asymmetrischen“ Konflikten. Und nicht zuletzt auch zwischen primären und sekundären Konflikten. Bei primären Konflikten konfrontieren sich die Parteien gegenseitig direkt mit ihren Problemen, während beim sekundären Konflikt die Streitigkeiten über Dritte ausgetragen werden (zum Beispiel zwischen Eltern über ihre Kinder).[39]
Laut dieser Einordnung handelt es sich bei den in der vorliegenden Arbeit zu besprechenden Konflikten um Konflikte im mikro-sozialen Rahmen, die direkt zwischen Kindern untereinander beziehungsweise zwischen Lehrer und Kind stattfinden.
Eine weitere Unterscheidung differenziert die verschiedenen Erscheinungsformen solcher sozialer Konflikte im mikro-sozialen Rahmen genauer:
2.1.2 Konfliktarten
Im Allgemeinen werden Konflikte in fünf Kategorien eingeordnet: Informationskonflikte, Interessenkonflikte, Beziehungskonflikte, Wertekonflikte und Strukturkonflikte.[40]
Hier wird zwischen folgenden Konflikttypen unterschieden:
- Der Fakten- bzw. Informationskonflikt
Auslöser sind in der Regel Wissensvorsprünge, Mangel an Sachinformationen, Fehlinformationen oder Missverständnisse. Es stoßen kontroverse Behauptungen aufeinander, die nicht beide gleichzeitig richtig sein können. Beide Parteien versuchen, die jeweils andere von ihrer Ansicht zu überzeugen. Es geht dabei hauptsächlich um die Unterscheidung richtig oder falsch beziehungsweise wahr oder nicht wahr. Eine zusätzliche Schwierigkeit hierbei bereitet die Tatsache, dass keine der beiden Parteien ihre anfängliche Behauptung zurücknehmen will, da sie dann vermeintlich als die „dümmere“ da steht. Somit wird sie in jedem Fall auf ihrer These beharren und unbedingt Recht haben wollen. Beide nehmen sich dabei gegenseitig unter anderem als uneinsichtig oder rechthaberisch wahr.[41]
- Der Konflikt um Streitgegenstände
Der Gegenstand des Streits kann entweder von den Konfliktparteien ausdrücklich bezeichnet worden sein oder aber unbewusst den Konflikt auslösen.
- Der Interessenkonflikt
Beim Interessenkonflikt geht es um die Frage, ob die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse als legitim anzusehen sind oder nicht. Sind dies beide zu gleichen Teilen, dabei aber nicht ohne weiteres miteinander zu vereinbaren, liegt ein Interessenkonflikt vor. Gewöhnlich wird in einem solchen Fall nach einem Kompromiss gesucht. Ein solches Vorgehen ist aber nur dann möglich, „wenn Zwischenpositionen bezogen werden können[42] “ und die Lösung als solche von beiden Seiten anerkannt wird.[43]
- Der Beziehungskonflikt
Beziehungskonflikte können durch Ängste, Nöte, Verletzung der Grundbedürfnisse etc. entstehen. Unvereinbarkeiten zwischen Personen betreffen die Dimension sympathisch beziehungsweise unsympathisch. Unzureichend geklärte inhaltliche Konflikte können sich zu einem Beziehungskonfliktpotential anhäufen, das dahin führen kann, dass sich beide Parteien gegenseitig nicht mehr ertragen können und unter keinen Umständen mehr etwas mit der anderen Partei gemeinsam haben wollen, sei es auf der Fakten-, Interessen- oder Bewertungsebene.
Ein Personenkonflikt kann aber auch lediglich aus Vorurteilen resultieren, die eine Partei aus Beziehungen zu anderen Personen auf die andere Partei überträgt, da diese sie an jene Personen erinnert.[44]
- Der Bewertungskonflikt
Der Wertkonflikt betrifft Bewertungen aller Art, wie die von Dingen, Idealen, Normen, Ideologien, Verhaltensweisen, Ideen, Eigenschaften oder sogar ganzen Wertkonzepten selbst. Es geht hier um die Einordnung gut oder schlecht beziehungsweise wertvoll oder nicht wertvoll. Da Werte eng mit dem Selbstbild und der eigenen Identität verwoben sind, kann eine Kritik eine Bedrohung des Selbstwertgefühls zur Folge haben. Dies verursacht eine Belastung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien, da ein Beharren auf der Richtigkeit einer Bewertung gleichzeitig die Abwertung der anderen impliziert.[45]
- Der Strukturkonflikt
Strukturkonflikte entstehen durch strukturelle Benachteiligung, Machtgefälle, Zwänge etc.
- Der Sachkonflikt
Eine weitere Differenzierung stellen Sachkonflikte dar. Diese sind für den Unterricht normal. Sie werden sogar gezielt geschaffen, zum Beispiel zwischen einer Aufgabe und den Kenntnissen der Schüler, zwischen der jeweiligen Problemstellung und ihrem vorhandenem fachlichen Wissen. Sie gelten als gemeinhin positiv.
