Im Jahre 799 begann mit der Gründung des Missionsbistums Paderborn die kirchliche Entwicklung des sächsischen Gebiets an der Pader. Einige Jahrzehnte später nahm auch die Wirkungsgeschichte des heiligen Liborius im sächsischen Raum ihren Anfang, denn mit der Reliquientranslation im Jahre 836 erreichten die Gebeine des einstigen Bischofs von Le Mans Paderborn. Zuvor hatte Kaiser Ludwig der Fromme veranlaßt, daß die Gesandtschaft des Paderborner Bischofs Badurad unter der Leitung des Archidiakons Meinolf im nordfranzösischen Le Mans bei Bischof Aldrich (832-57 Bischof), der Liborius zu einem Heiligen der Kathedrale von Le Mans erhoben hatte, um Reliquien nachsuchte. Eine Präsenz des Heiligen (i. e. der Heiligkeit!) im Leichnam eines Heiligen äußerte sich nach frühmittelalterlicher Vorstellung im auch nach Jahrhunderten unverwestem Leib, deshalb berichtet dieTranslatio Sancti Liboriiauch von dem wunderbaren Geruch, der bei der Öffnung des Libori-Grabes in Le Mans sogleich auszuströmen begann. Seit dem Hochmittelalter setzte sich dann immer mehr die Ansicht durch, daß auch Teile des Leichnams für den ganzen Heiligen stehen konnten: die Abgabe von Fingerknochen etc. an andere Gemeinden, die noch keine Reliquien besaßen, konnte mit dieser Begründung erfolgen. Bereits durch Schenkungen Karls des Großen hatte sich eine Verbindung zwischen Le Mans und Paderborn entwickelt. So entstand gewissermaßen auf kaiserliche Anordnung der „Liebesbund ewiger Bruderschaft“ (fraternitas) zwischen den Kirchen und später auch den Städten, der beispielsweise im 20. Jahrhundert auch Kriegszeiten überdauerte oder 1648 bei den Friedensverhandlungen in Münster den Fortbestand des Fürstbistums Paderborn durch gute Kontakte sichern half. Wenn man heutzutage als aufmerksamer Betrachter durch die Innenstadt von Paderborn geht, fällt auf, dass der heilige Liborius im Stadtbild sehr präsent ist. Im Folgenden möchten wir einige auffällige Standorte und Begebenheiten genauer untersuchen und vorstellen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Leben des heiligen Liborius
3. Erste Station des Rundgangs: Die Kapelle am Liboriberg
4. Zweite Station des Rundgangs: Liborikapelle, Theologische Fakultät
5. Dritte Station des Rundgangs: Verschiedene Darstellungen und Umsetzungen des heiligen Liborius Im Stadtbild
6. Vierte Station des Rundgangs: Diözesanmuseum
6.1 Der Schrein des heiligen Liborius
6.2 Der Raub und die Rückführung der Reliquien
7. Fünfte Station des Rundgangs: Der Dom
8. Letzte Station des Rundgangs: Vor dem Dom; zur Entwicklung der Libori-Festkultur
8.1 Ablauf des Liborifestes
8.2 Geschichtliche Stationen der Verehrung
8.3 Zusammenhänge zwischen Liborifest und Magdalenenmarkt
8.4 Geschichtliche Entwicklung des Festes vom 18. Jh. bis heute
9. Schlusswort
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Jahre 799 begann mit der Gründung des Missionsbistums Paderborn die kirchliche Entwicklung des sächsischen Gebiets an der Pader. Einige Jahrzehnte später nahm auch die Wirkungsgeschichte[1] des heiligen Liborius im sächsischen Raum ihren Anfang, denn mit der Reliquientranslation im Jahre 836 erreichten die Gebeine des einstigen Bischofs von Le Mans Paderborn. Zuvor hatte Kaiser Ludwig der Fromme veranlaßt, daß die Gesandtschaft des Paderborner Bischofs Badurad unter der Leitung des Archidiakons Meinolf im nordfranzösischen Le Mans bei Bischof Aldrich (832-57 Bischof), der Liborius zu einem Heiligen der Kathedrale von Le Mans erhoben hatte, um Reliquien nachsuchte.[2]
Eine Präsenz des Heiligen (i. e. der Heiligkeit!) im Leichnam eines Heiligen äußerte sich nach frühmittelalterlicher Vorstellung im auch nach Jahrhunderten unverwestem Leib, deshalb berichtet die Translatio Sancti Liborii auch von dem wunderbaren Geruch, der bei der Öffnung des Libori-Grabes in Le Mans sogleich auszuströmen begann. Seit dem Hochmittelalter setzte sich dann immer mehr die Ansicht durch, daß auch Teile des Leichnams für den ganzen Heiligen stehen konnten: die Abgabe von Fingerknochen etc. an andere Gemeinden, die noch keine Reliquien besaßen, konnte mit dieser Begründung erfolgen.[3]
Bereits durch Schenkungen Karls des Großen hatte sich eine Verbindung zwischen Le Mans und Paderborn entwickelt.[4] So entstand gewissermaßen auf kaiserliche Anordnung der „Liebesbund ewiger Bruderschaft“ (fraternitas) zwischen den Kirchen und später auch den Städten, der beispielsweise im 20. Jahrhundert auch Kriegszeiten überdauerte oder 1648 bei den Friedensverhandlungen in Münster den Fortbestand des Fürstbistums Paderborn durch gute Kontakte sichern half.[5]
Wenn man heutzutage als aufmerksamer Betrachter durch die Innenstadt von Paderborn geht, fällt auf, dass der heilige Liborius im Stadtbild sehr präsent ist.
