Über den Begriff „Novelle“ wird immer wieder diskutiert, um sowohl die Form als auch die Definition der Novelle zu fixieren. Der Begriff stammt aus dem Italienischen und ist erst seit dem 18. Jahrhundert im Deutschen gebräuchlich.
Christoph Martin Wieland übernimmt erstmals die Form und den Begriff der Novelle in die deutsche Literatur. In der Anmerkung seines RomansDie Abenteuer des Don Sylvio von Rosalvavon 1772 versucht er den Begriff zu bestimmen: „Novellen werden vorzüglich eine Art von Erzählungen genannt, welche sich von den großen Romanen durch die Simplizität des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden, oder sich zu denselben verhalten wie die kleinen Schauspiele zu der großen Tragödie und Komödie“. Später hat er seine Definition gegen die märchenhafte Erzählung der Romantik abgegrenzt: „ Bei einer Novelle (...) werde vorausgesetzt, dass sie sich (...) in unserer wirklichen Welt begeben habe, wo alles natürlich und begreiflich zugeht, und die Begebenheiten zwar nicht alltäglich sind, aber sich doch, unter denselben Umständen, alle Tage allenthalben zutragen könnten“. Das war der erste Versuch einer Abgrenzung und Definition einer Novellentheorie. In der Folge wurden zahlreiche Ansätze unternommen, eine Kunstform Novelle zu entwickeln.
Eine klare Definition der Novelle, die man immerhin als zentrales Merkmal novellistischen Erzählens begreift, ist von Goethe aus einem Gespräch mit Eckermann vom 25. Januar 1827. Er sah im Zentrum der Novelle „ eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. In der Romantik tritt die Novelle anfangs zwar in ihrer Funktion als gehobene gesellschaftliche Unterhaltung zurück, aber auch das Thema der Form und des Inhalts wird erweitert. Für die Form der Novelle verlangt Ludwig Tieck einen „Wendepunkt“: „Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt, und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt“. Während in der Romantik die Form der Novelle einerseits aufblüht, werden andererseits märchenhafte und symbolhafte Züge in die Novellenform eingebracht. Im 19. Jahrhundert, die Zeit des Biedermeier und Realismus, gewinnt die Novelle zunehmend an Bedeutung. Die Literaturwissenschaft bevorzugt die Novelle mehr für die Darstellung der Lebenswelt und der Probleme des Individuums. [...]
Inhaltverzeichnis
A. Einleitung : Hauptgesichtspunkte der Novellen
B. Haupttitel : Das novellistische Profil von „Brief einer Unbekannten“
I. Inhaltsangabe
II. Silhouette der Novelle
III. „Eigentümlichkeit der Charaktere“ und „Unerhörte Begebenheit“
a) Die Unbekannte
b) Der Schriftsteller
c) Der Konflikt
d) Die unerhörte Begebenheit als Resultat des Konfliktes der eigentümlichen Charaktere
C. Schluss : „Die neue Seite der Menschennatur“
D. Bibliographie
A. Einleitung : Hauptgesichtspunkte der Novellen
Über den Begriff „Novelle“ wird immer wieder diskutiert, um sowohl die Form als auch die Definition der Novelle zu fixieren. Der Begriff stammt aus dem Italienischen und ist erst seit dem 18. Jahrhundert im Deutschen gebräuchlich.
Christoph Martin Wieland übernimmt erstmals die Form und den Begriff der Novelle in die deutsche Literatur. In der Anmerkung seines Romans Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva von 1772 versucht er den Begriff zu bestimmen: „Novellen werden vorzüglich eine Art von Erzählungen genannt, welche sich von den großen Romanen durch die Simplizität des Plans und den kleinen Umfang der Fabel unterscheiden, oder sich zu denselben verhalten wie die kleinen Schauspiele zu der großen Tragödie und Komödie“[1]. Später hat er seine Definition gegen die märchenhafte Erzählung der Romantik abgegrenzt: „ Bei einer Novelle (...) werde vorausgesetzt, dass sie sich (...) in unserer wirklichen Welt begeben habe, wo alles natürlich und begreiflich zugeht, und die Begebenheiten zwar nicht alltäglich sind, aber sich doch, unter denselben Umständen, alle Tage allenthalben zutragen könnten“[2]. Das war der erste Versuch einer Abgrenzung und Definition einer Novellentheorie. In der Folge wurden zahlreiche Ansätze unternommen, eine Kunstform Novelle zu entwickeln.
