In einer globalisierten Welt reichen staatliche Regulierungen nicht mehr aus, um die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen. Nationalstaaten stoßen an Grenzen, die Reichweite von Politik und Recht ist begrenzt. Daraus entstehen Governance-Lücken und eine Verschiebung der Verantwortungsebene.
Besonders wichtig werden solche Themen, wenn es um multinationale Unternehmen geht. Können solche Unternehmen politische Verantwortung übernehmen? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Der Schlüsselbegriff lautet hier Corporate Social Responsibility (CSR). In seiner Publikation zeigt Oliver Hämmerle, wie relevant das Konzept für die Praxis tatsächlich ist.
Dazu erklärt er zunächst, was genau politische CSR bedeutet und wie sie funktioniert. Außerdem geht er darauf ein, inwiefern multinationale Unternehmen auch politische Akteure sind und wie sie Governance-Lücken schließen können. Sein Buch öffnet eine politische Sicht auf die Corporate Social Responsibility.
Aus dem Inhalt:
- Nachhaltigkeit;
- Globalisierung;
- Corporate Citizenship;
- Corporate Political Activity;
- Global Governance
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Konzeptioneller Rahmen
2.1 Das multinationale Unternehmen
2.2 Der politische Begriff
2.3 Konzeptionelle Entwicklung in der CSR-Forschung
2.4 Political Corporate Social Responsibility
2.5 Global Governance
2.6 Zusammenfassung der theoretischen Überlegungen
3 Politische Macht und politische Verantwortung multinationaler Unternehmen
3.1 Das multinationale Unternehmen als politischer Akteur
3.2 Der Begriff der Verantwortung
3.3 Die Machtverhältnisse zwischen nationalen Regierungen und multinationalen Unternehmen
3.4 Macht und Verantwortung
3.5 Demokratisches Defizit und die Frage nach der Legitimität
3.6 Das Modell der sozialen Verbindung nach Young (2008)
4 Die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik im Kontext der Globalisierung
4.1 Fallbeispiel: Die Ölförderung der Talisman Energy Inc. im Sudan
4.2 Die hybride Form öffentlich-privater Verantwortung
4.3 Deliberative Demokratie
5 Auswertung der Ergebnisse
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang 1: Fragebogen
Anhang 2: Angefragte und teilnehmende Organisationen
Anhang 3: Die Antworten der 18 Experten aus der Wirtschaft
Anhang 4: Die Antworten der 15 Experten aus der Politik und NGOs
Anhang 5: Die Antworten aller 33 befragten Experten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Impressum:
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„Where there is great power there is great responsibility“
(Winston Churchill)
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Konzeptionelle Entwicklung im Bereich CSR
Abbildung 2: CC und CSR als simultaner Forschungsstrang
Abbildung 3: Verhältnis von politischer CSR, MNU und globaler Governance
Abbildung 4: Führende Unternehmen der Agrarchemie nach Umsätzen
Abbildung 5: Anzahl der Lobbyorganisationen in Europa 2019
Abbildung 6: Öffentliche Aufgabenverlagerung durch CSR-induzierte ÖPP
Abbildung 7: Teilnehmende Unternehmen und ihre COPs (2005-2015)
Abbildung 8: Auswertung der Frage #1: Politischer Einfluss von MNUs
Abbildung 9: Auswertung der Frage #2: Das MNU als politischer Akteur
Abbildung 10: Auswertung der Frage #3: CSR in der Praxis
Abbildung 11: Auswertung der Frage #4: Politische Aspekte in CSR
Abbildung 12: Auswertung der Frage #6: Eigene Interessen
Abbildung 13: Auswertung der Frage #7: Machtverhältnisse
Abbildung 14: Auswertung der Frage #8: Globale Regulierung
Abbildung 15: Auswertung der Frage #9: Globale Regulierung
Abbildung 16: Auswertung der Frage #13: Zukünftige Relevanz
Abbildung 17: Auswertung der Frage #15: Mehr politische Verantwortung
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Die politischen Dimensionen
Tabelle 2: Vergleich zwischen traditioneller und politischer CSR
Tabelle 3: Top 100 der finanzstärksten Staaten und Unternehmen 2017
Tabelle 4: Teilnehmerliste der Expertenbefragung
Tabelle 5: Chancen und Risiken nach Meinung der Experten
Abkürzungsverzeichnis
CC - Corporate Citizenship
CG - Corporate Governance
COP - Communicate on Progress
CPA - Corporate Political Activity
CSR - Corporate Social Responsibility
FSC - Forest Stewardship Council
GG - Global Governance
GC Global Compact
ISO - International Standard Organisation
KMU - Kleine und mittelständische Unternehmen
MNU - Multinationales Unternehmen
MSI - Multi-Stakeholder Initiativen
NGO - Non-Governmental Organisation
NPO Non-Profit Organisation
OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development
ÖPP - Öffentlich-Private Partnerschaft
PCSR - Political Corporate Social Responsibility
ROI - Return on Investment
UN - United Nations
1 Einleitung
In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft setzt sich zunehmend die Einsicht durch, dass die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung in einer globalisierten Welt nicht mehr nur über staatliche Regulierungen realisiert werden können. Nationalstaaten stoßen mit ihrem nationalstaatlichen Recht an ihre nationalstaatlichen Grenzen – die Reichweite von Politik und Recht ist also begrenzt. Daraus resultierende Governance-Lücken sind auch auf das Fehlen eines globalen Regulierungsrahmen zurückzuführen, was eine partielle Verschiebung der Verantwortungsebene zur Folge hat. Fragen nach der Verantwortung der großen multinationalen Unternehmen – die eben nicht an nationalstaatliche Grenzen gebunden sind und die diese Governance-Lücken ausnutzen können – stehen zunehmend im Zentrum des Interesses.
Das Konzept »Corporate Social Responsibility« (CSR) hat in diesem Zusammenhang in den letzten zwei Jahrzehnten eine große Aufmerksamkeit erlangt. Angesichts der Globalisierung, die die negativen Folgen der internationalen Wirtschaft aufgrund des erwähnten unzureichenden globalen Regulierungsrahmens verschärft hat, begannen Zivilgesellschaft und verschiedene Institutionen, die Praktiken der immer mächtiger werdenden Unternehmen zu hinterfragen. Unter dem Druck steigender gesellschaftlicher Erwartungen und sich ändernder Legitimationsbedingungen hat die Wirtschaft ihre CSR-Bemühungen in Form globaler Selbstregulierung und der Bereitstellung globaler öffentlicher Güter verstärkt. Nichtstaatliche Akteure, insbesondere Wirtschaftsunternehmen, sind somit in neue Formen der globalen Governance eingetreten, die darauf abzielen, die Governance-Lücke zu schließen.
Doch damit verschwimmen auch die Rollen und Verantwortlichkeiten multinationaler Unternehmen gegenüber denen der nationalen Regierungen. Verschiedene Wissenschaftler im Bereich der CSR-Forschung haben jüngst damit begonnen, diese Veränderungen zu diskutieren und versucht, die Themen, durch eine neue Sicht auf die Corporate Social Responsibility, in selbige zu integrieren. Andreas Scherer und Guido Palazzo (2011) schlagen in ihrem Konzept der »Political Corporate Social Responsibility« eine neue politische Perspektive von CSR vor.
Die wissenschaftliche Forschung sollte stets in der Lage sein, über das aktuelle Verständnis und die traditionellen Denkmodelle hinauszugehen. Diese Arbeit strebt dies durch die Identifizierung und Bewertung der Argumente und Debatten innerhalb der Forschungsdisziplin »Political Corporate Social Responsibility« an.
Die Motivation für das Schreiben dieser Arbeit lag im Wesentlichen in dem Potenzial, das in den komplexen und noch relativ jungen Forschungsfragen in diesem Bereich liegt, welches zu nutzen für die Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung von zentraler Bedeutung sein kann. Die erste Neugierde, die zur Themenwahl führte, war die Annahme einer signifikant mächtigen Rolle, die multinationale Unternehmen in den globalen Governance-Arrangements einzunehmen scheinen. So entwickelte sich eine Vorstudie über die politische Rolle von Unternehmen auf globaler Ebene. Die Auseinandersetzung mit den aktuellen Argumenten, Erkenntnissen, Chancen und Grenzen der politischen Sicht auf die CSR im Rahmen der umfangreichen Forschung zu Wirtschaft und Politik wurde dann zur relevantesten Aufgabe dieser Arbeit.
