Ziel dieser Arbeit ist es, mögliche Ursachen für die geringe Verbreitung von Frauen in den Leitungsebenen der Wissenschaft und Forschung zunächst allgemein und dann in Bezug auf das Forschungszentrum Karlsruhe darzustellen und zu diskutieren. Mit Hilfe des Neo-Institutionalismus soll dieses Problem zudem aus organisationstheoretischer Sicht durchleuchtet werden. Zunächst wird die theoretische Basis dieser Arbeit - der Neo-Institutionalismus - dargelegt, wobei hier der Schwerpunkt auf die grundlegenden Ansätze von Meyer, Rowan und DiMaggio, Powell gelegt wird. Diese makro-institutionalistischen Ansätze eigenen sich besonders für die Untersuchung der Chancengleichheit am Forschungszentrum Karlsruhe, weil sie den Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen auf die Gestaltung von Organisationen analysieren. Im darauf folgenden Abschnitt wird der geschichtliche Hintergrund sowie das daraus resultierende Rollenverständnis und Frauenbild unserer Zeit vorgestellt. Dessen Darstellung ist wichtig, um zum Teil immer noch bestehende Rollenzuweisungen zu den Geschlechtern und die daraus resultierende Chancenungleichheit besser verstehen zu können. Auch das Verständnis und die Beurteilung des Status quo der Frauen in Wissenschaft und Forschung und die sich daraus ergebenden Spannungsfelder werden dadurch erleichtert. Ein weiterer großer Einflussfaktor auf das Thema Chancengleichheit sind die gesetzlichen Regelungen, deren Ziel die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaftlichen Bereichen ist. Die wichtigsten internationalen und nationalen Regelungen werden im Abschnitt 4.1 dargelegt. Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern wird vor allem seit der Implementierung des Konzepts des Gender Mainstreaming in alle Politikbereiche verstärkt vorangetrieben. Deshalb wir es auch in dieser Arbeit näher betrachtet. Zur Umsetzung dieses Konzepts dienen u. a. auch das Total-E-Quality-Prädikat sowie die Förderung familienfreundlicher Maßnahmen. Als Abschluss für die organisationsübergreifenden Maßnahmen wird der Sinn und Zweck von Frauennetzwerken dargestellt. Auf der Ebene einzelner Organisationen werden mögliche Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit beschrieben. Hierbei wird im Detail auf das Konzept des Mentoring, auf Programme zur speziellen Förderung weiblicher Mitarbeiter und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingegangen. [...]
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Das Phänomen Chancengleichheit
1.1 Warum eine Untersuchung zu diesem Thema?
1.2 Ziel der Untersuchung
1.3 Aufbau der Diplomarbeit
2 Der Neo-Institutionalismus
2.1 Überblick
2.2 Der Ansatz von John W. Meyer und Brian Rowan
2.3 Der Ansatz von Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell
2.4 Kritische Würdigung
3 Die Situation der Frau im 21. Jahrhundert
3.1 Das Frauenbild im 21. Jahrhundert und dessen historische Entwicklung
3.2 Frauen in Wissenschaft und Forschung
4 Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit
4.1 Rechtliche Aspekte
4.2 Organisationsübergreifende Maßnahmen
4.2.1 Gender Mainstreaming
4.2.2 Das TOTAL E-QUALITY-Prädikat
4.2.3 Förderung familienfreundlicher Maßnahmen
4.2.4 Frauennetzwerke
4.3 Maßnahmen von Organisationen
4.3.1 Mentoring
4.3.2 Gezielte Förderung weiblicher Mitarbeiter
4.3.3 Vereinbarkeit von Familie und Beruf
5 Chancengleichheit beim Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
5.1 Das Forschungszentrum Karlsruhe als Mitglieder der Helmholtz-Gemeinschaft
5.2 Personalstruktur nach Geschlecht und hierarchischer Stellung
5.3 Einbettung der Chancengleichheit in das Leitbild des Instituts
5.4 Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit beim FZK
5.4.1 Gleichstellungsbeauftragte
5.4.2 Betriebsvereinbarungen
a) Betriebsvereinbarung Auswahlrichtlinien/Bildungsmaßnahmen/Schutz vor sexueller Belästigung
b) Betriebsvereinbarung über die betriebliche Kindertagesstätte (KiTa) des Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
c) Betriebsvereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit in Umsetzung der Ausführungsvereinbarung Chancengleichheit
5.4.3 Das TOTAL E-QUALITY-Prädikat
5.4.4 Förderprogramme für weiblichen Führungsnachwuchs
a) Spezielle Fortbildungskurse für Frauen
b) Mentoring-Programme
5.4.5 Maßnahmen zur Vereinbarkeit Beruf und Familie
5.4.6 Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils der Studentinnen in Studiengängen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind
5.4.7 Frauennetzwerke
6 Vorgehen bei der empirischen Untersuchung
6.1 Fragestellung und Zielsetzung
6.2 Methodik der Vorgehensweise
6.3 Ablauf der Interviews
7 Auswertung der Interviews
8 Fazit und Ausblick
9 Literaturverzeichnis
10 Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Frauenanteile in verschiedenen Stadien der akademischen Laufbahn
Abbildung 2: Die beschäftigungspolitischen Leitlinien der EU
Abbildung 3: Anteil von Frauen in den Führungsebenen des FZK
Abbildung 4: Prozentuale Frauen- und Männeranteile nach Vergütungsgruppen
Abbildung 5: Prozentuale Frauen- und Männeranteile in den einzelnen Berufsgruppen
Abbildung 6: Profile der interviewten Wissenschaftlerinnen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Das Phänomen Chancengleichheit
Der Begriff Chancengleichheit ist zum Schlagwort für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Lebenslagen geworden. „Chancengleichheit bedeutet, dass den Frauen die gleichen Türen offen stehen wie den Männern.“ (Cockburn 1993, S. 39). Damit ist gemeint, dass Frauen und Männern unter den gleichen Bedingungen die gleichen Möglichkeiten zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung gegeben werden und niemand aufgrund seines Geschlechts benachteiligt wird.
