Bedingt durch die Migration vieler Arbeiter und Arbeiterfamilien gab es in den letzten Jahren viele soziologische, linguistische und soziolinguistische Untersuchungen zum Zweitspracherwerb der Minderheitenkinder in Deutschland (Fritsche 1980: 509). Dabei ist der Schriftspracherwerb von besonderem Interesse, da viele Migrantenkinder nur über unzureichende schriftsprachliche Kenntnisse sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache verfügen. Das Interesse richtet sich daher nun verstärkt auf den Zusammenhang zwischen Sprachkenntnissen in der Erst- und Zweitsprache. Nachdem man bis vor einigen Jahre noch davon ausging, dass es am sinnvollsten sei, Minderheiten entweder sofort ausschließlich in der Zweitsprache zu alphabetisieren und zu unterrichten oder aber, sofern dies nicht möglich war, sie zunächst in der Erstsprache zu alphabetisieren, diese dann aber so bald wie möglich vollständig durch die Zweitsprache zu ersetzen, geht man heute davon aus, dass eine fortlaufende Förderung der Erstsprache nicht nur hilfreich, sondern unabdingbar für den erfolgreichen Zweitspracherwerb der Minderheitenkinder sei. Gerade diese Förderung findet aber in den seltensten Fällen statt, was zur Folge hat, dass die Schüler sehr große Schwierigkeiten beim Zweitspracherwerb und insbesondere beim Schriftspracherwerb haben. Der Schriftspracherwerb stellt für viele Kinder schon in der Muttersprache eine große Herausforderung dar. Ungleich komplizierter wird er aber, wenn er in der Zweitsprache stattfindet. Beim Erlernen einer Fremdsprache stellen sich häufig Schwierigkeiten auf der schriftsprachlichen Ebene, wie zum Beispiel das Erkennen und Verinnerlichen bestimmter schriftsprachlicher Konventionen der anderen Sprache oder das Aneignen bestimmter Idiome und Redewendungen. Diese Schwierigkeiten werden noch erhöht und sehr viel komplexer, wenn der Lernende keine Möglichkeit hat, auf ein ausgebildetes schriftsprachliches Wissen in der Muttersprache zurückzugreifen, an dem er sich orientieren kann. Welche zum Teil gravierenden Probleme dabei genau auftreten, wodurch sie zustande kommen, aber auch Beispiele für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb in der Zweitsprache werden in Kapitel 3 mit Hilfe von einigen von mehrsprachigen Kindern selbstverfassten Texten näher erörtert. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung in die Thematik und Klärung grundlegender Begriffe
1.1 Einleitung
1.2 Was ist Textkompetenz?
1.3 Was ist Mehrsprachigkeit?
2 Die Ausbildung der Textkompetenz
2.1 Schriftspracherwerb
2.2 Schulprogramme bilingualen Schriftspracherwerbs
2.2.1 Pluralistische Programme
2.2.2 Assimilatorische Programme
3 Textproduktion in der Zweitsprache
3.1 Deutsche Texte griechischer Schüler
3.2 Mögliche Ursachen für Probleme bei der Textgestaltung in der Zweitsprache
4 Anregungen für die Ausbildung von mehrsprachigen Kindern
5 Auswertung und Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einführung in die Thematik und Klärung grundlegender Begriffe
1.1 Einleitung
Bedingt durch die Migration vieler Arbeiter und Arbeiterfamilien gab es in den letzten Jahren viele soziologische, linguistische und soziolinguistische Untersuchungen zum Zweitspracherwerb der Minderheitenkinder in Deutschland (Fritsche 1980: 509). Dabei ist der Schriftspracherwerb von besonderem Interesse, da viele Migrantenkinder nur über unzureichende schriftsprachliche Kenntnisse sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache verfügen. Das Interesse richtet sich daher nun verstärkt auf den Zusammenhang zwischen Sprachkenntnissen in der Erst- und Zweitsprache. Nachdem man bis vor einigen Jahre noch davon ausging, dass es am sinnvollsten sei, Minderheiten entweder sofort ausschließlich in der Zweitsprache zu alphabetisieren und zu unterrichten oder aber, sofern dies nicht möglich war, sie zunächst in der Erstsprache zu alphabetisieren, diese dann aber so bald wie möglich vollständig durch die Zweitsprache zu ersetzen, geht man heute davon aus, dass eine fortlaufende Förderung der Erstsprache nicht nur hilfreich, sondern unabdingbar für den erfolgreichen Zweitspracherwerb der Minderheitenkinder sei. Gerade diese Förderung findet aber in den seltensten Fällen statt, was zur Folge hat, dass die Schüler sehr große Schwierigkeiten beim Zweitspracherwerb und insbesondere beim Schriftspracherwerb haben.