Im Hinblick auf die Komplexität des Themas wurde für diese Arbeit ein interdisziplinärer Ansatz gewählt, um den theoretischen Pluralismus zu erfassen und weiterzuentwickeln. Dies geschieht durch eine qualitative Überprüfung der relevanten Literatur aus verschiedenen Bereichen, sowie eine eingehende theoretische Untersuchung und analytische Diskussion der spezifischen Elemente der politischen CSR, die zu einer Bewertung der politischen Verantwortung von multinationalen Unternehmen und der damit verbundenen Chancen und Grenzen führt.
Um die praktische Relevanz der Thematik zu erfassen, werden die theoretischen Überlegungen im Laufe der Arbeit mit mehreren Fallbeispielen belegt. Darüber hinaus wurde im Zuge dieser Arbeit 150 Organisationen aus Wirtschaft, Politik und Non-Profit-Bereich – mit der Bitte um Teilnahme – ein kurzer Fragebogen zugeschickt. Vertreter von 18 multinationalen Unternehmen und 15 Mitarbeiter von NGOs/NPOs und politischen Organisationen – also insgesamt 33 Organisationen – stimmten einer Teilnahme zu. Appendix III zeigt die Auflistung aller angefragten und teilnehmenden Organisationen. Die anonyme Auswertung der Fragebögen soll ein aktuelles Meinungsbild skizzieren, wie die Relevanz dieser Thematik von Experten aus der Praxis generell eingeschätzt wird.
1.1 Zielsetzung der Arbeit
Das übergeordnete Ziel dieser Arbeit ist es, kritisch zu untersuchen und zu bewerten, inwieweit aktuelle Erkenntnisse und Argumente eine politische Perspektive von CSR unterstützen und wo die Chancen und Grenzen der politischen Verantwortung von Unternehmen liegen. Als vornehmlich deskriptive und explanative Arbeit ist sie bestrebt, die wichtigsten Aspekte zum Thema politische CSR in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur zu identifizieren, wobei insbesondere die Argumente ihrer wichtigsten Befürworter und Gegner untersucht und bewertet werden. Es soll zunächst beschrieben werden, wie und unter welchen Bedingungen sich das Phänomen politischer Verantwortung multinationaler Unternehmen in der CSR-Forschung entwickelt hat. Wichtige Fragen, wie die der Machtverhältnisse zwischen multinationalen Unternehmen und nationalen Staaten und der damit in Verbindung stehenden Frage nach der Legitimität politscher Verantwortungsübernahme durch multinationale Unternehmen stehen ebenso im Fokus der Betrachtungen, wie eventuelle Lösungsansätze zur Erreichung einer solchen Legitimität. Hieraus ergibt sich die zentrale Forschungsfrage:
Inwieweit unterstützen aktuelle Erkenntnisse und Argumente eine politische Sicht auf die Corporate Social Responsibility und welche Rahmenbedingungen können eine Legitimität politischer Verantwortungsübernahme durch multinationale Unternehmen erzeugen?
Um diese Forschungsfrage zu beantworten, bedarf es einer Reihe von Teilfragen, um die spezifischen Inhalte der politischen Perspektive von CSR aufzudecken und zu bewerten. Diese bieten eine Struktur zur Beantwortung der Forschungsfrage, die in Abbildung 1 skizzenhaft dargestellt wird. Forschungsleitende Fragestellungen in diesem Kontext sind:
I. Wie hat sich politische CSR theoretisch entwickelt und was beinhaltet das Konzept? (Kapitel 2)
II. Inwiefern ist das multinationale Unternehmen als politischer Akteur zu betrachten? (Kapitel 3)
III. Ist es unter machtpolitischen und demokratietheoretischen Aspekten legitim, Unternehmen politische Verantwortung zu übertragen? (Kapitel 3)
IV. Gibt es Lösungsansätze und Rahmenbedingungen, die eventuelle Hindernisse politischer Verantwortungsübernahme multinationaler Unternehmen überwinden können? (Kapitel 4)
Um eine praktische Relevanz der Thematik abzuleiten, werden in Kapitel 5 wie bereits erwähnt die Auswertungsergebnisse der Expertenbefragung diskutiert. Ziel ist eine abgerundete Forschungssynthese zum Phänomen der politischen CSR.
1.2 Aufbau der Arbeit
An dieser Stelle soll nun ein kurzer Überblick über den Aufbau der Arbeit gegeben werden.
Das vorliegende Kapitel 1 dient als Einleitung zum Thema und stellt die Forschungsfrage. Anschließend wird in Kapitel 2 mithilfe einer qualitativen Literaturrecherche der konzeptionelle Rahmen gelegt und wichtige Begrifflichkeiten definiert. Auf einen historischen Überblick über die theoretische Entwicklung verschiedener Konzepte im Forschungsbereich CSR folgt ein Überblick über die Veränderungen in der Zeit der Globalisierung, die den heutigen globalen und politischen Kontext geprägt haben, in dem multinationale Unternehmen agieren. Dies soll zeigen, wie sich das Konzept theoretisch entwickelt hat, was es beinhaltet und warum es wichtig ist, einen Teil der Forschungsagenda von CSR auf die jüngsten Diskurse und Vorschläge zu konzentrieren, die eine politische Perspektive von CSR vorschlagen.
In Kapitel 3 wird zunächst der Frage nachgegangen, inwiefern das multinationale Unternehmen als politischer Akteur zu betrachten ist, um anschließend zu versuchen das Verständnis von politischer Macht und politischer Verantwortung multinationaler Unternehmen unter aktuellen Gegebenheiten zu erfassen und die vorherrschenden (Macht-)Strukturen zwischen multinationalen Unternehmen und nationalen Regierungen zu analysieren. Hier wird u.a. der Lobbyismus in Europa näher betrachtet, um den Status quo – die politische Einflussnahme der Wirtschaft auf politischer Ebene betreffend – zu ermitteln. Darauf aufbauend ist die Frage nach der Legitimität politischer Verantwortungsübernahme von multinationalen Unternehmen vor allem aus machtpolitischer und demokratietheoretischer Sicht von zentraler Bedeutung.
Aufbauend auf den Überlegungen zum »Demokratischen Defizit« und der »Legitimität« politischer Verantwortung von multinationalen Unternehmen werden in Kapitel 4 verschiedene Rahmenkonzepte in der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik im Kontext der Globalisierung diskutiert, die möglicherweise strukturell begründete Hemmnisse politischer Verantwortungsübernahme multinationaler Unternehmen überwinden könnten.
Nachdem in Kapitel 5 die Auswertungsergebnisse des Fragebogens in Verbindung mit den Analysen und Recherchen der Arbeit diskutiert werden, wird die Arbeit in Kapitel 6 mit einem kurzen Fazit schließen.
2 Konzeptioneller Rahmen
Der Themenbereich der unternehmerischen Verantwortung ist sowohl in der Wissenschaft als auch in der Wirtschaftspraxis durch eine Begriffsvielfalt gekennzeichnet. Die folgende Literaturrecherche dient dazu, den theoretischen Rahmen zu identifizieren, in dem sich diese Arbeit bewegt. Um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, wird zunächst ein Überblick über die theoretische Entwicklung des weiten Feldes der unternehmerischen Verantwortung gegeben und eine Abgrenzung der für diese Arbeit relevanten Begriffe vorgenommen, um abschließend eine auf die Arbeit angepasste Definition der »politischen Verantwortung von multinationalen Unternehmen« festzulegen. Zusammengenommen bietet Kapitel 2 ein kurzes, aber umfassendes Verständnis der theoretischen und konzeptionellen Entwicklung von CSR und der Entstehung von politischer CSR, was dazu beitragen wird, die Neuartigkeit und den Wert der politischen Perspektive im Bereich der unternehmerischen Verantwortung widerzuspiegeln.
