Ekel ist eines der elementarsten Gefühle. Er lässt sich schwer unterdrücken und gehört zu den Erfahrungen, die ungern gesucht werden, sondern eher zu denen, die jeder meiden will und die denjenigen, der dieses Gefühl erlebt, in Angst und Panik versetzen können.
Ekel in der Pflege wird meistens nicht angesprochen, gehört nicht zu den heroisierenden Erfahrungen. Trotzdem kommt Ekel als Gefühl im alltäglichen Pflegealltag vor. Was ist Ekel? Wie wird damit umgegangen, wie wird der Umgang damit gelehrt und wie sollte damit umgegangen werden? Was macht der Ekel mit uns in der Pflege?
Die vorliegenden Arbeit soll auf die Fragen eine Antwort geben und bezieht sich dabei auf die wenigen vorliegenden Ergebnisse von „Pflege-Ekel-Forschungen“. Sie soll anregen, über das Phänomen nachzudenken und sich dessen bewusst zu werden.
Inhalt
1 Einleitung /Vorwort (Mario Albrecht/Johannes Keßler)
2 Begriffsklärung und Definition „Ekel“(Mario Albrecht)
3 Die Ekelemotion genauer betrachtet (Mario Albrecht)
3.1 Die Arten des Ekels
3.2 Zum Wesen des Ekelhaften
3.3 Die Feindseligkeitstriade
3.4 Emotionen, Gefühle und Affekte
3.5 Die Ekelsinne
3.6 Zur Funktion des Ekels
3.7 Ekel und Moral
3.8 Beteiligte Personen
3.9 Ekel und Sensationslust
3.10 Ein Plädoyer für den Ekel
3.11 Zwischenfazit
4 Ekel als Problem und dessen Einfluss in der Pflege (Johannes Keßler)
4.1 Veränderung der Interaktion
4.2 Ekel vor dem Patienten oder anderen
4.3 Ekel und Scham
5 Ekel als Problem für Pflegende (Mario Albrecht/Johannes Keßler)
6 Möglichkeiten des adäquaten Umgangs (Johannes Keßler)
6.1 Enttabuisierung
6.2 Freiräume und Gesprächsmöglichkeiten
7 Fazit / Schlussbemerkung (Mario Albrecht/Johannes Keßler)
8 Literaturnachweis
9 Abbildungen
1 Einleitung /Vorwort (Mario Albrecht/Johannes Keßler)
Ekel als Phänomen, als unmittelbarer Gefühlsausbruch oder –ausdruck ist von den Betroffen-en nicht vermeidbar. Pflegende mit einer Nähe zu den Gepflegten, die im Durchschnitt eine starke Intimität zu den Gepflegten mit sich bringt, kommen immer wieder in Berührung und Kontakt mit Ekel erregenden Ausscheidungen, Gerüchen, Anblicken, Situationen, die unmittelba r Ekel erzeugen. Das ist von Person zu Person und von der Intensität her verschie-den.
Kann eine Gewöhnung an solche Zustände erfolgen? Was macht den Ekel so ekelhaft? Warum will man sich abwenden? Wie kann man praktisch mit diesem Gefühl in der Pflege umgehen?
Unsere Autorenperspektive ist die von in der Intensivpflege Tätigen. Ekelerregende Situatio-nen, der Umgang mit Ausscheidungen, Erbrochenem und Sputum gehören dort zur Tages-ordnung. Immer wieder wird in der Praxis aber erlebt, dass das Thema Ekel nicht zur Sprache gebracht, sondern tabuisiert wird und das Bewältigen ekelerregender Situationen letztendlich nichts mit Professionalität zu tun hat, sondern eher als „Schwarzer-Peter-Situation“ erlebt und behandelt wird.
In dieser Arbeit werden sich drei Teile mit dem Ekel beschäftigen:
- Der erste (Kap. 2 und 3) behandelt eher die „ekeltheoretischen Aspekte“,
- der zweite (Kap. 3 bis 5) die praktischen Aspekte sowie Vorschläge für ein dem Thema Ekel angemesseneres Verhalten, und im
- dritten Teil (6. Kapitel) werden Lösungsvorschläge für den Umgang mit Ekel angeboten.
