Der Stoff der Kurzgeschichten „Rip van Winkle“ und „The Legend of Sleepy Hollow“, die Washington Irving im Zeitraum von 1819/1820 in seinem bekanntesten Werk, „The Sketch Book“, veröffentlichte ist den meisten Menschen zumindest in Ansätzen bekannt. Viele kennen die Geschichten aus dem Fernsehen, wo sie, wie „Rip van Winkle“, als Zeichentrickserie für Kinder ausgestrahlt worden sind. Auch als Stoff für Schultheateraufführungen wird die Geschichte des Arbeitsscheuen Taugenichts Rip immer wieder gern genommen. „The Legend of Sleepy Hollow“ erlangte durch den gleichnamigen Film von Hollywood Regisseur Tim Burton mit Johnny Depp in der Hauptrolle einen gewissen Bekanntheitsgrad, obwohl gesagt werden muss, dass Burtons schaurige Verfilmung mit Irvings Erzählung im Original kaum noch etwas gemeinsam hat.
Die Tatsache, dass beiden Geschichten zu großen Teilen auf deutschem Märchen- und Sagengut basieren, ist jedoch den wenigsten bekannt.
In der folgenden Seminararbeit soll neben dem Gehalt der deutschen Geschichten innerhalb der Erzählungen hauptsächlich untersucht werden, was die beiden Erzählungen zu amerikanischen Erzählungen macht. Immerhin werden sie von der Mehrheit der Forscher als die ersten „American short stories“ bezeichnet, und vor allem „Rip van Winkle“ wird in der Fachliteratur immer wieder in einem Atemzug mit frühen amerikanischen Helden wie Natty Bumppo aus J.F.Coopers Lederstrumpf oder Huckleberry Finn aus Mark Twains gleichnamigem Werk genannt. Da der deutsche Anteil in beiden Geschichten alles andere als unbedeutend ist, soll auch der Plagiatsvorwurf, mit dem sich der Autor oftmals konfrontiert sah, bewertet werden.
Als Primärtextgrundlage habe ich hierfür die Texte aus der Norton Anthology of American Literature verwendet; als Sekundärliteratur haben sich vor allem Henry A. Pochmanns Beitrag in den Studies of Philology, Klaus Lubbers’ Aufsatz über Rip van Winkle in Karl-Heinz Göllers Buch „Die amerikanische Kurzgeschichte“, John Seelye’s Beitrag „Root and Branch“ in „Nineteenth Century Fiction“, sowie einige Beiträge im Literature Resource Center als hilfreich erwiesen. Die jeweiligen Einträge in Kindlers Literaturlexikon boten mir eine gute Orientierung und einen ersten Einblick.
Nach einem kurzen Überblick über Washington Irvings Leben und Werk, sowie kurzen Inhaltsangaben der beiden Werke soll zunächst auf die deutschen Quellen, und danach auf die amerikanischen Aspekte innerhalb der Geschichten eingegangen werden.
INHALT
A. Einleitung
B. Das Amerikanische in Washington Irvings Kurzgeschichten „Rip van Winkle“ und „The Legend of Sleepy Hollow“
(a) Washington Irvings Leben und der Kontakt zum deutschen Sagengut
1. Washington Irvings Leben und Werke
2. Washington Irvings Anstoß zur Verwendung des deutschen Stoffes
(b) Kurze Inhaltsangaben der Werke „Rip van Winkle“ und „The Legend of Sleepy Hollow“
1. Rip van Winkle
2. The Legend of Sleepy Hollow
(c) Die deutschen Quellen in Irvings Kurzgeschichten
1. Die deutschen Quellen in „Rip van Winkle“
2. Die deutschen Quellen in „The Legend of Sleepy Hollow“
(d) Das Amerikanische in Irvings Kurzgeschichten
1. Die amerikanischen Elemente in „Rip van Winkle“
2. Das amerikanische Element in „ The Legend of Sleepy Hollow“
C. Schluss
D. Bibliografie
E. Plagiatserkärung
B. Das Amerikanische in Washington Irvings Kurzgeschichten „Rip van Winkle“ und „The Legend of Sleepy Hollow“
Bevor in dieser Arbeit der Anteil von amerikanischen Ideen in den genannten Geschichten untersucht werden kann, ist es zunächst notwendig, sich den nicht amerikanischen, also den Anteil an deutschem Sagengut, vor Augen zu führen. Hierfür ist es wiederum wichtig, den Kontakt des amerikanischen Autors Washington Irving zu den deutschen Legenden zu erklären. Deswegen wird an dieser Stelle ein kurzer Überblick über das Leben und das Werk Washington Irvings gegeben und anschließend soll näher auf seinen Anstoß, deutsche Legenden zu verwenden und zu verändern, eingegangen werden. Im Anschluss werden zwei kurze Inhaltsangaben der zu behandelnden Werke stehen.