2.1 Das multinationale Unternehmen
Das multinationale Unternehmen (MNU) wird typischerweise als ein signifikant großes Unternehmen bezeichnet, das in mehreren Ländern tätig ist, wobei es sich als ein zu einer Nation gehörendes Unternehmen, mit einer nationalen Zentrale und ausländischen Tochtergesellschaften versteht (Markusen 2019: 97). In dieser Arbeit liegt der Schwerpunkt auf den Rollen und Verantwortlichkeiten solch multinational tätiger Unternehmen.
Die MNUs haben ihren Hauptsitz üblicherweise in ihrem Herkunftsland, sind aber in verschiedenen Märkten global tätig, um neue Kunden und damit neue Interessengruppen zu gewinnen. Die Vielfalt der Stakeholder und ihrer Interessen im Heimat- und Gastland ist für multinationale Unternehmen komplex geworden. Sie stehen vor der Herausforderung, wie sie die Notwendigkeit einer globalen Konsistenz von CSR-Ansätzen und ethischen Standards im gesamten Unternehmen mit den unterschiedlichen Erwartungen und Anforderungen verschiedener Interessengruppen auf der ganzen Welt in Einklang bringen können (Filatotchev und Stahl 2015).
Die Besorgnis über den Einfluss und die Macht der multinationalen Unternehmen hat unter den Stakeholdern stark zugenommen, insbesondere aufgrund der enormen Expansion der MNUs, vor allem in Entwicklungsländern (Kostova et al. 2016). Untersuchungen zeigen, dass MNUs CSR nutzen, um die Beziehungen zu ihren Interessengruppen strategisch zu steuern, um so wiederum Legitimität in den Gastländern zu erlangen. Coombs und Holladay (2011: 6f.) schreiben der Motivation der Unternehmen derweil eine untergeordnete Rolle zu. Demnach sei es nicht wichtig, warum die Unternehmen handeln, solange das Handeln eine positive Auswirkung auf Umwelt und Gesellschaft hat.
Mit einer starken Zunahme der Medienaufmerksamkeit und des Informationsaustauschs steigt die Nachfrage von Zivilgesellschaft, Verbrauchern, Regierungen und Aktionären nach nachhaltigen Geschäftspraktiken (Anupama 2006: 22). Mit dem wachsenden Bewusstsein der Gesellschaft steigt also auch ihre Erwartungshaltung an die MNUs. Lantos (2001) identifizierte die Zunahme politischer und wirtschaftlicher Macht der MNUs gar als Ursprung für die gestiegenen Erwartungen der Gesellschaft gegenüber den Unternehmen. Die Interessengruppen drängen die MNUs ihre CSR-Maßnahmen zu verstärken, weil sie auf ethische Werte von Unternehmen und auf nachhaltiges Wachstum achten. Die MNUs werden derweil nicht müde, ihre Investitionen in die Verbesserung der Umweltverträglichkeit zu betonen (Henderson 2015: 5).
2.2 Der politische Begriff
Angesichts der Tatsache, dass es in der wissenschaftlichen Forschung bisher keine begriffliche Einigkeit gibt, ist es zunächst sinnvoll, den Begriff der »Politik« zu präzisieren. Für eine erste begriffliche Annäherung werden nachfolgend einige Definitionsvorschläge vorgestellt die zusammengenommen den politischen Begriff der vorliegenden Arbeit bilden:
- „Politik ist die Summe aller Mittel, die nötig sind, um zu Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen.“ (Machiavelli 1414, zitiert nach Meyer 2003: 42)
- „Politik [ist] gesellschaftliches Handeln, […] welches darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Konflikte über Werte verbindlich zu regeln.“ (Lehmbruch 1968: 17)
- „Politik ist die Gesamtheit der Aktivitäten zur Vorbereitung und zur Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und [...] am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugute kommender Entscheidungen.“ (Meyer 2003: 42)
- „Politik ist die Herstellung einer ‚guten‘ Ordnung für die Gesamtheit von Menschen sowie die Erhaltung dieser Ordnung durch die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit. Das Mittel dazu ist die Macht.“ (Thöndl 2005, zitiert nach Sandrini 2018: 137)
Darüber hinaus bietet die englische Sprache eine für die vorliegende Arbeit passende, denn umfassende Begriffserklärung, indem sie die drei Begriffe polity, policy und politics unterscheidet. Damit wird der Mehrdimensionalität des politischen Begriffs Rechnung getragen, was in Tabelle 1 zusammengefasst wird.
Tabelle 1: Die politischen Dimensionen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Darstellung in Anlehnung an Michelsen (2015)
Scherer und Palazzo selbst beziehen sich beim Begriff »Politik« auf sämtliche Aktivitäten, in denen sich Menschen und Institutionen gemeinsam organisieren, um Rahmenbedingungen festzulegen und sich selbst innerhalb ihres gemeinsamen sozialen Umfelds zu regulieren oder dieses zu transformieren, sowie auf die Interaktion und Kommunikation, in denen die Akteure versuchen, sich gegenseitig davon zu überzeugen, sich gemeinsamen Aktionen anzuschließen oder zu entscheiden, in welche Richtung sie gehen wollen (Scherer, Palazzo 2007: 1110).
2.3 Konzeptionelle Entwicklung in der CSR-Forschung
Da sich »Corporate Social Responsibility« durch neue Konzepte und Perspektiven stetig weiterentwickelt, verändert sich die Sichtweise und verschiedene Aspekte kommen hinzu. Solch neue Konzeptualisierungen schränken dabei nicht unbedingt die Verwendung früherer Konzepte ein, sondern bauen vielmehr aufeinander auf. Das Feld hat sich durch verschiedene Dekaden entwickelt, in denen bestimmte Perspektiven dominiert haben; von dem frühen Shareholder-Value-Ansatz über das Stakeholder-Management bis hin zu einem gesellschaftlichen Verantwortungsansatz. Die konzeptionelle Entwicklung ist in Abbildung 1 skizziert.
Abbildung 1: Konzeptionelle Entwicklung im Bereich CSR
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Eigene Darstellung nach Meyer und Waßmann 2011: 9)
Der Fortschritt in der Informations- und Kommunikationstechnologie und die daraus resultierende wirtschaftliche Globalisierung bildeten die Grundlage für den Ausbau multinationaler Unternehmen und ihrer Netzwerke und schufen eine globale Vernetzung wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Charakters. Als Reaktion auf den offensichtlichen Missbrauch eines schwachen globalen Regulierungsrahmens durch die Unternehmen und die vielen Umwelt- und Sozialskandale der 90er Jahre – für die Shells Brent Spar und Nike Sweatshops nur zwei typische Beispiele sind – entstand eine öffentliche Debatte über die Verantwortung von multinationalen Unternehmen. Angesichts der sich ändernden gesellschaftlichen Erwartungen, zunehmender Sensibilisierung der Verbraucher und der Medienbeobachtung begannen Unternehmen damit, ihre internationalen Aktivitäten freiwillig zu regulieren und nach außen hin zu kommunizieren. Nachhaltigkeit wurde in den 90er Jahren zum zentralen Thema als „new conceptual frame for assessing not only business activities specifically, but industrial and social development more generally“ (Crane und Matten 2007: 21). Ursprünglich nur auf die Umwelt ausgerichtet, umfasst der Begriff der Nachhaltigkeit heute auch ökonomische und soziale Aspekte.
Wird heute über die »unternehmerische Verantwortung« gesprochen fallen in der Wirtschaftspraxis viele verschiedene und oft synonym verwandte Begriffe wie » unternehmerische Nachhaltigkeit «, » Corporate Governance «, » Corporate Citizenship « oder eben » Corporate Social Responsibility «. Im Unterschied zu CSR handelt es sich bei dem Begriff der Nachhaltigkeit um einen Grundgedanken, der die Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit und zukünftigen Generationen umfasst, während CSR die Verantwortung eines Unternehmens gegenüber seinen Stakeholdern beschreibt (Bassen et al. 2005: 234) Durch die neue CSR-Definition der Europäischen Union hat sich der CSR- dem Nachhaltigkeitsbegriff jedoch deutlich angenähert. Ein ganzheitliches Verständnis der unternehmerischen Verantwortung erfordert die Berücksichtigung der Konzepte, aus denen sich diese zusammensetzt. Im Folgenden werden daher die relevanten Begrifflichkeiten kurz erklärt und definiert, um die Unterschiede und die theoretische Entwicklung hin zu einer politischen Sicht auf die CSR aufzuzeigen.