Eine klare Definition der Novelle, die man immerhin als zentrales Merkmal novellistischen Erzählens begreift, ist von Goethe aus einem Gespräch mit Eckermann vom 25. Januar 1827. Er sah im Zentrum der Novelle „ eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“[3].
In der Romantik tritt die Novelle anfangs zwar in ihrer Funktion als gehobene gesellschaftliche Unterhaltung zurück, aber auch das Thema der Form und des Inhalts wird erweitert. Für die Form der Novelle verlangt Ludwig Tieck einen „Wendepunkt“: „Diese Wendung der Geschichte, dieser Punkt, von welchem aus sie sich unerwartet völlig umkehrt, und doch natürlich, dem Charakter und den Umständen angemessen, die Folge entwickelt“[4].
Während in der Romantik die Form der Novelle einerseits aufblüht, werden andererseits märchenhafte und symbolhafte Züge in die Novellenform eingebracht.
Im 19. Jahrhundert, die Zeit des Biedermeier und Realismus, gewinnt die Novelle zunehmend an Bedeutung. Die Literaturwissenschaft bevorzugt die Novelle mehr für die Darstellung der Lebenswelt und der Probleme des Individuums.
Friedrich Hebbel geht auf die Definition Goethes zurück und erweitert sie um folgendes: „Novellen (...) [sind] solche, die durchaus nur auf eine neue, unerhörte Begebenheit und das aus dieser entspringende neue, unerhörte Verhältnis des Menschen zu Leben und Welt gebaut sind (...)“[5].
Eine engere Eingrenzung erläuterte Paul Heyse mit seiner „Silhouette“ und „Falkentheorie“ in seiner Einleitung zu „Deutscher Novellenschatz“ :
„Eine starke Silhouette(...) dürfte dem, was wir im eigentlichen Sinne Novelle nennen, nicht fehlen, ja wir glauben die Probe auf die Trefflichkeit eines novellistischen Motivs werde in den meisten Fällen darin bestehen, ob der Versuch gelingt, den Inhalt in wenige Zeilen zusammenzufassen, wie die alten Italiener ihren Novellen kurze Überschriften gaben, die dem Kundigen schon im Keim den spezifischen Wert des Themas verraten“[6].
Heyse fordert weiterhin, der Novellist sollte sich zuerst fragen, „wo der Falke sei, das Spezifische, das diese Geschichte von tausend anderen unterscheidet“[7]. Der Falke in der Novelle, nach Heyses Definition, verursacht die überraschende Wende oder veranschaulicht dieselbe.
Eine allgemeine und statische Definition der Novelle lässt sich wegen der Wandlungen in Theorie und Praxis nicht geben. Die Struktur der Novelle ist der des Dramas ähnlich und ergibt sich am besten aus der Abgrenzung zum Roman. Die Novelle unterscheidet sich damit nicht nur durch den relativ kürzeren Umfang, sondern auch durch die thematisch konzentrierte Handlung um ein Ereignis oder Konflikt.
Überdies hat Friedrich Spielhagen in „Novelle oder Roman?“ nicht nur zwischen Novelle und Roman unterschieden, sondern auch zwischen „älteren“ und „neueren“ Novellen: „Die Novelle hat es mit fertigen Charakteren zu tun, die, durch eine besondere Verkettung der Umstände und Verhältnisse, in einen interessanten Konflikt gebracht werden, wodurch sie gezwungen sind, sich in ihrer allereigensten Natur zu offenbaren, also, dass der Konflikt, der sonst Gott weiß wie hätte verlaufen können, gerade diesen, durch die Eigentümlichkeit keinen anderen Ausgang nehmen kann und muss. Fügen wir noch hinzu, dass in der älteren Novelle ‚die besondere Verkettung der Umstände und Verhältnisse’ präponderiert, in der neueren dagegen, der modernen Empfindung gemäß, der Hauptakzent auf die ‚Eigentümlichkeit der engagierten Charaktere’ fällt“[8].
Im 20. Jahrhundert entsprechen die meisten Novellen der Definition von Goethe, besonders die von Stefan Zweig. Zweigs Novelle „Brief einer Unbekannten“ behandelt nicht nur die „unerhörte Begebenheit“, als zentrales Merkmal der Novelle, sondern auch die Definitionen von anderen Theoretikern beispielsweise von Hebbel, Heyse und Spielhagen.
In dieser vorliegenden Arbeit werde ich hauptsächlich die Charakteristiken der Novelle „Brief einer Unbekannten“ hinsichtlich der entsprechenden Definitionen bearbeiten.