Im Folgenden möchten wir einige auffällige Standorte und Begebenheiten genauer untersuchen und vorstellen.
2. Leben des heiligen Liborius
Vier Lebensbeschreibungen (Viten) und Translationsberichte von 836 und 857 (fränkische Fassungen) sowie um 890 (sächsisch) stellen den hl. Liborius typisiert als idealen Bischof und Heiligen dar; dabei werden ihm in den üblichen Versatzstücken die für Heiligenviten typischen Tugenden zugeschrieben.[6] Mit den Heiligenviten betrieb die mittelalterliche Kirche ihre Selbstdarstellung, indem bevorzugte Tugenden und Handlungsweisen betont und beispielhaft gezeigt werden konnten. Gleichzeitig sind die Viten Quellen der Translationsberichte[7]. Am weitesten verbreitet und in zahlreichen Handschriften überliefert sind die Vita und Translatio eines unbekannten Autors, des Paderborner Anonymus; diese sächsische Translatio entstand um 890 in Paderborn.[8] Durch ihre Entstehungszeit deuten die Handschriften auf eine steigende Liboriverehrung im 9. und an der Wende zum 10. Jahrhundert hin.[9]
Dennoch ist über das Leben des Bischofs Liborius fast nichts Sicheres bekannt. Als relativ gesichert gilt das Sterbejahr 397, jedenfalls wenn man davon ausgeht, daß der Besuch Martins von Tours am Sterbebett des Liborius stattgefunden hat. Drobner gibt als Todestag den 9. Juni an, seiner Ansicht nach wurde Liborius auch von Martin bestattet.[10] Diese Verbindungen mit Martin von Tours finden sich jedoch erst Jahrhunderte nach dem Tod des Liborius im 836 bis 856 in Le Mans verfaßten Actus pontificum Cenomannis in urbe degentium zum ersten Mal[11], so daß sich die Frage nach der Verläßlichkeit aufdrängt.
Der Gallier Liborius übte fast 50 Jahre lang, genauer gesagt von 348 bis 397, das Bischofsamt[12] in Le Mans aus; er war der zweite oder vierte Bischof[13] des französischen Bistums, in dem er vermutlich viele Kirchenbauten durchführen ließ und sich in der Mission engagierte[14], denn Frankreich war in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts noch keineswegs vollständig christianisiert: In Sachsen erfolgte die Christianisierung erst mehrere Jahrhunderte später.
3. Erste Station des Rundgangs: Die Kapelle am Liboriberg
Beim Motiv des Bildstocks an der Westseite der Liborikapelle handelt es sich um die erstmalige Darstellung eines Ereignisses aus der Vita des hl. Liborius.[15] Johann Philipp Pütt gestaltete diesen Bildstock, der früher am Rosentor stand[16], im Jahre 1740 im barocken Stil der Zeit: Die beiden Bischöfe Liborius und Martin sind durch die Attribute Mitra und Bischofsstab gekennzeichnet, während im Zentrum der Darstellung ein Kreuz steht, hinter dem Liborius in seinem Bett, das eher dem Geschmack des 18. Jahrhunderts entsprechen dürfte, dargestellt ist. Martin v. Tours, der an vielen Orten in den St.-Martins-Spielen verehrt wird, spendet dem kurz vor seinem Tode stehenden Liborius Trost, eine Reihe weiterer Personen ist anwesend. Unterhalb des Bildes befindet sich die Zeile „Siehe ich sterbe und Gott wird mit Euch Seyn“[17].
Ein zweiter Bildstock, der sich an der Ostseite der Kapelle befindet, geht auf die Translatio Sancti Liborii ein. 1741 schuf ebenfalls Johann Philipp Pütt vermutlich diese älteste bildliche Darstellung der Reliquienüberführung nach Paderborn.[18] Die Botschaft ist klar und auch für die Leseunkundigen zu erkennen: Die „antikisierend“ gekleideten Schreinträger mit nacktem Oberkörper bringen den Liborischrein, der 836 allerdings noch gar nicht existierte, nach Paderborn, dessen Kathedrale links im Hintergrund dargestellt ist. Dabei präsentiert sich auch der Dom in der Gestalt des 18. Jahrhunderts und nicht als die vergleichsweise kleine Kirche, die im Jahre der Reliquientranslation dort stand. Über der Szene schwebt Maria mit dem Spruchband „Einer wird euer Helfer sein“. Hier bleibt die Frage offen, ob es sich bei diesem Helfer um Gott oder Liborius handelt, obwohl letzteres wohl wahrscheinlicher ist. Unter der Illustration ist die Inschrift „Der Gott der Väter hat mich zu euch gesandt“[19] angebracht, die sich an dieser Stelle im Grunde nur auf Liborius beziehen läßt.