Neben der Konsultation einer Auswahl verschiedener Fachlexika wird in der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Ekel Mennighaus (1999) immer wieder zitiert wer-den. Seine breitgefächerte und detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema, seiner Geschichte und der Reflexion in den Schriften der klassischen Philosophen der Neuzeit konnte der folgenden Ausarbeitung viele wertvolle Anregungen geben. Des weiteren dienten als Quellen für die theoretische Auseinandersetzung wie auch für die pflegepraktische die Werke der sog. „Vorreiter“ der Pflege-Ekelforschung, wobei die Namen Krey (2003), Sowinsky (1999) und Ringel (2000) hervorzuheben wären.
Ein gemeinsames Fazit soll die theoretischen und praktischen Punkte dann noch einmal zusammenfassen und einen Ausblick geben auf weitere Fragestellungen im Zusammenhange mit diesem Thema, die im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert wurden.
Wenn in den weiteren Ausführungen von dem oder der Pflegenden oder dem Gepflegten gesprochen wird, so sind doch immer die Vertreter beiderlei Geschlechts gemeint.
Eine geschlechtsspezifische Differenzierung unterschiedlicher Ekel-Wahrnehmung und darausfolgenden Verhaltens wäre ein noch zu liefernder interessanter Exkurs für die Pflege, der aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.
2 Begriffsklärung und Definition „Ekel“(Mario Albrecht)
Dieses Kapitel ist ein theoretischer Diskurs mit dem Thema Ekel. Hier geht es um die Frage von Nähe und Distanz. Von den Antworten der Psychologen und Philosophen wird dabei die Rede sein. Erst wird nach den Ursachen des Ekels gefragt, dann werden die Symbolik des Gefühls, die Metapher, Synonyme genauer untersucht. Die Frage nach den persönlichen, sozialen und kulturellen Dimensionen des Ekels wird im Mittelpunkt stehen.
Nach und nach haben sich Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete mit diesem Thema auseinander gesetzt. Trotzdem kann man im Vergleich zu anderen Themen feststellen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema Ekel immer noch nur vereinzelt stattfindet.
Vor der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Ekel soll eine Begriffsklärung die Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Erklärungsansätze in Wörterbüchern und Lexika lenken, um zu schauen, wie Ekel von den verschiedenen Professionen verstanden wird. Diese Begriffserläuterungen sollen in diesem Zusammenhang hinterfragt und diskutiert werden.
Eine weitere der Hauptquellen dieses Kapitels ist die Bearbeitung des Themas von Menninghaus (1999).
Annähern möchte ich mich an den Begriff unter folgenden Gesichtspunkten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Ekel-Abscheu (aus: Izard 1994, S.112)
- Allgemeine Begriffsdeutung: Meyers Enzyklopädisches Lexikon (1979) führt Folgendes aus (S .670, Bd.1):
- „ekel... a ) ekelerregend: ein ekler Geruch ...; b) verwerflich: Wurde der ekle Handel diesmal abgeschlossen? ...
Ekel.. a) Übelkeit erregendes Gefühl des Widerwillens, des Abscheus vor etw. als widerlich Empfundenem: Ein E. packte, erfüllte mich, stieg in mir hoch; E. bei einem Anblick, vor fettem Fleisch, vor dem Schmutz, vor einer Spinne empfinden; er wandte sich voll E. ab; der Kranke wurde sich selbst zum E. ... Ekel... widerlicher, durch entsprechendes Verhalten unangenehm wirkender Mensch: er, sie ist ein E. ...
ekelhaft... 1. widerlich, abstoßend, psychischen Widerwillen, Abscheu hervorrufend ...“
Ekel als Substantiv hat also zwei Deutungen: Das Ekel als Mensch, d.h., einer, der abstoßend und unangenehm wirkt, größtenteils hervorgerufen durch sein Verhalten. Diese Bedeutung weist zugleich darauf hin, dass nicht nur Dinge wie Ausscheidungen Ekel erregen können, sondern auch Verhaltensweisen. Eine zweite Bedeutung ist die des Ekel-Gefühles. Immer, wenn im Folgenden vom Ekel die Rede ist, dann soll damit das Gefühl Ekel gemeint sein.