Der Schriftspracherwerb stellt für viele Kinder schon in der Muttersprache eine große Herausforderung dar. Ungleich komplizierter wird er aber, wenn er in der Zweitsprache stattfindet. Beim Erlernen einer Fremdsprache stellen sich häufig Schwierigkeiten auf der schriftsprachlichen Ebene, wie zum Beispiel das Erkennen und Verinnerlichen bestimmter schriftsprachlicher Konventionen der anderen Sprache oder das Aneignen bestimmter Idiome und Redewendungen. Diese Schwierigkeiten werden noch erhöht und sehr viel komplexer, wenn der Lernende keine Möglichkeit hat, auf ein ausgebildetes schriftsprachliches Wissen in der Muttersprache zurückzugreifen, an dem er sich orientieren kann. Welche zum Teil gravierenden Probleme dabei genau auftreten, wodurch sie zustande kommen, aber auch Beispiele für einen erfolgreichen Schriftspracherwerb in der Zweitsprache werden in Kapitel 3 mit Hilfe von einigen von mehrsprachigen Kindern selbstverfassten Texten näher erörtert.
Weiterhin werden ein Vergleich und eine Auswertung der verschiedenen bilingualen Schulprogramme angestrebt und eigene Anregungen für den bilingualen Unterricht vorgestellt um zu einem Antwortversuch zur Frage, welche Programme geeignet und welche weniger geeignet für den bilingualen Schriftspracherwerb sind, zu kommen.
1.2 Was ist Textkompetenz?
In der Literatur werden die Begriffe Schriftspracherwerb, Schreibentwicklung und Schreibfähigkeiten teilweise konträr verwendet. Feilke (1993: 17) definiert Schriftspracherwerb als den „Erwerb[] der Kompetenzen, die für die graphemisch-orthographische aber auch für die visuelle und motorische Kontrolle des Schreibens erforderlich sind“. Schreibentwicklung hingegen bezeichne die „Prozesse[] der Entwicklung textorientierter Handlungs- und Ausdrucksfähigkeiten“ (Kursivdruck im Original). Die meisten Autoren verwenden jedoch den Begriff Schriftspracherwerb, in der Regel aber ohne genau zu definieren auf welchen der zuvor genannten Bereiche sie sich beziehen, teilweise werden auch beide Bereiche unter demselben Begriff subsumiert. In dieser Arbeit wird jedoch im Gegensatz zur Begrifflichkeit Feilkes der Begriff Schriftspracherwerb verwendet um sich auf den Erwerb von Ausdrucksfähigkeiten, Formulierungsmuster und ähnlichem in der Textproduktion zu beziehen, da die meisten Autoren mit dieser Bezeichnung konform gehen (vgl. z.B. Nehr 1990 und Karajoli / Nehr 1996).
1.3 Was ist Mehrsprachigkeit?
Zunächst muss zwischen der Mehrsprachigkeit einer Gesellschaft (territoriale Mehrsprachigkeit) und der Mehrsprachigkeit einer Person (individuelle Mehrsprachigkeit) unterschieden werden (Riehl 2001: 49).
Territoriale Mehrsprachigkeit kann in zwei Formen auftreten: auf der einen Seite ist es möglich, dass jede Staatssprache in einem abgeschlossenem Gebiet gesprochen wird, wie z.B. in der Schweiz (vgl. zu diesem Absatz Riehl 2001: 56). Die Individuen in den einzelnen Gebieten sind bei dieser Form oft nicht mehrsprachig. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass mehrere Sprachen auf einem Gebiet gesprochen werden, wie etwa in Ostbelgien.
Diese Arbeit befasst sich jedoch in erster Linie mit der individuellen Mehrsprachigkeit. Hierzu existieren viele unterschiedliche Definitionen, die sich bezogen auf den Grad der Sprachbeherrschung zum Teil stark unterscheiden (Riehl 2001: 49). Die Auslegungen des Begriffs Mehrsprachigkeit können von Grundkenntnissen in mehr als einer Sprache bis zu der in allen Bereichen perfekten Beherrschung mehrerer Sprachen beinah alles umfassen (ebd. 49f.). Meist wird Mehrsprachigkeit jedoch so ausgelegt, dass der Mehrsprachige in den meisten Situationen von einer Sprache zur anderen umschalten kann. Dabei ist es durchaus möglich, dass sich der Sprecher in der einen Sprache gewandter ausdrücken kann, als in der anderen (Oksaar, 1980: 43). Es ist wichtig festzuhalten, dass Sprecher häufig mündlich zweisprachig sind, jedoch zur schriftlichen Einsprachigkeit tendieren, was damit zusammen hängt, dass die schriftsprachliche Sozialisation in der Regel nur in einer Sprache stattfindet (Riehl 2001: 55).
