Obwohl das mittelalterliche deutsche Kaisertum reich an Heiligen war, brachte es nie einen Nationalheiligen, nach dem Vorbild nahezu aller anderen europäischen Reiche, hervor. Karl der Große kommt als einziger zumindest in die Nähe einer derartigen Institution. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit der Karlskult nicht doch zumindest teilweise diejenige Funktionalität an Integration und Legitimation erbringen konnte, die andere Kulte anderswo in Europa zu leisten imstande waren. Um diese Frage zu beantworten, scheint es zunächst notwendig, zu klären, was mittelalterliche Heiligkeit denn überhaupt ausmachte, um so eine solide Grundlage für die weitere Erarbeitung zu schaffen. Anschließend gilt es, aus der Betrachtung mittelalterlichen Kulthandelns in seiner Wirksamkeit und dem zeitgenössischen Karlsbild darauf zu schließen, über welches politische, kulturelle und religiöse Potential die Karlsfigur in ihrer Heiligkeit verfügte. In einem letzten Schritt muss es dann darum gehen, zu untersuchen, wie Friedrich I. und Friedrich II., also die beiden Kaiser die sich in besonderer Weise auf Karl den Großen bezogen, dieses Potential in ihrem kultischen Handeln ausschöpften. Dabei werden zum einen Wirkungen auf den unmittelbaren politischen Kontext zu betrachten sein, zum anderen aber auch das wesentlich abstraktere Moment der sakralen Legitimation einer gottunmittelbaren deutschen Kaiserwürde vor dem Hintergrund des schwellenden Konflikts um die Stellung des Kaisertums zum Papsttum. Als wertvolle Grundlage dieser Arbeit hat sich Jürgen Petersohns Aufsatz „Kaisertum und Kultakt in der Stauferzeit“ erwiesen. Für die Erarbeitung des mittelalterlichen Kultbegriffs wurden einschlägige Veröffentlichungen Gerd Althoffs herangezogen. Die Ausführungen zum Karlsbild basieren im Wesentlichen auf dem Aufsatz „Heros und Heiliger, Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und Deutschland“ von Bernd Bastert.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Der christliche Heiligkeitsbegriff
1.1 Heiligkeit als Verhaltensideal
1.2 Die Manifestation von Heiligkeit in äußeren Zeichen
2. Kultakte und Rituale als mittelalterliches Herrschaftsinstrument
3. Die Beteiligung deutscher Kaiser an Heiligenkulten
4. Das deutsche Karlsbild im Hochmittelalter
5. Deutsche Kaiser bei Kultakten um Karl den Großen
5.1 Friedrich I. und die Kanonisation
Karls des Großen 1165 in Aachen
5.2 Friedrich II. und die Schreinlegung
1215 im Aachener Münst
6. Das Kulthandeln Friedrichs I. und Friedrichs II
III. Fazi
IV. Literaturverzeichnis
V. Quellenverzeichnis
I. Einleitung
Obwohl das mittelalterliche deutsche Kaisertum reich an Heiligen war, brachte es nie einen Nationalheiligen, nach dem Vorbild nahezu aller anderen europäischen Reiche, hervor. Karl der Große kommt als einziger zumindest in die Nähe einer derartigen Institution. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit der Karlskult nicht doch zumindest teilweise diejenige Funktionalität an Integration und Legitimation erbringen konnte, die andere Kulte anderswo in Europa zu leisten imstande waren.
Um diese Frage zu beantworten, scheint es zunächst notwendig, zu klären, was mittelalterliche Heiligkeit denn überhaupt ausmachte, um so eine solide Grundlage für die weitere Erarbeitung zu schaffen. Anschließend gilt es, aus der Betrachtung mittelalterlichen Kulthandelns in seiner Wirksamkeit und dem zeitgenössischen Karlsbild darauf zu schließen, über welches politische, kulturelle und religiöse Potential die Karlsfigur in ihrer Heiligkeit verfügte. In einem letzten Schritt muss es dann darum gehen, zu untersuchen, wie Friedrich I. und Friedrich II., also die beiden Kaiser die sich in besonderer Weise auf Karl den Großen bezogen, dieses Potential in ihrem kultischen Handeln ausschöpften. Dabei werden zum einen Wirkungen auf den unmittelbaren politischen Kontext zu betrachten sein, zum anderen aber auch das wesentlich abstraktere Moment der sakralen Legitimation einer gottunmittelbaren deutschen Kaiserwürde vor dem Hintergrund des schwellenden Konflikts um die Stellung des Kaisertums zum Papsttum.