1.1 Warum eine Untersuchung zu diesem Thema?
Das Thema Chancengleichheit wird zurzeit von den Medien häufig aufgegriffen und diskutiert, gerade weil es in vielen Lebensbereichen, insbesondere in den Leitungsebenen von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen eine ungleiche Verteilung von Männern und Frauen gibt. In der aktuellen Ausgabe der „Bild der Wissenschaft“ wird die Problematik des geringen Anteils an Frauen in den Leitungsebenen von Wissenschaft und Forschung unter der Überschrift „Emanzipiertes Deutschland?“ auf den Punkt gebracht:
„Schaut man sich in den oberen Etagen von Naturwissenschaft und Forschung um, könnte man das bezweifeln. Frauen sind hier dünn gesät – umso mehr fallen die wenigen auf, die es bis dorthin geschafft haben.“ (BdW 2005, S. 40).
Obwohl Frauen erfolgreicher als Männer an Bildung und schulischer Qualifikation teilnehmen - 56,4 % aller Abiturienten des Schuljahres 2002/2003 waren weiblich (vgl. Statistisches Bundesamt 2004, eigene Berechnungen) - setzt sich das nicht in einer entsprechenden beruflichen Qualifizierung und Karriere um.
Doch was sind die Ursachen für diese Situation? Ist einer der Gründe das Vorhandensein einer „gläsernen Decke“, das ein Vorankommen der Wissenschaftlerinnen ab einer gewissen Karrierestufe verhindert? Oder liegt es an der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch heute noch in der Regel zu Lasten der Frauen geht, weil ihnen die Betreuung der Kinder übertragen wird?
1.2 Ziel der Untersuchung
Ziel dieser Arbeit ist es, mögliche Ursachen für die geringe Verbreitung von Frauen in den Leitungsebenen der Wissenschaft und Forschung zunächst allgemein und dann in Bezug auf das Forschungszentrum Karlsruhe darzustellen und zu diskutieren. Mit Hilfe des Neo-Institutionalismus soll dieses Problem zudem aus organisationstheoretischer Sicht durchleuchtet werden.
1.3 Aufbau der Diplomarbeit
Zunächst wird die theoretische Basis dieser Arbeit – der Neo-Institutionalismus – dargelegt, wobei hier der Schwerpunkt auf die grundlegenden Ansätze von Meyer, Rowan und DiMaggio, Powell gelegt wird. Diese makro-institutionalistischen Ansätze eigenen sich besonders für die Untersuchung der Chancengleichheit am Forschungszentrum Karlsruhe, weil sie den Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen auf die Gestaltung von Organisationen analysieren.
Im darauf folgenden Abschnitt wird der geschichtliche Hintergrund sowie das daraus resultierende Rollenverständnis und Frauenbild unserer Zeit vorgestellt. Dessen Darstellung ist wichtig, um zum Teil immer noch bestehende Rollenzuweisungen zu den Geschlechtern und die daraus resultierende Chancenungleichheit besser verstehen zu können. Auch das Verständnis und die Beurteilung des Status quo der Frauen in Wissenschaft und Forschung und die sich daraus ergebenden Spannungsfelder werden dadurch erleichtert.
Ein weiterer großer Einflussfaktor auf das Thema Chancengleichheit sind die gesetzlichen Regelungen, deren Ziel die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen gesellschaft-lichen Bereichen ist. Die wichtigsten internationalen und nationalen Regelungen werden im Abschnitt 4.1 dargelegt.
Das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern wird vor allem seit der Implementierung des Konzepts des Gender Mainstreaming in alle Politikbereiche verstärkt vorangetrieben. Deshalb wir es auch in dieser Arbeit näher betrachtet. Zur Umsetzung dieses Konzepts dienen u. a. auch das Total-E-Quality-Prädikat sowie die Förderung familienfreundlicher Maßnahmen. Als Abschluss für die organisationsübergreifenden Maßnahmen wird der Sinn und Zweck von Frauennetzwerken dargestellt.
Auf der Ebene einzelner Organisationen werden mögliche Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit beschrieben. Hierbei wird im Detail auf das Konzept des Mentoring, auf Programme zur speziellen Förderung weiblicher Mitarbeiter und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingegangen.
Im zweiten Teil dieser Arbeit wird zunächst das Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft (HGF) vorgestellt. Dabei wird die Personalstruktur des Forschungszentrums im Hinblick auf verschiedene Formen der Segregation sowie die Einbettung des Themas Chancengleichheit in das Leitbild der Einrichtung betrachtet. Zudem werden detailliert die verschiedenen Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit am FZK dargelegt.
Nach einem kurzen Überblick über die Vorgehensweise bei der Untersuchung erfolgt schließlich die Auswertung der Interviews, die im Rahmen dieser Arbeit mit Wissenschaftlerinnen des FZK durchgeführt wurden.
Zum Abschluss werden die Ergebnisse mit den Aussagen der neo-institutionalistischen Ansätze in Verbindung gebracht und bewertet.
2 Der Neo-Institutionalismus
2.1 Überblick
Den theoretischen Rahmen dieser Arbeit bilden die makroinstitutionalistischen Ansätze von Meyer, Rowan bzw. DiMaggio, Powell, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Zunächst werden jedoch einige grundlegende Begrifflichkeiten erklärt.
Bei institutionalistischen Ansätzen handelt es sich um
“those approaches in comparative organisation studies which argue that organisational structures and processes are shaped by cultural and institutional environments rather than those arguing that they are related to different stages of capitalist development or contingencies.” (Tempel 2001, S. 28).