2.3.1 Unternehmerische Nachhaltigkeit
Die » unternehmerische Nachhaltigkeit « bildet den Grundgedanken, aus dem die genannten und nachfolgend beschriebenen Konzepte entstanden sind, weshalb einleitend zunächst darauf eingegangen wird.
Eine oft zitierte und anerkannte Definition des Begriffes der »Nachhaltigkeit« ist die der Brundtland Kommission von 1987. Demnach befriedigt eine nachhaltige Entwicklung die Bedürfnisse der heutigen Generationen, ohne dabei den künftigen Generationen die Möglichkeit zu nehmen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen (Brundtland Kommission 1987: 51).
Die ersten Bemühungen im Themenbereich der Nachhaltigkeit wurden somit von der Politik getroffen. Die Unternehmen nehmen aber von Beginn an eine übergeordnete Rolle ein, wenn es um die konkrete Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung geht. Mit deren Infrastruktur, Technologie, Ressourcen und Innovationskraft (Elkington 1998: 72) verfügen sie über das nötige Know-how und die nötigen Kapazitäten, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Um das Konzept der Nachhaltigkeit in Unternehmen besser umsetzen zu können, hat Elkington (1998: 74f.) – angelehnt an die Corporate Social Responsibility – das Konzept der »Triple Bottom Line« geprägt. Das » Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung « geht von der Vorstellung aus, dass nachhaltige Entwicklung nur durch das gleichzeitige und gleichberechtigte Umsetzen von umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zielen erreicht werden kann. Nur auf diese Weise kann die ökologische, ökonomische und soziale Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft sichergestellt und verbessert werden, wobei sich die drei Aspekte dabei einander bedingen.
Die ökologische Dimension beschreibt das Ziel, die Resilienz der Ökosysteme und somit unsere natürliche Lebensgrundlage und die der nächsten Generationen zu erhalten. Dies beinhaltet unter anderem den schonenden Umgang mit lokalen und globalen Senken und Ressourcen, sowie den Erhalt der Artenvielfalt und aller Biotoptypen (Enquete Kommission 1998: 25).
Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit umfasst insbesondere die Themen Solidarität, Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Wohlstand. Diese Werte drücken sich oftmals in der Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen und in den Zukunftsperspektiven der Menschen aus und bilden die existenzielle Grundlage hierfür. „Arbeit, aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand, gerechte Verteilung von Einkommen und Lebenschancen und die Erhaltung und Weiterentwicklung sozialer Sicherungssysteme“ beschreibt die Kommission dabei neben der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse als Voraussetzung, um ein solidarisches Miteinander zu fördern und den sozialen Frieden zu sichern (Enquete Kommission 1998: 27).
Die ökonomische Nachhaltigkeit drückt sich in der Fähigkeit eines Unternehmens aus, eine Zunahme und langfristige Sicherung des Wohlstands für alle Menschen zu erreichen. Dies soll durch eine ganzheitliche und weitsichtige Form des Wirtschaftens erreicht werden, wodurch sich Ressourcenschonung mit Lebensqualitätssicherung verbindet. Dies gelingt indem die verfügbaren Ressourcen so effizient als möglich eingesetzt werden, um eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten. Der technologische und organisatorische Fortschritt, die Marktanpassung und Konsumentenorientierung und eine effiziente Anpassung an Knappheiten sind einige der konkreten Handlungsanleitungen, um eine Verbesserung der Produkteigenschaften zu erreichen und die Marktposition des Unternehmens zu stärken. Richtungsgebendes Ziel dieser Maßnahmen ist die Erhöhung des Gemeinwohls (Enquete Kommission 1998: 26).
Das CSR-Konzept wird von Schaltegger und Müller (2008) als Teilaspekt unternehmerischer Nachhaltigkeit beschrieben. Sie definieren unternehmerisches Nachhaltigkeitsmanagement als Konzept, das „die Steuerung von ökologischen, sozialen, und ökonomischen Wirkungen bezweckt, um erstens eine nachhaltige Unternehmens- und Geschäftsentwicklung zu erreichen und zweitens einen positiven Beitrag des Unternehmens zur nachhaltigen Entwicklung der gesamten Gesellschaft sicherzustellen. Unternehmerisches Nachhaltigkeitsmanagement umfasst damit alle systematischen, koordinierten und zielorientierten unternehmerischen Aktivitäten, die der nachhaltigen Entwicklung einer Unternehmung dienen und eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft fördern.“ (Schaltegger und Müller 2008: 18). Aufbauend auf dieser Definition können einige wesentliche Unterschiede von CSR und unternehmerischem Nachhaltigkeitsmanagement identifiziert werden. Während sich CSR im Kern auf freiwillige Aktivitäten von Unternehmen bezieht, beinhaltet nachhaltiges Wirtschaften sowohl freiwillig als auch unfreiwillig durchzuführende ökologisch und sozial ausgerichtete Aktivitäten. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung von ISO zertifizierten Umweltmanagementsystemen, welche auf Druck von großen industriellen Kunden oder Lieferanten erfolgt und somit nur als scheinbar „freiwillige“ Handlung anzusehen ist. Ein zweiter Unterschied ist die Rolle, die das Konzept einnimmt. Der CSR-Ansatz ist von der Vorstellung geprägt, dass Unternehmen gesellschaftlich relevante Themen aufnehmen und auf sie reagieren. Nachhaltiges Unternehmertum hingegen wird zusätzlich durch eine stark proaktive Kernkomponente geprägt. Ein drittes Unterscheidungskriterium der beiden Konzepte ist die Einbettung in das Kerngeschäft des Unternehmens. CSR wird in einem Großteil der Literatur als geschäftsbegleitendes Konzept angesehen, auch wenn die Verbindung von CSR mit dem Kerngeschäft immer wieder betont wird (Schaltegger und Müller 2008: 25f.).
Im politischen Kontext gewann der Nachhaltigkeitsdiskurs durch die Publikation des Brundtland-Berichts der World Commission on Environment and Development an Bedeutung. Hier wird der Begriff der nachhaltigen Entwicklung definiert als „development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED 1987: 54). Auch die UN Conference on Environment and Development, die 1992 in Rio de Janeiro stattfand, trug dazu bei, das Thema Nachhaltigkeit in der politischen Diskussion zu verankern. Auch im Kontext der Glaubwürdigkeit politischer Ziele und Konzepte tritt der Begriff der Nachhaltigkeit auf. Ob Finanzpolitik, Bildungspolitik, Verkehrspolitik und weitere, die Legitimation soll oft über den Hinweis einer nachhaltigen Strategie erfolgen (Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016: 11).
2.3.2 Corporate Governance
Da eine ausführliche Definition des Begriffs der »Corporate Governance« (CG) für die vorliegende Arbeit nicht von zentraler Relevanz ist, sondern nur der Abgrenzung zum CSR-Konzept und der »Global Governance« dient, erscheint eine kurze Definition der Begrifflichkeit an dieser Stelle sinnvoll aber in der Kürze ausreichend.
»Governance« kann allgemein als Steuerungs- und Regelungssystem im Sinn von Strukturen und Rahmenbedingungen einer politisch-gesellschaftlichen Einheit wie Staat oder Organisation beschrieben werden. Die »Corporate Governance« kann demnach als faktischer und rechtlicher Ordnungsrahmen mit all seinen internationalen und nationalen Regeln, Vorschriften, Werten und Grundsätzen verstanden werden, die für Unternehmen gelten und gleichzeitig bestimmen, wie diese geführt und überwacht werden.
2.3.3 Corporate Citizenship
Das Konzept »Corporate Citizenship« (CC) betrachtet das Unternehmen im Sinne eines „kooperativen Bürgers“ – was der wörtlichen Übersetzung eines “Corporate Citizen“ entspricht – als Teil der Gesellschaft. Eingebunden in ein Geflecht aus Normen, Wertvorstellungen und Erwartungen werden einem Unternehmen genau wie jedem anderen Bürger Freiheiten, aber auch Rechte und Pflichten zuerkannt. Die „Bürgerpflicht“ des Unternehmens besteht darin, dass, neben der Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen, auch das Gemeinwohl berücksichtigt wird, wenn wirtschaftliche Entscheidungen getroffen werden. Es wird vom Unternehmen erwartet, dass es in das gesellschaftliche Umfeld investiert und politische Verantwortung übernimmt. Corporate Citizenship ist also als „ein Teilaspekt von CSR [zu betrachten] und beschreibt das soziale Engagement im jeweiligen lokalen Umfeld [des Unternehmens]“ (Rat für nachhaltige Entwicklung 2006: 19).