Sobald dies erfolgt ist, wird diese Arbeit einen genaueren Blick auf die amerikanischen Elemente innerhalb der Geschichten werfen, und auf diese Weise darstellen, worin der Unterschied zu den deutschen Vorlagen besteht. Ferner soll gezeigt werden, dass die beiden Werke mit Recht als American Short Stories bezeichnet werden und dass der Vorwurf des Plagiats gegen Washington Irving nur unter recht engstirnigen Gesichtspunkten zu rechtfertigen ist.
(a) Washington Irvings Leben und der Kontakt zum deutschen Sagengut
Washington Irving wurde als der erste amerikanische Autor mit internationalem Bekanntheitsgrad bezeichnet. Obwohl die bekanntesten seiner Werke, vor allem „The Sketch Book“, auf europäischem Boden geschrieben wurden, gilt er doch als rein amerikanischer Autor und seine Werke sind als klassische, amerikanische Literatur anerkannt.
1. Washington Irvings Leben und Werke
Washington Irving wurde am 3. April 1783, als das letzte der elf Kinder seiner Eltern, in New York City geboren. Sein Vater stammte aus Schottland und war Kaufmann, seine Mutter war gebürtige Engländerin. Er studierte zunächst Jura, begann aber bald mit dem Verfassen kritischer Essays über das Theater und die zeitgenössische Gesellschaft New Yorks, welche in der Zeitung „The Morning Courier“ veröffentlicht wurden.
Bereits im Jahre 1804 zeigte er erste Anzeichen von Tuberkulose und reiste, auf den Rat seiner Brüder hörend, erstmals für zwei Jahre nach Europa, wo er seine ersten Erfahrungen mit der alten Welt sammeln konnte.
Nach seiner Rückkehr begann er gemeinsam mit seinem Bruder William und seinem Schwager James Paulding, das anonyme, satirische Magazin „Salmagundi“ herauszugeben, und 1808 begann er mit seinem ersten wichtigen Werk, „A History of New York“, welches er unter dem Pseudonym Diedrich Knickerbocker verfasste, und welches ihn nach seiner Veröffentlichung 1808 zu einer Berühmtheit machte. Um 1812 wurde Irving zum Herausgeber des Analectic Magazine, und 1815 war er für kurze Zeit Colonel in der New York State Militia.
Im Mai 1815 verließ Washington die Vereinigten Staaten erneut, um seinen Bruder Peter bei seinen Geschäften in Liverpool zu unterstützen. Sein Aufenthalt in Europa dauerte siebzehn Jahre. Nachdem das Geschäft seines Bruders 1818 Bankrott gegangen, und Irvings Mutter kurz zuvor gestorben war, zog sich der junge Autor ins Schreiben zurück. Er wurde in dieser Zeit durch seine Begegnung mit Sir Walter Scott und anderen literarischen Persönlichkeiten Englands maßgeblich beeinflusst. Das erste, und wichtigste Ergebnis seiner Arbeit war „The Sketch Book“, welches 1819 unter dem Pseudonym Geoffrey Crayon veröffentlicht wurde. 1822 uns 1824 folgten die Werke „Bracebridge Hall“ und „Tales of a Traveller“, die den Erwartungen seiner Leserschaft nicht gerecht wurden, und daher als Zeichen seiner literarischen Stagnation gedeutet wurden. Vor seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten 1832 unternahm Irving verschiedene Reisen durch ganz Europa, und es erschienen seine Werke „The Life and Voyages of Christopher Columbus“ (1828), „The Conquest of Granada“ (1829), Voyages and Discoveries of the Companinons of Columbus“ (1831) und „The Alhambra“ (1832), welches als „das spanische „Sketchbook““ bezeichnet wurde.
Nach seiner Rückkehr widmete er sich verschiedenen Studien über den amerikanischen Westen, möglicherweise auch wegen des Vorwurfs seiner Landsleute, er sei zu einem europäischen Autor geworden. „A Tour on the Prairies“(1835), „Astoria“ (1836) und „The Adventures of Captain Bonneville, USA“ (1837) stehen als Ergebnisse dieser Studien zu Buche.
Ende der 1830er Jahre zog sich Irving mit Teilen seiner Familie ins beschauliche Tarrytown zurück, wo er durch seine Aufgabe als Spanienminister 1842 vor einer Sinnkrise bewahrt wurde. Er arbeitete zunächst an einer Biografie über Oliver Goldsmith, die 1849 veröffentlicht wurde. Sein letztes großes Werk war eine Biografie George Washingtons die in fünf Bänden erschien, von denen der erste 1855 veröffentlicht wurde. Der fünfte und letzte Band dieses Werks wurde 1859 veröffentlicht.
