„Ist mein Kind bereits so weit um eingeschult zu werden?“ Dies ist eine zentrale Frage die oft an Pädagogen in den Arbeitsfeldern Grundschule oder Kindergarten gestellt wird. Die Antwort auf diese Frage zu finden, insofern es überhaupt eine einzige, richtige geben kann, ist mehr als schwierig und fordert viel Sachverstand, Fingerspitzengefühl und persönliche Erfahrung. Den Pädagogen hier eine Hilfestellung zu geben, um zutreffende Prognosen erstellen zu können, ist die Aufgabe der pädagogischen Diagnostik. Der richtige Start in die Schullaufbahn und die frühzeitige Erkennung eventuell vorhandener Defizite aber auch von vorhandenen Stärken, kann meiner Einschätzung nach gar nicht wichtig genug angesehen werden. Sicher ist auch die Phase des Übertritts an weiterführende Schulen oder in das Berufsleben von großer Bedeutung, doch der Grundstein hierfür wird zu Beginn gelegt. Deshalb möchte ich mich im Folgenden mit der Frage auseinandersetzen welche Hilfsmittel die pädagogische Diagnostik den Menschen an die Hand gibt die zuverlässige Prognosen abgeben sollen und wie sich diese Hilfsmittel im Laufe der Zeit verändert haben. Außerdem möchte ich mich der Frage zuwenden, inwiefern zuverlässige Prognosen überhaupt möglich sind und auch die meiner Meinung nach wichtigere Frage, ob diese Prognosen überhaupt wünschenswert sind soll nicht ausgeblendet werden. Doch noch einmal zurück zur Eingangs gestellten Frage: Schulreife oder Schulfähigkeit? Diese beiden Begrifflichkeiten spiegeln bereits die Entwicklung des theoretischen und gesellschaftlichen Hintergrundes der zugehörigen diagnostischen Methoden wieder. Während das Wort „reife“ einen Zustand meint, der eigentlich nicht aktiv erworben werden kann, sondern den man mehr oder weniger passiv mit der Zeit erhält, meint das Wort „fähig“ im allgemeinen Sprachverständnis eine erlernte, erworbene kognitive Funktion oder Handlungsmöglichkeit. Es spiegelt sich also bereits ein fundamentaler Unterschied in den Begrifflichkeiten wieder, selbst wenn man sie vom alltäglichen Sprachverständnis her beleuchtet. Doch der theoretische Hintergrund soll nicht unbeachtet bleiben, weshalb ich mich nunmehr zwei älteren diagnostischen Aspekten zuwenden möchte, bevor ich mich einem neueren Ansatz widmen werde. Zunächst also zu älteren diagnostischen Ansätzen deren Zweck in der selektiven Aufnahmeentscheidung liegt und damit zum Schulreifekonzept von Kern.