Über die Definition des Begriffs „Institution“ herrscht zwischen den verschiedenen Forschungsrichtungen wenig Übereinstimmung. Institutionalismus hat unterschiedliche Bedeutungen in der Soziologie sowie den Wirtschafts- und Politikwissenschaften. Innerhalb der einzelnen Disziplinen haben verschiedene Attribute unterschiedliche Bedeutung für einzelne Ebenen der Analyse und Aspekte von Institutionen. Die Organisationstheorie wurde am meisten von der soziologischen Forschungsrichtung bzw. Perspektive beeinflusst (vgl. Tempel 2001, S. 32).
Doch was genau ist eine Institution? Laut Duden ist eine Institution eine öffentliche staatliche oder kirchliche Einrichtung (vgl. Duden 1996). Das Verb „institutionalisieren“ wird gleichgesetzt mit „in eine gesellschaftlich anerkannte, feste [starre] Form bringen; ... zu einer Institution werden.“ (Duden 1990). Den gesellschaftlichen Aspekt betonen Hasse, Krücken (1999):
„Institutionen lassen sich deshalb allgemein als übergreifende Erwartungsstrukturen definieren, die darüber bestimmen, was angemessenes Handeln und Entscheiden ist. … Institutionen in diesem erweiterten Sinn prägen die Verhaltensweisen einzelner Gesellschaftsmitglieder und regulieren hierdurch das gesellschaftliche Miteinander.“(Hasse, Krücken 1999, S. 7).
Als Beispiel für eine solche Institution nennen Hasse und Krücken die Straßenverkehrs-regeln. Aufgrund der Akzeptanz dieser Regeln durch die einzelnen Verkehrsteilnehmer wird ein sicheres Fortkommen aller Beteiligten ermöglicht (vgl. Hasse, Krücken, S. 7).
Der Begriff der Institution hat in der Entwicklung vom volkswirtschaftlich ausgerichteten Neo-Institutionalismus hin zu dessen organisationstheoretischer Ausrichtung einen Wandel erfahren. Die Veränderung besteht darin, dass bei den zuerst genannten Ansätzen Institutionen als das Ergebnis eines menschlichen Entwurfs gesehen werden, der durch bewusstes und zielstrebiges Verhalten der Individuen erreicht wird, während bei den organisationstheoretischen Ansätzen das Bewusstsein des menschlichen Handelns in Frage gestellt wird (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 8).
„Institutionen bestehen weniger, weil sie durch bewußte Handlungen produziert und reproduziert werden, sondern vielmehr, weil sie durch routinemäßig reproduzierende Verfahren, d.h. quasi-automatische Verhaltensabläufe (Skripte), unterstützt und aufrechterhalten werden, und zwar so lange, bis eine Störung in der Umwelt den Reproduktionsprozeß unterbricht.“ (Walgenbach 2001,
S. 322).
Organisationen sind somit „loosely coupled arrays of standardized elements“ (DiMaggio, Powell 1991, S. 14), deren Strukturen und Verhaltensweisen durch die in der Gesellschaft institutionalisierten Regeln bestimmt werden. Folglich entwickeln sich Organisationen und Gesellschaft parallel.
Zentraler Bestandteil der institutionalistischen Ansätze ist also die Umwelt von Organisationen, wobei diese „aus Kultursystemen, die organisationale Strukturen definieren und legitimieren und so zu deren Schaffung und Aufrechterhaltung beitragen“ (Walgenbach 2001, S. 324) bestehen.
Die Neo-Institutionalisten verstehen den Begriff der Institutionalisierung sowohl als Prozess als auch als Zustand. Institutionalisierung als Prozess beinhaltet “the processes by which social processes, obligations, or actualities come to take on a rulelike status in social thought and action.“ (Meyer, Rowan 1991, S. 42). D.h., sie werden von den Individuen nicht mehr hinterfragt und als objektiv gegeben betrachtet (vgl. Walgenbach 2001, S. 321).
„Institutionalisierung als Zustand bezieht sich auf Situationen, in denen die von einer Gesellschaft
oder Kultur geteilte gedankliche Struktur der ‚Wirklichkeit’ bestimmt, was Bedeutung besitzt und welche Handlungen möglich sind.“ (Walgenbach 2001, S. 321, vgl. DiMaggio, Powell 1991a, S. 9).
2.2 Der Ansatz von John W. Meyer und Brian Rowan
Die Stanforder Soziologen John W. Meyer und Brian Rowan greifen in ihrem Artikel „Institutionalized Organizations: Formal Structure as Myth and Ceremony“ den Legitimitätsaspekt im Bürokratiemodell von Max Weber auf (vgl. Kieser 2001, S. 46 f.). Dabei findet jedoch eine Abgrenzung zu Webers Modell statt. Für Meyer, Rowan sind Legitimitäts- und Effizienzkriterien nicht deckungsgleich. Vielmehr internalisieren Organisationen so genannte „Rationalitätsmythen“, die in der Gesellschaft bzw. in der Umwelt einer Organisation institutionalisiert sind. Solche Mythen können Produkte, Dienstleistungen oder Techniken sein, die die Legitimität einer Organisation in der Gesellschaft und damit ihre Überlebensaussichten erhöhen, unabhängig davon, ob dadurch Effizienzkriterien Genüge geleistet wird (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 41).
„Legitimität meint damit, dass kulturell bedingte Betrachtungsweisen sinnvolle Erklärungen für die Existenz, die Funktionsweise oder den Zuständigkeitsbereich der Organisation bieten.“ (Walgenbach 2001, S. 331).
Indem Organisationen solche Mythen adoptieren, entsteht eine Strukturähnlichkeit zwischen Organisation und Umwelt, die Meyer, Rowan als „Isomorphie“ bezeichnen. Zusätzlich führt das Wachstum rationaler institutionalisierter Strukturen in der Gesellschaft dazu, dass sich Organisationen untereinander immer stärker ähneln und angleichen (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 45 ff.).
