Kontrafaktische Geschichtswissenschaft zu betreiben, kann bei plausiblen Annahmen dabei helfen, bedeutsame Zäsuren im historischen Verlauf zu identifizieren, da bei der Betrachtung des möglichen Ereignishorizonts die Bedeutsamkeit einer Zäsur (oder auch Nicht-Zäsur) deutlicher und präziser herausgearbeitet werden kann. Des Weiteren erweitern sich die Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns durch das gewonnene Verständnis von Kausalitäten und für den historischen Kontext bei der Formulierung einer Was-Wäre-Wenn-Frage. Dies wiederum erlaubt einen perspektivisch anders gerichteten Blick auf rezipierte und repetierte Mythen, die auf diese Weise einer Richtigstellung unterzogen werden können.
Das Folgende dieser Hauptseminararbeit wird sich mit der Maikrise 1938, der darauffolgenden Münchener Konferenz und ihrem Resultat, dem Münchener Abkommen, beschäftigen sowie einen in seiner Tendenz und historisch plausiblen, das heißt dem historischen Kontext entsprechenden, logisch denkbaren Ereignishorizont abbilden. Dieser Ereignishorizont geht von einem alternativen Ablauf der Geschichte beziehungsweise von der zeitgeschichtlich kontrafaktischen Annahme aus, die Verhandlungen zum Münchener Abkommen seien damals gescheitert und Deutschland hätte die Tschechoslowakei daraufhin militärisch überfallen.
Die zentrale Fragestellung dabei ist, wie wahrscheinlich eine solche Annahme unter Heranziehung der heute bekannten Quellen und dem gegenwärtigen Kenntnisstand der geschichtswissenschaftlichen Forschung dahingehend erscheint. Welche möglichen internationalen, geopolitischen und militärischen Konsequenzen hätte eine deutsche militärische Aggression 1938 gegenüber der Tschechoslowakei in der europäischen Staatenwelt und seinem System kollektiver Sicherheitsarchitektur nach sich ziehen können?
Methodisch soll hierbei in einem strukturellen Zweischritt vorgegangen werden: Zunächst werden die vertraglich festgelegten Bündnissituationen beziehungsweise -verpflichtungen und die Möglichkeiten der konkreten Verwirklichung ihrer Bestimmungen beleuchtet. Mit diesem Kenntnisstand soll im nächsten thematischen Abschnitt untersucht werden, welche vorstellbaren Handlungsoptionen seitens der Sowjetunion, Frankreichs und Großbritanniens im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei bestanden hätten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Deutsche Kriegsabsicht und -vorbereitung
- Der Tschechoslowakisch-Sowjetische Beistandsvertrag
- Sowjetisch-Französischer Beistandsvertrag und das tschechoslowakische Bündnissystem in Ost- und Ostmitteleuropa
- Die Position Großbritanniens
- Fazit: Lokaler Deutsch-Tschechoslowakischer Krieg oder internationaler Konflikt?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die kontrafaktische Annahme eines deutschen Überfalls auf die Tschechoslowakei im Jahr 1938, ausgehend von gescheiterten Verhandlungen zur Münchener Konferenz. Die Analyse befasst sich mit der Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios unter Berücksichtigung der historischen Quellen und des aktuellen Forschungsstandes. Ziel ist es, die möglichen internationalen, geopolitischen und militärischen Konsequenzen eines deutschen Angriffs auf die europäische Staatenwelt und ihre kollektive Sicherheitsarchitektur zu erforschen.
- Die deutsche Kriegsabsicht und -vorbereitung
- Die Rolle des Tschechoslowakisch-Sowjetischen Beistandsvertrags
- Die Bedeutung des Sowjetisch-Französischen Beistandsvertrags
- Die Position Großbritanniens im Hinblick auf einen möglichen Krieg
- Die möglichen Konsequenzen für das europäische Sicherheitssystem
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die kontrafaktische Methode und ihre Bedeutung für die Geschichtswissenschaft vor. Die Arbeit konzentriert sich auf die Maikrise 1938 und die Münchener Konferenz, wobei ein alternatives Szenario untersucht wird, in dem die Verhandlungen zum Münchener Abkommen scheitern und Deutschland die Tschechoslowakei angreift.
1. Deutsche Kriegsabsicht und -vorbereitung
Dieses Kapitel analysiert die deutsche Kriegsabsicht und -vorbereitung im Vorfeld des möglichen Angriffs auf die Tschechoslowakei. Es werden die Positionen verschiedener deutscher Akteure wie Ludwig Beck, Kühlenthal und Weizsäcker beleuchtet, sowie die militärische Planung und die politische Entscheidung Hitlers.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt Schlüsselthemen wie die Sudetenkrise, die Münchener Konferenz, die kontrafaktische Geschichtswissenschaft, die deutsche Kriegsvorbereitung, das Bündnissystem in Ost- und Ostmitteleuropa, die Position Großbritanniens und die möglichen Konsequenzen für das europäische Sicherheitssystem.
- Quote paper
- Robert Samuel Langner (Author), 2017, 1938-Krieg um die Tschechoslowakei? Ein historisch plausibler Ereignishorizont, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/584392