Dubielzig und Schaltegger (2005) sehen die beiden Konzepte »Corporate Citizenship« und »Corporate Social Responsibility« gar als deckungsgleich an. CC ist demnach lediglich eine andere Bezeichnung für das Konzept der CSR ohne wesentliche Unterschiede aufzuweisen. Eine Erklärung für diese Umbenennung sehen die Autoren in der größeren Akzeptanz des Begriffs »Corporate Citizenship« in der Wirtschaftspraxis (Dubielzig und Schaltegger 2005: 235f.).
Ein erweiterter Definitionsansatz hebt derweil einen zentralen Unterschied zwischen den Konzepten hervor und räumt Unternehmen im Konzept Corporate Citizenship eine erweiterte politische Rolle ein. Demnach nehmen „Unternehmen entsprechend ihrer Rechte und Pflichten als Bürger aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und deren Rahmenbedingungen teil [...] und [agieren] nicht nur innerhalb dieser [...] wie beim CSR-Konzept“ (Weber 2008: 45). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Arbeit von Wood und Logsdon (2001) hinzuweisen, die die Geschäfts- und Gesellschaftsbeziehung von multinationalen Unternehmen in den Kontext ihrer globalen Tätigkeit setzt. Es spiegelt die Komplexität multinationaler Unternehmen wider, als dass sie nicht als Bürger einer Nation, sondern als Teil aller Gesellschaften, in denen sie tätig sind, auftreten. Die Verantwortung wird dann global in Umfang und Größe (Frederick 2008: 527).
Crane und Matten (2005a: 170f.) weisen außerdem darauf hin, dass die Verwendung des Begriffs »Corporate Citizenship« zweideutig sei, falls die ursprüngliche Bedeutung der Bürgerschaft des Unternehmens aus der politischen Theorie keine Beachtung findet. In dieser wurde die Bürgerschaft als eine Reihe von individuellen Rechten in Bezug auf Anspruch, Status und Beteiligungsprozess definiert (Crane und Matten 2005a: 170). Dieser Sichtweise folgend übernehmen Unternehmen bestimmte Funktionen zum Schutz, zur Erleichterung und zur Förderung von Bürgerrechten - früher eine Erwartung, die ausschließlich an Regierungen gestellt wurde (Crane und Matten 2005a: 171).
Auch Moon et al. (2005: 448) stellen fest, dass Unternehmen durch ihr Engagement in neuen Governance-Vereinbarungen und durch ihre Wahrnehmung von Rechten ähnlich wie Bürger in einer Demokratie an der Arbeit von Regierungen beteiligt sind.
Matten und Crane (2005) haben die verschiedenen Rollen, die Unternehmen einnehmen können, zusammengeführt. Hier wird argumentiert, dass sich Unternehmen zunehmend in der Politik engagieren und bei der Untersuchung der Verantwortlichkeiten von Unternehmen drei Ausprägungen identifiziert werden können:
- Unternehmen als Bürger Unternehmen können als Bürger angesehen werden, weil sie Mitglieder der Gesellschaft sind, Ansprüche geltend machen und mit anderen Mitgliedern an politischen Prozessen teilnehmen können.
- Unternehmen als Regierung Unternehmen können insofern als Regierung auftreten, als dass sie für die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und für die Vergabe, Definition und Verwaltung von Bürgerrechten verantwortlich sind.
- Interessengruppen als Bürger Interessengruppen als Bürger meint dagegen die Situation, in der sich die Stakeholder eines Unternehmens mithilfe des selbigen an Bürgerrechtsprozessen beteiligen können.
Während einige Wissenschaftler der Führungsrolle von Unternehmen innerhalb und außerhalb ihrer üblichen wirtschaftlichen Aktivitäten positiv gegenüberstehen, war die wissenschaftliche Debatte von Beginn an von Skepsis und Kritik geprägt.
Van Oosterhout (2005: 677ff.) hat argumentiert, dass die erweiterte Sichtweise von »Corporate Citizenship« im Hinblick auf die Übernahme von Verantwortung zu spekulativ sei, da keine sachlichen oder empirischen Beweise hierfür zu Grunde gelegt wurden. Weiterhin beschreibt der Autor die Bürgerschaft als eine Symmetrie aus Rechten und Pflichten und stellt im Zuge dessen die Frage, warum Unternehmen überhaupt Verantwortung übernehmen sollten und was das konkrete Gegenwicht (Recht) darstellt, welches Unternehmen für die Übernahme der Pflichten einfordern könnten. Jedoch stellt der Autor gleichzeitig selbst fest, dass die erweiterte Sichtweise auf »Corporate Citizenship« durchaus eine umsetzbare Idee ist, deren Zeit lediglich noch nicht gekommen sei (ibid.).
Neron und Norman (2008: 12) sprechen sich weiterhin dafür aus, dass sich Corporate Citizenship damit befassen sollte, inwiefern sich ein Unternehmen in den politischen Prozess und in regulatorische Entscheidungen konkret einbringt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass CC keine allumfassende moralische Kategorie für die Bewertung des gesamten Unternehmensverhaltens sein, sondern sich auf einzelne Bereiche der Unternehmenstätigkeit konzentrieren sollte.
Im Gegensatz dazu unterstützen Wood und Logsdon (2008) die Argumente von Crane und Matten (2005a) und sprechen sich ebenfalls für eine politische Dimension des Konzeptes aus und befürworten die Metapher, Unternehmen als Bürger zu beschreiben. Sie kritisieren Neron und Norman für ein nach ihrer Einschätzung zu enges Verständnis von »Corporate Citizenship«.
Als Antwort auf Van Oosterhout argumentieren Crane und Matten selbst (2005b: 681f.), dass viele der eingetretenen Veränderungen so selbstverständlich seien, dass es kaum einer empirischen Begründung bedarf, diese jedoch gefunden werden können. Die Autoren verweisen dabei auf die vielen öffentlichen Dienstleistungen, die eindeutig privatisiert wurden und darauf, dass sich Unternehmen durch Verhaltenskodizes und andere Formen der privaten Regulierung einer Selbstregulierung unterziehen (ibid.). Außerdem argumentieren die Autoren, dass sie einem liberalen Verständnis der Bürgerschaft folgen, welches in erster Linie auf die Rechte der Bürger und die Verantwortung des Staates ausgerichtet ist, und nicht umgekehrt (ibid.).
Die Autoren betonen weiterhin nicht den Anspruch zu haben, die Frage nach den Gründen für eine freiwillige Verantwortungsübernahme seitens der Unternehmen zu beantworten. Sie gehen jedoch davon aus, dass Unternehmen dies nicht immer bewusst tun, da sie sich typischerweise auf die eigene Rolle als Bürger in der traditionellen Sichtweise beziehen (ibid.).
Abbildung 2: CC und CSR als simultaner Forschungsstrang
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Eigene Darstellung)
Zumindest erweist sich die erweiterte Sichtweise von Corporate Citizenship als relevant, da sie eine tiefere Debatte über die neuen politischen Rollen und Verantwortlichkeiten von Unternehmen sowie deren mögliche Grenzen angestoßen hat. Abbildung 2 skizziert den Prozess der konzeptionellen Entwicklung im Bereich CC und CSR und veranschaulicht die gemeinsame Entwicklung hin zu einer politischen Sichtweise auf die Konzepte.
2.3.4 Corporate Social Responsibility
Die Verwendung und Definition des Begriffs Corporate Social Responsibility sowie die Abgrenzung von ähnlichen Konzepten sind äußerst divergent. Diese Tatsache und der Fakt, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt keine einheitliche Definition existiert, ist bezeichnend für ein immernoch junges und sich noch in der Entwicklung befindendes Forschungsfeld. Insbesondere bleibt oft unklar, was CSR inhaltlich abdeckt und aus welcher Motivation heraus Unternehmen CSR verfolgen (siehe dazu bspw. Gras-Gil et al. 2016; García-Sánchez und García-Meca 2017).