Eine weitere Behauptung von Meyer, Rowan ist, dass mit zunehmender Modernität einer Gesellschaft auch das Netz institutionalisierter, rationaler Regeln ausgedehnter und die Anzahl der Bereiche, in denen es solche Regeln gibt, größer wird. Ursachen dafür sind zum einen, dass mit der Modernisierung von Gesellschaften deren Beziehungsgeflechte komplexer werden. Zum anderen dienen institutionalisierte Regeln in modernen Gesellschaften als rationale Mittel zum Erreichen von gewünschten Zielen (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 46). Wegen der zunehmenden Ausdifferenzierung der Anwendungsgebiete institutionalisierter Regeln sprechen die Institutionalisten deshalb auch von institutionellen Umwelten von Organisationen, die sich erheblich darin unterscheiden können, was in ihnen als rational betrachtet wird (vgl. Walgenbach 2001, S. 325).
„[N]orms of rationality are not simply general values. They exist in much more specific and powerful ways in the rules, understandings, and meanings attached to institutionalized social structures.” (Meyer, Rowan 1991, S. 44).
So weisen z. B. Banken andere Vorstellungen von Rationalität auf als Umweltverbände oder Gewerkschaften.
Meyer, Rowan definieren ein Kontinuum verschiedener Umwelten, auf dem Organisationen eingeordnet werden können (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 55 sowie Meyer, Scott 1991, S. 123). Das eine Ende dieses Kontinuums bilden technische Umwelten.
„[T]echnical environments are those in which a product or service is produced and exchanged in a market such that organizations are rewarded for effective and efficient control of their product systems.“ (Meyer, Scott 1991, S. 123).
Am anderen Ende befinden sich die institutionellen Umwelten:
„Institutional environments are, by definition, those characterized by the elaboration of rules and requirements to which individual organizations must conform if they are to receive support and legitimacy.“ (Meyer, Scott 1991, S. 123).
Organisationen, die den einzelnen Umwelten zugeordnet werden können, werden auch mit unterschiedlichen Rationalitätsmythen konfrontiert.
„Technische Umwelten betonen eine Rationalität, die Vorschriften umfasst, die Mittel und Zwecke in einer Form in Übereinstimmung bringt, die in effizienter Weise vorhersagbare Ergebnisse produziert. Institutionelle Umwelten betonen einen anderen Aspekt von Rationalität: anderen Akteuren Gründe liefern, die Handlungen, Strukturen oder auch Konzepte verständlich und akzeptabel erscheinen lassen.“ (Walgenbach 2001, S. 327).
Diese klare Aufteilung von Umwelten in diese beiden Bereiche ist aber analytisch gedacht. Auch Organisationen, die in institutionelle Umwelten einzuordnen sind, müssen gewissen Effizienzkriterien gerecht werden.
Organisationen, die in erster Linie in institutionellen Umwelten agieren, werden mit zwei Problemen konfrontiert. Erstens konfligieren die adoptierten institutionalisierten Regeln häufig mit Effizienzerfordernissen der Produktion. Zweitens können die Quellen der Rationalitätsmythen in unterschiedlichen Umwelten liegen und dadurch zueinander in Konflikt stehen (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 55).
„Die daraus resultierenden Inkonstistenzen erschweren die Bemühungen um eine effiziente Produktion und machen eine enge Steuerung und Koordination der Aktivitäten der Organisation durch formale Struktur problematisch.“ (Walgenbach 2001, S. 339).
Organisationen haben unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten auf diese Problematik. Meyer, Rowan sehen die ganzheitlichste Lösung in den Ansätzen der Entkopplung und Logik des Vertrauens.
Organisationen mit dem Ziel der technischen Effizienz versuchen ihre formale Struktur und ihre tatsächlichen Aktivitäten in Einklang zu bringen. Dies wird durch eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung der Qualität, des Zielerreichungsgrads und der Ergebnisse der Untereinheiten unterstützt. Dieses intensive Monitoring würde jedoch dazu führen, dass Ineffizienzen und Inkonsistenzen aufgedeckt würden. Um dies zu verhindern, schützen Organisationen
„their formal structures from evaluation on the basis of technical performance: inspection, evaluation, and control of activities are minimized, and coordination, interdependence, and mutual adjustments among structural units are handled informally.” (Meyer, Rowan 1991, S. 57).
Strukturelemente werden von den tatsächlichen Aktivitäten der Organisation entkoppelt. Die Entkopplung gestaltet sich wie folgt aus: Ziele werden vage oder mehrdeutig formuliert. Kategorische Ziele werden durch technische ersetzt, z. B. heilt ein Krankenhaus Patienten nicht, sondern behandelt sie. Integration wird verhindert, wodurch Konflikte verringert und den Organisationen die Unterstützung einer größeren Anzahl externer Akteure gesichert werden. Die Implementierung neuer Programme wird vermieden. Die Überwachung und Bewertung der Aktivitäten werden ritualisiert, beispielsweise durch die Vergabe von Qualitätszertifikaten wie das ISO 9000- und dem TOTAL E-QUALITY-Zertifikat. Menschlichen Beziehungen wird hohe Bedeutung beigemessen. Folglich können Organisationen ihre standardisierte und legitimierte formale Struktur aufrechterhalten und gleichzeitig ihre Aktivitäten an die praktischen Gegebenheiten anpassen (vgl. Meyer, Rowan 1991, S. 57 f.).
Trotz des Mangels an Koordination und Kontrolle, verlaufen die Aktivitäten in Organisationen nach einem ordentlichen Muster. Dies wird durch das Vertrauen und den guten Glauben der internen und externen Akteure an die strukturellen Elemente der Organisation erreicht.
„Sie nehmen Organisationen die legitimierten Verfahrensweisen und Programme, wie z. B. die Gleichstellung der Geschlechter oder Qualitätssicherungsprogramme ab und sind deshalb gewillt, ihre Arbeitsleistung oder Kapital zur Verfügung zu stellen.“ (Walgenbach 2001, S. 340).