Washington Irving starb nur wenig später am 28. November 1859.[1]
2. Washington Irvings Anstoß zur Verwendung des deutschen Stoffes
Um die Beweggründe Irvings zur Verwendung romantischer, deutscher Literatur als Grundlage für einige seiner Geschichten in „The Sketch Book“ zu verstehen, ist es nötig, die Jahre in Europa bis zum erscheinen des Werkes 1819 genauer zu betrachten. In seinem Beitrag zu Irvings deutschen Quellen in den Studies of Philology 27 weist Henry Pochmann darauf hin, dass der erste Kontakt Irvings zum Deutschen wohl bereits 1804 durch einige „Gothic novels“ stattgefunden hat.[2] Die wirkliche Begeisterung für die deutschen Quellen löste allerdings niemand geringerer als der schottische Autor Sir Walter Scott in dem jungen Amerikaner aus, welcher von Irving bewundernd als „glorious old minstrel“ bezeichnet wurde.[3] Irving ergriff 1817 eine sich bietende Gelegenheit und besuchte Scott in dessen Haus in Abbotsford in Schottland, wo er wie ein guter Freund aufgenommen wurde. Er selbst beschrieb diesen Besuch in einem Brief an seinen Bruder Peter folgendermaßen: „I cannot tell you how truly I have enjoyed the hours I have passed here. They fly too quick, yet each is loaded with story, incident, or song (…)[4]. Scott war in seiner Bibliothek in Abbotsford mit umfangreicher deutscher Literatur ausgestattet, die er teilweise übersetzt hatte[5] und so Irving, der zu dieser Zeit der deutschen Sprache noch nicht mächtig war, zugänglich machen konnte. Darunter befanden sich auch verschiedene Texte von Gottfried August Bürger[6], die eine mögliche Quelle für „The Legend of Sleepy Hollow“ darstellen.
Das alles, und die Tatsache, dass Irving kurz nach seinem Besuch in Abbotsford enorme Anstrengungen begann, Deutsch zu lernen[7], und dass nur wenig später „The Sketch Book“ mit den fraglichen Geschichten erschien, weisen deutlich darauf hin, dass Walter Scott der entscheidende Faktor war, der Irving in die Richtung des deutschen Sagenguts lenkte. Zudem war es Walter Scott, der seinen Einfluss bei John Murray, der unter anderen auch der Verleger vieler Werke Lord Byrons war, geltend machte, und so dem „Sketch Book“ zur Publizierung verhalf.[8]
(b) Kurze Inhaltsangaben der Werke „Rip van Winkle“ und „The Legend of Sleepy Hollow“
Vor der Untersuchung von deutschen Basen und amerikanischem Gehalt in den beiden Geschichten, soll aus Gründen der Orientierung ein kurzer Blick auf ihren Inhalt geworfen werden.
1. Rip van Winkle
Die kurze Geschichte beginnt mit der Beschreibung des Ortes, nämlich den Kaatskill mountains, auf die man bei einer Fahrt den Hudson River hinauf treffen muss, und eines kleinen, von holländischen Siedlern bewohntem Dorf. In diesem Dorf lebt Rip van Winkle, der Titelheld der Geschichte. Er erfreut sich im Dorf allgemeiner Beliebtheit, was auf seine Freundlichkeit, Ruhe und Hilfsbereitschaft zurückzuführen ist, allerdings hält er herzlich wenig von profitabler Arbeit für sich selbst. Diese Eigenschaft ist seiner Frau, Dame van Winkle, ein gewaltiger Dorn im Auge und in ihrer Eigenschaft als zänkische Xanthippe lässt sie ihrem gemütlichen Ehemann keine ruhige Stunde. Seine Flucht vor diesem Unruheherd tritt Rip für gewöhnlich in die örtliche Kneipe, oder, wenn gar keine andere Möglichkeit mehr besteht, auf die Jagd in die umliegenden Berge, wohin er stets von seinem treuen, aber ebenso arbeitsscheuen Hund Wolf begleitet wird.
[...]
[1] Alle in Abschnitt B. (a) verwendeten biografischen Daten entstammen der Norton Anthology of American Literature, Volume B, S. 978-980.
[2] Pochmann, Henry A. „Irvings German Sources in ‚The Sketch Book’.“ StPh 27(1930): 477-507.
[3] Pochmann, 482.
[4] Pochmann, 486.
[5] Pochmann, 486.
[6] Pochmann, 486.
[7] Pochmann, 488.
[8] Lubbers, Klaus. „Washington Irving: Rip van Winkle.” In: Göller, Karl-Heinz und Hoffmann, Gerhard, Hrsg. „Die amerikanische Kurzgeschichte.“, Düsseldorf, August Bagel Verlag, 1972.
- Arbeit zitieren
- Florian Widmann (Autor:in), 2006, Das amerikanische in Washington Irings Kurzgeschichten "Rip van Winkle" und "The Legend of Sleepy Hollow", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58671
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