Der mangelnde Konsens über die Grenzen von CSR stellt eine zentrale Herausforderung für den Aufbau der CSR-Theorie dar. Die Bedeutung von CSR unterscheidet sich in nationalen (Freeman und Hasnaoui 2011) und industriellen Kontexten (Frynas 2009) und das konzeptionelle Verständnis ändert sich laufend. Daher ist es angebracht, CSR als Oberbegriff für eine Vielzahl von Konzepten und Praktiken zu definieren, die alle anerkennen, dass Unternehmen eine Verantwortung für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt tragen, die oft über die Einhaltung der Gesetze hinausgeht (siehe dazu Blowfield und Frynas 2005: 503).
Ein weiteres Problem bei der Definition und der Vermittlung des Konzepts Corporate Social Responsibility ist die Tatsache, dass es sich um einen englischen Begriff handelt. Bei der Übertragung ins Deutsche wird „social“ meist mit „sozial“ übersetzt, wodurch die soziale Verantwortung in den Mittelpunkt gerückt wird. Übersetzt man „social“ jedoch mit gesellschaftlich, beinhaltet das Konzept auch die Verantwortung gegenüber gesellschaftlich relevanten Themen – womit ein Bezug zum Konzept der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) hergestellt werden kann. CSR beschreibt demnach, entsprechend letzterer Übersetzung, die generelle Verantwortung von Unternehmen gegenüber ihrem gesellschaftlichen Umfeld (Schaltegger und Müller 2008: 18).
Somit kann die CSR zusammenfassend als verantwortiches unternehmerisches Handeln beschrieben werden, wodurch Unternehmen einen freiwilligen Beitrag zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung leisten, der über die gesetzlichen Forderungen hinausgeht.
Bezüglich des Umfangs der Aktivitäten wird das CSR-Konzept häufig als Instrument definiert, „dass Unternehmen hilft, die soziale und ökologische Dimension in die Geschäftstätigkeit zu integrieren.“ (Weber 2008: 41). Als konkrete Definition hat sich im europäischen Raum die CSR-Definition der Europäischen Union durchgesetzt. Diese gilt als grundlegend für den europäischen CSR-Prozess und definiert CSR seit 2011 als „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ (European Commission 2011: 7). Bis zu diesem Zeitpunkt hat die EU die CSR noch „als ein Konzept [definiert], das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren" (Commission of the European Communities 2001: 8). Damit die Unternehmen ihrer Verantwortung im Sinne der neuen Definition von 2011 in vollem Umfang gerecht werden, sollten sie auf ein Verfahren zurückgreifen können, mit dem soziale und ökologische Aspekte in enger Zusammenarbeit mit den Stakeholdern in die Betriebsführung und in die Kernstrategie integriert werden. Auf diese Weise
- soll die Schaffung gemeinsamer Werte für die Aktionäre, die Stakeholder und die gesamte Gesellschaft optimiert werden und
- sollen etwaige negative Auswirkungen aufgezeigt, verhindert und abgefedert werden (European Commission 2011: 7).
Mit der neuen, offeneren Definition werden auch Corporate Citizenship- Aktivitäten der CSR zugeschrieben, was vorher nicht der Fall war. So wird unter anderem „freiwilliges Engagement von Beschäftigten als Ausdruck der sozialen Verantwortung“ als Teil der CSR anerkannt (European Commission 2011: 9).
Im Bezug auf multinationale Unternehmen sei an dieser Stelle angemerkt, dass die Komplexität der CSR-Aktivitäten einzelner Unternehmen von deren Größe und der Art der Geschäftstätigkeit abhängig ist.
Da sie in komplexen globalen und politischen Kontexten agieren haben viele multinational agierende Unternehmen heute die Chancen und die Notwendigkeit erkannt, die Anliegen aller Stakeholder zu berücksichtigen. Obwohl sich die CSR-Forschung des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts in erster Linie auf die empirische Arbeit zum Thema Nachhaltigkeit, Geschäftsmodelle und neue Möglichkeiten der Wertschöpfung bezogen hat, hat sie auch eine Debatte über eine neue politische Perspektive ausgelöst, die versucht, die Veränderungen im Zuge eines zunehmend globalen und politischen Umfelds zu erfassen. Insbesondere in der Literatur des strategischen Managements haben sich Porter und Kramer auf die Schnittstelle von Wirtschaft und Gesellschaft konzentriert. Als Reaktion auf die Schwierigkeit, den Nutzen von verantwortungsvollen Unternehmensinvestitionen zu quantifizieren, argumentieren sie, dass CSR ein Wettbewerbsvorteil für ein Unternehmen sein kann, wenn sie als integrativer Bestandteil des Geschäftsmodells und nicht als unkoordinierte philanthropische Aktivitäten – also von Strategie und operativem Geschäft getrennt – implementiert wird (Porter und Kramer 2019). Auch Bozzolan et al. (2015) und Siueia und Wang (2019) betonen den damit einhergehenden positiven Effekt auf den Unternehmenswert und das Unternehmensergebnis.
Mathieson (2011: 58) geht einen Schritt weiter und beschreibt es als naiv zu glauben, dass das stärkste Motiv multinationaler Unternehmen für die Ausübung von CSR in Entwicklungsländern nicht die Gewinnmaximierung ist. Eine endgültige Antwort auf diese Frage scheint jedoch schwer zu finden, da sich die Unternehmen der Forderung nach mehr "politischer Korrektheit" seitens der Verbraucher bewusst sind und unter Berücksichtigung dessen kaum ein Unternehmen zu finden sein wird, welches den Gewinn alleine als ihr Hauptmotiv für die Ausübung von CSR erklärt.
Porter und Kramer (2011) stellen derweil die gemeinsame Werteperspektive in den Vordergrund. Den Autoren folgend spielt es aus gesellschaftlicher Sicht keine Rolle, welche Arten von Organisationen den Wert geschaffen haben und aus welcher Motivation heraus dies passiert ist (Porter und Kramer 2011: 72). Um Geschäfte nachhaltiger, sozialer und effektiver zu gestalten, bedarf es einem neuen Verständnis von Kunden, Produktivität und den externen Einflüssen auf den Unternehmenserfolg, sowie einer neuen Annahme, dass ein gemeinsamer Wert und ein positiver Einfluss auf das Gemeinwohl nur durch eine effektive Zusammenarbeit aller Beteiligten entstehen kann (Porter und Kramer 2011: 73). So erscheint es angebracht, die Aufmerksamkeit dieser Arbeit auf die Schnittstelle von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu lenken und erneut zu diskutieren, inwiefern Unternehmen innerhalb solcher Strukturen einen positiven Beitrag leisten können.
Multinationale Unternehmen sehen sich mit sozialen und politischen Komplexitäten konfrontiert, nicht nur in Bezug auf die Externalitäten, mit denen sie direkt verbunden sind, sondern auch und vor allem mit den neuen, umfassenderen Herausforderungen wie der globalen Erwärmung, der Instabilität des geopolitischen Kontexts in dem sie tätig sind oder den Menschenrechtsproblemen, mit denen sie sich konfrontiert sehen. Die Theorien und Konzepte von CSR sowie die Praktiken von multinationalen Unternehmen und Regulierungsbehörden sind ein Produkt ihrer historischen Kontexte – ein "Produkt ihrer Zeit", wenn man so will.
So bringt das 21. Jahrhundert faktisch einen beispiellosen globalen und politisch komplexen Kontext mit sich und dennoch wurden die politischen Aspekte in der CSR-Forschung weitgehend vernachlässigt, insbesondere in der Wirtschafts- und Managementliteratur. Auch die traditionellen Theorien lassen die politischen Aspekte oft beiseite und berücksichtigen nicht die zugrunde liegende politische Ordnung der Gesellschaft und auch nicht den Begriff der Demokratie, die in den zeitgenössischen Diskussionen über die Rolle des Unternehmens so relevant erscheinen (Scherer und Palazzo 2008: 420). Als Reaktion auf diese Bedenken wurden in den letzten Jahren neue politische Perspektiven der CSR entwickelt und vorgeschlagen – insbesondere von den beiden akademischen Lagern von Crane, Matten und Moon mit ihrem erweiterten Verständnis von »Corporate Citizenship« und von Scherer und Palazzo mit dem Begriff der »Political Corporate Social Responsibility«.