Die Annahme, dass Dinge so sind, wie sie scheinen und dass Mitarbeiter und Manager ihre Rollen korrekt spielen, erlaubt es Organisationen, ihre alltäglichen Routinen mit einer entkoppelten Struktur durchzuführen.
„The committed participants engage in informal coordination that, although often formally inappropriate, keeps technical activities running smoothly and avoids public embarrassments.” (Meyer, Rowan 1991, S. 59).
In Abschnitt 2.2 wird nun der Ansatz von DiMaggio, Powell dargestellt, der neben einigen Gemeinsamkeiten in einigen Punkten von Meyer, Rowan’s Ansichten abweicht.
2.3 Der Ansatz von Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell
Auch die Organisationssoziologen Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell beziehen sich in ihrem Artikel „The Iron Cage Revisited: Institutional Isomorphism and Collective Rationality in Organizational Fields“ auf Max Weber. So greifen sie mit dem Titel ihrer Arbeit Webers Metapher des „Iron Cage“ bzw. „stahlharten Gehäuses“ für den Begriff der Bürokratie auf. Als einer der wichtigsten Ursachen für die Bürokratisierung nennt Weber die Entstehung der modernen Kapitalgesellschaft und den daraus resultierenden Wettbewerb (vgl. Kieser 2001, S. 50 f.).
DiMaggio, Powell gehen davon aus, dass sich die Ursachen für die Dominanz von Bürokratien als Organisationsform und die fortgesetzte Angleichung von Organisationen untereinander seit Weber geändert haben und nun nicht mehr im Wettbewerb oder in Effizienzkriterien zu suchen sind, sondern in Anpassungsprozessen zwischen Organisationen (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 64).
Diese Anpassungsprozesse von Organisationen resultieren aus der Strukturierung organisationaler Felder. Unter einem organisationalen Feld verstehen DiMaggio, Powell
„those organizations that, in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product consumer, regulatory agencies, and other organizations that produce similar services or products.“ (DiMaggio, Powell, 1991, S. 64).
Im Gegensatz zu Meyer, Rowan’s noch relativ diffusen Umweltbegriff, dem die Gesellschaft gleichzusetzen war, definieren DiMaggio, Powell als Umwelt „die sich in einem wechselseitigen Legitimationsverhältnis befindenden Organisationen eines Feldes.“ (Hasse, Krücken 1999, S. 16). Die Zugehörigkeit einer Organisation zu einem solchen organisationalen Feld führt langfristig zu einer Angleichung der Organisation an die anderen Mitgliedsorganisationen des Feldes (vgl. DiMaggio, Powell, S. 65).
Diesen Anpassungsprozess bezeichnen DiMaggio, Powell als „Isomorphismus“ (vgl. DiMaggio, Powell, S. 66). Anders wie bei Meyer, Rowan werden die Schwerpunkte der Theorie hier aber nicht nur auf eine Anpassung der Organisation an die Gesellschaft gelegt, sondern vielmehr auf eine Homogenisierung der Organisationen eines Feldes und deren verschiedenen Anpassungsprozesse (vgl. Hasse, Krücken 1999, S. 15).
DiMaggio, Powell unterscheiden drei Arten solcher Anpassungsprozesse: Isomorphismus durch Zwang, Isomorphismus durch Imitation und normativen Isomorphismus (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 67). Im Folgenden werden diese unterschiedlichen Anpassungsprozesse im Detail dargestellt.
Isomorphismus durch Zwang resultiert aus Druck, den einerseits andere Organisationen auf eine Organisation ausüben und der andererseits aus gesellschaftlichen Erwartungen ihrer Umwelt entsteht (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 67). Entscheidenden Einfluss bei dieser Form der Anpassung haben die Politik und das Problem der Legitimität, das auch schon von Meyer, Rowan thematisiert wurde.
Die Politik bzw. der Staat bestimmen durch gesetzliche Vorgaben und Bestimmungen direkt die Struktur von und das Verhalten in Organisationen. Als Beispiel dafür kann man das Bundesgleichstellungsgesetz nennen, das für Behörden, Ämter und Gerichte des Bundes sowie für mit Bundesmittel finanzierte und geförderte Einrichtungen gilt. Dieses Gesetz verlangt u. a. die Wahl einer Gleichstellungsbeauftragten und prägt damit wesentlich die Chancengleichheitspolitik in den einzelnen Einrichtungen. Die politischen Maßnahmen kann man auch als Umsetzung der gesellschaftlichen Erwartungen verstehen (vgl. Hasse, Krücken 1999, S. 16). Durch die Anpassung der Organisation an diese Erwartungshaltung erzielt sie gesellschaftliche Legitimation.
Aber nicht nur der politische Einfluss bewirkt organisationale Anpassungsprozesse, sondern auch der Einfluss anderer Organisationen, zu denen sich eine Organisation in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. So werden z. B. das Verhalten und die Struktur der Zweigstelle eines Unternehmens wesentlich von dessen Mutterkonzern bestimmt (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 68).
Isomorphismus durch Imitation wird durch Unsicherheit gefördert.
„Unklare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, heterogene Umwelterwartungen und der Mangel an eindeutigen Problemlösungstechnologien führen zu Prozessen wechselseitiger Beobachtung und
Imitation.“ (Hasse, Krücken 1999, S. 16-17).
Organisationen, die sich in einem unsicheren Zustand befinden, lösen ihre Probleme tendenziell durch Imitation der Strategien und Strukturen erfolgreicher Organisationen. Diese Nachahmungsprozesse können direkt über Mitarbeitertransfers oder Übernahmen bzw. indirekt durch den Einfluss von Unternehmensberatungen ablaufen. Gerade bei Unternehmen erhöht das Kopieren neuer, erfolgreicher Arbeitsmodelle die Legitimität, weil sie damit demonstrieren, dass sie ihre Arbeitsbedingungen verbessern wollen (DiMaggio, Powell 1991, S. 69 f.).