Einen wichtigen Stellenwert nehmen die Wunder ein, die bei der Reliquienüberführung laut Translationsbericht geschahen und zu Protesten der Bevölkerung von Le Mans führten, da sie einen so wundertätigen Heiligen lieber in Frankreich behalten wollte[20]. Dabei könnte es sich um einen Topos aus Translationsberichten handeln.
Der Chronist berichtet von zahlreichen Heilungen diverser Gebrechen, deshalb sind auf dem Bildstock ein Stummer, der auf seinen Mund deutet (er trägt eine Glocke, um sich bemerkbar zu machen), ein Besessener, dessen böser Geist ausfährt (links) sowie Lahme und Verkrüppelte (rechts) dargestellt, die in der Nähe der Liborireliquien geheilt werden. Die Parallelen zu den Heilungen Jesu, von denen das Neue Testament berichtet, sind nicht zufällig – die Frage, wer hier eigentlich heilt, also Gott oder eventuell doch Liborius, ist nicht eindeutig zu beantworten – Schmitz entscheidet sich für Gottes Wirken durch den hl. Liborius, läßt aber insgesamt leider die notwendige Differenzierung vermissen.[21] Nicht akzeptabel ist auch sein Argument, wenn so häufig von Wundern bei der Translation die Rede sei, müßten diese auch passiert sein.[22]
Die Kapelle selbst steht nach der Paderborner Überlieferung an der Stelle, an der der Pfau, der den Reliquien bei der Translation vorweggeflogen sei, vor Erschöpfung zu Boden gefallen sei. Diese Legende stammt jedoch aus dem 18. Jahrhundert, als man sich den Brauch, einen Pfauenwedel vor dem Schrein herzutragen, nicht mehr erklären konnte.[23] An der Nordseite der 1730 von Domlektor Johannes Büsse gestifteten Liborikapelle befindet sich oben im Giebel vermutlich die älteste Pfauendarstellung in Verbindung mit dem hl. Liborius, denn erst seit dem 19. Jahrhundert ist der Pfau als Attribut des heiligen Liborius immer Bestandteil der Darstellung.[24] Ausschließlich Liborius wird in der Kunst von einem Pfau begleitet.[25] [mehr zur Darstellung des hl. Liborius unter 5.] Die zwei Mitren und Bischofsstäbe unter dem Pfau symbolisieren die Bistümer Paderborn und Le Mans und ihre Verbindung miteinander.[26]
[...]
[1] Brandt, S. 113.
[2] Drobner, Sp. 898; Krüger, Sp. 1953.
[3] Angenendt, S. 70-72.
[4] Schmitz, S. 13.
[5] Honselmann, S. 57; Krüger, Sp. 1953.
[6] Daß diese Viten verläßlich seien, weil sie sich auf ältere Berichte bezögen, überzeugt nicht (Schmitz, S. 9); de Vry, S. 94; zur Datierung s. Krüger, Sp. 1953.
[7] Schmitz, S. 9.
[8] Krüger, Sp. 1953.
[9] De Vry, S. 94, 175.
[10] Drobner, Sp. 898, die Jahreszahl ist jedoch mit einem Fragezeichen versehen.
[11] Krüger, Sp. 1953; Brandt, S. 113.
[12] Drobner, Sp. 898.
[13] Drobner, Sp. 898 (zweiter Bischof von Le Mans), Krüger, Sp. 1953 (vierter Bischof); das Problem liegt wohl in der schlechten Überlieferungsqualität der Bischofslisten, die nach Devailly, Sp. 1867-8, erst seit dem 5. Jahrhundert verläßlich sind.
[14] Schmitz, S. 9.
[15] Schmitz, Abb. 96, 96A, S. 172-3.
[16] Michels, Bildstöcke, S. 147.
[17] Gen. 48,21.
[18] Schmitz, S. 19, Abb. 97, S. 174.
[19] Ex 3,13. 15.
[20] Rick, S. 10, erwähnt Wunder am Grabe des hl. Liborius bereits bevor die Translation beschlossen wurde.
[21] Schmitz, S. 19, 22.
[22] Schmitz, S. 19; was dann alles mit Sicherheit zuträfe, wäre Stoff für eine unendliche Sammlung. Wie es bei den meisten Wundern der Fall ist, können sie gerade nicht auf „logische“ Art und Weise „bewiesen“ werden.
[23] Braun, Sp. 465.
[24] Schmitz, S. 19, 22; Braun, Sp. 465, weiß nichts von der Darstellung an der Kapelle 1730 und erwähnt daher nur das 19. Jahrhundert.
[25] Braun, Sp. 839.
[26] Fuchs, S. 413.
- Quote paper
- Esther Rieck (Author), 2002, Liborius in Paderborn, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58580
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