Als Teilaspekt der CSR hat sich außerdem das Konzept der »Corporate Political Activity« (CPA) als Forschungsrahmen für die Erklärung von Unternehmensleistungen in politischen Bereichen herausgestellt, welches nachfolgend kurz erklärt wird.
2.3.5 Corporate Political Activity
Im Zusammenhang mit »Public Relations« ist das Konzept der »Corporate Political Activity« eine sehr praxisnahe strategische Managementfunktion, die sich mit der Identifizierung und Aufrechterhaltung der Kommunikation mit bestimmten externen Stakeholdern, insbesondere mit der politischen und regulatorischen Öffentlichkeit befasst (Lawton et al. 2013). Besonders die Frage der Motivation und die Arten des Engagements multinationaler Unternehmen stehen im Vordergrund dieses Forschungszweigs.
Bereits Hillman et al. (2004: 844f.) beschäftigten sich mit dieser Thematik und haben zwei verschiedene Ausprägungsformen politischer Aktivitäten von Unternehmen vorgeschlagen:
- CPA als strategische Wahl auf der Grundlage einer möglichen Wertschöpfung und
- CPA als automatisiertes instrumentelles Engagement auf der Grundlage von Unternehmensmerkmalen. Weiterhin unterscheiden die Autoren zwischen
- proaktiven Aktivitäten, die die Verhandlungen und die Gestaltung der öffentlichen Ordnung beinhalten und
- reaktiven Aktivitäten, die die Überwachung der Regulierung und die Sicherstellung der Einhaltung beinhalten könnten (ibid.).
Die Autoren kommen jedoch zu dem Schluss, dass all diese Ausprägungen einen ähnlichen Fokus auf das haben, was das politische Handeln der Unternehmen antreiben könnte: den Versuch, die staatliche Politik in einer für das Unternehmen günstigen Weise zu gestalten (ibid.).
Bereits Vogel (1996: 148f.) stellte fest, dass die Wichtigkeit eines politischen Themas für das Unternehmen der wichtigste Faktor ist, der es motiviert, politisch aktiv zu werden, während Meznar und Nigh (1995: 985f.) eine positive Beziehung zwischen Ressourcen und proaktiver politischer Strategie gefunden haben. Dies erleichtert die Vorstellung einer einflussreichen Rolle großer multinationaler Unternehmen bei der lokalen, nationalen und globalen politischen Entscheidungsfindung.
Das politische Engagement von Unternehmen ist also im Wesentlichen nichts Neues, ebenso wie die Frage, warum Unternehmen zu politischen Kampagnen beitragen, politische Parteien finanzieren, Lobbyismus betreiben oder Regierungsmitglieder in Aufsichtsräte installieren (Lawton et al. 2013: 89f.).
Entscheidend für die Aktualität der Thematik einer politischen Sicht auf die CSR ist, dass aktuelle Handlungen über die bloße Interessenvertretung und Lobbyarbeit hinausgehen. Multinationale Unternehmen tun dies möglicherweise nicht mehr nur aus rein gewinnmaximierendem Kalkül, da sich die Art und Weise des Engagements verändert hat. Diese veränderte Art und Weise meint die Übernahme von Rollen und Verantwortlichkeiten, die traditionell der Regierung oblagen, sowie der Übernahme von Rollen und Verantwortlichkeiten, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen.
Diese Veränderungen in den politischen Handlungen und möglicherweise auch der Motivation multinationaler Unternehmen sind in der Forschung lange vernachlässigt worden. Die Überprüfung der Literatur über politische Aspekte in der Wirtschaft von Lawton et al. (2013: 90f.) kommt zu dem Schluss, dass mit zunehmender Globalisierung die Waren und Dienstleistungen mehr Staatsrechte durchdringen, was wiederum immer mehr politische Akteure und Institutionen in das unternehmerische Handeln involviert (ibid.). Sie erkennen dabei die Dominanz der rein wirtschaftlichen Gründe an und sehen das Konzept der »Corporate Political Activity« als strategisches Werkzeug, das sich in erster Linie mit der Einhaltung von Vorschriften befasst.
Insgesamt mag dies Scherer und Palazzos Argument der politischen CSR zu unterstützen scheinen, insofern als das multinationale Unternehmen als politische Akteure mit politischen Aktivitäten auf globaler Ebene beschrieben werden. Es bleibt jedoch eine empirische – und sehr schwierige – Frage, ob solche unternehmerischen gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten mit dem rein ökonomischen Ziel der Gewinnmaximierung erklärt werden können oder ob andere Faktoren, wie z.B. moralische Verantwortung, eine bedeutendere Rolle im politischen Verhalten von Unternehmen spielen (Scherer et al. 2009: 330). Auch Lawton et al. (2013) betonen bei ihren Ausführungen die Verschmelzung von CPA und CSR, was auch hier die Frage aufwirft, ob der Aspekt der Gewinnmaximierung als Treiber politischer Aktivität von multinationalen Unternehmen nicht zu stark gewichtet wird.
2.4 Political Corporate Social Responsibility
Scherer und Palazzo plädieren für eine politische Konzeption von Corporate Social Responsibility, die eine zusätzliche Verantwortung der Unternehmen beinhaltet, zur Entwicklung und zum reibungslosen Funktionieren einer globalen Governance beizutragen (Scherer und Palazzo, 2008: 414).
In den letzten 20 Jahren haben verschiedene Unternehmen damit begonnen originäre Staatsaufgaben zu übernehmen (Klenk et al. 2011: 321f.; Becke et al. 2016: 9f.). Dies gilt besonders für multinationale Unternehmen. Sie engagieren sich in den Ländern, in denen Sie aktiv sind, in den Bereichen Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit und Schutz der Menschenrechte (Brüssel 2018: 83f.). Es ist darüber hinaus ein zunehmend selbstregulierendes Geschäftsverhaltens der Unternehmen durch freiwillige Initiativen (z.B. globale Verhaltenskodizes und freiwillige Umweltrichtlinien) zu beobachten, womit globale Regulierungs- und moralische Orientierungslücken geschlossen werden sollen. Studien haben weiterhin gezeigt, dass Unternehmen politischen Druck ausüben, um regulatorische Veränderungen – in Bezug auf soziale und ökologische Themen – einzuleiten. Dies geschieht durch Lobbyismus, die Mitgliedschaft in Beratungsgremien und andere traditionelle politische Kanäle (Den Hond et al. 2014: 790f.).
Derlei Aktivitäten werden von vielen Ökonomen mit Skepsis betrachtet, stehen sie doch im Widerspruch zum traditionellen Rollenverständnis von Unternehmen, wonach die einzige gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in der Gewinnmaximierung liegt (Friedman 1970). Sie sind jedoch unter anderem der Grund für das steigende Forschungsinteresse an den politischen Aspekten der Corporate Social Responsibility in den letzten Jahren (wie bspw. Mäkinen und Kourula 2012; Frynas und Stephens 2015; Baur 2018).
Crane und Matten (2005a: 166f.) sprechen einigen Unternehmen sogar eine staatsähnliche Rolle zu und argumentieren, dass sich Unternehmen zunehmend an einer Selbstregulierung beteiligen, um das durch den Prozess der Globalisierung entstandene Regulierungsvakuum zu füllen. Sie stellen fest, dass viele Unternehmen Bürgerrechte schützen, ermöglichen und durchsetzen, eine Aufgabe, die originär der staatlichen Verantwortung zufällt. Dies gilt insbesondere im Falle versagender Staaten (failing states), das heißt, insbesondere dann, wenn Nationalstaaten den Schutz der Menschenrechte nicht gewährleisten können, wie es beispielsweise in einigen Entwicklungsländern der Fall ist. Nach dieser Sichtweise haben sich Unternehmen zu wichtigen politischen Akteuren einer globalen Gesellschaft entwickelt (Scherer et al. 2016: 276).