2.2 Darstellung von Konfliktursachen: Das Eisbergmodell
Die eigentlichen Hintergründe beziehungsweise Auslöser für Konflikte sind oft schwer durchschaubar. Ortrud Hagedorn vergleicht die Beziehungs-, Gefühls- und Interessenaspekte unter Streitenden mit Eisbergen. Diese besitzen die Eigenschaft, dass sich 90 Prozent ihrer Masse unter der Wasseroberfläche befinden. Bei einer Kommunikation zwischen zwei Menschen kann auf verschieden Ebenen eine Verständigung hergestellt oder aber Missverständnisse und Gegensätze aufgebaut werden, wobei nicht alle dieser Ebenen offensichtlich zu erkennen sind. Ähnlich einem Eisberg sind Teile nur verschwommen und missverständlich wahrnehmbar. Vereinzelt schimmern aber Teile unter der Wasseroberfläche hindurch, die die Beweggründe für ein bestimmtes Verhalten erahnen lassen; zum Beispiel: das Ziel des Handelns mit seinen Motiven und Wünschen, die begleitenden Gefühle des Handelnden in seiner Tagesform oder die Wertschätzungen, die sich der Handelnde selbst und anderen zuschreibt.[46] Deutlich erkennbar ist dagegen das konkrete Verhalten, auf das sich die Beweggründe in Mimik, Körpersprache und Stimme auswirken.[47]
Somit wird nur ein geringer Teil des eigentlichen Konfliktes offenbart. Diese bruchstückenhaften Teilaspekte lassen meist schwer oder kaum auf die eigentliche Ursache des Konfliktes schließen. Konflikte werden vermehrt non-verbal und emotional ausgetragen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Das Eisbergmodell[48]
2.3 Emotionen und Aggressionen
Besonders Kinder sind nicht in der Lage, Konflikte friedlich auszutragen. Sie begegnen ihnen nur mit Aggression und Gewalt als Antwort auf vorausgegangene vermeintliche Provokationen, Kränkungen, Beleidigungen und Demütigungen. Gerade im Konfliktfeld Schule häuft sich ein solches Verhalten, da die Lerngruppen zunehmend heterogener werden. In den meisten Schulklassen finden sich Kinder unterschiedlicher Familienverhältnisse, Schichtzugehörigkeit und kultureller Herkunft, von denen einige noch keinerlei Erfahrung im sozialen Miteinander mit Gleichaltrigen gewonnen haben. Demzufolge prallen in der Grundschule unterschiedlichste Erwartungen, Wünsche und Interessen sowie bereits erlerntes Konfliktverhalten aufeinander.[49]
Diese Faktoren rufen verschiedene Emotionen wie Enttäuschung, Frustration und Wut hervor, die das weitere Verhalten beeinflussen. Durch Frustration beispielsweise wird das Handeln unüberlegter, impulsiver und weniger konstruktiv. Im Extremfall führt es zu Weinen und Abgleiten in infantile Verhaltensmuster, wenn keine Einigung im Konflikt erreicht wird. [50] Aggressionen entstehen meistens dann, wenn der individuelle Verhaltensspielraum eingeschränkt wurde und bestimmte Bedürfnisse nicht befriedigt oder Erwartungen nicht erfüllt wurden. Können die Gefühle bei dem eigentlichen Konfliktpartner dabei nicht ausgelebt werden, da dieser zu überlegen oder die Situation zu aussichtslos ist, kommt es zum Teil zu einem aggressiven Abreagieren bei völlig unbeteiligten Personen und Dingen.[51]
Ein typisches Beispiel aus dem Schulalltag formulieren hierfür Karla Horstmann und Martin Müller:
„Klaus fühlt sich durch den starken, dominanten Mathelehrer lächerlich gemacht und herabgesetzt. In der soeben einsetzenden Pause wird er aber nicht gegenüber dem Lehrer aggressiv, sondern schubst seinen schwächeren Klassenkameraden Peter und nennt ihn „Blödmann“. Wütend verlässt Peter den Klassenraum und begegnet dem viel kleineren Heinz auf dem Weg zur Toilette. Er rammt Heinz die Faust in den Magen. Heinz weint und tritt nach der Katze des Hausmeisters, die ihm zufällig über den Weg läuft. […]“[52]
Zu den Grundbedürfnissen von Kindern gehören soziale Akzeptanz, Zugehörigkeitsgefühl sowie das Bedürfnis danach, etwas zu können und dieses Können anerkannt zu bekommen. Werden diese Bedürfnisse nicht erfüllt, ist Aggression oft ein Versuch diese gewaltsam zu erreichen.[53]