Normativer Isomorphismus ist eng mit dem Begriff der Professionalisierung verbunden. Durch Professionalisierung definieren die Mitglieder einer Berufsgruppe die Voraussetzungen und Methoden ihrer Arbeit und kontrollieren die Ausbildung neuer Mitglieder (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 70). Organisationen eines organisationalen Feldes weisen ähnliche Verteilungen von Professionen in ihrer Struktur auf.
Zwei zentrale Verursacher normativer Anpassungsprozesse stellen zum einen Ausbildungsinstitute, wie z. B. Universitäten, dar, weil sie „für die Entwicklung organisationaler Normvorstellungen unter den Professionellen“ (Walgenbach 2001, S. 336, vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 71) sorgen. Zum anderen tragen Berufsverbände und Netzwerke zur „definition and promulgation of normative rules about organizational and professional behavior.“ (DiMaggio, Powell 1991, S. 71) bei. Dies führt zu einem Pool aus nahezu austauschbaren Individuen, die in einem organisationalen Feld gleichartige Positionen einnehmen und dadurch Anpassungsprozesse der Organisationen auslösen.
Normativer Isomorphismus wird noch verstärkt durch gleichartige Personalrekrutierungsverfahren von Organisationen eines Feldes. Zum Beispiel durch die bevorzugte Einstellung von Absolventen einer speziellen Hochschule oder durch das Festlegen bestimmter Auswahlkriterien. Die Folge ist eine große Ähnlichkeit in den Denkstrukturen und Problemlösemechanismen der Akteure in den einzelnen Organisationen. Aber auch die Kultur in den einzelnen Organisationen eines Feldes und die damit einhergehende Sozialisation der Organisationsmitglieder forcieren Anpassungsprozesse (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 72).
Die von DiMaggio, Powell vorgenommene Unterteilung der Anpassungsprozesse ist rein analytisch gedacht. Eine klare Trennung der Mechanismen ist deshalb nicht möglich, weil z. B. „die staatliche Anerkennung von Professionen bzw. Professionsvereinigungen Zwang mit normativem Druck [verbindet].“ (Hasse, Krücken 1999, S. 17).
Für die Wirksamkeit der drei Anpassungsprozesse ist kein Beleg für eine Erhöhung der organisationsinternen Effizienz notwendig. Die Erhöhung der Effizienz ergibt sich vielmehr dadurch, dass es den Organisationen durch ihre Ähnlichkeit mit den anderen Mitgliedern des organisationalen Feldes erleichtert wird, Transaktionsbeziehungen einzugehen, Personal zu rekrutieren, Legitimität zu erlangen und eine positive Reputation aufzubauen (vgl. DiMaggio, Powell 1991, S. 73). Der Annahme der Entkopplung und Logik des Vertrauens von Meyer, Rowan folgen DiMaggio, Powell nicht. Ihrer Ansicht nach bleiben die Angleichungsprozesse nicht auf die Ebene formaler Strukturen beschränkt (vgl. DiMaggio, Powell 1991a, S. 14). Es findet also keine Entkopplung der nach außen dargestellten Formalstruktur und den tatsächlichen Aktivitäten der Organisationsmitglieder statt.
2.4 Kritische Würdigung
Die Leistung der institutionalistischen Ansätze besteht darin, dass sie „jahrzehntelang unbefragte Selbstverständlichkeiten in Bezug auf Organisationsbegriff und Organisationswirklichkeit“ (Türk 1989, S. 44) aufgebrochen haben und somit neue Einblicke in Organisation-Umwelt-Beziehungen und deren Konsequenzen ermöglichen (vgl. Walgenbach 2001, S. 348). Der Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen auf die Ausgestaltung von Organisationen kann mit Hilfe der makroinstitutionalistischen Ansätze analysiert werden.
Laut Walgenbach handelt es sich bei den institutionalistischen Ansätzen um keine in sich geschlossene Theorie. Dies liegt nicht nur in den sehr unterschiedlichen Forschungsinteressen der mikro- und makroinstitutionalistischen Ansätzen begründet, sondern auch in deren nicht konsequenten und durchgängigen Beibehaltung des Konzepts der Institutionalisierung (vgl. Walgenbach 2001, S. 347).
DiMaggio selbst kritisiert in einer späteren Arbeit, dass durch den Neo-Institutionalismus die Entstehung, Reproduktion und das Verschwinden von sozialen und organisationalen Formen nicht erklärt werden kann (vgl. DiMaggio 1988, S. 16).
Zudem reduzieren die makroinstitutionalistischen Ansätze die Reaktionsmöglichkeiten der Organisationen auf die institutionalisierten Erwartungen ihrer Umwelt auf „unterschiedliche Formen von Konformität, Passivität und vorbewußtes Akzeptieren“ (Walgenbach 2001, S. 348). Die Institutionalisten schreiben Organisationen also immer eine passive Verhaltensweise zu, die strategisches Vorgehen, Widerstand oder sogar das Attackieren von konkurrierenden Organisationen ausschließt.
Außerdem wird die Auswirkung der Interessen zielgerichtet agierender Akteure auf die Institutionalisierung von der Theorie nicht aufgegriffen.
„[I]nstitutional theory has no explicit or formal theory of the role that interests play in institutionalization and consequently defocalizes, or distracts attention from, the ways in which variation in the strategies and practices of goal-directed actors may be related to variation in organizational structures, practices, and forms.” (DiMaggio 1988, S. 4).
DiMaggio sieht die Lösung dieser Problematik in einem politikorientieren Ansatz, in dem die jeweiligen Institutionalisierungen als Ergebnisse politischer Kämpfe interpretiert werden und insofern Manifestationen jeweiliger Machtverhältnisse sind. Der Machtaspekt, der in den grundlegenden Arbeiten von Meyer, Rowan und DiMaggio, Powell weitgehend ausgeklammert wurde (vgl. Walgenbach 2001, S. 352), wird dadurch stärker berücksichtigt.