- Psychologische Begriffserläuterung: In vielen Nachschlagewerken der allgemeinen Psychologie ist dieser Begriff nicht enthalten. Fündig wurde ich bei Arnold, Eysenck, Meili (1980), Bd.1, S. 447: „Ekel, Gefühlsregulierung des Sichabwendens und des Abscheus sowie des Nicht-in-Berühung-Kommen-Wollens, mithin eines der stärksten Abwehrgefühle des Menschen. E. gehört zur Ambivalenz der Libido und kann überwunden werden. Er ist wie die Scham keine angeborene Reaktion, sondern das Ergebnis der kulturbedingten Erziehung. Es gibt einen psychischen (E. vor einer Speise, einem Getränk) und einen geistigen E. (vor einem Menschen bzw. seiner Tat). Das kleine Kind ekelt sich nicht ... . E. entseht weiterhin dort, wo auch Lust möglich wäre. Die Ekelgrenze ist sehr labil, zugleich individuell und je nach der Situation verschieden. Ein Ekelgefühl kann, wenn es notwendig ist, leicht abgewöhnt werden (Chirurg, Metzger usw.) E. kann die sexuelle Ansprechbarkeit einschränken.“ Ob Ekel wirklich überwunden werden kann, Überwinden oder abgewöhnen (wann hat man sich das Ekeln angewöhnt?) in Form des Hinter-Sich-Lassens, dass man als Sieger aus der Auseinandersetzung mit dem Ekel hervorgeht und dieser kein Thema mehr ist, das ist zweifelhaft. Eher könnte man nach einer offenen Auseinandersetzung mit dem Thema dieses nicht mehr als Tabu einstufen und einen nicht-destruktiven Umgang damit gefunden haben. Ekel ist in seiner Verschiedenheit ein Ergebnis kulturbedingter Erziehung, und doch gibt es globale Parallelen. So wird von Forschern der London School of Hygiene and Tropical Medicine durchgeführten Studie, in welcher „... 40000 Menschen rund um den Globus ...“ befragt wurden was eigentlich ekelhaft sei, berichtet, wonach. „..Kot, Ausscheidungsprodukte, Körperflüssigkeiten, Verderbendes und Verfaulendes global gesehen als ekelerregend eingestuft wurden“ (Weitlaner in: http://www.dr-mueck.de/HM_Emotionskompetenz/HM_Ekel.htm vom 11.05.2006) Ekel ist universell. Zu bezweifeln ist die Aussage, dass man sich das Gefühl des Ekels abgewöhnen kann. Anzunehmen wäre eher, dass es sich dabei um eine Reaktion der Unterdrückung und auch der Gewöhnung (Adaption und Konditionierung) handelt, wobei in diesem Zusammenhang unter Gewöhnung eher das Heraufsetzen der Ekelschwelle zu verstehen ist.
- Psychologisch-Psychoanalytische Sicht: Nach Menninghaus (1999) definiert „...Darwin den Code der Ekelunterscheidung vielmehr schlicht in ungewohnt vs. gewohnt (ebd., S. 275) . ... im Gegensatz zu seinen Vorläufern ordnet Freud den Ekel zuallererst dem Geruchssinn zu, sieht in seiner Evolution aber gerade einen Bruch mit dem archaischen Haushalt des Riechens ... vollzogen. Ekel entsteht an der Bruchstelle, ja als die Bruchstelle von Natur und Kultur (ebd., S. 283). Freud wird von Menninghaus als einer der herausragendsten Vertreter der Psychologie gesehen, welche sich mit dem Ekel beschäftigten (S. 332).
- Philosophische Einordnung: In der von Menninghaus (1999) vorgelegten Analyse der geschichtlichen Entwicklung der Diskussion um die Ästhetik spielen u.a. Kant (vgl. Menninghaus 1999, S. 160-188) und Nietzsche (vgl. Menninghaus 1999, S. 225-275) eine herausragende Rolle. Kant komme bei seiner Analytik „...des Schönen und des Erhabenen gänzlich ohne Bezug auf Ekel aus“ (Menninghaus 1999, S. 160). „Wie die schöne Lichtgestalt der klassischen Statue Körperteil für Körperteil auf empfindlichster Registrierung und Vermeidung möglicher Ekelwerte beruht, so bleibt auch der lichten Aufklärungsarbeit der kritischen Philosophie „Ekel“ überall in der doppelten Rolle als Tabu und Organon eingeschrieben“ (Menninghaus 1999, S. 188). „Kant hatte der „Vitalempfindung“ des Ekels die Funktion der Gesundheits- und Lebenserhaltung, mittels der Unterscheidung von bekömmlich und unbekömmlich zugeordnet. Nietzsche bestimmt den ‚binären Code’ des Ekels in nochmaliger Abstraktion als Ja-Sagen vs. Nein-Sagen“ (Menninghaus 1999, S. 226f).