Solche Aggressionen können spontan entstehen, erlernt werden oder eine Reaktion auf Frustrationen sein.[54] Nach der so genannten „Triebtheorie“ gehören emotionale Spannungszustände, Aktivitäts- und Bewegungsbedürfnisse, Abenteuerdrang und Risikobereitschaft der kindlichen Natur an, die nach Befriedigung verlangen.[55] Findet diese nicht statt, kommt es zu gewaltsamen Handlungen, die diese Bedürfnisse einfordern. Die „Frustrationstheorie“ besagt dagegen, dass unangenehme Ereignisse oder enttäuschende Erlebnisse Frustrationen hervorrufen, die Reaktionen wie Aggression, Ausweichen, Resignation, Selbstbetäubung (zum Beispiel durch Selbstverletzung) verursachen und demnach nicht automatisch in Gewalt gegen andere münden müssen.[56] Beim Lernen durch Nachahmung, Lernen durch Erfolg beziehungsweise Misserfolg und kognitivem Lernen (Lernen aggressionsrelevanter Begriffe wie Freund oder Feind, Lernen von Denkweisen, Handlungsmustern und Methoden) ist aggressives Handeln nicht nur ein individuelles, sondern auch ein sozial und gesellschaftlich bedingtes Problem.[57]
2.4 Typische Ursachen für Konflikte in der Grundschule
Emotionen und Aggressionen sind sichtbare Zeichen für Konflikte im Schulalltag. Typische Auslöser sind zum Beispiel: Missachtung des Eigentums anderer Kinder durch Wegnehmen oder Zerstören, mangelnde Rücksichtnahme auf andere bei Materialbeanspruchung, Streit beim Spielen darüber, wer das Spiel bestimmen darf, Beleidigen und Ärgern eines anderen Kindes, gegenseitiges Nerven und Stören, bewusstes Ausgrenzen eines Schülers, versehentliches sowie absichtliches Berühren oder Schubsen, Erpressen, Konkurrenz, Integrationsprobleme eines Schülers aufgrund einer Behinderung, seiner Schichtzugehörigkeit oder sonstiger Andersartigkeit.[58] Ebenso sind auch viele unsichtbare Faktoren Auslöser für Konflikte (siehe Eisbergmodell), die das Schulgeschehen negativ beeinflussen.
Die entsprechenden Reaktionen variieren je nach Alter, Geschlecht, Situation und Sozialisationsbedingungen.[59]
2.4.1 Äußere Bedingungen
Oft entspricht der Arbeitsplatz des Schülers im Klassenraum und Schulgebäude nicht den kindlichen Bedürfnissen. Die Kinder müssen meist stundenlang auf ihren Plätzen verharren und können ihrem Bewegungsdrang nicht nachkommen. Im Klassenraum fehlt es an Platz, um den Kindern durch wechselnde Sitzordnung Abläufe zu erleichtern. Gerade das Aufstehen und Wechseln von Blickwinkeln ist aber für Schüler wichtig. Nur so können sie sich in der Gruppe bewegen, mit verschiedenen Freunden und Klassenkameraden in Kontakt treten und sind nicht nur auf ihren Sitzplatz und ihren Sitznachbarn beschränkt.[60]
Um Konflikte zu vermeiden, ist es deshalb wichtig, den Schülern eine angenehme Lernatmosphäre zu ermöglichen. Äußere Bedingungen wie viel Licht, Heizung, Lüftung sowie Sonnen- und Lärmschutz sollten selbstverständlich sein. Aber auch die Gestaltung des Klassenraumes trägt zum Wohlbefinden des Schülers bei. Wechselnde Sitzordnungen, gute Sicht zur Tafel und körpergerechte Tische und Stühle sind wichtige Faktoren. Zum Wohlfühlen gehört jedoch auch, dass Kinder „ihrem“ Raum eine eigene Note geben dürfen. Es sollte Platz geben, um Bilder der Schüler aufzuhängen und persönliche Dinge zum Beispiel in Fächern ablegen zu können.[61]
Nicht nur der Klassenraum, sondern das gesamte Schulgelände spielt für Kinder im Schulalltag eine große Rolle. Gerade in Pausen sollten Schüler genügend Raum und Platz haben, ihren Bedürfnissen nach zu kommen. Platz zum Laufen, Spielen und Austoben ist hier ebenso wichtig, wie Möglichkeiten sich zurück zu ziehen, um abschalten zu können. Getrennte Schulhöfe sind hier eine gute Möglichkeit, diesen Bedürfnissen nach zu kommen: Ein Spielhof mit Klettergeräten und Freiräumen sowie ein Ruhehof mit Sitzgelegenheiten. So können die Kinder ausgelastet in den Unterricht zurückkehren, was das friedliche Miteinander fördert.[62]
2.4.2 Die Gestaltung des Unterrichts
Für Kinder in der Grundschule spielen nicht nur die äußerlichen Bedingungen eine Rolle, sondern auch der Unterricht nimmt einen großen Stellenwert ein. Die Kinder verbringen damit den größten Teil des Tages und deshalb können auch hier viele Konflikte auftreten.