Zucker kritisiert zudem, dass Isomorphismus durch Zwang eher eine de-institutionalisierende Wirkung auf Organisationen hat, weil die mit dem Zwang verbundenen Sanktionen gerade auf Handlungsalternativen aufmerksam machen (Zucker 1977,
S. 728).
Nach der ausführlichen Darstellung der theoretischen Basis der Arbeit werden nun der historische Hintergrund und die aktuelle Stellung der Frauen in Wissenschaft und Forschung dargestellt.
3 Die Situation der Frau im 21. Jahrhundert
Um die Situation der Frau im 21. Jahrhundert verstehen zu können, kommt man nicht umhin, die historische Entwicklung des heutigen Frauenbilds zu betrachten. In den letzten 100 Jahren haben Frauen viele Rechte hinzugewonnen bzw. haben sich diese hart erkämpft. Warum man trotzdem nicht von einer völligen Gleichstellung von Mann und Frau in unserer Gesellschaft und insbesondere in der Wissenschaft sprechen kann, ist Gegenstand des Abschnitts 3.2, in dem der Status Quo von Frauen in Wissenschaft und Forschung dargestellt wird.
3.1 Das Frauenbild im 21. Jahrhundert und dessen historische Entwicklung
Die Situation der Frau in Deutschland ist das Ergebnis eines langen Kampfes um Gleichberechtigung, dessen Anfänge Mitte des 19. Jahrhunderts zu finden sind. Das Frauenbild des 19. Jahrhunderts war geprägt von der Idealvorstellung der bürgerlichen Familie, die eine klare Trennung der Aufgabengebiete der Ehepartner vorsah. „Der verheirateten Frau der ‚besitzenden Stände’ war die Rolle der Hausfrau, Gattin und Mutter sowie der freiwilligen Wohltäterin zugedacht.“ (Raml 1993, S. 28). Der Mann hingegen war der Ernährer und das Oberhaupt der Familie. Dieses Idealbild entsprach aber nicht der Realität vieler Arbeiterfamilien, die auf die Einkommen beider Ehepartner, wenn nicht sogar noch auf die der Kinder, angewiesen waren (vgl. Pfau-Effinger 2000, S. 223).
Kindern aus Arbeiterfamilien blieb der Zugang zu höherer Bildung lange Zeit verwehrt. Mädchen aus der so genannten besseren Gesellschaft wurden auf spezielle Höhere Töchterschulen und Mädchenpensionate geschickt, die sie auf ihre zukünftige Rolle vorbereiten sollten (vgl. Helwig 1997, S. 5). Diese Schulen verliehen den jungen Frauen jedoch keine Studienberechtigung (vgl. Schlüter 1992, S. 2), was die Aufnahme eines Studiums, zusätzlich zu den sonstigen Beschränkungen, wie z. B. das fehlende Wahlrecht, verhinderte. Die bürgerliche Frauenbewegung legte den Schwerpunkt ihrer Arbeit daher zunächst auf die Erreichung des Rechts auf Bildung, ohne jedoch die herrschenden gesellschaftlichen Strukturen in Frage zu stellen. Helene Lange erreichte in ihrer Funktion als Leiterin des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins“ 1893 die Einführung von „Gymnasialkursen“, die weibliche Jugendliche auf ein Hochschulstudium vorbereiten sollten (vgl. Helwig 1997, S. 9). Es sollte jedoch immer noch gut sieben Jahre dauern, bis 1900 Baden als erstes deutsches Bundesland Frauen zum Hochschulstudium zuließ. Andere Bundesländer folgten und die Anzahl der Studentinnen stieg rasch, wobei deren anschließende Berufsmöglichkeiten stark eingeschränkt waren, weil ihnen der Zugang zu Beamten-Berufen oder juristischen Berufen u. a aufgrund des fehlenden Wahlrechts verwehrt blieb (vgl. Schlüter 1992, S. 3).
Mit Gründung der Weimarer Republik 1918 konnte jedoch endgültig auf Bestreben der Frauenbewegung die formale politische Gleichberechtigung durchgesetzt werden, in dem auch Frauen ab 20 Jahren das Wahlrecht zugesprochen wurde. Der Nationalversammlung, die 1919 die Verfassung verabschiedete, „gehörten 41 Frauen an, das waren 9,6 Prozent aller Abgeordneten – ein Anteil, der erst 1983 in der Bundesrepublik wieder erreicht wurde.“ (Helwig 1997, S. 18).
Ab 1920 wurden Frauen dann auch zur Habilitation zugelassen. Erste ordentliche Professorin Deutschlands wurde 1923 die Botanikerin Margarethe von Wrangell an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim (vgl. Helwig 1997, S. 10). Ab 1922 durften Frauen zwar auch juristische Berufe ausüben, aber andere berufliche Beschränkungen blieben bestehen. So wurden Beamtinnen entlassen, wenn sie heirateten oder ein uneheliches Kind bekamen. Die rechtliche Grundlage dieser Praxis bildete die Personalabbauverordnung. Helwig sieht als Ursache für dieses Vorgehen, dass dem Staat durch die Inflation finanzielle Engpässe entstanden waren, die durch die Verdrängung von Frauen aus dem Erwerbsleben abgebaut werden sollten. Schließlich sollten „[i]m Zuge einer Anti-Doppelverdiener-Kampagne … verheiratete Frauen grundsätzlich aus dem Erwerbsleben gedrängt werden.“ (Helwig 1997, S. 19). Da aber aufgrund der wirtschaftlichen Situation das Einkommen des Mannes zum Überleben nicht ausreichte, wurden viele Frauen in die Heimarbeit - die zu dieser Zeit am schlechtesten bezahlte Form der Erwerbstätigkeit - gedrängt.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die erst kurz zuvor erkämpften Freiheiten der Frauen zum Großteil wieder zurückgenommen. Der Anteil der Studentinnen, der 1931/32 noch 19 % betrug (vgl. Helwig 1997, S. 19), wurde auf ein Maximum von 10 % festgelegt. Der weibliche Intellekt stand im Gegensatz zu dem gewünschten „echten Frauentum“ (Schlüter 1992, S. 4). Die Folge war auch, dass Frauen der Zugang zur Habilitation versperrt wurde. Zudem wurden sie nicht mehr als Richterinnen, Rechtsanwältinnen, Rektorinnen und Kassenärztinnen zugelassen. Da Frauen mit Kindern den Idealvorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen, wurde die soziale Sicherung gerade dieser Bevölkerungsgruppe wesentlich verbessert (vgl. Meyer zu Natrup 1991, S. 40). Für eine unabhängige deutsche Frauenbewegung war im 3. Reich kein Platz, was zur Folge hatte, dass sich viele Gruppierungen auflösten.