Es wird argumentiert, dass die verschiedenen Theorien der Wirtschafts- oder Politikwissenschaften noch nicht ausreichend in der Lage sind, die neue politische Rolle der Unternehmen adäquat zu analysieren (Scherer et al. 2015). Gegenwärtige Ansätze der politischen Betätigung von Unternehmen beruhen nach wie vor hauptsächlich auf einer strikten Trennung von Politik und Wirtschaft (Schank, Beschorner 2018: 175f.). Die am Gemeinwohl orientierte Regulierung der Wirtschaft wird dabei als alleinige Aufgabe des Staates verstanden, während Unternehmen im Rahmen der geltenden Gesetze und der gegebenen moralischen Erwartungen ihre Gewinne optimieren. Unternehmen nehmen demnach, wenn überhaupt, nur dann Einfluss auf das politische System, wenn es ihren Gewinninteressen dient.
Scherer und Palazzo (2011) verweisen auf die Erkenntnisse von Nachbardisziplinen der Betriebswirtschaftslehre (Political Theory, International Relations, International Law), in denen ein verändertes Verständnis der politischen Rolle von Unternehmen zunehmend in den Blickpunkt gerät und Unternehmen als Akteure verstanden werden, die aus verschiedenen Gründen und Motivationslagen an den Prozessen der Gestaltung globaler Regeln teilnehmen (Scherer 2018: 387f.). Sie argumentieren, dass die Forscher in der Diskussion über die kulturellen und institutionellen Folgen der Globalisierung für staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure damit begonnen hätten, die Rolle der nichtstaatlichen Akteure im Prozess der »Global Governance« (GG) neu zu definieren – diese Diskussionen seien essentiell für die zukünftige Theorieentwicklung im Bereich CSR (ibid.).
Im Wesentlichen plädieren Scherer und Palazzo für einen Paradigmenwechsel in der Debatte um CSR, um die Veränderungen des noch jungen Jahrhunderts zu erkennen und das Unternehmen neben seinem wirtschaftlichen Zweck auch als wichtigen politischen Akteur anzuerkennen. Die Autoren verteidigen die Annahme eines unzureichend funktionierenden politischen und regulatorischen Rahmens und argumentieren, dass der globale regulatorische Rahmen unvollständig sei und dass Unternehmen daher eine zusätzliche Verantwortung tragen, zur Entwicklung und zum ordnungsgemäßen Funktionieren einer »Global Governance« beizutragen (Scherer und Palazzo 2008: 414).
Das politische Konzept der CSR „holds actors responsible precisely for things they themselves have not done and that assuming political responsibility means joining public discourses" und verändert damit „changes the modus of responsibility from the reactive model of the positivist approach to the proactive concept of societal involvement " (Scherer und Palazzo 2007: 1100 und 1114). Um die Wichtigkeit zweier zentraler Unterschiede zwischen traditioneller und politischer CSR herovrzuheben, werden diese in Tabelle 2 dargestellt.
Tabelle 2: Vergleich zwischen traditioneller und politischer CSR
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eigene Darstellung in Anlehnung an Scherer und Palazzo (2011: 908)
Multinationale Unternehmen übernehmen somit eine politisch erweiterte Verantwortung, indem sie sich an der Bereitstellung öffentlicher Güter beteiligen, globale Lücken mit spezifischen Initiativen der Selbstregulierung schließen oder internationale Geschäftsstandards in Multi-Stakeholder-Global-Governance-Vereinbarungen mitgestalten (Scherer und Palazzo 2008: 425). Mit dieser neuen Situation, die die traditionellen Grenzen zwischen politischen und wirtschaftlichen Akteuren verwischt, werden multinationale Unternehmen politisiert, da sie Teil einer Lösung politischer Probleme werden (Scherer und Palazzo 2008). Scherer und Palazzo definieren damit ihr Konzept der »Political Corporate Social Responsibility« wie folgt: „Political Corporate Social Responsibility is a movement of the corporation into environmental and social challenges such as human rights [and] global warming whilst identifying the challenge of CSR as engaging in a political deliberation process that aims at setting and resetting the standards of global business behaviour“ (Scherer und Palazzo 2008: 426).
Die Autoren argumentieren, dass die traditionelle CSR-Theorie veraltet ist und die Realität, mit der sich multinationale Unternehmen konfrontiert sehen, nicht ausreichend reflektiert wird. Konkret verweisen sie auf die problematische instrumentelle Logik von CSR, da die Literatur von einem ökonomischen Paradigma dominiert wird, das eine strikte Trennung von Politik und Wirtschaft befürwortet und einer Gewinnmaximierung, die die Übernahme sozialer Verantwortung nur dann zulässt, wenn sie den Gewinn des Unternehmens steigern (Scherer und Palazzo 2011: 904). Die Dominanz dieses ökonomischen Paradigmas in CSR-Debatten wird auch von anderen Autoren allgemein anerkannt (vgl. dazu Neßler und Lis 2015; Reiser 2018).
Scherer und Palazzo kritisieren grundsätzlich und fachbereichsübergreifend die dominierende rein wirtschaftliche Rolle von Unternehmen und bieten stattdessen mit dem Konzept der politischen CSR eine Perspektive, die das multinationale Unternehmen als entscheidenden wirtschaftlichen und politischen Akteur in einer komplexer werdenden Welt betrachtet. Auch Crane et al. (2008a) sind sich einig, dass die zeitgenössische Theorie veraltet ist, weil sie die wachsende politische Bedeutung des Unternehmens gegenüber anderen relevanten Akteuren nicht richtig erfasst.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die erweiterte Sichtweise auf das Konzept Corporate Citizenship und die politische Corporate Social Responsibility sehr ähnlich sind, was erklärt, warum Scherer und Palazzo »Corporate Citizenship« in einigen ihrer Arbeiten synonym mit ihrer »Political CSR« verwenden.
Crane et al. sind deskriptiver in ihrer Analyse und ihrer Diskussion über spezifische Beziehungen zwischen Unternehmen, Regierung und Interessengruppen, während Scherer und Palazzo abstrakter und sich mit ihren Überlegungen auf einer größeren, globaleren Ebene befinden.
In jedem Fall rechtfertigt die Infragestellung der Angemessenheit der aktuellen Theorien über die politische Verantwortung multinationaler Unternehmen in einer globalisierten Welt jenes allgemeine Argument, dass eine politische Perspektive von CSR erforderlich ist, um der politischen Realität und Komplexität der CSR-Bemühungen und dem zunehmenden Engagement von Unternehmen in der globalen Governance gerecht zu werden.
2.5 Global Governance
Die Global Governance beschreibt einen sehr zentralen Aspekt, wenn es darum geht, die Thematik einer politischen Verantwortung multinationaler Unternehmen zu erfassen. Der Begriff ist daher für diese Arbeit äußerst relevant, weshalb es sinnvoll erscheint, ihn an dieser Stelle kurz zu definieren.
Auf globaler Ebene sind Nationalstaaten und auch internationale Institutionen immer weniger in der Lage, eine ausreichende Versorgung mit globalen öffentlichen Gütern anzubieten und die Weltwirtschaft im Interesse des Gemeinwohls zu regulieren (Albert et al. 2018: 381f.). In diesem Problemkontext wird der Begriff der »Global Governance« verwendet, um Möglichkeiten aufzuzeigen, die globalen Regulierungslücken zu schließen. Als politisches Programm meint »Global Governance« die kooperative, multilaterale Gestaltung der Globalisierung (Stickler 2015: 164). Das Konzept beschreibt dabei den Findungs- und Durchsetzungsprozess globaler Regeln, sowie die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter und soll helfen, die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und privatwirtschaftlichen Unternehmen zu stärken (ibid: 164ff.). Eine globale Governance beschreibt also einen polyzentrischen und multilateralen Regulierungsprozess, an dem zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure beteiligt sind. Die GG ist im Wesentlichen ein „patchwork of modes of governance consisting of actors from different environments who are equipped with very different resources" (Wolf 2008: 226). Messner (2005: 37) definiert den Begriff als: „Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die die kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Phänomene erlauben.“
Der Begriff bezeichnet demnach das Streben nach, bzw. die Gesamtheit an Institutionen, Regelsystemen und Mechanismen, mit denen unterschiedliche Akteure globale Herausforderungen diskutieren und entscheiden.
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- Quote paper
- Oliver Hämmerle (Author), 2020, Die politische Corporate Social Responsibility. Politische Verantwortung von multinationalen Unternehmen in einer globalisierten Welt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/583765
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