Wichtig sind Ordnungen, die für alle Schüler gelten. Sie bieten Verhaltenssicherheiten. Ordnungen ermöglichen den Kindern eine Orientierungshilfe. Sie müssen nicht mehr ständig entscheiden und überlegen, sondern können das geregelte Verhalten annehmen. Rituale und Rhythmisierung stellen Teile dieser Ordnungen da und helfen so den Kindern, innere und äußere Ruhe zu finden. Die Rhythmisierung schafft dabei eine geordnete Abwechslung im Unterricht. So können zum Beispiel offener Anfang, Morgenkreis, Freiarbeit, Bewegungszeit und gemeinsames Frühstück durch ihre Regelmäßigkeit im täglichen Schulalltag den Kindern Sicherheit bieten und gleichzeitig Methodenwechsel im Unterricht bedeuten.[63]
Bestehen diese Ordnungen nicht, werden die Kinder unsicher im Verhalten. Sie müssen stets neu überlegen, wie sie reagieren sollen und testen die Reaktionen ihrer Mitschüler und ihres Lehrers auf ihr Verhalten aus. So kann es immer wieder zu Konflikten zwischen Lehrer und Schüler und der Schüler untereinander kommen.[64]
Konflikte im Unterricht entstehen ebenfalls leicht bei der Vermittlung des Unterrichtsstoffes. Durch die große Heterogenität der Schüler in einer Klasse ist es oftmals schwer für den Lehrer, den Ansprüchen aller Schüler gerecht zu werden. Werden lernstarke Schüler im Unterricht zu wenig gefordert, reagieren sie eventuell mit Unwillen und Störungen. Ebenso kann ein zu schwerer Lernstoff lernschwache Schüler demotivieren, sich damit auseinander zu setzen. Überforderung und Unterforderung erzeugen Frustration und führen eventuell zu einem Konflikt zwischen Lehrer und Schüler.[65]
2.4.3 Die Rolle des Lehrers
Eng verknüpft mit dem Begriff der Ordnung steht auch die Rolle des Lehrers. Konflikte lassen sich vermeiden, wenn der Lehrer eine gute Führungspersönlichkeit darstellt.
Der Umgang des Lehrers mit seinen Schüler ist für eine gute Lernatmosphäre von großer Bedeutung. Innerhalb der mit den Schülern vereinbarten Ordnung sollte er den Schülern Freiräume zum selbstständigen Handeln geben. Zwar muss er die Einhaltung der Ordnung kontrollieren, dennoch brauchen die Kinder auch Möglichkeiten sich miteinander auseinander zu setzen.[66]
Treten Konflikte in der Klasse auf, kann der Lehrer die Rolle des Vermittlers einnehmen, der zwischen den Kontrahenten vermittelt und sie bei einer Konfliktlösung unterstützt. Dies ist nur möglich, wenn die Schüler den Lehrer als Vertrauensperson wahrnehmen, die sie als Schüler respektiert.[67]
Dies ist auch entscheidend für die Lernatmosphäre in der Klasse. Weiß der Lehrer von persönlichen Problemen etwa im familiären Umfeld, so kann er individueller auf die Kinder eingehen und sie gezielter von ihrer emotionalen Anspannung ablenken. Gefühle und Emotionen führen zu oftmals zu Konfliktsituationen im Klassenzimmer.[68]
Mit klaren Anweisungen und mit einer schülergerechten Ausdrucksweise können Missverständnisse zwischen Lehrern und Schülern vermieden werden. Oftmals fassen Lehrer und Schüler Formulierungen aus ihrer Sichtweise verschieden auf. Möglicherweise fühlt ein Schüler sich missverstanden oder er hat das Gefühl der Lehrer würde seine Versprechen nicht umsetzen. Entscheidend ist hierbei, dass die Kinder in ihrer Verschiedenartigkeit unterschiedlich auf Reize reagieren. Deshalb spielt in der Schule besonders die Heterogenität der Kinder eine Rolle.[69]
2.4.4 Die Heterogenität der Schüler
Es ist unerlässlich beim Fragen nach Ursachen von Konflikten auch die Heterogenität der Schüler zu betrachten.
Kinder sind nicht nur äußerlich in ihrer Größe und ihrem Aussehen verschieden, sondern unterscheiden sich auch charakterlich.
Durch die Größenunterschiede brauchen die Schüler ihrem Körper angepasste Tische und Stühle, um sich wohl fühlen zu können. Aber auch eine gute Sicht zum Lehrer und zur Tafel ist unerlässlich. Darum ist es gerade bei kleineren Schülern wichtig, die Blicksituation zu überdenken. Kann ein Schüler nicht auf den Lehrer oder die Tafel blicken, entstehen oft Unruhe und Störungen, die Basis für einen Konflikt sein können.
Wichtig ist aber auch, dass der Lehrer die verschiedenen Charaktere der Kinder beachtet. Unruhigere Kinder werden oftmals vom Lehrer mehr beachtet und häufiger aufgerufen als stillere. Gleichzeitig werden Unruhigere bei Störungen schneller ermahnt als Stillere. Es liegt also auch im Aufgabenfeld des Lehrers, sich hier selbst zu kontrollieren um ein gerechteres Lernverhältnis zu schaffen. Fühlen Kinder sich zurückgesetzt oder ungerecht behandelt, kann es leicht zu einem Konflikt mit dem Lehrer kommen.