B. Haupttitel : Das novellistische Profil von „Brief einer Unbekannten“
I. Inhaltsangabe
„Brief einer Unbekannten“ ist eine Rahmenerzählung, die sich in einen äußeren Rahmen und eine Binnenerzählung, die in fünf Abschnitte aufgebaut ist, gliedert.
Die Binnenerzählung ist der Brief, den die Unbekannte dem Schriftsteller geschrieben hat.
Anfang des Rahmens - Der Schriftsteller kriegt einen Brief, an dessen Schreiberin er sich nicht erinnert und fängt an zu lesen.
Erster Abschnitt – Die Schreiberin sitzt während sie den Brief schreibt neben der Leiche ihres toten Kindes, das bereits vor drei Tagen an einer Grippe gestorben ist. Davon weiß der Schriftsteller allerdings nichts. Sie erzählt, dass sie in demselben Haus wie er wohnte, sich schon mit dreizehn Jahren in ihn verliebt hat, wie sie sich fühlte, als er ihr einen einhüllenden zärtlichen Blick gab, wie sie ihn tagein tagaus beobachtet hat und wie sie seine Abwesenheiten, wenn er reiste, so hasste. Es war immer eine Qual für sie, wenn er Frauen mitbrachte.
Zweiter Abschnitt – Sie zog mit ihrer Mutter nach Innsbruck, lebte aber dennoch in Gedanken an ihn. Es fiel ihr so schwer ohne seine Nähe zu sein, so dass sie ihren Willen durchsetzte und wieder nach Wien zurückzog und dort arbeitete. Sie wollte ihm begegnen. Wegen ihrer Schönheit fiel sie ihm auf. Er lud sie zum Essen ein und danach auch zu sich in die Wohnung. Alle Gegenstände in seinem Haus weckten ihre Kindheitserinnerungen. Sie gehörte ihm drei Nächte. Er gab ihr vier weiße Rosen zum Abschied vor seiner Abreise. Sie hat aber dann nichts mehr von ihm gehört.
Dritter Abschnitt - Sie bekam ein Kind von ihm, wollte es ihm aber nicht sagen, weil sie wusste, dass er gern ohne Pflicht und ungebunden lebt.
Vierter Abschnitt – Sie schickte ihm anonym immer vier weiße Rosen zum Geburtstag. Das Kind wurde ihm ähnlich. Um ihr Kind in einem gehobenen Lebensstandard aufwachsen lassen zu können und nicht in Armut, hat sie sich verkauft. Sie hat alle Eheanträge von anderen Männern ausgeschlagen, sogar den Antrag eines Adligen, der ihr und ihrem Sohn eine materiell abgesicherte Zukunft bot. Bei jeder öffentlichen Begegnungen fiel sie ihm zwar wieder auf, aber weil sie sich verändert hatte, erkannte er sie nicht. Doch in einem Tanzlokal, als sie mit ihrem Freund und Bekannten feierte, sah sie ihn nebenan. Sie sah wie er sie beobachtete. Als er ging, ging sie ihm nach. Sie traf ihn draußen. Sie gingen dann wieder zu seiner Wohnung. Er hielt sie für eine Käufliche und sie selbst konnte ihm ihr Gefühl auch nicht eingestehen. Sie sah wie er ein paar Banknoten in ihren Muff schob. Sie bat ihn um eine Rose von der Vase. Er erkannte sie trotzdem nicht wieder. Sie steckte das Geld nachher seinem Diener zu, der sie zu erkennen schien.
[...]
[1] Christoph Martin Wieland : Anmerkung zu „Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva“. Vorbemerkung zur „Novelle ohne Titel“. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 9.
[2] ebd. S. 10.
[3] Johann Wolfgang Goethe : Gespräch mit Eckermann vom 25. Januar 1827. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 29.
[4] Ludwig Tieck : Über die Novelle ( „Phantasus“, Rahmenhandlung ). Vorbericht zur dritten Lieferung der „Schriften“ (1829) „Gespräche“. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 25.
[5] Friedrich Hebbel : Vorwort zur Veröffentlichung seiner „Novellen und Erzählungen“. Brief an Friedrich von Uechtritz vom 25. Juli 1855. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 31.
[6] Paul Heyse : Einleitung zu „Deutscher Novellenschatz“. „Meine Novellistik“. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 40.
[7] ebd. S. 41.
[8] Friedrich Spielhagen : „Novelle oder Roman?“. In : Arbeitstexte für den Unterricht. Theorie der Novelle. Reclam. 1976. S. 46-47.
- Quote paper
- Napawan Masaeng (Author), 2003, Stefan Zweig 'Brief einer Unbekannten' als Novelle, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/57865
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