Als wertvolle Grundlage dieser Arbeit hat sich Jürgen Petersohns Aufsatz „Kaisertum und Kultakt in der Stauferzeit“ erwiesen. Für die Erarbeitung des mittelalterlichen Kultbegriffs wurden einschlägige Veröffentlichungen Gerd Althoffs herangezogen. Die Ausführungen zum Karlsbild basieren im Wesentlichen auf dem Aufsatz „Heros und Heiliger, Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und Deutschland“ von Bernd Bastert.
II. Hauptteil
1. Der christliche Heiligkeitsbegriff
1.1 Heiligkeit als Verhaltensideal
Der in unserem Zusammenhang relevante christliche Heiligkeitsbegriff, der das Mittelalter prägte und bis in die Gegenwart wirksam ist, findet seinen Ursprung im Neuen Testament.[1] Ausgehend von dem Glauben, Gott habe jedem Menschen die Gabe der Heiligkeit verliehen, indem er ihn zu Gerechtigkeit, Lauterkeit, Reinheit und Vollkommenheit befähigt, gilt derjenige als heilig, der diese gottgegebenen Tugenden tatsächlich walten lässt und ihnen sein Leben und Wirken verschreibt.[2] Im Zentrum dieser Idee steht also der Gedanke der freiwilligen und selbstbestimmten Unterordnung individueller Egoismen unter das Gebot Gottes, welche ihren Ausdruck im unbedingten Dienst am Nächsten im Namen eben jenes Gebotes findet.[3]
Insofern lässt sich der christliche Heiligkeitsbegriff als Ausdruck einer göttlichen Ethik des Verhaltens verstehen, die im Wesentlichen durch folgende drei Aspekte definiert ist:[4]
1. Absolutes Gehorsam gegenüber Gott und damit absolute Unterordnung und Dienstwilligkeit gegenüber dem Nächsten gilt als universelle Norm, an der sich menschliches Verhalten in jeder Hinsicht orientieren soll.[5]
2. Diese Norm findet ihre Erfüllung nicht in der passiven Hingabe, sondern vielmehr in der aktiven, bewussten und aus religiöser Überzeugung motivierten Gestaltung des Lebens in ihrem Sinne und im Vertrauen auf Gott.[6]
3. In diesem Zusammenhang werden Charakterzüge wie die Bereitschaft zur Selbstaufopferung, die Unnachgiebigkeit in der religiösen Überzeugung und die Entschlossenheit zum Durchhalten um jeden Preis zu den erstrebenswertesten menschlichen Eigenschaften erhoben.[7]
Christliche Heiligkeit zielt in diesem Sinne also auf die aktive Befolgung dieser Sozial-Ethik, verstanden als die edelstes Gebot Gottes an die Menschen. Mittelpunkt dieser Ethik ist zum einen der unbedingte Glaube an Gott und zum anderen die ebenfalls unbedingte Liebe gegenüber dem Nächsten bis hin zur Selbstaufgabe. Explizit eingeschlossen ist hierbei das Martyrium als Blutzeugnis und damit ultimative Konsequenz in der Befolgung des göttlichen Willens.[8]
1.2 Die Manifestation von Heiligkeit in äußeren Zeichen
Allerdings war Heiligkeit nicht allein durch dieses abstrakte, eher im verborgenen waltende Verhaltensideal geprägt. Vielmehr glaubte die mittelalterliche Welt, Menschen die dem göttlichen Willen in besonderer Weise folgten, an bestimmten äußeren Zeichen zu erkennen. Relevant erscheinen in diesem Zusammenhang vor allem Wundertätigkeit noch zu Lebzeiten und ein Wirken über den Tod hinaus, beides verstanden als besondere Zustimmung Gottes.[9]