Der Versuch der Verdrängung von Frauen aus dem Berufsleben hinein in die Mutterrolle wurde aber wieder aufgeben, als durch den Aufbau der Wehrmacht und den 1939 beginnenden Zweiten Weltkrieg ein Mangel an männlichen Arbeitskräften entstand (vgl. Schubert 1997, S. 849). Meyer zu Natrup und Helwig sind der Meinung, dass die nationalsozialistischen Urteile über das Wesen der Frau auch heute noch in unserer Gesellschaft nachwirken (vgl. Meyer zu Natrup 1991, S. 41 und Helwig 1997, S. 24 f.).
Mit Ende des zweiten Weltkriegs oblag es hauptsächlich den deutschen Frauen, das vorherrschende Chaos und die Zerstörung nach und nach abzubauen, weil viele Männer nicht oder noch nicht aus dem Krieg heimgekehrt waren. Bereits 1945/46 wurde die Frauenbewegung wieder aktiv – es wurden in den Besatzungszonen mehr als 5000 überparteiliche und –konfessionelle Frauenausschüsse gegründet (vgl. Helwig 1997, S. 26), die sich sozial engagierten und somit wesentlich am Wiederaufbau beteiligt waren.
Auch an der Politik schienen sich die Frauen aktiver beteiligen zu wollen. Artikel 3 II GG „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Grundgesetz 2002, S. 14) wurde 1949 gegen ein zunächst negatives Votum des Parlamentarischen Rates durch massive Proteste von Frauen durchgesetzt.
Es gab einen großen Frauenüberschuss, was eigentlich die Chance der Frauen gewesen wäre, verkrustete gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen und in ihrem Sinne zu ändern. Aber nichts dergleichen geschah. Eher im Gegenteil. Das Frauenideal der bürgerlichen Gesellschaft dominierte immer noch und konnte in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs nun auch von Frauen aus dem Arbeitermilieu erreicht werden (vgl. Pfau-Effinger 2000, S. 223).
Dieser Frauenstereotyp wurde auch nicht „durch die Existenz von Studentinnen und Dozentinnen im Universitätsbetrieb“ (Schlüter 1992, S. 5) korrigiert. Der Beruf der Wissenschaftlerin wurde nicht als angemessener Beruf für Frauen betrachtet (vgl. Schlüter 1992, S. 5).
Die Politik der 50er und 60er Jahre der Bundesrepublik war hauptsächlich von dem traditionellen Ehe- und Familienverständnis geprägt, folglich wurde auch nicht der Ausbau von Kinderbetreuungsstätten vorangetrieben und der Arbeitsmarkt war relativ unflexibel (vgl. Pfau-Effinger 2000, S. 228). Parallel zu der Gruppe der Hausfrauen gab es, aufgrund des hohen Frauenüberschusses, eine große Gruppe unverheirateter, berufstätiger Frauen. Pfau-Effinger sieht darin aber nicht den Ausdruck eines abweichenden kulturellen Leitbildes, sondern vielmehr eine Notwendigkeit aufgrund der Unmöglichkeit der Heirat und der daraus resultierenden fehlenden „finanziellen und soziale Grundlage für die Hausfrauen- (und Mutter-)rolle.“ (Pfau-Effinger 2000, S. 204).
Erst Mitte der 60er Jahre wurde langsam die zunehmende Akzeptanz der Erwerbstätigkeit von Frauen erkennbar, wobei sich diese mehr auf das Dreiphasenmodell weiblicher Lebensplanung in der Abfolge Berufstätigkeit bis zur Geburt des ersten Kindes, Familienphase, Rückkehr zur Erwerbsarbeit nach einer – entsprechend der Kinderzahl – mehr oder weniger langen Unterbrechung bezog (vgl. Helwig 1997a, S. 2).
Im Gegensatz dazu sollten zur selben Zeit in der DDR möglichst viele Frauen in die Arbeitswelt integriert werden. Dies hatte zum einen ökonomische Gründe, weil angesichts des Mangels an Arbeitskräften die Eingliederung von Frauen in den Produktionsprozess notwendig war. Zum anderen entsprach dieses Vorgehen der von den marxistischen Klassikern geforderten Befreiung des weiblichen Geschlechts (vgl. Helwig 1997a, S. 1). Folglich entstanden in der DDR eine Vielzahl von außerfamiliären Kinderbetreuungseinrichtungen, was für die Berufstätigkeit der Frauen sehr förderlich war. Zudem war es gesellschaftlich wesentlich tolerierter, dass Frauen die Betreuung ihrer Kinder in staatliche Hände übertrugen. Doch trotz dieser guten Ausgangsbedingungen zogen viele Frauen eine Beschäftigung in Teilzeit vor und auch die Geburtenraten sanken. Die Regierung der DDR reagierte auf diese Entwicklungen mit dem systematischen Ausbau der Frauen- und Familienförderung zwischen 1972 und 1986 (vgl. Helwig 1997a, S. 5).
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- Arbeit zitieren
- Diplom-Kauffrau Claudia Schrank (Autor:in), 2005, Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung vor dem Hintergrund des Neo-Institutionalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58255
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