- Sprachgeschichtliche Deutung und Ursprung: Der „Eckel“ tauchte lt. Menninghaus (1999) in der Literatur erst im 17. und vollends im 18. Jahrhundert als in Texten reflektierter Ekel auf, während vorher die Darstellungen ekliger Situationen eher der „...Darstellung eingetretener oder drohender Erniedrigung ...“ (Menninghaus 1999, S. 10) dienten. In der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ekels ist zu bedenken, dass die hygienischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte den Ekel nicht ausrotten konnten, sondern eher gestärkt haben. Wenn man den reich illustrierten Ausführungen Alain Corbins (2005) Glauben schenken darf, so verwundert es schon, dass der Ekel in der Diskussion erst in der anbrechenden Neuzeit eine Rolle spielt, in welcher die geruchsmäßige oder besser gesagt gestanksmäßige Belästigung durch Fäkalien und Seuchen in den Städten zunehmend der Vergangenheit angehört. Ein anderes Moment des Ekels wuchs aber in der Neuzeit: das der gesellschaftlichen Differenzierung, welches (vgl. Corbin 2005) sich unter anderem in einer wachsenden Bedeutung von Parfüms und Raumdüften niederschlug.
- Ekelbegriff in der Pflege: Im Pschyrembel Wörterbuch Pflege (2003) ist unter dem Begriff „Ekel“ kein Eintrag zu finden, ebenso nicht im Springer Lexikon Pflege (2003)!! Der Begriff „Ekel“ wird aber im Pflegelexikon von Georg und Frowein (1999, S .232) folgendermaßen erklärt: „Ekel: engl. disgust: Gefühl des Abscheus, das sich in Vermeidungs- und Fluchtreaktionen äußert, E. ist kein angeborenes Reaktionsmuster, sondern wird durch kulturell determinierte Erziehungsinhalte vermittelt ... Ekelgefühle während der Durchführung pfleger. Maßnahmen sind häufig, sie sollten in geeignetem Rahmen (Supervision) geäußert und der Bearbeitung zugänglich gemacht werden.“ Diese Definition gibt kurz, knapp und prägnant die wesentlichen Züge der Ekel-Auswirkung – Vermeidung oder Flucht wieder und spricht auch die Problematik bei der Durchführung von Pflegemaßnahmen an. Hinweise zum Umgang mit dem Ekelgefühl werden ebenfalls gegeben. Insgesamt jedoch ist diese Definition recht knapp, sogar zu knapp gehalten, wenn davon ausgegangen wird, dass Ekel in der Pflege auch heute noch kein Randproblem ist.
- Ekelbegriff in der Medizin: Das klinische Wörterbuch Pschyrembel (2004) weist den Begriff „Ekel“ ebenfalls nicht auf. Auch das Springer Lexikon Medizin (2004) bringt zu diesem Begriff keinen Eintrag. Ekel ist kein medizinisch verwertbarer Begriff.
- Der Ekel in der Kunst: Menninghaus (1999) geht von der Annahme aus, dass sich gerade an Ausschluss sowie Wiederkehr und Prozessierung des ausgeschlossenen „Ekel“ wesentliches über Entstehung und Sein des Ästhetischen ausmachen lässt (vgl. u.a. Menninghaus 1999, S. 15). In der Kunst der Ästhetik ist es eher das Ziel, das Schöne, das Erhabene, das Ideal darzustellen. Das Ekelhafte steckt in jeder dieser Darstellungsziele unwillkürlich als Antonym. Die Darstellung des Schönen lebt davon, die Darstellung des Ekels zu negieren, sich aber doch der Existenz dessen bewusst zu sein. „Die Regeln des ‚Schönen’ sind die Spuren des ‚Ekels’“ (Menninghaus 1999, S. 150) . (Wobei aber eine uneingeschränkte Darstellung des Schönen zum anderen wiederum den Übermaß-Ekel – s. Kap. 3.1 hervorrufen kann.) Eine Darstellung des Ekelhaften, des Ekels kann andererseits nie die Intensität (und Intimität) des Ekelgefühls (...substantielle, analyseresistente Realitätsempfindung... – Menninghaus 1999, S. 66) vermitteln, wie es das unmittelbare Erlebnis des Ekelhaften hervorruft. Zum Hervorrufen „wahrhafter“ Ekelgefühle sind die Einbeziehung der Geruchs- und Geschmackssinne, aber vor allem die unmittelbare Nähe notwendig. Menninghaus (1999) bezeichnet diese Sinne als „...die dunklen, >substanz<- und realitätsverbundenen Nahsinne“ (ebd., S. 65).
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- Quote paper
- Mario Albrecht (Author), Johannes Keßler (Author), 2006, Ekel als ein Tabuthema in der Pflege, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58249
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