Inhaltsverzeichnis
1. Schulreife oder Schulfähigkeit?
1.1. Das Schulreifekonzept von Kern
1.2. Didaktische Differenzierungsentscheidung
2. Neuere Annahmen zur Schulfähigkeit
2.1. Das Kieler Einschulungsverfahren
2.2. Schwächen erkennen und Stärken fördern
3. Kritische Überlegungen
Literatur
1. Schulreife oder Schulfähigkeit?
„Ist mein Kind bereits so weit um eingeschult zu werden?“ Dies ist eine zentrale Frage die oft an Pädagogen in den Arbeitsfeldern Grundschule oder Kindergarten gestellt wird. Die Antwort auf diese Frage zu finden, insofern es überhaupt eine einzige, richtige geben kann, ist mehr als schwierig und fordert viel Sachverstand, Fingerspitzengefühl und persönliche Erfahrung. Den Pädagogen hier eine Hilfestellung zu geben, um zutreffende Prognosen erstellen zu können, ist die Aufgabe der pädagogischen Diagnostik. Der richtige Start in die Schullaufbahn und die frühzeitige Erkennung eventuell vorhandener Defizite aber auch von vorhandenen Stärken, kann meiner Einschätzung nach gar nicht wichtig genug angesehen werden. Sicher ist auch die Phase des Übertritts an weiterführende Schulen oder in das Berufsleben von großer Bedeutung, doch der Grundstein hierfür wird zu Beginn gelegt. Deshalb möchte ich mich im Folgenden mit der Frage auseinandersetzen welche Hilfsmittel die pädagogische Diagnostik den Menschen an die Hand gibt die zuverlässige Prognosen abgeben sollen und wie sich diese Hilfsmittel im Laufe der Zeit verändert haben. Außerdem möchte ich mich der Frage zuwenden, inwiefern zuverlässige Prognosen überhaupt möglich sind und auch die meiner Meinung nach wichtigere Frage, ob diese Prognosen überhaupt wünschenswert sind soll nicht ausgeblendet werden. Doch noch einmal zurück zur Eingangs gestellten Frage: Schulreife oder Schulfähigkeit? Diese beiden Begrifflichkeiten spiegeln bereits die Entwicklung des theoretischen und gesellschaftlichen Hintergrundes der zugehörigen diagnostischen Methoden wieder. Während das Wort „reife“ einen Zustand meint, der eigentlich nicht aktiv erworben werden kann, sondern den man mehr oder weniger passiv mit der Zeit erhält, meint das Wort „fähig“ im allgemeinen Sprachverständnis eine erlernte, erworbene kognitive Funktion oder Handlungsmöglichkeit. Es spiegelt sich also bereits ein fundamentaler Unterschied in den Begrifflichkeiten wieder, selbst wenn man sie vom alltäglichen Sprachverständnis her beleuchtet. Doch der theoretische Hintergrund soll nicht unbeachtet bleiben, weshalb ich mich nunmehr zwei älteren diagnostischen Aspekten zuwenden möchte, bevor ich mich einem neueren Ansatz widmen werde. Zunächst also zu älteren diagnostischen Ansätzen deren Zweck in der selektiven Aufnahmeentscheidung liegt und damit zum Schulreifekonzept von Kern.
1.1. Das Schulreifekonzept von Kern
Wie bereits erwähnt handelt es sich beim Schulreifekonzept Kerns um einen theoretischen Hintergrund für Schuleingangstests der sich selbst den Zweck der selektiven Aufnahmeentscheidung zugrunde legt. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die schulischen Bedingungen als fixiert, also als überall gleich gelten. Deshalb gilt es zur Beantwortung der Frage ob ein Schüler geeignet ist um eingeschult zu werden, die nichtschulischen Bedingungsfaktoren (Reife des Schülers, Elternhaus, etc.) zu untersuchen. Mit Hilfe einer solchen Untersuchung soll das Verhalten des potentiellen Schülers prognostiziert werden. Entspricht dies, Verhaltensweisen die als geeignet eingestuft werden (vor allem Leistungsverhalten), kann der Schüler eingeschult werden. (vgl. Krapp/Mandl, 1977, S. 49f) Im Umkehrschluss bedeutet dies eine Reduktion der Einschulungsdiagnostik auf die Prognose von zu erwartendem Leistungsverhalten. Ob dies besonders wünschenswert ist möchte ich später diskutieren.
Das Schulreifekonzept wurde in den 50er Jahren entwickelt. Es geht davon aus, dass das Leistungsverhalten eines Schülers von seinem Entwicklungsstand abhängig ist und zwar im Hinblick auf die seelische, körperliche und geistige Entwicklung und, dass diese wiederum eng miteinander zusammenhängen. Ist nun der Entwicklungsstand ausreichend um den Anforderungen des Schulsystems gerecht zu werden, so gilt ein Kind als Schulreif. Da Kern davon ausgeht, dass jedes Kind (extreme Fälle ausgenommen) diesen Entwicklungsstand erreicht, ist also die Schulreife kaum abhängig von Faktoren wie Intelligenz oder Begabung sondern wird sich mit der Zeit von selbst einstellen. Des weiteren geht er davon aus, dass der Schulerfolg zum großen Teil vom richtigen Zeitpunkt der Einschulung abhängig ist, würde man den richtigen Zeitpunkt abwarten, „(...) dann wäre jedem Kind ein relativ leichtes und erfolgreiches Beschreiten und Durchschreiten der Schullaufbahn möglich (...)“ (Kern zitiert nach Krapp/Mandl, 1977, S. 57). Zur Feststellung der Schulreife griff Kern in seinem GLT (Grundleistungstest zur Ermittlung der Schulreife) vor allem auf die Erfassung der Gestaltgliederungsfähigkeit zurück, da er davon ausging, dass sie „(...) so etwas wie eine reifungsabhängige psychische Grundfunktion (...)“ (Krapp/Mandl, 1977, S. 56) sei. Auch diese Annahme wurde ähnlich wie die des derart engen Zusammenhangs von körperlicher und geistiger Entwicklung so, dass von einem auf das andere geschlossen werden könne, relativ schnell widerlegt. (vgl. Ingenkamp, 1985, S. 156ff; vgl. Krapp/Mandl, 1977, 49ff)
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- Florian Rößle (Author), 2006, Einschulungsdiagnostik, eine kritische Bestandsaufnahme, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57958
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