2 Die Ausbildung der Textkompetenz
2.1 Schriftspracherwerb
Schreiben wird heutzutage in der Forschung als eine kognitive und zugleich kommunikative Handlung angesehen, das Schreiben selbst erfüllt eine kommunikative, problemlösende Funktion (vgl. zu diesem Absatz Feilke 1996: 1179 ff.). Somit stellt die Entwicklung der Schreibkompetenz den Aufbau einer Problemlösefähigkeit und den Aufbau eines „kommunikative[n] Handlungswissen[s]“ (ebd. 1181) dar. Bei der Entwicklung dieses Wissens sind die kognitiven und sozialen Rahmenbedingungen, wie etwa der Aufbau des Weltwissens und kulturspezifische (kommunikative) Normen, von großer Bedeutung. Feilke spricht in diesem Zusammenhang vom so genannten Schreibalter, das durch „die praktische Schreiberfahrung und die Dauer der Auseinandersetzung mit den Standards und Normen einer literalen Kultur“ (ebd.) bestimmt wird. Dieses Schreibalter ist, vielmehr als das eigentliche Alter, elementar für den jeweiligen Entwicklungsstand der Schreibfähigkeiten eines Kindes.
Ein wichtiger Teilaspekt der Entwicklung von Textkompetenz ist die Entwicklung von Planungsfähigkeiten für den zu produzierenden Text (vgl. zu diesem Absatz Feilke 1993: 24ff.). Während der Planung wird der Handlungsverlauf in Form eines Konzepts antizipiert um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die Planung ist nicht auf eine bestimmte Phase während des Schreibprozesses beschränkt, sondern läuft parallel dazu. Der erste Schritt der Planung jedoch, nämlich ein Entwurf der Probleme, die sich beim Schreiben stellen, und möglicher Lösungen, findet jedoch noch vor dem Beginn des eigentlichen Schreibens statt. Es lässt sich beobachten, dass diese Planungsphase bei Kindern im Alter bis zu 10 Jahren noch nicht stattfindet. Planung und Textproduktion ist für Kinder bis zu diesem Alter noch nicht trennbar. 14-jährige hingegen sind in der Lage, den Schreibvorgang zu unterteilen, sich während der Planungsphase Notizen zu machen und diese in abgeänderter Form im eigentlichen Text zu nutzen. Jedoch beschränken sich solche Pläne bis zur Adoleszenz größtenteils auf inhaltliche Probleme der Texte. Ein konzeptueller Textplan, der darstellerische und kommunikative Ziele in den Mittelpunkt stellt, wird meist erst von 18-jährigen entwickelt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Schriftspracherwerbs ist die Überarbeitung von selbstverfassten Texten (vgl. zu diesem Absatz Feilke 1993: 27ff.). Dabei ist festzustellen, dass jüngere Schreiber (6-8-jährig) ausschließlich mit Hilfe eines Gesprächsanreizes wie ‚Schreibkonferenzen’ eine Überarbeitung durchführen können. Diese führen jedoch lediglich dazu, dass die Schreiber die Anmerkungen der anderen an ihren eigenen Text anhängen, nicht jedoch zu einer Abänderung des bereits Geschriebenen. Die Textüberarbeitung nimmt mit zunehmendem Alter zum einen quantitativ zu, zum anderen entwickelt sich auch die Art des Überarbeitens von Oberflächenmerkmalen, wie Orthographie, hin zu einer inhaltsbezogenen Überarbeitung. Die größten Fortschritte sind hier erst beim Übergang vom Jugendalter zum Erwachsenenalter zu verzeichnen.