Wundertätigkeit fand im mittelalterlichen Verständnis ihren Ausdruck in erster Linie in der Heilung als unheilbar geglaubter Krankheiten und körperlicher Gebrechen.[10] Andere Formen wie Wiederauferstehung und Schutz kommen zwar vor, spielen aber zahlenmäßig eine eher untergeordnete Rolle.[11] So sind im 13. Jahrhundert 90 Prozent aller kirchlich anerkannten Wunder medizinischer Natur.[12] Was das Wirken über den Tod hinaus angeht, so sind hier die sterblichen Überreste des Heiligen von besonderer Bedeutung.[13] Als Ausdruck seines Wohlswollens gegenüber dem Heiligen, statte Gott diese mit einer besonderen Kraft aus, die sich durch Ausbleibende Verwesung, einen angenehmen Duft und vor allem durch heilsame und beschützende Wirkung der Überreste den Menschen offenbart.[14]
Letzteres dürfte auch der Grund für die exzessive Fokussierung des Heiligenkults auf die sterblichen Überreste des jeweiligen Heiligen bzw. mit ihm in Verbindung gebrachter Gegenstände sein.[15] Der Glaube an die Gegenwart göttlicher Kraft in diesen Überresten findet seinen Ausdruck in dem an die Kanonisation angeschlossenen Ritual der Elevatio, also der Erhebung der Gebeine aus dem ursprünglichen Grab, der Translatio, ihrer Überführung an den späteren Kultort - zumeist eine Kirche, und der Depositio, d.h., ihrer Verwahrung in unmittelbarer Nähe des Altars, ebenso wie im Handel mit Reliquien, deren Fälschung und der Teilung des heiligen Leichnams mit dem Ziel der möglichst breiten „Streuung“ seiner heilsbringenden Wirkung.[16]
Aus dem Bisherigen lässt sich nur scheinbar ein konkretes Bild von dem ablesen, was im Mittelalter als Heiligkeit verstanden wurde. Vielmehr unterlag das mittelalterliche Ideal von Heiligkeit einer Vielzahl sozialer, politischer und regionaler Fluktuationen.[17] Heiligkeitsideale wurden den Heiligzusprechenden ebenso angepasst wie umgekehrt, so dass sich ein äußerst differenziertes Bedingungsgefüge ergibt, aus dem sich keine Automatismen darüber ableiten lassen, was oder wer als heilig erachtet und verehrt wird und warum[18]
Wie noch zu zeigen sein wird, ist insbesondere der Kult um Karl den Großen ein gutes Beispiel für die Komplexität und Flexibilität mittelalterlicher Heiligkeitsvorstellungen. Abgesehen davon, dass seine Heiligkeit offensichtlich ohne die sonst obligatorischen
Wunder auskam, wurde hier, so lässt sich zumindest vermuten, der Versuch betrieben, einerseits ein neues Ideal von Königsheiligkeit zu formieren, bzw. in das deutsche Kaiserreich zu importieren und andererseits das deutsche Karlsbild diesem Ideal anzupassen.[19]
2. Kultakte und Rituale als mittelalterliches Herrschaftsinstrument
Bevor die Kultakte um Karl den Großen nähere Beleuchtung finden, scheint es notwendig, zunächst allgemein die Bedeutung rituellen und kultischen Handelns für die mittelalterliche Herrschaftsausübung zu erörtern. Hierbei lässt sich sagen, dass die öffentliche Kommunikation der Eliten im Mittelalter wesentlich durch demonstrativ-rituelle Handlungen geprägt war.[20] Zugleich war Öffentlichkeit aber auch das wesentliche Medium für den Transport von Herrschaftsansprüchen.[21] D.h., zum einen wurde Herrschaft in diversen öffentlichen Zeremonien immer wieder neu kreiert und legitimiert und zum anderen waren diese öffentlichen Akte der Repräsentation essentiell durch demonstrativ-rituelles Handeln der weltlichen und geistlichen Eliten bestimmt, die so, mit der Öffentlichkeit als Zeugen, politische Einigkeit oder Uneinigkeit ebenso zum Ausdruck brachten wie herrschaftliche Rangordnungen und Absichtserklärungen.[22]
Insofern ist anzunehmen, dass auch die öffentlichen Kultakte um Heilige keinem reinen Selbstzweck unterlagen, sondern durch bestimmte rituelle Symbole dazu dienten, spezifische politische Haltungen zu kommunizieren.