Die Heterogenität der Schüler äußert sich in der Schule auch in ihrem Lernverhalten. Um Frustrationen und Konflikte zu vermeiden, hat der Lehrer darauf zu achten, lernstarke Kinder nicht zu unterfordern, aber lernschwächere Schüler auch nicht zu überfordern. Er muss deshalb in seinen Aufgabenstellungen Differenzierungen eingliedern, so dass alle Schüler individuell in ihren Möglichkeiten gefördert werden.
Bei der Frage nach den Ursachen von Konflikten ist ebenso zu beachten, dass die Kinder im Elternhaus unterschiedliches Verhalten im Miteinander erfahren und erlernt haben. So kann es für einen Schüler mit Geschwistern selbstverständlich sein, Stifte des anderen mitbenutzen zu dürfen, während ein anderer Schüler dies nicht möchte. Hier obliegt es dem Lehrer Regeln und Ordnungen einzuführen, damit alle Beteiligten lernen miteinander umzugehen, so dass Konflikte vermieden werden.
2.5 Typische Konflikte im Klassenzimmer
In der Schule und im Klassenzimmer treten meist zwei Arten von Konflikten auf. Man klassifiziert sie in Konflikte unter Kindern und Konflikte zwischen Kindern und Lehrern.
2.5.1 Konflikte unter Kindern
Viele Konflikte unter Kindern entstehen sehr schnell und dauern oft nur ein paar Minuten an. Sie resultieren einerseits meist aus der Tatsache, dass viele Kinder nicht in der Lage sind, Spannungen auszuhalten, ohne unmittelbar beziehungsweise aggressiv auf diese zu reagieren und andererseits einer allgemein gereizten Stimmung untereinander.[70]
Häufige Auslöser für Konflikte sind, dass einem Kind ungefragt etwas weggenommen oder benutzt wird, dass ein Kind versehentlich gestoßen wird oder aber dass sich Kinder gegenseitig nerven, gezielt verletzen oder ärgern.[71]
Die darauf folgenden Reaktionen äußern sich aggressiv in körperlicher Gewalt, lautstarken Auseinandersetzungen, „Petzen“ etc. und ziehen dementsprechend erneute verbale oder physische Reaktionen nach sich. Viele Kinder handeln nach dem Prinzip „Auge um Auge“ und fühlen sich somit im Recht, wenn sie in ihrem für sich beanspruchten Freiraum beeinträchtigt werden, anderen gleichermaßen zu begegnen oder ihren Freiraum in verletzender Art und Weise zu verteidigen.
Zu beobachten sind dabei unterschiedliche Verhaltensweisen von Mädchen und Jungen.
Jungen tendieren eher zu physischen, Mädchen dagegen zu verbalen Konfliktaustragungen. Aggressionen unter Mädchen sind eher indirekter Art. Sie äußern sich zum Beispiel durch den Ausschluss aus einer Gruppe. Konflikte zwischen Mädchen und Jungen verlaufen ähnlich. Meistens agieren Jungen mit physischer Gewalt, während sich Mädchen verbal oder sogar überhaupt nicht wehren.
Da das aggressive Konfliktverhalten von Jungen im Schulalltag meist auffälliger ist, findet es in der Regel eine wesentlich intensivere Beachtung durch den Lehrer. Positives Konfliktverhalten von Mädchen dagegen wird häufig übersehen.[72]
2.5.2 Konflikte zwischen Lehrern und Kindern
Eine typische Ursache für negative Spannungen zwischen Lehrer und Kindern ist eine allgemeine Unruhe im Klassenzimmer, von der sich der Lehrer gestört fühlt. Er reagiert auf diese mit Taktiken wie Ermahnen, Drohen oder bewusstem Warten. Hier ergibt sich weiter ein grundlegender Konflikt aus der Tatsache, dass Anweisungen nicht oder nur unzureichend Folge geleistet wird. Ein daraus resultierendes aggressives Verhalten seitens des Lehrers kann eine Konfliktsituation sowohl beruhigen als auch verschärfen.[73]
Hinzu kommt, dass Lehrer gerade in der letzten Schulstunde ein gesteigertes Erregungsniveau haben. Verbunden mit Ermüdungserscheinungen, Hunger oder körperlichen Beeinträchtigungen wie Migräne, tragen diese ebenfalls zur Erhöhung des Erregungspotentials bei.[74]
Weiteres Konfliktpotential liegt im Leistungsdruck, der auf den Kindern lastet und sich in aggressivem Verhalten dem Lehrer gegenüber äußern kann. Oder auch das Gefühl, im Vergleich mit anderen Kindern vernachlässigt zu werden und weniger Beachtung zu finden als diese.
3. Zur Dynamik von Konflikten
Will man konstruktiv in Konflikte eingreifen, ist es wichtig, die inneren Vorgänge der Streitenden zu verstehen und nachvollziehen zu können.