Mit dem Erwerb und Einhalten von kommunikativen Normen ist eine generelle Entwicklung in den Texten von Kindern festzustellen, „die von einer expressiv-subjektbezogenen über eine eher objektive Haltung schließlich zu einem adressatenbezogenen Textproduzieren führt“ (vgl. zu diesem Absatz Jechle 1992: 74 ff.). So produzieren Schreiber im ersten (expressiv-subjektbezogenen) Stadium Texte, die ihre Emotionen zum Ausdruck bringen und die stark am mündlichen Sprachgebrauch orientiert sind. Im zweiten (objektiven) Stadium bemühen sich die Schreiber um eine Abgrenzung der geschriebenen von der gesprochenen Sprache und neigen mitunter zur Hyperkorrektur, wodurch der Schreibstil übertrieben förmlich wirkt. Im dritten (adressatenbezogenen) Stadium schließlich wenden sich die Schreiber bewusst an den Adressaten, was sich unter anderem in einer spezifischen Formulierung von Einleitung und Schluss, dem Ansprechen des Lesers und in verständniserleichternden Äußerungen zeigt. Diese Entwicklung ist zum einen auf die Entfaltung bestimmter kognitiver Fähigkeiten zurückzuführen, zum anderen aber auch auf den Schulunterricht, der in den verschiedenen Klassenstufen die Textproduktion des entsprechenden Typen fordert.
So wäre es zum Beispiel denkbar, dass auch Schüler der 11. Klasse einen expressiv-subjektbezogenen Text produzieren, wenn sie zuvor im Deutschunterricht anstelle von Textanalysen intensiv das Schreiben von Erlebniserzählungen geübt haben.
Hieraus lässt sich ableiten, dass die Entwicklung der Schreibfähigkeiten unbestritten ein Zusammenspiel aus der kognitiven Entwicklung der Schreiber und dem Erlernen und oft wiederholten Üben der unterschiedlichen Textstrukturen, Textsorten und schriftsprachlichen Konventionen ist.
2.2 Schulprogramme bilingualen Schriftspracherwerbs
2.2.1 Pluralistische Programme
In den so genannten pluralistischen Programmen wird die individuelle, beziehungsweise gesellschaftliche Mehrsprachigkeit gefördert (Karajoli/Nehr 1996: 1197). Das beinhaltet zum einen das Schaffen einer Bilingualität bei Mehrheitskindern und zum anderen das Fördern eines Bilingualismus bei Minderheitskindern.[1]
2.2.1.1 Bereicherungsprogramme
Bereicherungsprogramme zielen nicht darauf ab, bei Kindern, die von Hause aus mehrsprachig sind, diese Mehrsprachigkeit zu fördern, wie zum Beispiel bei Immigrantenkindern oder bei Kindern von Eltern unterschiedlicher Nationalitäten. Stattdessen werden von Hause aus einsprachige Mehrheitskinder fremdsprachlich unterrichtet, um eine Bilingualität zu erlangen. Das Ziel eines solchen Ausbildungsprogramms ist eine additive Zweisprachigkeit (Karajoli/Nehr 1996: 1197). Allerdings sind solche Programme häufig nur einer ausgewählten Minderheit von Schülern, die der Oberschicht angehören, zugänglich. Hierbei sind zwei Arten von Programmen zu unterscheiden: Bilinguale Programme und Immersionsprogramme.
Bilinguale Programme sind durch drei Faktoren charakterisiert, nämlich erstens die Freiwilligkeit einer solchen Ausbildung, zweitens die Gleichbehandlung von zwei prestigereichen Sprachen sowohl als Fach, als auch als Unterrichtssprache und drittens das gemeinsame Lernen von Mehrheitskindern und nicht diskriminierten Minderheitenkindern (vgl. zu diesem Absatz Karajoli/Nehr 1996: 1197). In solchen Programmen werden von Schulbeginn an alle Fähigkeiten auf allen Gebieten in beiden Sprachen vermittelt. Weltweit sind die Leistungen von Kindern, denen eine bilinguale Ausbildung zuteil wurde, besser als die Leistungen von Kindern mit vergleichbarem sozialem Hintergrund, die einsprachig unterrichtet wurden. Man hat aber festgestellt, dass die Leseleistungen von Kindern mit bilingualer Ausbildung in der Regel in der dominanten Umgebungssprache etwas besser sind als in der zweiten Unterrichtssprache, die jedoch in der Gesellschaft dominiert ist.
[...]
[1] Mehrheitskinder (auch: Majoritätskinder) sind Kinder, die der gesellschaftlichen Mehrheit angehören, sie sprechen die Mehrheits- bzw. die Landessprache als ihre Muttersprache oder Erstsprache. Minderheitenkinder (auch: Minoritätskinder) gehören einer gesellschaftlichen Minderheit an, sie sprechen eine Sprache, die im jeweiligen Land nicht dominant, sondern minoritär ist, als ihre Erstsprache.
- Quote paper
- Stephanie Schmitz (Author), 2004, Bilinguale Ausbildung und der Erwerb der Textkompetenz bei mehrsprachigen Kindern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57870
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.