Obwohl der Ritualbegriff zunächst den Gedanken an starre tradierte Verhaltenweisen nahe legt, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass rituelles Handeln sich zwar immer unter Berücksichtigung bestimmter kultureller Vorgaben vollzog, innerhalb dieser Leitlinien aber höchst flexibel gehandhabt wurde, um den jeweiligen politischen Hintersinn möglichst konkret und unmissverständlich zu artikulieren.[23] Einerseits greifen Rituale also auf gewisse universelle Konstanten zurück, denn sie dienen der gegenwärtigen Information und zukünftigen Vergewisserung und müssen deshalb dem Adressaten verständlich sein, andererseits bietet diese Vorbedingung aber einigen Spielraum für individuelle Interpretationen der Beteiligten, mittels derer sich politische Überzeugung propagieren lassen.[24] Da öffentliche Zeremonien kaum spontan sondern immer mit einer gewissen Vorplanung abgehalten wurden, ist weiter anzunehmen, dass auch das rituelle Handeln der Akteure nicht intuitiven Eingebungen folgt, sondern ebenfalls Produkt vorheriger Überlegungen ist.[25] Offensichtlich ist auch, dass, da Rituale in Anbetracht ihrer Bedeutsamkeit eine hohe Breitenwirkung entfalten, alle Betroffenen, je nach Status, an der Gestaltung des Rituals mehr oder weniger mitwirkten.[26] Das konkrete Ritual ist also immer auch als Ergebnis vorangegangener Aushandlungsprozesse zu verstehen, in denen sowohl Sinn als auch Gestalt der rituellen Handlung definiert wurden.
[...]
[1] Vgl. Angenendet, Arnold: Heilige und Reliquien, Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum
bis zur Gegenwart, München 1994, S.24.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. ebd., S.25f.
[4] Vgl. ebd., S.27.
[5] Vgl. ebd.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. ebd., S.35ff.
[9] Vgl. ebd., S. 150ff.
Vgl. Vauchez, André: Sainthood in the later middle ages, Cambridge 1997, S.425ff.
[10] Vgl. ebd., S.268.
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. ebd.
[13] Vgl. ebd.
[14] Vgl. ebd., S.425f., 466ff.
Vgl. Kleinberg, Aviad M.: Prophets in their own country, Living saints and the making of sainthood in
the later middle ages, Chicago und London 1992, S.34.
Vgl. Angenendet, Arnold: Heilige und Reliquien, Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum
bis zur Gegenwart, München 1994, S.155ff.
[15] Vgl. ebd., S.150ff.
[16] Vgl. ebd., S.150ff., 172ff.
[17] Vgl. Kleinberg, Aviad M.: Prophets in their own country, Living saints and the making of sainthood in
the later middle ages, Chicago und London 1992, S.5ff., 37ff.
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. Johanek, Peter: Politische Heilige auf den britischen Inseln im 12. und 13. Jahrhundert, S.82, in:
Petersohn, Jürgen (Hrsg.): Überlieferung, Frömmigkeit, Bildung als Leitthemen der Geschichtsforschung, Wiesbaden 1987, S.77-95.
Vgl. Bastert, Bernd: Heros und Heiliger, Literarische Karlsbilder im mittelalterlichen Frankreich und
Deutschland, S.201ff., in: Erkens, Franz-Reiner (Hrsg.): Karl der Große und das Erbe der Kulturen, Berlin 2001, S.197-220.
Vgl. Appelt, Heinrich: Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, S.236f., in: Wolf, Gunther (Hrsg.):
Friedrich Barbarossa, Darmstadt 1975, S.208-244.
[20] Vgl. Althoff, Gerd: Die Veränderbarkeit von Ritualen im Mittelalter, S.159f., in: Althoff, Gerd (Hrsg.):
Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, Stuttgart 2001, S.157-176.
[21] Vgl. Wenzel, Horst: Öffentliches und nichtöffentliches Herrschaftshandeln, S.249, in: a.o.a.O.,
S.247-260.
[22] Vgl. Althoff, Gerd: Die Veränderbarkeit von Ritualen im Mittelalter, S.160f., in: a.o.a.O., S.157-176.
[23] Vgl. ebd.
[24] Vgl. Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale, Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003,
S.22ff.
[25] Vgl. ebd.
[26] Vgl. ebd.
- Quote paper
- Jan Trützschler (Author), 2006, Heiligkeit und Heiligenkult als Instrument sakraler Herrschaftslegitimation im deutschen Hochmittelalter am Beispiel Karls des Großen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57970
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