Was passiert mit uns während eines Konflikts? Konflikte wirken auf verschiedene Wahrnehmungsbereiche des Menschen. Bei der Informationsverarbeitung finden kognitive Prozesse statt (Vorgänge im Bewusstsein einer Person), wie beispielsweise bestimmte Wahrnehmungen, Vorstellungen und Denkvorgänge.[75] Laut Neubauer hat dies die Bildung kognitiver Schemata oder symbolischer Kodierungen zur Folge.[76]
Diese Vorgänge lassen sich in drei Aspekten der Verhaltensbeeinträchtigung zusammenfassen: „Destruktion der Tätigkeit, Veränderung der Tätigkeitsrichtung, unkontrolliertes Ausdrucksverhalten“[77] („blinde Wut“).
Abgesehen von kognitiven finden ebenso körperliche Prozesse statt: Die Streitenden erleben emotionale Erregungen in Form eines schnelleren Pulsschlages, erhöhtem Blutdruck, Veränderung der Gesichtsdurchblutung etc. Diese Prozesse können nicht bewusst beeinflusst werden. Sie werden durch Hormone und über das autonome Nervensystem gesteuert und laufen eigenständig ab.[78]
Die Korrelation von kognitiven und physischen Prozessen bezeichnet die Konfliktdynamik.
3.1 Lernprozesse und Aufbau von Verhaltensmustern
Mit wachsender Erfahrung im Umgang mit Konfliktsituationen entwickeln sich im Laufe des Lebens Verhaltensmuster, die sich durch ein Lernen am Erfolg beziehungsweise Lernen durch Versuch und Irrtum automatisch einstellen. Diese helfen vermeintlich, erfolgreich aus einem Konflikt hervorzugehen, wobei hierbei ganz persönliche Strategien entwickelt werden, die sich nach individuellen Erfahrungsmustern richten.
Burrhus Frederik Skinner bezeichnet dieses Verhalten als „operante Konditionierung“[79] und hat hierzu ein Verhaltensmodell entwickelt, welches besagt, dass eine Person, die in eine Streitsituation gerät, zunächst verschiedene Reaktionen ausprobiert. Resultiert aus der jeweiligen Verhaltensweise eine positive Konsequenz, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese spezielle Verhaltensweise in einer ähnlichen Situation auch zukünftig gezeigt wird („Verstärkung“). Wird dagegen eine negative Konsequenz hervorgerufen, wird diese in Zukunft vermieden. Zeigt eine Verhaltensweise neutrale Wirkung, verringert sich ihre Auftretenswahrscheinlichkeit, das heißt, die Verhaltensweise wird sozusagen „entlernt“. („Extinktion“).[80]
Wenn ein bestimmtes Verhalten aufgrund vergangener Erfahrungen in der Regel eine besondere Konsequenz bewirkt hat, wird dieses Verhaltensmuster auch auf andere Situationen übertragen. So werden mit der Zeit eine Reihe unterschiedlicher Verhaltensmuster entwickelt, die helfen, ein konkretes Ziel zu erreichen („instrumentelles Verhalten“).[81]
Diese Verhaltensmuster können nicht nur durch Erproben unterschiedlicher Verhaltensmöglichkeiten entstehen, sondern auch durch „Beobachtungslernen“ erworben werden.[82] Anhand des Beobachtens anderer Personen kann ein Verhalten unter bestimmten Situationsbedingungen erlernt werden. Das Verhalten selbst und seine Konsequenzen werden entsprechend kodiert und gespeichert. So kann ein Verhaltensmuster übernommen werden, ohne selbst ausprobiert worden zu sein.[83]
Auf diese Weise entwickeln sich „instrumentelle Überzeugungen“, die einerseits richtig, andererseits aber auch falsch sein können. Solche Alltagstheorien können für den Umgang mit anderen Menschen charakteristisch sein, ohne dass sie der betreffenden Person selbst bewusst sind.[84]
Demnach bringt jeder eine Fülle von Verhaltensmustern und Voreingenommenheiten in Konfliktsituationen mit, wobei kognitive und emotionale beziehungsweise physiologischen Prozesse dabei eng miteinander verknüpft sind.[85]
Bei einer Interaktion zwischen Personen wird also das Verhalten der einen Person durch die andere wahrgenommen, worauf letztere wiederum entsprechend reagiert. Das Verhalten der Gegenpartei wird somit jeweils als sensorischer Reiz aufgenommen, dekodiert und interpretiert. Diese komplexen Vorgänge versucht Neubauer in der folgenden Abbildung in vereinfachter Form darzustellen:[86]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: Vereinfachtes Modell der Zusammenhänge zwischen Ereigniswahrnehmung, interner Verarbeitung und Verhalten[87]
Laut dieser Grafik laufen die Beziehungen zwischen subjektiver Verhaltensorientierung und der Auswahl von Verhaltensmustern wie folgt ab:
Ein äußeres Ereignis wird als sensorischer Impuls aufgenommen und verarbeitet (1.1 und 1.3). Seine Wirkung ist dabei abhängig von der jeweiligen persönlichen Wahrnehmung. Daher können verschiedene Menschen das gleiche objektive Ereignis sehr unterschiedlich erleben und bewerten.[88]
In diesem Zusammenhang ist auch das Entstehen von Ereignissen wichtig. (Ursachenklärung oder Kausalattribution). Auf der einen Seite kann es sich um Ursachen handeln, die mit der betreffenden Person nichts zu tun haben (zum Beispiel liegt ein Versehen vor). Auf der anderen Seite gibt es eine Anzahl von Auslösern, die innerhalb einer Person liegen wie bestimmte Persönlichkeitseigenschaften (zum Beispiel Intelligenz oder körperliche Ungeschicklichkeit) oder besondere Handlungsabsichten. Dementsprechend wird dem Verursacher des Ereignisses je nach zugeordneter Ursachenerklärung ein unterschiedlicher Grad von Verantwortlichkeit zugeschrieben. Abhängig von Bedeutung, Betroffenheit und Ursachenerklärung werden dann bestimmte physiologische Zustände beibehalten oder verändert.[89]
[...]
[1] Die weibliche Form ist hier und im Folgenden immer mit inbegriffen.
[2] Vgl. Diemut Hauk-Thorn: Streitschlichtung in Schule und Jugendarbeit. Das Trainingshandbuch für Mediationsausbildung. Mainz: Matthias-Grünewald 2002, S. 23.
[3] Wolfgang Dünnebeil: Spannendes Zusammenleben. Konflikte lösen lernen. Marburg an der Lahn: Verlag der Franke-Buchhandlung GmbH 1993, S. 11.
[4] Vgl. Ralf Dahrendorf: Elemente einer Theorie des sozialen Konflikts. In: Gesellschaft und Freiheit. München: Piper 1961, S. 197-235.
[5] Lutz von Rosenstiel; Walter Molt; Bruno Rüttinger: Organisationspsychologie. Stuttgart u.a.: Kohlhammer 1975, S.165.
[6] Morton Deutsch: Konfliktregelung. Konstruktive und Destruktive Prozesse. Müchen; Basel: Reinhardt 1976, S.18.
[7] Hans Werbik: Grundlagen einer Theorie des sozialen Handelns. Regeln für die Entwicklung empirischer Hypothesen. In: Zeitschrift für Sozialpsychologie. Bd. 7. 1976, S.248-261.
[8] Vgl.Walter F. Neubauer; Harald Gampe; Rudolf Knapp: Konflikte in der Schule: Möglichkeiten und Grenzen kooperativer Entscheidungsfindung. Neuwied; Darmstadt: Luchterhand 1981, S.6.
[9] Bruno Rüttinger: Konflikt und Konfliktlösen. Goch 1980, S.22.
[10] Vgl. Friedrich Glasl: Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. 8.Aufl. Bern; Stuttgart; Wien: Haupt; Freies Geistleben 2004, S.14-16.
[11] Vgl. Neubauer 1981, S.5f.
[12] Vgl. Neubauer 1981, S.6.
[13] Vgl. Neubauer 1981, S.17f.
[14] Vgl. Neubauer 1981, S.6.
[15] Glasl 2004, S.17.
[16] Vgl. Glasl 2004, S.17.
[17] Vgl. Glasl 2004, S.17f.
[18] Vgl. Walter F. Neubauer: Analyse interpersonaler Konflikte. In: Walter F Neubauer/ Harald
Gampe/Rudolf Knapp: Konflikte in der Schule. Möglichkeiten und Grenzen kooperativer
Entscheidungsfindung. 2. Aufl. Neuwied; Darmstadt: Luchterhand 1985, S. 5.
[19] Vgl. Dünnebeil 1993, S. 11.
[20] Vgl. Peter Heintel: Widerspruchsfelder, Systemlogiken und Grenzdialektiken als Ursprung notwendiger Konflikte. In: Gerhard Falk; Peter Heintel; Ewald E. Krainz (Hrsg.): Handbuch Mediation und Konfliktmanagement. Schriften zur Gruppen- und Organisationsdynamik. Band 3. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S.15ff.
[21] Vgl. Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte – Übungen – Praktische Methoden. 2. Aufl. Stuttgart: Freies Geistleben 2000 (2.Auflage), S.22f.
[22] Vgl. Glasl 2004, S.18ff.
[23] Vgl. Glasl 2004, S.18ff.
[24] Vgl. Glasl 2004, S.18ff.
[25] Vgl. Glasl 2000, S.24.
[26] Glasl 2004, S.18ff.
[27] Glasl 2000, S.25.
[28] Vgl. Ruth Cohn: Von der Psychoanalyse zur themenzentrierten Interaktion. Von der Behandlung einzelner zu einer Pädagogik für alle. 14. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta 2004.
[29] Vgl. Nina L. Dulabaum: Mediation: Das ABC. Die Kunst, in Konflikten erfolgreich zu vermitteln. Weinheim; Basel: Beltz 2001, S.44.
[30] Vgl. Ortrud Hagedorn: Konfliktlotsen. Lehrer und Schüler lernen die Vermittlung im Konflikt. 2. Aufl. Leipzig: Klett 2000a, S.6.
[31] David W. Augsburger: Conflict Mediation Across Cultures. Kentucky: John Knox Press 1992, S.148.
[32] Vgl. Glasl 2004, S.69.
[33] Vgl. Glasl 2004, S.69.
[34] Vgl. Glasl 2004, S.70.
[35] Vgl. Glasl 2004, S.74f.
[36] Vgl. Glasl 2004, S.76.
[37] Vgl. Christiane Simsa: Mediation in Schulen. Schulrechtliche und pädagogische Aspekte. Neuwied: Luchterhand 2001, S.7.
[38] Vgl. Glasl 2004, S.59.
[39] Vgl. Glasl 2004, S.57ff.
[40] Vgl. Dulabaum 2001, S.46.
[41] Vgl. Gisela Müller-Fohrbrodt: Konflikte konstruktiv bearbeiten lernen. Zielsetzungen und Methodenvorschläge. Opladen: Leske + Budrich 1999, S.26f.
[42] Hans-Werner Bierhoff: Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer 1984, S.224.
[43] Vgl. Müller-Fohrbrodt: Konflikte konstruktiv bearbeiten lernen. Zielsetzungen und Methodenvorschläge. Opladen: Leske + Budrich 1999, S.28.
[44] Vgl. Müller-Fohrbrodt 1999, S.39.
[45] Vgl. Müller-Fohrbrodt 1999, S.37ff.
[46] Vgl. Hagedorn 2000a, S.7f.
[47] Vgl. Hagedorn 2000a, S.8.
[48] Hagedorn 2000a, S.8.
[49] Vgl. Steffanie Rosenhahn: Konflikte in der Grundschule – Gemeinsam mit den Kindern lösen. Marburg: Tectum 2004, S.20.
[50] Vgl. Neubauer 1981, S.15.
[51] Vgl. Rosenhahn 2004, S.58.
[52] Karla Horstmann; Martin Müller: Gewaltbereitschaft und Aggressivität: Psychologische Sichtweisen. In: R. Valtin.; R. Portmann (Hrsg.): Gewalt und Aggression: Herausforderungen für die Grundschule. Frankfurt am Main: Arbeitskreis Grundschule- Der Grundschulverband- e.V.1995, S.62.
[53] Vgl. Karin Orbes: Stark und mutig. Unterrichtsideen und Kopiervorlagen zur Gewaltprävention in der Grundschule. Donauwörth: Auer 2005, S.30.
[54] Vgl. Wolfgang Melzer; Wilfried Schubarth, Franz Ehninger: Gewaltprävention und Schulentwicklung. Analysen und Handlungskonzepte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2004, S.55.
[55] Vgl. Melzer 2004, S.57.
[56] Vgl. Melzer 2004, S.57.
[57] Vgl. Melzer 2004, S.59ff.
[58] Vgl. Rosenhahn 2004, S.21.
[59] Vgl. Rosenhahn 2004, S.21.
[60] Vgl. Hans Glöckel: Klassen führen – Konflikte bewältigen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2000, S.69.
[61] Vgl. Glöckel 2000, S.69.
[62] Vgl. Glöckel 2000, S.69.
[63] Vgl. Glöckel 2000, S.69.
[64] Vgl. Glöckel 2000, S.69.
[65] Vgl. Glöckel 2000, S.70.
[66] Vgl. Glöckel 2000, S.79.
[67] Vgl. Glöckel 2000, S.79.
[68] Vgl. Glöckel 2000, S.79.
[69] Vgl. Glöckel 2000, S.79.
[70] Vgl. Jamie Walker: Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Grundschule. Grundlagen und didaktisches Konzept. Spiele und Übungen für die Klassen 1-4. 5.Aufl. Frankfurt a.M.: Cornelsen Scriptor 1999, S.11f.
[71] Vgl. Walker 1999, S.12.
[72] Vgl. Walker 1999, S.12f.
[73] Vgl. Walker 1999, S.13.
[74] Vgl. Neubauer 1981, S.15.
[75] Vgl. Neubauer 1981, S.8.
[76] Vgl. Neubauer 1981, S.8.
[77] Neubauer 1981, S.9.
[78] Vgl. Neubauer 1981, S.8.
[79] Vgl. Burrhus Frederik Skinner: Die Funktion der Verstärkung in der Verhaltenswissenschaft. München: Kindler 1974.
[80] Vgl. Neubauer 1981, S.9.
[81] Vgl. Neubauer 1981, S.9f.
[82] Vgl. Albert Bandura: Lernen am Modell. Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart: Klett 1976.
[83] Vgl. Neubauer 1981, S.10.
[84] Vgl. Uwe Laucken: Naive Verhaltenstheorie. Stuttgart: Klett 1974.
[85] Vgl. Neubauer 1981, S.11.
[86] Vgl. Neubauer 1981, S.11.
[87] Neubauer 1981, S.12.
[88] Vgl. Neubauer 1981, S.11ff.
[89] Vgl. Neubauer 1981, S.13.
- Arbeit zitieren
- Juliane Hartmann (Autor:in), 2006, Konflikte in der Grundschule - Mediation als Möglichkeit der konstruktiven Konfliktlösung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58798
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